Die Deutsche Synode - vergangen und vergessen?Im Gespräch mit Andreas R. Batlogg SJ

Vor vierzig Jahren, im Januar 1971, begann die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland - für Wolfgang Seibel eine "Sternstunde der Kirche in Deutschland". Im Gespräch mit Andreas R. Batlogg bedauert der ehemalige Chefredakteur dieser Zeitschrift, der die Synode für den Bayerischen Rundfunk kommentierte, daß diese "Eindeutschung des Konzils" weithin vergessen ist und totgeschwiegen wird.

Für viele war sie ein Jahrhundertereignis, Wolfgang Seibel SJ schrieb im Rückblick einmal von einer "Sternstunde der Kirche in Deutschland"1: Vor vierzig Jahren, im Januar 1971, begann die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, die nach ihrem Tagungsort - im eigens dafür adaptierten Längsschiff des Würzburger Kiliandoms - abgekürzt einfach oft nur "Würzburger Synode" genannt wird.

Die Mitgliederzahl der Synode variierte. In der ersten Vollversammlung waren 305 Mitglieder anwesend: 60 davon Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (die Zahl der Bischöfe änderte sich naturgemäß während der Tagungsperioden); jedes der 22 Bistümer wählte sieben Mitglieder (drei Geistliche und vier Laien), je 40 Mitglieder wurden vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) gewählt und von der Deutschen Bischofskonferenz berufen; 22 Mitglieder wurden von der Vereinigung der Orden gewählt (zehn Frauen, zehn Männer, zwei Brüder). Synoden-Präsident war der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Julius Döpfner, der Erzbischof von München und Freising. Die vier Vizepräsidenten der Synode, die Zentralkommission, der Rechtsausschuß sowie zehn Sachkommissionen wurden bei der ersten Vollversammlung, die vom 3. bis 5. Januar 1971 stattfand, gewählt. Ihr sollten bis November 1975 sieben weitere Vollversammlungen folgen (10.-14.5.1972; 3.- 7.1.1973; 21.-24.11.1973; 22.-26.5.1974; 20.-24.11.1974; 7.-11.5.1975; 18.11.-23.11.1975).

Ingesamt kam es zu 18 Beschlußfassungen: 1. Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit; 2. Pastorale Zusammenarbeit im Dienst an der christlichen Einheit; 3. Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral; 4. Gottesdienst; 5. Die pastoralen Dienste in der Gemeinde; 6. Die Beteiligung der Laien an der Verkündigung; 7. Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche; 8. Rahmenordnung für die pastoralen Strukturen und für die Leitung und Verwaltung der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland; 9. Ordnung für Schiedsstellen und Verwaltungsgerichte der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung); 10. Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit; 11. Der Religionsunterricht in der Schule; 12. Die Orden und andere geistliche Gemeinschaften heute; 13. Christlich gelebte Ehe und Familie; 14. Kirche und Arbeiterschaft; 15. Der ausländische Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft; 16. Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich; 17. Der Beitrag der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland für Entwicklung und Frieden; 18. Missionarischer Dienst an der Welt. - Diese Beschlüsse wurden 19762, die Arbeitspapiere der Sachkommissionen ein Jahr später veröffentlicht3.

Im folgenden dokumentieren wir ein Gespräch mit dem langjährigen Chefredakteur der "Stimmen der Zeit", das Anfang November 2010 in München stattfand.

Pater Seibel, vor vierzig Jahren wurde die Gemeinsame Synode eröffnet, 2012 jährt sich der Beginn des letzten Konzils zum 50. Mal. Sie waren da wie dort als Berichterstatter für die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) und als Kommentator für den Bayerischen Rundfunk dabei. Was bewegt Sie, wenn Sie heute auf diese Ereignisse zurückblicken?

Beides, Konzil wie Synode, waren bedeutende Ereignisse, die von allen Beteiligten als eine Art Wende in der Entwicklung der Kirche angesehen wurden. Natürlich sind beide Ereignisse von verschiedener Rangordnung: Beim Konzil ging es um die Gesamtkirche, bei der Synode um die deutschen Diözesen. Der Synode ging es, wie es damals hieß, um eine Eindeutschung des Konzils. In beiden Fällen waren fast alle Teilnehmer tief beeindruckt von der Offenheit der Diskussionen und von der Bereitschaft, Probleme zu erkennen und auch zu Lösungen zu kommen.

Vom Geist des Konzils zum Geist der Synode

Blicken Sie vor dem Hintergrund der letzten Jahre eher bedrückt auf diese Ereignisse zurück, nostalgisch vielleicht, oder überwiegt Zuversicht?

Nostalgisch möchte ich nicht sagen. Nostalgie bedeutet ja immer, daß man die Vergangenheit verklärt, über die eigenen Erfahrungen hinaus. Deswegen ist der Rückblick bei solchen Ereignissen fast immer, in diesem Fall aber besonders zwiespältig, weil es auf der einen Seite herausragende Ereignisse waren, die Mut und Zuversicht weckten. Auf der anderen Seite sieht man im Rückblick, daß die Wirkung dieser Ereignisse, oder besser: die Bereitschaft, die Impulse des Konzils und der Synode aufzunehmen, weiterzuentwickeln und zu vertiefen, sehr schnell abgenommen hat - so daß der Rückblick zwar nicht nostalgisch, aber doch von einem tiefen Bedauern geprägt ist.

Als das Konzil begann, waren Sie 34 Jahre alt, bei Synodenbeginn standen Sie im 43. Lebensjahr. Um einen Vergleichspunkt zu nehmen: Ich war bei Konzilsbeginn sieben Tage alt und besuchte die erste Klasse Volksschule, als die Synode begann. Wenn man heute beide Ereignisse nur historisch kennt, aus Büchern und Dokumenten, oder Zeitzeugen befragt: Was fehlt einem da?

Da fehlt Bedeutendes, nämlich die lebendige Erfahrung dieser Ereignisse. Wer heute auf Konzil oder Synode zurückblickt, ohne sie bewußt erfahren zu haben, ist ausschließlich auf die Dokumente angewiesen. Diese geben natürlich nicht den Geist, die Stimmung, die Mentalitäten wieder, die damals herrschten. Von daher läßt sich die Aufbruchsstimmung, die beim Konzil herrschte, die Erfahrung von Freiheit vor allem, nicht mehr nachvollziehen. Eben weil man sich die ungeheure Enge, die vor dem Konzil herrschte, zum Teil überhaupt nicht mehr vorstellen kann.

