Kindertagesstätten (Kitas) stehen heute vor allem deswegen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, weil die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder von einem bis drei Jahren erhöht wird, wobei man meistens über die Quantität und nicht über die Qualität diskutiert. Die Frage der Qualität soll von den sogenannten Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer geregelt werden. Zur Qualitätssteigerung von Kitas muß aber sicher auch die frühpädagogische Wissenschaft beitragen. Kann sie das?
In einem neuen Handbuch zur Pädagogik der frühen Kindheit, an dem etwa 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitgewirkt haben, stellen die beiden Herausgeberinnen fest, daß es noch nicht gelungen sei, in Deutschland eine ausreichende frühpädagogische Wissenschaft aufzubauen, so daß viele grundlegende Fragen offen seien (Fried u. Roux 2009). Offen sind größtenteils auch Fragen der Religionspädagogik. Hinzu kommt ein noch größeres Defizit auf seiten des speziellen religiösen Lernens, sowohl in bezug auf die Theorie als auch auf empirische Untersuchungen.
Die folgenden Überlegungen gehen von der "religiösen Erziehung und Bildung" aus, wie sie in den erwähnten Bildungsplänen konzipiert wird (vgl. ‹www.bildungsserver.de›). Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Es sind zum einen Pläne, die - wie in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen - einen eigenen "Bildungsbereich Religion" aufweisen, wobei Nordrhein-Westfalen zu seinen "Bildungsvereinbarungen" Grundsätze zur Bildungsförderung erlassen hat, in denen sich ein Bildungsbereich "Religion und Ethik" findet.
Die andere Kategorie umfaßt Bildungspläne, die Aussagen zur Religion enthalten, aber nicht als eigenes Bildungsfeld. Als Beispiel für Bildungspläne, die religiöse Bildung unterstützen, wird hier das Konzept von Rheinland-Pfalz, als Gegenbeispiel das von Berlin herangezogen. Neben den Bildungsplänen spielt freilich die Trägerschaft bei der religiösen Erziehung eine wichtige Rolle, wobei hier vereinfachend zwischen konfessionellen und nichtkonfessionellen Trägern unterschieden wird.
Konfessionelle und nichtkonfessionelle Träger
Kitas in Trägerschaft der Kirchen, die ungefähr 50 Prozent der Plätze für Kinder anbieten, betrachten das Christentum als Bezugsreligion, und ihre religiöse Erziehung und Bildung orientiert sich vornehmlich an dieser. Diesen konfessionellen Kitas fällt es im allgemeinen leichter als den nichtkonfessionellen, die Vorgaben des Bildungsfelds Religion umzusetzen. Die Herausforderung für eine konfessionelle Kita besteht zum einen darin, Kindern einen religiösen Weltzugang zu ermöglichen, der sie nicht vereinnahmt, sondern ihre Mündigkeit fördert. Zum anderen müssen religionspädagogische Konzepte entwickelt werden, die eine Antwort auf die multireligiöse Situation geben. Für beide Aufgaben wäre mehr Unterstützung von seiten der religionspädagogischen Wissenschaft zu wünschen.
Nichtkonfessionelle Träger betonen meist ihre Neutralität bezüglich der Religionen, und viele ziehen daraus den Schluß, daß religiöse Erziehung und Bildung in der Kita nicht angeboten werden sollen, was aber zum Beispiel in Rheinland-Pfalz dem Bildungsplan widerspräche. Nichtkonfessionelle Träger können auch nicht, wie das in der Schule der Fall ist, auf entsprechend ausgebildete "Lehrer" zurückgreifen, die im Auftrag der Religionsgemeinschaften unterrichten. Auch hier gibt es nicht nur einen Handlungs-, sondern auch einen wissenschaftlichen Reflexionsbedarf, um der speziellen Situation in Kitas gerecht zu werden.
