Viel Hitze und wenig Licht: So könnte man die klimapolitische Debatte des Jahres 2010 nach der ernüchternden Klimakonferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 charakterisieren. Die Konferenz von Cancún (Mexiko) hat immerhin wichtige institutionelle Elemente eines künftigen Klimaregimes auf den Weg gebracht. Ein verbindliches Abkommen liegt jedoch noch in weiter Ferne. Zwar bezweifelt niemand mehr ernsthaft, daß der Anstieg der globalen Mitteltemperatur hauptsächlich durch den Menschen und die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verursacht wird. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Erde bereits um 0,7° C erwärmt, und für den Verlauf des 21. Jahrhunderts sind ohne klimapolitische Maßnahmen weitere 4° C nicht unwahrscheinlich. Eine noch stärkere Erderwärmung kann aufgrund von Unsicherheiten über das Verhalten des Klimasystems nicht ausgeschlossen werden. Der Ursachenskeptizismus in der Klimadebatte ist durch eine erdrückende Evidenz zurückgewiesen worden. Bestritten wird jedoch nun, daß die Folgen des Klimawandels ein Grund zur Sorge sind.
Dieser Klimafolgenskeptizismus hat öffentlich an Zustimmung gewonnen 1. Auch der "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) wurde gerade darum kritisiert, weil er angeblich systematisch die Folgen des Klimawandels übertreibt und die sogenannten "Worst-Case-Szenarien" bevorzugt darstellt. Diese Kritik wurde durch mehrere Expertengremien zurückgewiesen2. Richtig aber ist, daß das Wissen über die Folgen des Klimawandels noch sehr unsicher ist.
Klimapolitik ist eine Versicherung gegen katastrophale Klimarisiken
Eine mögliche Reaktion auf die Unsicherheit über die genauen Folgen der Erderwärmung ist das Plädoyer, keine einschneidenden Emissionsreduktionen vorzunehmen. Denn, so das Argument, Klimaschutz sei kostspielig, während man sich ja an den Klimawandel auch anpassen könne. Anpassungsmaßnahmen ließen sich auf lokaler Ebene bewältigen und müßten nicht in komplizierten internationalen Vereinbarungen abgestimmt werden. Höhere Deiche, neue Bewässerungssysteme, gegen Trockenheit resistente Saatsorten könnten den lokalen Gegebenheiten entsprechend angepaßt werden, und die Betroffenen hätten ein Eigeninteresse an der Durchführung solcher Maßnahmen. Auf den ersten Blick klingt dieses Argument vernünftig. Allerdings kann es nur gelten, wenn gesichert ist, daß die Anpassung an den Klimawandel auch bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur von etwa 4° bis 5° C - oder mehr - noch zu moralisch akzeptablen Kosten möglich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, dann wäre die Menschheit einem irreversiblen Klimawandel ausgesetzt, den sie nicht mehr handhaben könnte. Es wird kaum bestritten, daß diese Möglichkeit einer Zerstörung des Planeten gleichkäme und daß sie nicht ausgeschlossen werden kann. Man kann allerdings einwenden, daß die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr gering ist.
Damit stellt sich die Frage, wie man in rationaler Weise mit Ereignissen umgeht, deren Eintrittswahrscheinlichkeit gering, deren Schadenspotential jedoch sehr groß ist. Martin Weitzman von der Harvard University zeigt, daß die herkömmlichen Methoden der Risiko- und Entscheidungstheorie versagen, wenn mit Klimafolgen gerechnet werden muß, die den Planeten zerstören können und wenn diese Zerstörung unbedingt verhindert werden soll3. Unter diesen Voraussetzungen kann man den zusätzlichen Schaden einer Tonne CO2 nicht mehr gegen die zusätzlichen Kosten der Vermeidung einer Tonne CO2 abwägen. Denn dieses Kalkül garantiert nicht, daß eine "Katastrophe" vermieden wird.
In der Tat hat die Klimaforschung solche Ereignisse bereits identifiziert: die teilweise irreversiblen sogenannten "Kippschalter" im Erdsystem, die jenseits (unsicherer) Temperaturschwellenwerte aktiviert werden können. Dazu gehören unter anderem das Abschmelzen des Grönlandeisschildes und des westantarktischen Eisschildes, die jeweils zu einem Anstieg des globalen Meeresspiegels um mehrere Meter führen können, oder die Vertrocknung des Amazonasregenwaldes4. Sie könnten das Habitat, in dem die Menschheit seit dem Holozän lebt, schwer schädigen oder ganz zerstören. Der genaue Schwellenwert, an dem diese Kippschalter aktiviert werden, ist jedoch unbekannt. Beste Schätzungen etwa für das Abschmelzen des Grönlandeisschildes liegen bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 1° bis 2° C über dem aktuellen Temperaturniveau. Ohne Klimapolitik aber ist bis 2100 eine Erderwärmung von bis zu 4° C oder mehr zu erwarten5.