"Geist" und "Ungeist des Konzils" - in Verlängerung dazu Geist und Ungeist der Synode - waren und sind umstrittene Vokabeln, manchmal sogar Kampfparolen. Jemand könnte sagen: Da blickt eben ein Veteran auf Konzil und Synode zurück und ist frustriert, weil er seine eigenen Erwartungen nicht erfüllt sieht.

Die Begriffe "Geist" und "Ungeist" des Konzils sind, mindestens was den "Ungeist" angeht, polemische Begriffe. Denn der Begriff "Geist des Konzils" hat einen positiven Sinn. Ein Historiker hat nachgewiesen, daß er in römischen Dokumenten und auch in päpstlichen Verlautbarungen fast unendliche Male vorkommt. Er bedeutet einfach, daß die Beschlüsse des Konzils nicht nur Buchstaben sind, sondern daß Leben dahintersteckt. Man muß die Beschlüsse aus dem Geist heraus verstehen, der die Teilnehmer damals beseelte und ihnen den Antrieb zu diesen Beschlüssen gab. Um es mit anderen Worten zu sagen: Der Begriff "Geist" bezeichnet die Grundorientierungen, die in den Konzilsdokumenten zum Ausdruck kamen, die Leitlinien, an denen sich alles ausrichtete. Ich möchte als Beispiel nur drei dieser Prinzipien nennen: Reform als dauernde Aufgabe der Kirche, das Verständnis der Kirche als Volk Gottes und Dialog als Weg zur Entscheidungs- und Wahrheitsfindung in der Kirche und als Grundhaltung gegenüber den anderen christlichen Kirchen, den nichtchristlichen Religionen und überhaupt der modernen Gesellschaft.

Der Ausdruck "Ungeist des Konzils" schließlich ist von denen geprägt worden, die wesentliche Beschlüsse, ja die genannten Grundorientierungen des Konzils als falsch ablehnten. Sie prägten diesen Begriff, um damit diejenigen gewissermaßen zu diffamieren, die sich bemühten, im Geist des Konzils zu arbeiten.

Sie vollenden in einigen Monaten Ihr 83. Lebensjahr. Wenn Sie auf diese herausragenden Ereignisse in Ihrer Lebens- und Ordensgeschichte zurückblicken: Haben Sie den Eindruck, das Konzil und die Synode seien tot?

Tot auf keinen Fall, vor allem das Konzil nicht. Denn bei aller Enttäuschung, die man heute über die mangelnde Weiterführung der Beschlüsse des Konzils haben muß, kann man doch eindeutig sehen, daß das Konzil die Kirche in einer tiefen Weise geprägt und auch verändert hat - und zwar positiv. Diese Entwicklungen sind nicht rückgängig zu machen und zwar deswegen nicht, weil sie auf tiefe und breite Resonanz in der Kirche gestoßen sind. Das Konzil hat nicht einfach von oben herab beschlossen. Die Begeisterung, mit der es aufgenommen wurde, und die Zustimmung, die es fand, sind ein Zeichen dafür, daß es die Probleme, die die Menschen bewegten, erfaßt hat, und von daher nach Lösungen suchte. Das Rad der Geschichte läßt sich nicht mehr zurückdrehen.

Die Synode hat selbstverständlich nicht in der tiefgreifenden Weise wirken können wie das Konzil, weil es ja schon die Folgen des Konzils und dessen Wirkungen vorfand. Sie hat natürlich die Impulse des Konzils aufgenommen. Sie ist folglich nicht vollkommen tot, aber heute weithin vergessen.

Zwischen dem Abschluß des Konzils und dem Beginn der Synode liegen mehr als fünf Jahre. Die Synode sollte Beschlüsse des Konzils auf lokaler Ebene implementieren. Aber es gab bereits Stimmen, die nachkonziliare Wirkungen und Auswirkungen bedauert haben. Kam die Synode zu spät?

Ich glaube nicht. Das Konzil war damals im Bewußtsein der Menschen und der Teilnehmer der Synode noch sehr lebendig. Diejenigen, die das Konzil als ganzes oder wenigstens gewisse wichtige Beschlüsse und Wirkungen nicht billigten und zu bekämpfen suchten, gab es schon während des Konzils, nicht erst danach. Die Gruppe der Konzilsmitglieder, denen die gesamte Richtung des Konzils, der Geist des Konzils, nicht paßte, hatten schon während des Konzils versucht, diese Entwicklung aufzuhalten und die Beschlüsse so zu verändern, daß sie nur das wiedergeben würden, was schon vor dem Konzil üblich war und als richtig gegolten hat. Von daher kam die Synode nicht zu spät. Ich würde eher sagen: Sie ist gerade richtig gekommen. Alle Synodenmitglieder bejahten die Grundoptionen des Konzils. Es gab auf der Synode zwar viele, zum Teil auch heftige Auseinandersetzungen, aber keine dezidierte Ablehnung der Grundoptionen des Konzils.

Die Rolle Döpfners

Kardinal Julius Döpfner war schon auf dem Konzil einer von vier Moderatoren gewesen. Wie erlebten Sie ihn als Präsident der Synode?

Kardinal Döpfner war in der Tat nicht nur eine herausragende Gestalt. Ich sage: Er war die bedeutendste Bischofsgestalt des 20. Jahrhunderts in Deutschland. So etwas hat es vorher und nachher nicht mehr gegeben - nämlich die Kraft seiner Persönlichkeit, die Überzeugungskraft, die er ausstrahlte, und die Souveränität, mit der er die Synode leitete, sie auch in kritischen Situationen wieder aufs rechte Gleis brachte und die auseinanderstrebenden Kräfte miteinander versöhnte. Das war beeindruckend und ist unvergessen. Dieses Talent hatte er bereits auf dem Konzil bewiesen und sich dadurch auch weltweit innerhalb der Kirche hohes Ansehen erworben. Es war ein schwerer Verlust, ja ein Schaden für die katholische Kirche in Deutschland, daß er wenige Monate nach Abschluß der Synode in einem Alter gestorben ist, das ihn noch für fast zehn Jahre an der Spitze der Bischofskonferenz gehalten hätte.

Knapp nach Döpfners Tod ist der erste Band der Offiziellen Gesamtausgabe der Synode erschienen. Im Geleitwort Döpfners heißt es, der Grundsatzbeschluß der Bischofskonferenz vom Februar 1969, zur Verwirklichung der Konzilsbeschlüsse statt einzelner Diözesansynoden eine Gemeinsame Synode abzuhalten, habe "ein erhebliches Risiko"4 geborgen. Worin bestand es?