Religiöse Erziehung und Bildung
Wie sollen wir allgemeine und - darauf aufbauend - religiöse Erziehung und Bildung in der Frühpädagogik verstehen? Bildung ist eine Aktivität, durch die sich das Kind die Welt "aneignet", wie es Wilhelm von Humboldt ausgedrückt hat. Dabei konstruiert es sich ein Bild von der Welt, von anderen und von sich selbst und ist auf unterstützende Bildungsprozesse angewiesen. Diese Unterstützung und Herausforderung wird als Erziehung bezeichnet. Als besonders unterstützend gilt eine Interaktionsform, die aufgrund von "gemeinsam geteilten Denkprozessen" von Kindern und Erzieherin ("sustained shared thinking") gestaltet wird. Forschungsergebnisse zeigen, daß bestimmte Haltungen von Kindern eher durch implizite Erfahrungen als durch intentionale Erziehung beeinflußt werden (Katz u. Chard 2000 ). Der Erziehungswissenschaftler Gerd Schäfer weist darauf hin, daß die biographische Summe der Lebenserfahrungen das pädagogische Basisverhalten einer Pädagogin bestimmt (Schäfer 2010). Dies gilt sicher auch für das "religionspädagogische Basisverhalten".
Die erwähnten Bildungspläne klären nicht explizit, was sie unter "religiöser Erziehung und Bildung" verstehen. Allgemein läßt sich sagen, daß eine Erzieherin dann "religiös erzieht", wenn sie einen Bezug zur Religion herstellt - wobei freilich zu fragen ist, was sie unter Religion versteht. Neben religiösen Interaktionsformen, bei denen der Bezug zur Religion offensichtlich ist, kann eine Erzieherin auch aus einer bestimmten religiösen Haltung heraus handeln, indem sie beispielsweise einen liebevollen Umgang mit den Kindern pflegt. Hier sieht man den religiösen Bezug nicht von außen, und auch ihre Interaktionspartner, die Kinder, erkennen ihn nicht unbedingt. In diesem Fall spricht man von impliziter Religionspädagogik: Die Kita-Arbeit wird aus der Inspiration des Glaubens heraus gestaltet, und dies kann allen Kindern und ihren Familien zugute kommen, ohne daß sie für den Glauben vereinnahmt werden. Als Beispiel sei das "unbedingte Erwünscht- und Anerkanntsein" erwähnt, das für Norbert Mette die Mitte der religiösen Erziehung bildet (Mette 1983).
Was aber ist, wenn eine Erzieherin ohne Bezug zur Religion genauso handelt? Dann wäre es für mich kein religionspädagogisches Handeln, aber es wäre theologisch ein Handeln im Sinne Jesu, im Sinne seines Verständnisses von Reich Gottes. Denn in der Gerichtsrede Mt 25, 31-46 bezeichnet Jesus dieses Verhalten - ohne einen Bezug zur Religion herzustellen - als "heilsentscheidend". Mit dieser Überlegung soll eine Möglichkeit genannt werden, dieses "menschenfreundliche" Handeln von nichtreligiösen Erzieherinnen angemessen zu würdigen und es trotzdem noch von religionspädagogischem Handeln abzugrenzen - nicht, um eine Wertigkeit hineinzulegen, sondern um für die hier zu diskutierende Komplexität mögliche Unterscheidungen anzubieten.
Religionsdefinitionen und ihre exemplarische Anwendung auf Bildungspläne
Wenn religiöse Erziehung bedeutet, daß es - von den Erziehenden aus gesehen - einen Bezug zur Religion geben muß, ist zu fragen, in welcher Form die Bildungspläne diesen Bezug herstellen. Hier lassen sich vier Definitionen von Religion unterscheiden: eine anthropologische, eine funktionale, eine phänomenologische (die hier nicht erörtert werden soll) und eine inhaltliche ("substantielle"), wobei diese Definitionen das, was Religion ausmacht, in der genannten Reihenfolge zunehmend enger fassen (Porzelt 2009). Insofern ist es nicht verwunderlich, daß sich anthropologische Definitionen praktisch in allen Bildungsplänen finden, was bei inhaltlichen Aussagen nicht der Fall ist.
Anthropologisches Religionsverständnis und "Lebensglaube"
Bei anthropologischen Definitionen wird ein grundlegendes Wesensmerkmal des Menschen identifiziert und als "religiös" bezeichnet. In praktisch allen Bildungsplänen werden die existentiellen Fragen der Kinder mit Religion in Zusammenhang gebracht, auch wenn sie kein eigenes Bildungsfeld "Religion" vorsehen. So heißt es im Berliner Bildungsprogramm:
"Bereits im vorschulischen Alter beschäftigen sich Kinder mit Grundfragen menschlicher Existenz. Ereignisse wie die Geburt eines Geschwisterkindes, der Tod naher Angehöriger oder die Trennung der Eltern führen zu Erfahrungen von Freude und Trauer, Klage und Dank oder Versagen und Schuld. Sie rufen nach dem Sinn und der Endlichkeit des Lebens."