Aus der Unsicherheit über die Folgen des Klimawandels ergibt sich daher eine andere Schlußfolgerung: Der Klimawandel sollte zumindest so weit begrenzt werden, daß irreversible und potentiell unendliche Schäden ausgeschlossen werden können. Die Kosten des Klimaschutzes sind dann als eine Versicherung gegen einen katastrophalen Klimawandel zu betrachten. Auch wenn sich in der Zukunft herausstellen sollte, daß gefährlicher Klimawandel weniger wahrscheinlich ist als befürchtet und die Kosten des Klimaschutzes höher sind als erhofft, ist es angesichts des heute besten verfügbaren Wissens rational, sich gegen eine Menschheitskatastrophe zu versichern. Das in Cancún verabschiedete globale 2°C-Ziel hat genau diese Funktion. Es soll das Risiko gefährlichen Klimawandels begrenzen. Erst wenn katastrophale Risiken ausgeschlossen sind, kann man sinnvollerweise fordern, daß sich Menschen an den unvermeidlichen Restklimawandel anpassen6.Darüber hinaus wird es in den nächsten Jahren zu einer heftigen Debatte kommen, wieviel die Menschheit zusätzlich zu einem solchen "minimalen Versicherungsschutz" zu zahlen bereit ist. So argumentieren die Inselstaaten bereits jetzt, daß das 2° C-Ziel unzureichend ist, weil damit das Verschwinden kleinerer Inseln wie etwa Tuvalu oder die Malediven praktisch in Kauf genommen wird. Die Industrie- und Schwellenländer dagegen befürchten, daß bereits die Einhaltung des 2° C-Ziels ihre wirtschaftliche Entwicklung beschränkt. Vom fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates, der 2014 veröffentlicht werden soll, wird erwartet, daß er die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Diskussion bereitstellt.
Der Deponieraum der Atmosphäre ist begrenzt
Die Festlegung eines Klimaziels hat jedoch gravierende ökonomische Konsequenzen: Die Eigentums- bzw. Nutzungsrechte an der Atmosphäre werden neu verteilt. In einer Welt ohne Klimaschutz konnte jeder die Atmosphäre kostenlos nutzen. Mit der verbindlichen Festlegung eines globalen klimapolitischen Ziels wird der Deponieraum "Atmosphäre" rechtlich begrenzt und zum Eigentum der gesamten Menschheit erklärt.
Diese Begrenzung hat eine Implikation, die von vielen Experten schlicht vernachlässigt wird: Die Besitztitel der Eigentümer von Kohle, Öl und Gas werden entwertet, da global ein höherer Bestand an fossilen Energieträgern im Boden liegt, als die Menschheit gemäß einer solchen Vereinbarung in der Atmosphäre noch ablagern darf. So sind noch etwa 12 000 Gigatonnen Kohlenstoff als fossile Brennstoffe vorhanden. Es dürfen aber nur noch 230 Gigatonnen in der Atmosphäre abgelagert werden, wenn das 2° C-Ziel erreicht werden soll. Auch zur Einhaltung eines 3° C- Ziels könnten nur wenige hundert Gigatonnen zusätzlich in der Atmosphäre abgelagert werden. Der Rest der Bestände an Kohle, Öl und Gas müßte ungenutzt im Boden bleiben und würde somit entwertet.
Da der atmosphärische Deponieraum zu einer knappen Ressource geworden ist, steigt ihr Wert, solange fossile Energieträger genutzt werden. Damit kommt es zu einer Umverteilung von Vermögen und Einkommen zwischen den Eigentümern der fossilen Ressourcenbestände und den Eigentümern der Atmosphäre. Diese Umverteilung ist eine Konsequenz der Tatsache, daß die Atmosphäre nicht mehr kostenlos genutzt werden kann. Dieser Sachverhalt hat nichts damit zu tun, daß die Klimapolitik selbst zum Zweck der Umverteilung von Vermögen eingesetzt wird. Er macht aber auch deutlich, warum es gegen jede ambitionierte Klimapolitik von den betroffenen Interessengruppen erhebliche Widerstände geben wird und warum es für die Besitzer dieser Ressourcen vorteilhaft wäre, wenn es keinen Klimawandel und keine Klimapolitik gäbe. Es ist also verständlich, wenn die Besitzer von Kohle, Öl und Gas zu zeigen versuchen, daß der Klimawandel nicht vom Menschen verursacht ist oder warum seine Folgen nicht gravierend sind.