Selbstverständlich war es ein Risiko. Auf der einen Seite waren vor der Synode, was ja auch ein Anlaß der Synode war, die Wogen der Erregung in der Kirche ungeheuer hoch gegangen - vor allem wegen der Enzyklika "Humanae vitae" und überhaupt vor dem Hintergrund der ganzen Aufbrüche und der revolutionären Vorgänge der Jahre um 1968. Von daher war es ein erhebliches Risiko, weil man nicht wußte: Wie geht das, kommen die verschiedenen Parteien überhaupt zusammen, sind fruchtbare Diskussionen möglich? Das zweite Risiko bestand darin, daß es für eine solche Synode überhaupt keine Vorbilder gab. Denn sie begann eigentlich beim Nullpunkt. Natürlich hatten viele Mitglieder Erfahrung mit Gremien, aber die wenigsten mit kirchlicher Gremienarbeit. Man wußte nicht: Wie geht das mit den Bischöfen, welche Rolle spielen sie? Insofern gab es sehr viele Unsicherheiten und Unwägbarkeiten.

Nachkonziliare Gärungsprozesse

Aber der Synode waren doch die Katholikentage in Bamberg (1966) und Essen (1968) und dann noch Trier (1970) vorausgegangen. Es hatte in Hildesheim (1969) die erste nachkonziliare Diözesansynode gegeben. In den Niederlanden war Anfang Januar 1968 die erste Vollversammlung eines "Pastoralkonzils" in Noordwijkerhout zusammengetreten. In Wien fand eine Diözesansynode statt. Wirkten diese Erfahrungen auf die Deutsche Synode ein?

Das ist eine typische Sicht von heute. Heute sieht man die einzelnen Fakten, kann aber nicht die Breite ihrer Wirkung in der Öffentlichkeit ermessen. In der Kirche in Deutschland war der Katholikentag in Essen präsent, der mit seinen turbulenten Ereignissen den Anstoß gab, daß die Bischofskonferenz unter Führung von Kardinal Döpfner die Synode einberufen hat bzw. daß überhaupt die Idee dazu aufkam. Präsent war sicher auch das niederländische Pastoralkonzil.

Rein atmosphärisch hatte sich natürlich inzwischen der Eindruck verfestigt, daß Rom mauert: Es gab 1967 eine Zölibatsenzyklika, kurz vor dem Katholikentag in Essen erschien "Humanae vitae". Dieses abschätzig oft Pillen-Enzyklika genannte lehramtliche Dokument ist bis heute ein Stein des Anstoßes, auch wenn die deutschen Bischöfe in der Königsteiner Erklärung vom 30. August 1968 versucht haben, die Entscheidung über die Anwendung empfängnisverhütender Mittel der Gewissensentscheidung der Ehepaare zu überlassen. Das waren durchaus extreme Ungleichzeitigkeiten: Aufbruch auf der einen und Abschottung auf der anderen Seite. Ein erfreuliches Zeichen hingegen waren vor allem die Liturgiereform, deren Durchführung Paul VI. konsequent betrieb, oder die Einrichtung der Internationalen Theologenkommission.

Die Turbulenzen und allgemeine Demokratisierungsbestrebungen in Kirche wie Staat gehörten jedenfalls zu den Gründen, warum die Synode einberufen wurde, wobei man immer wieder betonen muß, daß die Durchsetzung der Einberufung durch die Bischofskonferenz primär das Werk von Kardinal Döpfner gewesen ist. Er hat nach "Humanae vitae" und aufgrund der Erfahrungen in Essen sofort gesehen, daß die deutschen Bischöfe wegen der Enzyklika aktiv werden müssen. Er hat schließlich auch die Königsteiner Erklärung durchgesetzt.

Das niederländische Pastoralkonzil war ein geradezu revolutionäres Ereignis, weil dort alle wichtigen Probleme angesprochen wurden und man zu Ergebnissen und Beschlüssen kam, die kaum mehr in Übereinstimmung mit dem geltenden Kirchenrecht standen. Die Bischöfe nahmen dort keine führende Rolle in Anspruch, sondern empfanden sich als normale Mitglieder dieser Synode.

Im Vorfeld des niederländischen Pastoralkonzils war der Holländische Katechismus erschienen, der aufregte - bis hin zu Häresievorwürfen in Rom.

Dieser Katechismus wurde von der Öffentlichkeit sehr positiv aufgenommen, weil es den Verfassern gelungen war, eine Sprache zu finden, die die Menschen von heute verstehen, und Argumentationen zu entwickeln, die sie nachvollziehen konnten. Der Widerspruch kam von den Kreisen, die auch dem Konzil sehr skeptisch gegenüberstanden - und natürlich von der Römischen Kurie, zum Teil auch von deutschen Bischöfen. Der Verlag Herder hat damals eine deutsche Übersetzung mit dem Titel "Glaubensverkündigung für Erwachsene" herausgegeben. Deswegen hat der Erzbischof von Freiburg sein Protektorat am "Lexikon für Theologie und Kirche" aus Protest niedergelegt. Aber die Resonanz des Holländischen Katechismus war bei der Mehrzahl der deutschen Katholiken außerordentlich positiv.

Hatte sich in Rom mittlerweile der Eindruck verfestigt, nach dem Konzil sei einiges aus dem Ruder gelaufen, man müsse jetzt gegensteuern?

Das war nicht nur die Meinung römischer Kreise. Es gab auch unter den deutschen Bischöfen und Nichtbischöfen solche, die meinten, man müsse gegensteuern. Man muß natürlich auch sehen, daß die sogenannten römischen Kreise niemals ein monolithischer Block gewesen sind. Auch dort gab es verschiedene Tendenzen. Wir lebten damals noch unter dem Pontifikat Pauls VI., der bei aller Ängstlichkeit, die er selber hatte und seinem Bemühen, falsche Entwicklungen in der Kirche zu korrigieren, doch ein Mensch war, der ein Bewußtsein für die Probleme der Moderne und der Menschen in der Moderne hatte. Für die Gesamtentwicklung der Kirche war das sicher ein Vorteil, wenn sich auch einige Entscheidungen seines Pontifikats im nachhinein als nicht sehr geschickt herausgestellt haben.