Falls Kinder solche Fragen stellen, was geschieht dann, wenn Erzieherinnen nach dem Berliner Bildungsprogramm arbeiten? Ausdrücklich wird in ihm, immer noch im Kapitel zum Bildungsverständnis, auf die Neutralität der kommunalen Kitas hingewiesen, um dann aber fortzufahren, daß Kinder ihre persönlichen Vorstellungen und Deutungen von der Welt oder von Leben und Tod einbringen dürfen. Welche Rolle Erzieherinnen im Umgang mit diesen existentiellen Fragen ausfüllen sollen, wird hier nicht beschrieben.
Wenn Erzieherinnen auf die existentiellen Fragen der Kinder eingehen, worauf greifen sie dann zurück? Sie gehen ja, wie nach Gerd Schäfer bereits erwähnt, in ihrem pädagogischen Alltag von der biographischen Summe ihrer Lebenserfahrungen aus und werden dies mit Sicherheit auch bei den für Kinder existentiellen Themen tun. Man könnte im Sinne von James Fowler sagen: Sie greifen auf ihren "Lebensglauben" zurück. Glaube bedeutet für ihn, daß der Mensch sein Herz an "etwas" hängt (Fowler 1991). Das kann ein "transzendenter Wert oder eine transzendente Macht" sein, muß es aber nicht. Der Lebensglaube eines Menschen beeinflußt nach Fowler auch die Beziehung zu anderen Menschen und besonders die zu Kindern. Zur Eltern-Kind-Beziehung führt er aus:
"Lange bevor das Kind die Werte und Glaubensinhalte der Eltern deutlich erkennen kann, fühlt es eine Sinnstruktur und fängt an, elementare Bilder von den Wert- und Machtzentren zu bilden, die den elterlichen Glauben bestimmen."
Die Aussage, der Träger sei neutral, bedeutet in erster Linie, daß es in der Kita keine offizielle "Bezugsreligion" gibt. Aber es wäre ein Irrtum zu denken, der Lebensglaube der Kinder würde durch die Interaktionen und Beziehungen mit den Erzieherinnen und damit durch deren Lebensglauben nicht beeinflußt. Auch ist zu betonen, daß, selbst wenn es in einer konfessionellen Kita eine offizielle Bezugsreligion gibt, der Lebensglaube der Menschen, die in der Kirche arbeiten - und hier erwähne ich bewußt nicht nur die pädagogischen Mitarbeiterinnen -, nicht einfach der Gottesglaube ist. Bei kirchlichen Mitarbeiterinnen läßt sich vermuten, daß die Variation bezüglich des Lebensglaubens geringer ist als in der Gesellschaft. Wenn nun der Lebensglaube von Erzieherinnen auf implizite Weise den Aufbau des Lebensglaubens von Kindern in der Kita beeinflußt, ist eine Auseinandersetzung der Erzieherinnen mit ihren biographischen Erfahrungen erforderlich. Dies gilt um so mehr, je jünger die Kinder sind. Pädagoginnen brauchen eine Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum und in irgendeiner Form professionell unterstützt mit sich und den eigenen biographischen Erfahrungen auseinandersetzen zu können.
Die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen von Rheinland-Pfalz wählen ebenfalls einen anthropologischen Zugang: Kinder stellen Fragen nach dem "Warum" und "Wozu", sind tief bewegt von allem Lebendigen und von der Frage nach Sterben und Tod. Erzieherinnen wird aber eine aktive Rolle als Lebensbegleiter auch in religiösen Fragen zugewiesen, ohne daß festgelegt werden könnte, auf welche Religion oder Weltanschauung sie zurückgreifen. Es ist eine offene und religionspädagogisch höchst bedeutsame Frage, ob und wie "religiöse Begleitung" durch eine Erzieherin erfolgen kann, wenn sie nichtreligiös ist. Oder richten sich diese Anforderungen an ein gesamtes Team, und muß der Träger dafür sorgen, daß entsprechende Personen mit "religiöser Begleitungskompetenz" in der Kita arbeiten? Hier sind weder die Bildungspläne noch die Religionspädagogik an ein Ende gekommen.
