"Leistung muß sich lohnen!" Wer wollte dies ernsthaft bestreiten? Manche meinen auch: "Leistung muß sich wieder lohnen!" Eine Antwort auf diese und ähnliche Fragen bedarf einiger Klärungen. Dies bezieht sich zum einen darauf, was unter Leistung zu verstehen ist. Zum zweiten stellt sich die Frage, was ein angemessener "Lohn" für Leistungen ist. Schließlich ist zu prüfen, ob es zu einem Mißverhältnis zwischen Leistung und Lohn gekommen ist und, wenn ja, in welchem Sinn.
Leistung ist etwas, was die meisten Menschen in vielen Situationen spontan anerkennen: etwa eine bedeutende Erfindung, die Rettung eines Unternehmens, ein gelungener Roman, eine extreme Bergbesteigung oder die Wiederaufbauleistung der sogenannten Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese wenigen Beispiele zeigen aber auch, daß der Lohn für solche Leistungen sehr unterschiedlich ausfällt. Finanziell haben sie sich manchmal gelohnt, oft genug aber auch nicht, jedenfalls nicht für jene, welche die Leistung erbracht haben, sieht man von einer gewissen Anerkennung ab, die freilich nicht selten erst postum erfolgt ist.
Damit ist die Frage angesprochen, wann sich eine Leistung lohnt. Dazu braucht es Kriterien, nach denen man sie bemißt. Ein solches Kriterium ist, wie schon angesprochen, Anerkennung oder vielleicht sogar Ruhm. Dies kann zum einen einfach der Leistung selbst gelten bzw. denen, die sie erbracht haben. Die Anerkennung kann sich aber auch darauf beziehen, daß die Leistung anderen Menschen geholfen oder dem Gemeinwohl gedient hat. Sie kann auch darin gründen, daß die Leistung unter erschwerten Bedingungen erbracht wurde, etwa trotz körperlicher Behinderung. In der Regel steigt die Anerkennung sogar, wenn die Leistung unter großem persönlichen Einsatz oder unentgeltlich erfolgt, vielleicht sogar mit Risiken für das eigene Leben. Doch dies ist lediglich die ideale oder virtuelle Seite eines Lohns für Leistung, für welche die Feststellung "wieder" schwerlich zutrifft.
In einer von wirtschaftlichen Maßstäben bestimmten Welt und weithin auch in der öffentlichen Meinung lohnen sich Leistungen dagegen nur dann, wenn sie auch finanziell entgolten werden. Wie fragwürdig dieser Maßstab ist und wie schnell er an Grenzen stößt, zeigt sich daran, daß manchen Menschen (etwa vielen Hartz-IV-Empfängern) marktbedingt oder aus anderen Gründen der Zugang zu finanziell entlohnter Arbeit verwehrt ist, obwohl sie sehr wohl gesellschaftlich wichtige Leistungen erbringen. Ihnen keinen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern, widerspricht dem spontanen Gerechtigkeitsgefühl der meisten Menschen und verletzt in der Tat die Würde des Menschen und die sozialen Menschenrechte.
Man kann diese Frage aber auch von einer anderen Seite angehen: Sind die bestehenden "Lohnunterschiede" wirklich gerechtfertigt? Verdienen Manager, Banker, große Künstler oder Spitzensportler das Einkommen, das sie erhalten, zu Recht? Und ist die Leistung derer, die wenig oder nichts verdienen, tatsächlich nicht mehr wert? Konkret: Ist die Leistung eines Topmanagers wirklich zehn Mal größer als die einer Bundeskanzlerin? Leistet ein Banker mit seinen Bonuszahlungen tausendmal mehr als ein Arbeiter bei der Müllabfuhr oder eine allein erziehende Mutter? Oder ist die Leistung eines Spitzensportlers zehntausendmal wertvoller als die eines Plantagenarbeiters in einem armen Land? Vermutlich werden die meisten Menschen dies verneinen.
Warum aber gibt es diese krassen Unterschiede, die seit Jahrzehnten nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland ständig zunehmen? Die Antwort lautet häufig: Weil der Markt es hergibt! Dies gilt oft genug auch als Rechtfertigung. Viele versuchen daher mit allen Mitteln (manchmal auch strafbaren wie Steuerhinterziehung) so viel Rendite zu machen wie möglich. Damit wird freilich der Markt mit seinen Mechanismen zum vorrangigen, wenn nicht sogar alleinigen Maßstab. Und ein Markt ohne Regeln kennt keine sozialen oder ökologischen Maßstäbe. Ein Beispiel dafür ist die Auswanderung von Ärzten und Krankenpflegepersonal aus Afrika in reiche Länder wie Großbritannien - mit der Folge, daß in manchen Herkunftsländern die Menschen nicht mehr gesundheitlich versorgt werden können.
Eine reine Marktlogik widerspricht freilich nicht nur ethischen Kriterien, sondern auch dem ökonomischen Sachverstand, jedenfalls wenn er langfristig denkt und nicht nur die nächsten Quartalszahlen im Blick hat. So sind etwa die Volkswirtschaften der meisten reichen Länder darauf angewiesen, daß es Eltern gibt, die sich Kinder wünschen und bereit sind, sie aufzuziehen, wozu es heute auch Kindergärten und Kindertagesstätten braucht. Nur dann wird es möglich sein, daß alte Menschen auch künftig menschenwürdig leben können. Das Los künftiger Generationen hängt ganz wesentlich davon ab, daß man umweltgerecht wirtschaftet, also mit knappen Ressourcen sparsam umgeht und einen gefährlichen Klimawandel vermeidet. Für solche Probleme ist der Markt freilich blind, es sei denn, er wird politisch richtig gestaltet. Gegenwärtig werden freilich Leistungen in solchen Feldern ungenügend "belohnt", so daß sie entweder überhaupt nicht erbracht werden oder nur unter hohem persönlichen Einsatz.
Die aktuellen Einkommensunterschiede weisen eine enorme Schieflage im Leistung- Lohn-Verhältnis auf. So verdanken etwa viele ihren Reichtum einer Erbschaft ohne eigene Leistung. Umgekehrt ist niemand dafür verantwortlich, wenn er in einer armen Familie, vielleicht noch in einem armen Land, geboren wurde, ohne die Chance, seine Anlagen zu entwickeln und optimal einzusetzen. Um so wichtiger ist es, die Handlungsmöglichkeiten aller Menschen zu fördern und zu erweitern, damit sie möglichst aus eigener Kraft menschenwürdig leben können. Dies aber erfordert eine ausgewogenere und gerechtere Verteilung von Chancen und der dazu nötigen Mittel. In diesem Sinn gilt in der Tat: "Leistung muß sich wieder lohnen"!