Ein einzigartiges Statut

Schon zum Auftakt der Synode gab es ein Telegramm von Paul VI. Zur Beendigung der Synode telegraphierte er, die Synode habe "zu Beschlüssen und Dokumenten geführt, die in den vielfältigen Nöten und Schwierigkeiten unserer Zeit geeignete Wege aufzeigen, damit die Botschaft des Evangeliums von den Menschen neu gehört wird und das Glaubenszeugnis der Kirche für den Dienst in der Welt verstärkte Kraft gewinne"5. Anscheinend hat der Papst die Synode mitverfolgt und stand ihr positiv gegenüber. Hat er sich geirrt?

Warum soll er sich geirrt haben? Dann wäre ja die Synode falsch gelaufen. Paul VI. hat immerhin, was man ihm hoch anrechnen muß, das Statut genehmigt, das von allen Bestimmungen des Kirchenrechts über Synoden in wesentlichen Punkten abgewichen ist. Ohne Paul VI. wäre dieses Statut nicht genehmigt worden. Natürlich waren die Dokumente aus Rom immer sehr vorsichtig formuliert, man durfte nicht nur auf den Wortlaut achten. Aber immerhin: Der Papst hat hier positive Bezeichnungen für die Synode gefunden - und das war sicher seine Absicht.

Nach dem Statut hatten alle Mitglieder der Synode gleiches beschließendes Stimmrecht. Das war einzigartig, und das Statut war vom Heiligen Stuhl bzw. vom Papst, abgesegnet. Aber es blieb auch einzigartig.

Die Synode unterschied sich vor allem darin grundsätzlich von den Bestimmungen über Synoden, weil die Diözesansynode nach dem Kirchenrecht immer nur ein beratendes Organ des Bischofs war.

Nach dem CIC von 1917?

Ja, nach dem damals geltenden Kirchenrecht. Das Statut hingegen sah vor, und so war es dann auch, daß die Bischöfe dasselbe Stimmrecht hatten wie alle anderen. Sie hatten also keine Privilegien. Sie hatten auch keine Sperrminorität. Sie konnten aber, wenn sie der Meinung waren, es gehe um Fragen des Glaubens oder der Sittenlehre, über die keine Diskussion möglich ist oder über die sie keine Diskussion wünschten, vorab ein Veto einlegen, so daß im Prinzip die Diskussion verhindert worden wäre. Meines Wissens haben sie nur zweimal ein Veto eingelegt. Von daher war die Deutsche Synode etwas Einmaliges in der neueren Kirchengeschichte. Das niederländische Pastoralkonzil hatte kein Statut, das von irgendeiner römischen Stelle genehmigt war.

Im revidierten Codex von 1983 heißt es in Canon 460, die Diözesansynode könne dem Bischof "hilfreiche Unterstützung gewähren"; und Canon 466 schreibt fest, daß der Bischof "einziger Gesetzgeber in der Diözesansynode" ist und die anderen Teilnehmer "nur beratendes Stimmrecht" haben. Hat das neue Kirchenrecht da etwas zurückgefahren?

Der CIC hat nichts zurückgefahren. Das Statut der Gemeinsamen Synode hatte eine Ausnahmegenehmigung. Das neue Kirchenrecht blieb auf der Linie des alten. Auch vor 1983 wäre es - so wie ich die Lage sehe - nicht mehr möglich gewesen, in Rom für eine zweite Synode dieser Art die Genehmigung zu bekommen. Das Konzil hatte zwar im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe gewünscht, daß die Einrichtungen der Synoden und Konzilien wiederbelebt werden, hatte aber keine näheren Bestimmungen erlassen6.

Aus Ausnahmen kann die Regel werden. Hätten Sie es für wünschenswert gehalten, daß das einzigartige Statut der Gemeinsamen Synode Modell wird?

Ja, selbstverständlich. Heutzutage kann eine solche Versammlung nur dann Erfolg haben und Akzeptanz finden, wenn sie offen diskutieren und auch bindende Beschlüsse fassen kann. Solange der Bischof der einzige Gesetzgeber ist und die Synode nur beratend tätig sein kann, liegt schlechterdings alles im Ermessen des Bischofs. Man muß sich nur an die Diözesansynode von Augsburg erinnern: Bischof Josef Stimpfle hat dort die Beschlüsse in einer ganzen Reihe von Punkten einfach abgeändert und nur die Fassung veröffentlicht, die er abgeändert hatte, ohne daß in der Ausgabe der Beschlüsse sichtbar geworden wäre, wo er eingegriffen hat. Auf der Diözesansynode von Hildesheim hat Bischof Josef Homeyer einiges geändert. Aber er hat angemerkt, was er geändert hat. Trotzdem: Alles ist nach dem Kirchenrecht der Willkür des Bischofs anvertraut. Genau das war bei der Gemeinsamen Synode nicht der Fall. Von daher bleibt sie das Modell.

Ich erinnere mich an einen Artikel des Frankfurter Kirchenrechtlers Johannes Günter Gerhartz SJ, mit dem wir in den "Stimmen der Zeit" die Debatte um die Struktur der Gemeinsamen Synode eröffnet haben7. Er ist im September 1969 erschienen. Gerhartz hat darin ausführlich über die Vollmachten der Synode nachgedacht. Ein Entwurf des Statuts der Synode sprach vom alleinigen Recht der Gesetzgebung für die Bischöfe. Demnach hätte die Synode nur beratenden Charakter gehabt. Gerhartz schrieb, dies lähme die Einsatzbereitschaft der nichtbischöflichen Mitglieder. Sein Alternativmodell sah vor, daß alle Mitglieder der Synode beschließendes Stimmrecht haben sollten. Er berief sich dabei auf das vierte Kapitel der Kirchenkonstitution, wo von der Teilnahme aller Gläubigen am Amt die Rede ist8. Natürlich bedürften Beschlüsse in Sachfragen einer Zweidrittelmehrheit. Gerhartz sah ganz klar die damit verbundenen Probleme, vor allem, daß dem das Kirchenrecht entgegenstand. Trotzdem plädierte er für eine Teilhabe von Nichtklerikern an der kirchlichen Jurisdiktion und schlug vor, die Bischöfe sollten sich um Dispens vom damaligen Kirchenrecht bemühen9, was dann auch mit Erfolg geschehen ist. Es gab aber auch von anderen Seiten interessante Vorschläge, zum Beispiel von Karl Rahner SJ10.

Hätte Rom, der oberste Gesetzgeber, von den Erfahrungen der Deutschen Synode lernen können - und von dem dort geltenden Statut?

Natürlich hätte der Gesetzgeber davon lernen können, wenn er davon hätte lernen wollen.