Funktionale Definitionen und Religion als Lebenshilfe
Bei diesen Ansätzen steht die Funktion, die die Religion für den einzelnen Menschen oder die Gesellschaft erfüllt, im Mittelpunkt. Der Religionspsychologe Bernhard Grom SJ möchte den Glauben als Lebenshilfe erschließen und setzt bei sogenannten "Entwicklungsaufgaben" an - etwa der Herausforderung, Selbstwertgefühl aufzubauen, Belastungen günstig bewältigen zu können, eine positive Lebenseinstellung zu entwickeln sowie prosozial empfinden und handeln zu lernen (Grom 2000, 148-230). Er geht davon aus, daß das Gelingen dieser Entwicklungsaufgaben für eine positive Entwicklung des Kindes wichtig ist und daß die religiöse Erziehung und Bildung einen bedeutenden Beitrag dazu leisten können - sowohl durch implizites als auch durch explizites religionspädagogisches Handeln.
Diese Entwicklungsaufgaben finden sich im Grunde genommen in allen Bildungsplänen, so auch in Berlin und Rheinland-Pfalz. Sie werden teilweise verschiedenen Bereichen zugeteilt oder auch als "Querschnittsaufgaben" bezeichnet und deshalb keinem bestimmten Bildungsbereich zugeordnet. Erzieherinnen sollen also mit ihrem pädagogischen Handeln die Entwicklung dieser Fähigkeiten unterstützen. Teilweise werden diese Entwicklungsaufgaben auch im Bildungsfeld "religiöse Bildung" genannt. Beim Vergleich zwischen Rheinland-Pfalz und Berlin läßt sich für Berlin wiederum feststellen, daß sich zwar im Bildungsverständnis Hinweise auf funktionale Elemente, zum Beispiel durch interreligiöse Bildung, finden, aber nicht in Anforderungen umgesetzt werden.
Die soeben beschriebene Kombination von pädagogischem Handeln und religiöser Erziehung in den Bildungsplänen ist äußerst sinnvoll - das bestätigen auch Untersuchungen zum positiven Einfluß des Glaubens auf das subjektive Wohlbefinden von Jugendlichen und Erwachsenen (Grom 2007, 252-257). Diese erweisen den Glauben als eine bedeutende, allerdings auch begrenzte soziale und personale Ressource gelingenden Lebens. Sie ist begrenzt, denn Religiosität ist auch "auf hinreichend entwickelte Motive, Befriedigungsstrategien und Bewältigungsstrategien angewiesen: Sie kann nur das aufwerten und fördern, was ansatzweise schon an Selbstwertgefühl, Kontrollstreben, Liebesfähigkeit, sozialer Sensibilität und positiver Lebenseinstellung vorhanden ist" (Grom 2007, 257). Diese Sicht macht deutlich, daß die Entwicklung einer lebensdienlichen Religiosität durch eine allgemeine "gute Pädagogik" unterstützt werden kann und muß. Diese kann für konfessionelle Kitas ein implizit religionspädagogisches Handeln sein, doch dient sie unabhängig vom konfessionellen oder nichtkonfessionellen Charakter der Kita dem Kind und seiner Persönlichkeitsentwicklung, und damit ereignet sich theologisch "Reich Gottes".
Ein Zitat aus den Bildungsempfehlungen von Rheinland-Pfalz kann noch ein anderes Problem der Bildungspläne aufzeigen. Es handelt sich um Anforderungen, die eher Überforderung sind:
"Auch die Ausbildung des Selbst, der Identität, liegt in der Eigenaktivität des Kindes und ist gleichzeitig eine Frage erlebten, unbedingten Vertrauens und von Verläßlichkeit, über alles menschliche Maß hinaus."
Welche Erzieherin kann schon unbedingtes Vertrauen und Verläßlichkeit "über alles menschliche Maß" hinaus bieten? Solche Sätze lassen sich ignorieren; sie können aber auch Unheil anrichten, wenn sie als Forderung gelesen werden, die eine Erzieherin unbedingt zu erfüllen hat. Das Gemeinte kann man aber auch so ausdrücken, daß jedes Kind auf unbedingte Anerkennung angewiesen ist. Da kein Mensch dies leisten kann, setzt eine solche Formulierung auch religiöse Vollzugsformen voraus, um mit dem "unbedingt Liebenden", den Christen Gott nennen, in Berührung zu kommen. Dieser Zusammenhang wird aber im Text nicht hergestellt.
Inhaltliche Definitionen von Religion
Es dürfte nicht überraschen, daß die meisten Bildungspläne sich bezüglich inhaltlicher Aussagen sehr zurückhalten, so auch der Berliner Bildungsplan. Rheinland-Pfalz formuliert zunächst viele Aussagen allgemein religiös und überträgt diese dann auf eine christliche Kita, was für die Erzieherinnen sehr hilfreich sein dürfte. Darin finden sich zentrale Aussagen des christlichen Glaubens. Besser wäre noch gewesen, wenn dies auch für die islamische und die jüdische Religion erfolgt wäre.
Interkulturelles und interreligiöses Lernen in Kindertagesstätten
Beim interreligiösen Lernen lassen sich ein monoreligiöses, ein multireligiöses und ein interreligiöses Modell unterscheiden (Harz 2008; Hugoth 2003):
1. Monoreligiöses Lernen: In konfessionellen Kitas wurde und wird oft noch ein monoreligiöser Ansatz verfolgt, bei dem nur die christliche Religion eine Rolle spielt. Beispielhafte Begründungen dafür sind die fehlende Kompetenz der Erzieherinnen für andere Religionen, Ressourcenfragen, der Auftrag der christlichen Gemeinde zur Beheimatung von christlichen Kindern oder deren mögliche Verunsicherung. Auf die Stichhaltigkeit dieser Argumente kann hier nicht eingegangen werden.
2. Multireligiöses Lernen: Nach diesem Konzept soll die Kita Heimat für alle religiösen Traditionen der Kinder und ihrer Familien sein beziehungsweise werden. Kein Kind soll sich aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit benachteiligt fühlen, und für alle soll das Recht auf Religionsausübung in gleichberechtigter Weise gewährleistet werden. Eine oft angewandte Vorgehensweise ist die Erstellung eines multireligiösen Festkalenders, bei dem alle Religionen der Kinder berücksichtigt werden. Auch werden deren Repräsentanten zum authentischen Kennenlernen ihrer Traditionen in die Kita eingeladen. Frieder Harz (2008) sieht dabei die Gefahr, daß es zu einer Patchwork-Religiosität kommen könnte, bei der sich jeder das zusammenbastelt, was ihm gefällt. Dadurch werde man zum Schöpfer der eigenen Religion. Die traditionellen Religionen zeichneten sich aber gerade dadurch aus, daß sich der Mensch an "etwas" - an Gott - binde, das außerhalb seiner selbst liege.
3. Interreligiöses Lernen zielt darauf ab,
"im zunehmenden Bewußtmachen der Unterscheidung von Eigenem und Fremdem die Fähigkeit des Dialogs mit dem Anderen zu entwickeln. Dazu gehört sowohl das Entdecken religiöser Heimat als auch das Einüben von Umgangsweisen mit Fremdem. Es geht also um Beheimatung in einer eigenen religiösen Tradition und gleichzeitig um den verständnisvollen Umgang mit fremder Religion und Religiosität" (Harz 2008).
Harz veranschaulicht die drei Modelle religiösen Lernens mit dem Bild der Wohnung. Beim monoreligiösen Ansatz gibt es nur eine Wohnung, die quasi abgeschlossen ist und wo Besuche auf die spätere Lebenszeit verschoben werden. Beim multireligiösen Lernen steht ein großer Wohnraum zur Verfügung, in dem man sich ein Eckchen herrichten kann. Zum interreligiösen Lernen gehören so viele Wohnungen, wie Religionen in der Kita vertreten sind. Die eigene Wohnung wird bestimmt von der eigenen Religion. Es gibt einen gemeinsamen Wohnraum und die Möglichkeit, sich Gäste in die eigene Wohnung einzuladen. Ziel ist das Hinausgehen und Heimkommen, die Bindung an das Eigene und die Begegnung mit dem Anderen.