Das Wort Synode scheint in den späten 60er Jahren geradezu elektrisierend gewirkt zu haben. Heutzutage fällt auf: Seit Inkrafttreten des neuen Kirchenrechts gab es nur drei Diözesansynoden: Rottenburg-Stuttgart, Hildesheim, Augsburg. Es haben sich neue Formen unter anderen Namen entwickelt: Diözesanforen, Pastoral- und Zukunftsgespräche11. Scheuen Bischöfe synodale Prozesse?

In dem Moment, in dem in einer Diözese eine Synode einberufen wird, bezeichnet der Begriff Synode das, was das Kirchenrecht besagt. Es sei denn, Rom erteilt eine Ausnahmegenehmigung, die aber nicht mehr zu erhalten war. Deswegen haben die meisten Diözesen das Wort Synode vermieden. Die genannten Bezeichnungen und ähnliche Begriffe wie Leitbild- oder Organisationsprozesse kommen daher, weil man aus rechtlichen Gründen den Terminus Synode vermeiden wollte. Wobei natürlich auch bei allen diesen Veranstaltungen, wie immer man sie genannt hat, eine verbindliche Beschlußfassung nicht möglich war. Es waren Meinungsäußerungen, nach denen sich der Bischof richten konnte, wenn er wollte. Man hoffte, daß sich durch ein offenes Gespräch, trotz der rechtlich entgegenstehenden Bestimmungen, etwas bewegt - was recht unterschiedlich der Fall war.

Wie erklären Sie sich, daß es für die Deutsche Synode diese Ausnahme gab? Wurde da in Rom etwas übersehen? Wollte der Papst Kardinal Döpfner nicht desavouieren?

Nein, nein. Man hat das in Rom sicher klar gesehen. Auf der einen Seite war damals die vom Konzil angestoßene Entwicklung noch in vollem Gang. Von daher bestand auch eine größere Offenheit gegenüber solchen Ansätzen. Dann war es sicher die Person des Papstes, Pauls VI., der auch die Chance gesehen hat: Das kann man einmal versuchen. Und schließlich spielte das auf dem Konzil erworbene hohe Ansehen von Kardinal Döpfner in Rom eine Rolle.

Am Ende des Konzils hat man von einem "neuen Pfingsten" der Kirche gesprochen. Was war daraus geworden, als fünf Jahre später die Synode begann?

Der Ausdruck stammt schon von Johannes XXIII., der sich vom Konzil ein neues Pfingsten erhoffte. Die Synode hat auf jeden Fall wesentliche Bestimmungen des Konzils aufgenommen und für die deutsche Situation konkretisiert.

Auf dem Marsch ins Getto?

Während also die einen in Aufbruchsstimmung waren und sich fragten, wie man Glauben heute verkündigen und Beschlüsse des Konzils vor Ort umsetzen kann, gab es auf der anderen Seite Abschottung: Fenster gingen zu, Impulse wurden unterbunden. Karl Rahner warnte im Januar 1972 vor einem "Marsch ins Getto"12 und sah die Kirche soziologisch auf dem Weg zu einer Sekte - was zahlreiche Leserbriefe auslöste, die wiederum eine Erwiderung des Jesuitentheologen13 provozierten und später einen Sammelband. Karl Lehmanns Kommentar: Dieses Bild "traf ins Schwarze"14.

Es gab zumindest extreme Gegensätze in dieser Zeit. Diejenigen, die die Politik der Abschottung von der Welt betreiben wollten, waren sowohl damals wie heute und wie übrigens schon auf dem Konzil in der Kirche eine Minderheit, wenn auch eine Minderheit, die starke Positionen in den Führungsetagen hatte. Ihre Politik wurde stärker wahrgenommen, als sie in Wirklichkeit gewesen ist. Das war auf dem Konzil schon so, und es ist bis heute so.

Zwei Monate vor Beginn der dritten Vollversammlung hat Karl Rahner im November 1972 ein Taschenbuch veröffentlicht: "Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance". Die Einleitung trägt den Titel "Zur Problematik der Synode". Darin meint Rahner, daß der Themenkatalog der Synode zwar sehr gut sei, aber "kein Auswahlkriterium gegenüber einer fast uferlosen Thematik" erkennen lasse. Er vermißte so etwas wie ein "Grundkonzept"15 der Synode. Manche haben ihm das übel genommen und als Anmaßung empfunden. War das Bändchen auf der Synode denn präsent?

In den öffentlichen Diskussionen war es nicht präsent, hinter den Kulissen schon. Karl Rahner hatte damals eine Reihe von Gegnern. Der "Strukturwandel" wurde von vielen, die sonst sehr viel von ihm hielten, nicht gerade mit Freude aufgenommen. Die Meinung war: Da geht er zu scharf vor, er sieht in manchen Dingen zu schwarz. Gewisse Forderungen wurden als unerfüllbar empfunden. Anderseits war Karl Rahner einer der Teilnehmer, deren Beiträge am meisten beachtet wurden und die auch an Schlüsselpunkten der Synode Entscheidendes zu sagen hatten.

Prophetische Existenz versus Gremien?

Mitglieder der Synode wie der Sachkommission I waren auch Karl Rahner und Joseph Ratzinger. Das Alphabet hat die beiden nebeneinander gesetzt. Ratzinger schied im November 1971 aus der Synode aus. "Ich setze nicht auf Gremien, sondern auf prophetische Existenz"16, las man von ihm im März 1972 in der Zeitschrift "Wort und Wahrheit".

Das wurde damals als Begründung für seinen Austritt verstanden. Ratzinger war kein Typ, der an Gremien oder überhaupt an Debatten Freude hatte.

Als "Generalnenner" wählte er in seiner Stellungnahme das Wort "Krise". Die Ursache dafür sah er im "Austrocknen der spirituellen Reserven". Und weiter: "Was am meisten not tut, sind spirituelle Initiativen - Menschen, die den Kern des Evangeliums unverkrampft, authentisch und dadurch schlagkräftig leben."17 War Ratzinger frustriert?

Die Studentenunruhen an der Universität Tübingen saßen ihm in den Knochen. Aber ich glaube auch, letztlich waren ihm synodale Vorgänge fremd. Außerdem kann man das Wort Krise sehr verschieden verstehen. Ratzinger hat es offensichtlich im Sinn einer negativen Entwicklung oder einer Bedrohung verstanden. Krise kann aber auch Aufbruch zu neuen Entschlüssen und Initiativen bedeuten. In diesem Sinn hat die große Mehrheit den Zustand der Kirche verstanden - als etwas Positives. Schließlich ist das Wort "spirituell" kein sehr präziser Begriff. Es kann schnell zu einer blassen Leerformel werden. Zwischen Ratzingers Beurteilung der Lage der Kirche und dem, was atmosphärisch in Würzburg erlebbar war, was man den "Geist der Synode" nennen könnte, bestand eine offensichtliche Diskrepanz.