Dieses Bild von den getrennten Wohnungen mit einem gemeinsamen Wohnraum beschreibt nur die religiösen Vollzüge innerhalb der religiösen Erziehung. Für eine kirchliche Kita heißt dies, daß sie den christlichen Kindern durch das Erzählen biblischer Geschichten, durch Lieder, Gebete, Feiern des Kirchenjahres oder auch in Gottesdiensten eine religiöse Heimat anbieten kann. Andere Kinder, die nicht der christlichen Religion angehören, sind als Gäste zu diesen religiösen Vollzugsformen eingeladen und können entscheiden, ob sie dem Angebot folgen wollen. Zum Rollenwechsel kann es dadurch kommen, daß Vertreter einer anderen Religion - zum Beispiel Eltern - eine Vollzugsform ihrer Religion mit den Kindern feiern, die dieser Religion angehören. Dann sind die christlichen Kinder als Gäste eingeladen. Auf einer religionskundlichen Ebene sorgt man außerdem dafür, daß sich Kinder auch Wissen über die religiösen Vollzugsformen aller vorhandenen Religionen aneignen können.
Nach Harz erleben christliche Kinder bei dieser Vorgehensweise, daß die Erzieherin auch immer die nichtchristlichen Kinder im Blick hat. Diese sollen sich als Gäste wohlfühlen. Dazu gehört, daß sie sich nicht einfach nur anpassen müssen, vielmehr wird ihr möglicherweise anderes Verhalten als Lernchance genutzt, um es zu verstehen. Vielleicht können die Kinder es erklären, oft wird man aber auch Erwachsene der entsprechenden Religion bei dieser Suche mit einbeziehen. Bei diesem Ansatz sind also nichtchristliche Kinder als religiöse "Gäste" willkommen. "Das ist weniger als religiöse Verwurzelung, aber viel mehr als religiöses Desinteresse" (Harz 2008). Diese Vorgehensweise verlangt eine große Transparenz den Eltern gegenüber.
Interreligiöses Lernen in Abhängigkeit von der Trägerschaft
Das soeben beschriebene Modell eignet sich auf jeden Fall für einen kirchlichen Träger. Damit das pädagogische Team interreligiöses Lernen umsetzen kann, braucht es allerdings die Unterstützung des Trägers. Dazu gehört grundsätzlich, daß er diesen Ansatz befürwortet und daß er entsprechende Fortbildungen beziehungsweise eine Begleitung der Erzieherinnen ermöglicht. Für eine erfolgreiche Umsetzung wäre es hilfreich, wenn auch muslimische Erzieherinnen eingestellt würden. So könnte auch für islamische Kinder eher eine "Beheimatung" und für die nichtislamischen eher eine "Begegnung" angeboten werden. Das wäre auch für die interreligiöse Kompetenz des Teams eine Bereicherung. Und es wäre ein klares Signal von seiten der christlichen Kirchen, daß interreligiöses Lernen ihnen ganz wichtig ist.
Auch wenn ich das Modell grundsätzlich für gut halte, habe ich zwei Anfragen. Die eine bezieht sich auf die Trennung zwischen "Teilnahme" und "Gaststatus". Dieses Modell entspricht der Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz zum Gebet von Christen, Juden und Muslimen. Bei einem solchen gemeinsamen Gebet ist der Christ Mitbetender, wenn ein christlicher Vertreter betet, und Gast, wenn ein Vertreter des Islam oder des Judentums betet. Was aber, wenn ein "Gast" von dem, was der Beter gerade ausdrückt, berührt wird? Soll er dagegen ankämpfen, um den Gaststatus zu halten? Ist es nicht ein Gewinn, wenn eine tiefe Verbundenheit entsteht und eine Ahnung, daß Gott der Schöpfer aller Menschen ist? Ob es Kindern anders ergeht? Zudem wäre es möglich, den "gemeinsamen Wohnraum" in dem Bild von Frieder Harz auch dazu zu nutzen, religiöse Vollzugsformen zu entwickeln, die gemeinsam praktiziert werden. Als Beispiel sei der aaronitische Segen erwähnt.
Die andere Anfrage bezieht sich auf das gesamte Handeln in der Kita und nicht nur auf interreligiöse Erziehung. Das Modell, das die Grenzen zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen richtigerweise bei den religiösen Vollzügen nicht einebnet und sie also bestätigt, aber auch "grenzüberschreitend" damit umgeht, ist für mich dann glaubwürdig, wenn es eingebunden ist in ein pastoral-diakonisches Handeln, das bezüglich des Adressatenkreises "grenzenlos" ist oder besser noch, von der "Option für die Armen" geleitet wird. Das bedeutet, daß die Not des anderen Menschen und nicht seine Zugehörigkeit zur christlichen Religion darüber entscheidet, ob er im Zentrum des Handelns einer konfessionellen Kita steht. Wenn dies gelingt, hat interreligiöses Lernen in einer derart gestalteten Kita gute Chancen, Respekt, Toleranz und Wertschätzung im Zusammenleben zu fördern.
Nichtkirchliche Träger könnten aufgrund des Neutralitätsgebots interreligiöses Lernen auf reine religionskundliche Wissensvermittlung beschränken. Auch wenn das schon ein Schritt in die richtige Richtung ist, könnte man darüber hinausgehen, indem man zum einen die Fähigkeiten des Personals und ihre mögliche Beheimatung in einer Religionsgemeinschaft nutzt. Zum anderen sollte man zumindest punktuelle Begegnungen mit authentischen Vertretern - zum Beispiel Eltern - von Religionen arrangieren. Wenn pädagogische Fachkräfte einen Teil der religiösen Erziehung aus Interesse übernehmen, brauchen sie auch Unterstützung. Vielleicht wären dafür Arbeitsgemeinschaften über Trägergrenzen hinweg hilfreich. Davon könnten auch die kirchlichen Mitarbeiterinnen profitieren, wenn zum Beispiel muslimische Erzieherinnen, die in kommunalen Kitas arbeiten, an einem solchen Arbeitskreis beteiligt wären.
Die Tübinger Studie zur interkulturellen und interreligiösen Bildung in Kitas
In diesem Abschnitt soll eine aktuelle Pilotstudie vorgestellt werden, deren Ziel es war, den Stand der interkulturellen und interreligiösen Bildung in deutschen Kitas zu ermitteln (Schweitzer, Biesinger u. Edelbrock 2008). Dazu haben die Autoren unter anderem "christliche Bildung" und "islamische Bildung" in vergleichbarer Weise operationalisiert. Abgefragt wurde nur, was Erzieherinnen anbieten, so daß die Perspektive der Kinder oder so etwas Komplexes wie "sustained shared thinking" unberücksichtigt blieb. Beispielsweise hat man gefragt, ob eine Kirche oder eine Moschee besucht wird oder ob Geschichten aus der Bibel oder dem Koran vorgelesen werden. Die Höhe der "interreligiösen Bildung" setzt sich der Studie zufolge zusammen aus dem Wert der islamischen Bildung, den die Kita erreicht, und aus dem Wert, der sich aus den Antworten auf vier zusätzliche Fragen ergibt. Da wird zum Beispiel gefragt, ob es einer Erzieherin wichtig ist, daß Kinder in ersten Ansätzen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Weltreligionen kennenlernen oder ob die unterschiedliche Religionszugehörigkeit im Alltag eine Rolle spielt.
Die Auswertung ergibt: 1. Kirchliche Einrichtungen gewährleisten deutlich mehr religionspädagogische Begleitung als nichtkirchliche. Dabei konzentrieren sie sich auf "christliche Bildung"; 2. "Islamische Bildung" bleibt sowohl bei den kirchlichen (7 %) als auch bei den nichtkonfessionellen Kitas (9 %) außen vor; 3. "Interreligiöse" Bildung findet bei etwas mehr als einem Viertel der kirchlichen Kitas Berücksichtigung, während dies nur bei neun Prozent der nichtkonfessionellen der Fall ist.
"Viele Kinder bleiben mit ihren religiösen Fragen und Orientierungsbedürfnissen einfachhin allein", resümiert die Forschungsgruppe. Sie macht die mangelnde Unterstützung für die Erzieherinnen dafür verantwortlich, daß religiöse Bildung in nicht ausreichendem Maße angeboten wird. Dies gelte für Erzieherinnen in kirchlichen Kitas in bezug auf den Bereich der "Islamischen Bildung" und der "interreligiösen Bildung" und für die nichtkirchlichen auch hinsichtlich der "christlichen Bildung". Dieses Defizit verweist den Autoren zufolge auf einen "akuten Handlungsbedarf - in Praxis, Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaften" gleichermaßen. Die Gruppe weist abschließend darauf hin, daß ein Zusammenleben in Frieden eine Bildung zu Toleranz und wechselseitiger Achtung, zu Respekt und Anerkennung voraussetzt und daß es keinen Sinn hat, diese Bildungsaufgaben nicht schon in der Kita in Angriff zu nehmen.