Vier Jahre später war Ratzinger Erzbischof von München und Freising, keinen Monat später Kardinal und vier Jahre darauf Präfekt der Glaubenskongregation. Selten kam er auf die Deutsche Synode zu sprechen. Läßt ihn da einfach seine Erinnerung im Stich? Oder hält er die Synode im Rückblick für vernachlässigbar?

Meines Wissens kommt er weder in dem tendenziösen Interview mit Vittorio Messori darauf zu sprechen, das im Vorfeld der Außerordentlichen Bischofssynode zum 20. Jahrestag des Abschlusses des Konzils erschienen war, noch im ersten Interview mit Peter Seewald oder in seinen Lebenserinnerungen18. Man müßte ihn selber fragen, was das bedeutet. Das Beschweigen der Gemeinsamen Synode fällt aber auf. Ob es ein Symptom für innere Haltungen ist, das kann nur Ratzinger selbst beantworten. Ein klärendes Wort wäre sicher hilfreich, schließlich ist er jetzt Papst.

h3>Versammelter Sachverstand

Die Synode war eine organisatorische Mammutleistung und eine intellektuelle Kraftanstrengung. Was fünf Jahre dauert, unterliegt mit der Zeit notwendigerweise einem gewissen "Veralltäglichungsprozeß", bei dem der "Elan der ersten Stunde"19verlorengehen kann. Das scheint nicht passiert zu sein. Wie schaffte man das?

Das öffentliche Interesse war eigentlich immer vorhanden. Die Mitglieder der Synode waren immer sehr engagiert. Meiner Erinnerung nach gab es keine Durchhänger. Zwischen den Vollversammlungen tagten die Sachkommissionen und die Arbeitskreise. Dort geschah die eigentliche Arbeit. Die Vollversammlungen, deren Zahl zunächst offen war, hatten die Aufgabe, die Papiere der Kommissionen zu diskutieren, zu gewichten und dann zu verabschieden. Beeindruckend war vor allem, wie viel Sachverstand hier zusammensaß. So etwas sollte man sich heute, angesichts ganz neuer Probleme, eigentlich nicht entgehen lassen.

Auf Wunsch von Kardinal Döpfner wurde Karl Lehmann im Februar 1973 Leiter der "Ständigen Arbeitsgruppe der Zentralkommission für Fragen der thematischen Konzentration und Koordination". Er mußte die über 60 ursprünglichen Themen reduzieren, Beratungen koordinieren, berichten, redigieren usw. Bald erhielt er den Spitznamen "Mister Synode"20.

Auf ihrer ersten Vollversammlung hat die Synode zehn Sachkommissionen eingerichtet. Karl Lehmann war vor seinem Wechsel in die genannte Arbeitsgruppe Vorsitzender der Kommission "Glaubenssituation und Verkündigung heute". Er hat während der gesamten Synode eine wichtige Rolle gespielt. Er war ein richtiges Arbeitstier, aber mehr im Hintergrund. Das heißt freilich nicht, daß er zu den Strippenziehern gehört hätte. Er hat mit Sicherheit Kardinal Döpfner viel zugearbeitet.

Den Titel "Mister Synode" könnte man eher anderen zuschreiben, die in der Synodenöffentlichkeit ständig hervorgetreten sind und versucht haben, das große Wort zu führen. Die gab es auch.

Die Synode sei, so war zu lesen, "ein 'institutionalisierter Dialog' von Laien, Priestern, Ordensleuten und Bischöfen" gewesen, "wie ihn das Konzil nicht besser hätte wünschen können"21. Ist ein solcher Dialog heute unerwünscht?

Auf jeden Fall wird ein solcher Dialog von offizieller Seite heute nicht gerade gefördert. Wenn man die Verlautbarungen der zentralen kirchlichen Stellen anschaut, dann gewinnt man doch den Eindruck, ein solcher Dialog sei unerwünscht. Auch von der Basis her wird die Synode kaum mehr thematisiert. Auch das fehlt also, nicht nur die Initiative der Bischöfe, bei denen man gar nicht richtig weiß, wer von ihnen die Deutsche Synode überhaupt noch kennt. Vieles von dem, was heute in den Diözesen, vor allem von unten, gefordert wird, war auch schon Thema der Synode. Manche kennen die Synode aus biographischen Gründen nicht mehr. Aber in der Sache ist sie vielfach präsent: Transparenz, Dialog, Mitbestimmung.

Außer Spesen nichts gewesen?

Es hieß einmal, man könne die Synode überschätzen wie unterschätzen: "Überschätzen: weil sie nicht mehr als ein bescheidenes Regionalkonzil war … Unterschätzen: weil diese fast siebenjährige gemeinsame Anstrengung von Laien, Priestern, Ordensleuten und Bischöfen mehr als eine Episode in der deutschen Kirchengeschichte" 22 ist. Muß man sagen: Außer Spesen nichts gewesen?

Das wäre zu stark formuliert. Das kann man vom Konzil schon gar nicht und auch von der Synode nicht in dieser Absolutheit sagen. Natürlich ist es schade, daß etliche Impulse auf der Strecke geblieben sind - nach all der Arbeit, die investiert worden ist. Bischöfliche Verlautbarungen enthalten jedenfalls nicht gerade massenhaft Zitate aus der Deutschen Synode. Bei vielen von ihnen scheint sie eher abgehakt zu sein.

Papier ist natürlich geduldig. Und Papier bleibt Papier, solange Beschlüsse nicht umgesetzt sind. Die Synode faßte immerhin achtzehn Beschlüsse, die wirklich ausgezeichnete Dokumente sind, so umstritten manche in ihrer Texterstellung waren, etwa "Unsere Hoffnung", "Der Religionsunterricht in der Schule", "Christlich gelebte Ehe und Familie" oder "Kirche und Arbeiterschaft". Um diese Texte wurde hart gerungen, manchmal recht ideologisch.