Bei empirischen Untersuchungen muß immer gefragt werden, inwieweit die Operationalisierung für die Beantwortung der gestellten Fragen gelungen ist. Dazu sollen drei Bedenken angesprochen werden. Der gewählte Vermittlungsansatz, der die Perspektive der Kinder nicht berücksichtigt, läßt keine Folgerungen bezüglich einer möglichen Orientierung für Kinder zu. Wenn eine Erzieherin die Weihnachtsgeschichte erzählt, stellt dies nicht sicher, daß Kinder in ihren religiösen Fragen begleitet werden. Umgekehrt kann eine Kita, die diese Angebote nicht macht, aufgrund ihres Situationsansatzes sehr individuell auf die Fragen der Kinder eingehen. Dies ist kein geringes Problem bezüglich der Qualität der Religionspädagogik in Kitas, denn es gibt eine unüberschaubare Anzahl von "religionspädagogischen" Arbeitshilfen, die in dieser Vermittlungsperspektive hängen bleiben, und es verlangt von Erzieherinnen eine vollkommen andere Kompetenz, im Sinne des "sustained shared thinking" religionspädagogisch zu arbeiten. Für die Studie heißt das, daß sie nur Aussagen machen kann, wie viel "christliche Erziehung" angeboten wurde.
Ein ähnliches Problem ergibt sich in bezug auf die gewählte Operationalisierung und die Forderung nach "Bildung zu Toleranz und wechselseitiger Achtung, zu Respekt und Anerkennung". Letztere ist unbestritten; die Schwierigkeit besteht jedoch darin, daß hohe Werte bei der Einschätzung dieser Ziele nicht sicherstellen, daß diese Art von Bildung auch gelingt.
Die dritte Anmerkung bezieht sich auf die "interreligiöse Bildung": Am einfachsten erkennt man die Fragwürdigkeit der Vorgehensweise bei einem christlichen Träger, der nach dem oben diskutierten Modell "Beheimatung und Öffnung" gute Arbeit bezüglich des interreligiösen Lernens leistet. Beheimatung würde in dem Forschungsprojekt über den Gesamtwert "christliche Bildung" erfaßt. Dieser Wert geht aber bei dieser Studie nicht in den Gesamtwert "interreligiöse Bildung" ein. Umgekehrt wird beim Modell des interreligiösen Lernens nicht erwartet, daß christliche Erzieherinnen das islamische Opferfest feiern, so daß der Wert für die "islamische Bildung" so nicht berücksichtigt werden dürfte. Dies zeigt, daß jede Operationalisierung, auch wenn sie nicht auf einem Theoriemodell beruht, Rückschlüsse auf ein mögliches Modell zuläßt. Über diese möglichen Modelle muß diskutiert werden - und nicht nur über die Ergebnisse einer solchen Erhebung. Diese Anmerkungen zeigen, wie anspruchsvoll es ist, "religiöse Bildung" als Aktivität des Kindes zu erfassen und nicht nur die Angebote abzufragen.
Die Diskussion über religiöse Erziehung und Bildung hat gezeigt, daß jeder Bildungsplan für jeden Träger eigene Herausforderungen mit sich bringt und noch viele Fragen offen sind beziehungsweise zahlreiche Herausforderungen noch gemeistert werden müssen. Dafür braucht es auch eine elementare religionspädagogische Wissenschaft, die mit den entsprechenden Humanwissenschaften zusammenarbeitet. Aber auch dann werden viele Fragen ungelöst bleiben. Es wird heute wie in Zukunft auf Pädagoginnen ankommen, die in den Kitas auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse ihre aus der Praxis entwickelten Modelle praktizieren und weiterentwickeln. Ohne dieses große Engagement, das von Erzieherinnen mit viel Herzblut geleistet wird, hätten viele Kinder nicht die Chance, schon in einer Kita einen religiösen Weltzugang zu erleben.