Aber der versammelte Sachverstand vor und hinter den Kulissen, der natürlich immer mit Integrationspersönlichkeiten wie Kardinal Döpfner und Karl Lehmann, aber auch zum Beispiel mit dem ausgleichenden Rottenburger Bischof Georg Moser oder mit Josef Homeyer als Sekretär zusammenhing, verhinderte eine Lagerbildung oder unselige Grabenkämpfe, die interessierte Zeitgenossen gar nicht verstanden hätten. Wenn man heute manche Debatten nachliest, wenn man die Genese der Endtexte studiert, staunt man über die breite Auseinandersetzung23. Aber die Frage bleibt legitim: Was sind diese Texte vierzig Jahre später wert? Oder deutlicher: Wer zitiert sie noch außer denen, die sie verfaßt haben? Die Hinterlassenschaft der Deutschen Synode ist eigentlich enorm. Man müßte sie nur zur Kenntnis nehmen.

Rechtskraft erhielten die Beschlüsse der Synode erst mit ihrer Veröffentlichung in den einzelnen Diözesanblättern.

Die Synode war in einem Punkt an die kirchlichen Strukturen und das daraus folgende Kirchenrecht gebunden, daß nämlich in der Diözese der Bischof der einzige Gesetzgeber, Richter und Exekutor ist, daß es also keine Gewaltenteilung gibt. Die Umsetzung der Synodenbeschlüsse hing deswegen nach Abschluß der Synode immer von den einzelnen Bischöfen ab. Entscheidend ist aber nicht, daß immer ein Bischof die Initiative ergreift. Er darf diese nur nicht blockieren. Insofern verlief der Rezeptionsprozeß der Synode je nach Diözese sehr unterschiedlich. Das ist für das Gesamtbild außerordentlich wichtig.

Vergleicht man Aufwand und Ergebnis und schaut auf die Rezeptionsgeschichte: Muß man da als Beobachter der Deutschen Synode nicht enttäuscht sein?

Ohne den riesigen Aufwand wäre ein so hervorragendes Ergebnis gar nicht zustandegekommen. Was die Rezeption angeht: Das ist ein differenzierter Prozeß, den man von Diözese zu Diözese genau anschauen muß. Es gibt zwar die Bischofskonferenz. Aber diese kann nur in äußerst wenigen Fragen Beschlüsse fassen, welche die einzelnen Bischöfe binden. Die Bischöfe sind nach wie vor völlig selbständig. Auch von Rom her gibt es Grenzen. Überhaupt kommen Initiativen selten von oben. Aber ein Bischof muß das Sensorium haben zu merken, wo sich von unten etwas regt und muß dem Raum geben.

Die letzte Synodenvollversammlung im November 1975 stand unter dem Motto "Die Synode endet - die Synode beginnt." Manche meinten, die Synode brauche "ein Nachfolgeorgan": "Ein Mittel dazu", hieß es, "könnte sein, daß man das in der Kirche nun einmal nach langem Dornröschenschlaf neu erweckte synodale Prinzip nicht sofort wieder einschläfert."24 Genau das scheint aber der Fall gewesen zu sein.

Im strikten Sinn: Ja. Denn eine Synode nach dem Statut der Deutschen Synode hat nie mehr stattgefunden und konnte, wie gesagt, nicht stattfinden. Synodale Prozesse niederschwelliger Art gab es. Aber die hatten nie die rechtlichen Möglichkeiten der Deutschen Synode.

Kirchlicher Klimawandel?

Beobachten Sie heute so etwas wie einen "Klimawandel" im kirchlichen Miteinander, oder sollte man besser sagen: im kirchlichen Nebeneinander?

Auf jeden Fall scheint mir in der Deutschen Bischofskonferenz ein Klimawechsel stattgefunden zu haben, wofür ich eine ganze Reihe von Anzeichen sehe, die deutlich machen, daß dort eine engere Atmosphäre herrscht. Die Toleranzgrenze für Aktivitäten und Äußerungen von Katholiken ist kleiner und enger geworden, auch etwas engstirniger. Diesen Eindruck habe ich und werde ihn nicht los.

In seiner Schlußansprache am 22. November 1975 betonte Kardinal Döpfner vor allem den Lernprozeß, welchem die Synode einen "neuen Stil des Miteinanderredens und Miteinanderumgehens zwischen Bischöfen, Priestern und Laien"25 verdanke. Dieser Stil hat offensichtlich nicht Schule gemacht.

So schaut es leider aus. Überhaupt war Döpfners Tod für die Verwirklichung und Weiterführung der Impulse der Synode ein schwerer Schlag. Davon hat sich die Kirche in Deutschland bis heute nicht erholt. Von fast zwanzig Voten, die die Synode an den Papst richtete, wurde zunächst nur ein einziges beantwortet, erstaunlicherweise positiv - nämlich das Recht, alle zehn Jahre eine Gemeinsame Synode durchzuführen. Aber nicht einmal das hatte praktische Konsequenzen.

Warum nicht?

Schon deswegen nicht, weil eine Synode nach dem Statut der Deutschen Synode nicht mehr genehmigt würde.

Sie fragten einmal: "Ist das Schweigen über die Synode nur die Kehrseite des Bestrebens, in der Kirche einen anderen Stil zur Geltung zu bringen, der nicht mehr so intensiv auf die Fragen der Menschen eingeht …?"26 Wieviel Ignoranz kann sich die Kirchenleitung leisten, diesseits wie jenseits der Alpen?

Sie kann sich wahrscheinlich unendlich viel Ignoranz leisten, jedenfalls auf längere Zeit hin, wenn die Betreffenden bereit sind, die Kirche auf das Maß einer kleinen Sekte zu reduzieren. Wer eine lebendige Kirche will, fährt damit aber den falschen Kurs.

Heute ist das Ende der Volkskirche noch viel realer als vor vierzig Jahren, als man von der "Freiwilligkeits-" oder "Entscheidungskirche" gesprochen hat. Was hilft es da, bei der Synode nachzufragen?

Natürlich konnte die Synode keine Probleme ansprechen, geschweige denn lösen, die erst in unserer Zeit aufgekommen sind. Dasselbe gilt für das Konzil. Aber Konzil wie Synode haben einen Weg aufgezeigt, wie man jedes auftauchende Problem sachlich und mit Erfolg zumindest behandeln kann: nämlich durch die offene Auseinandersetzung, durch den Dialog ohne jedes Tabu.

Synodale Vorgänge haben eine lange Tradition. Darauf greift man anscheinend nicht gern zurück.

In der Tat wird ein gutes Stück der alten Tradition der Kirche ausgeblendet. Denn in den ersten Jahrhunderten wurden alle wichtigen Fragen synodal, d. h. in gemeinsamer Beratung der Verantwortlichen einer Diözese, einer Region oder auch der ganzen Kirche beraten und entschieden. Die heutige Kirchenführung verengt den Blick auf ihr eigenes, höchst selektives Traditionsverständnis. Es gab in vielen Diözesen ein wirklich gutes, offenes Gesprächsklima, auch des sogenannten Kirchenvolkes mit dem Bischof. Das ist natürlich sehr, sehr unterschiedlich. Auch heute. Insgesamt ist die Scheu der Bischöfe, offene Gespräche zu führen, größer geworden. Die sogenannten Tabuthemen werden zwar da und dort angesprochen, aber die Bischöfe stehen unter starkem Druck von seiten Roms und getrauen sich kaum, dazu Stellung zu nehmen, geschweige denn solche Dispute zu intensivieren oder selber in die Hand zu nehmen.

Verschenken sie damit eine Chance?

Ich glaube schon. Aber von Rom aus werden Bischöfe als subalterne, weisungsgebundene Beamte behandelt, die keine eigenständigen Entscheidungen treffen dürfen. Sie können es zwar auf vielen Gebieten. Aber dazu gehört erstens eine Persönlichkeitsstruktur, die nicht jeder einzelne Bischof hat, und zweitens eine gute Portion Courage. Und natürlich die Bereitschaft, notfalls auch Repressalien von Rom in Kauf zu nehmen.

Eine neue Synode?

Der 98. Katholikentag, der im Mai 2012 in Mannheim stattfinden soll, hat das Motto "Einen neuen Aufbruch wagen". Anders als eine Synode ist ein Katholikentag "ein offenes Forum, das unter keinem Erfolgszwang steht"27, wie Sie einmal geschrieben haben. Was muß (noch) alles passieren, bevor etwas passiert?

Der Wunsch nach grundlegenden Reformen ist unübersehbar. Es ist traurig, daß das nicht an allen Stellen erkannt wird.

"Es würde sich lohnen, eine neue Synode zu versuchen"28, meinten Sie im März 1984. Inzwischen machten sich fast 200 Theologinnen und Theologen in der "Kölner Erklärung" (1989) Luft, es gab umstrittene Bischofsernennungen mit der offensichtlichen Absicht Roms einer Kurskorrektur, es gab ein mehrjähriges Ringen der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Papst in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung, der zum Ausstieg führte. Was könnte da eine Synode überhaupt bewirken?

Das kann man apriori nicht sagen. Auch bei Konzilsbeginn war man weithin der Meinung, die Bischöfe seien so konservativ, daß nicht viel herauskommen könne. Das Gegenteil war der Fall. Man kann nicht von vornherein ausschließen, daß eine Synode nichts brächte. Aber es müßten die schon genannten Voraussetzungen gegeben sein. Wenn jedoch Reserven gegen einen offenen Dialog vorhanden sind, von welcher Seite auch immer, dann ist alles umsonst.

Seit einigen Jahren vollzieht sich ein Generationenwechsel unter den deutschen Bischöfen. Was macht einen Bischof synodentauglich?

Ein Bischof muß offen sein, gesprächsbereit, flexibel, er muß Verständnis haben für die Fragen und Probleme der Menschen. Er muß eine Persönlichkeit sein, die Menschen überzeugt - nicht dadurch, daß er das Bischofsamt hat und mit bischöflichen Insignien auftreten kann, sondern weil er etwas zu sagen hat. Die Menschen müssen den Eindruck haben: Der versteht uns! Kurz: Ein Bischof muß sein Amt dialogisch ausüben, nicht despotisch. Der Generationenwechsel in der Bischofskonferenz ist natürlich unübersehbar. Sämtliche Bischöfe, von Karl Lehmann abgesehen, waren nicht auf der Synode und kennen sie nur aus der Literatur.

Die religiöse Landschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen vierzig Jahren massiv verändert. Es gibt da und dort eine "Mäkelei über den deutschen 'Räte'- 'Gremien'- oder 'Kommissionskatholizismus'"29 - ohne daß Roß und Reiter genannt werden. Sind heutige Bischöfe an Synoden gar nicht mehr interessiert?

Diese immer wieder laut werdenden Klagen, die oft in die Anklage münden, es werde zu wenig gebetet, sind meiner Erfahrung nach Ausflüchte von denen, die alles Dialogische von vornherein ablehnen.

Es wird in den nächsten Wochen wohl den einen oder anderen Rückblick auf die Deutsche Synode geben. Vermutlich werden scharfsinnige Analysen zu einzelnen Synodendokumenten erscheinen. War die Synode umsonst? Ist ein deutscher Sonder- weg für alle Zukunft ausgeschlossen?

Was die rechtlichen Dinge angeht, ist das wohl eher ausgeschlossen. Ich sage: leider! Unsere Bischöfe sind als typische Deutsche doch sehr auf Regeln und Anordnungen bedacht. In Ländern anderer Kulturen sind die Mentalitäten anders. Die Synode war übrigens kein Sonderweg. Andere hätten das genauso machen können. Manche Länder haben neidisch nach Deutschland geschaut, wo natürlich auch die Finanzen eine Rolle spielten, die, jedenfalls damals, vorhanden waren.

Noch einmal: War eine Diözesansynode nach dem alten Kirchenrecht eine reine Klerikerversammlung, hat der neue Codex wenigstens auch Nichtklerikern einen Weg eröffnet. Der springende Punkt wird aber immer sein: Beratung oder Entscheidung? Jeder weiß heutzutage, daß Identifikation durch Mitbeteiligung entsteht. Die Deutsche Synode war ein Entscheidungsgremium. Insofern war sie eine Sternstunde. Aber bei allem Positiven, das man von der Wirkung der Deutschen Synode feststellen kann, gilt doch auch für sie das, was der Freiburger Fundamentaltheologe Hansjürgen Verweyen über das Konzil im Anschluß an Mt 26,40 vor einigen Jahren schrieb: eine Sternstunde, "vor deren Ablauf die Jünger Jesu leider wieder einmal eingeschlafen waren"30.

Wird die Synode heute verraten?

Alles, was geschieht, wird irgendwann Papier, weil sich die Zeiten ändern und fortschreiten. Die Gemeinsame Synode ist Vergangenheit. Ob sie in Vergessenheit gerät, das hängt von den Verantwortlichen in der Kirche ab - und das sind wir alle. Es kommt nicht darauf an, die Synode ständig zu zitieren, sondern darauf, daß wir tun, was heute nötig ist - dann handeln wir bereits im Geist der Synode.

Anzeige: Traum vom neuen Morgen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Tomáš Halík

Stimmen der Zeit-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen Stimmen der Zeit-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.