Es gibt im wesentlichen zwei technische Möglichkeiten, um die Nutzung des Deponieraumes zu steuern: Zum einen könnte man eine CO2-Steuer erheben und das Steueraufkommen verteilen. Alternativ kann die Menge des Kohlenstoffbudgets direkt durch die Ausgabe von Emissionsrechten gesteuert werden, die zwischen den Marktteilnehmern handelbar sind. Jeder, der Kohle, Öl oder Gas verbrennen will, muß dann nicht nur den Preis dieser Brennstoffe zahlen, sondern zugleich das entsprechende Emissionsrecht erwerben. Da das Angebot durch das Kohlenstoffbudget fixiert ist, wird bei steigender Nachfrage am Emissionsmarkt der Preis der Emissionsrechte steigen. Dadurch werden Verfahren marktfähig, die keine fossilen Energieträger nutzen und auf den Kauf von Emissionszertifikaten nicht angewiesen sind. Wir betrachten hier nur die zweite Option eines Emissionshandelssystems. Zum einen, weil der Emissionshandel im Kyoto-Protokoll festgelegt wurde und in der EU verankert ist, und zum anderen, weil wir an anderer Stelle gezeigt haben, daß der Emissionshandel gegenüber der CO2-Steuer viele Vorteile hat7.
Mit der Festlegung eines globalen Kohlenstoffbudgets, also der "Deponiegröße", ist es jedoch nicht getan. Es muß darüber hinaus festgelegt werden, wie die Nutzungsrechte dieser Deponie verteilt werden.
Die allgemeine Bestimmung der Erdengüter fordert eine ambitionierte Klimapolitik
Es ist gewiß keine Übertreibung zu behaupten, daß die Klimapolitik eine Umverteilung von Vermögen in einem Maßstab impliziert, der historisch ohne vergleichbares Vorbild ist. Die Klimapolitik, so der Vorwurf einiger Beobachter, stellt daher einen massiven Angriff auf die Institution des Privateigentums dar, der sich aus ethischer Perspektive nicht rechtfertigen läßt. Es ist also zu zeigen, daß es ethisch legitim ist, Nutzungsrechte an der Atmosphäre festzulegen, auch wenn dadurch die Eigentumsrechte an Kohle-, Öl- und Gasressourcen entwertet werden. Darüber hinaus ist zu zeigen, nach welchen Maßstäben diese Nutzungsrechte an der Atmosphäre verteilt werden sollten.
Eine ambitionierte Klimapolitik läßt sich mit Rückgriff auf eine Argumentationsfigur rechtfertigen, die gerade in der Begründung des Privateigentums als klassisch anzusehen ist und die von der katholischen Soziallehre in ihrer Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und Marxismus neu durchdacht wurde. Bereits Thomas von Aquin hat das Verfügungsrecht des Menschen über die Güter der Erde grundsätzlich bejaht - und damit auch die Herrschaft des Menschen über die Natur8. Allerdings habe die Nutzung der "geschaffenen" Naturgüter dem Gemeinwohl der Menschheit zu dienen. Ihm zufolge kann die Institution des Privateigentums bei natürlichen Ressourcen nur dann gerechtfertigt werden, wenn gezeigt wird, daß sie dem Gemeinwohl mehr dient als das Gemeineigentum. Das Privateigentum steht damit unter dem Vorbehalt der Sozialpflichtigkeit. In der Tat dient die Festlegung von Nutzungsrechten an der Atmosphäre dem Gemeinwohl, wenn gezeigt werden kann, daß damit ein gefährlicher Klimawandel verhindert werden kann. Wenn dadurch die Eigentumstitel an Kohle, Öl, und Gas entwertet werden, läßt sich dies mit Hinweis auf die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums rechtfertigen.
Hinsichtlich der Festlegung des Verteilungsschlüssels für die Nutzungsrechte an der Atmosphäre läßt diese Auffassung der allgemeinen Bestimmung der Erdengüter zwar keine direkten Schlußfolgerungen zu. Allerdings hat die jüngste Sozialverkündigung unter Papst Johannes Paul II. die allgemeine Bestimmung der Erdengüter und damit die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums dahingehend präzisiert, daß sie vor allem den Armen zu dienen habe9. Damit lassen sich Forderungen der Besitzer von Kohle, Öl und Gas abweisen, die eine Kompensation für den Wertverlust erwarten, der ihnen durch die Festlegung von Nutzungsrechten an der Atmosphäre entsteht. Diese Forderung spielt in den Klimaverhandlungen auch keine zentrale Rolle, wenngleich Saudi-Arabien diese Forderung immer wieder erhoben hat.
In den Klimaverhandlungen fordern die Entwicklungs- und Schwellenländer und vor allem China eine Verteilung der Emissionsrechte nach historischen Emissionen10: Je weniger ein Land in der Vergangenheit emittiert hat, um so mehr Rechte soll es in der Zukunft zur Verfügung haben. Für das Prinzip der historischen Verantwortung werden hauptsächlich zwei Argumente vorgebracht: Erstens wird unter Berufung auf das Verursacherprinzip von den für historische Emissionen verantwortlichen Staaten eine direkte Kompensation für die schon jetzt und in Zukunft auftretenden Schäden, die durch Emissionen entstanden sind, gefordert. Zweitens wird argumentiert, daß über die Menschheitsgeschichte hinweg alle Menschen - und damit alle Weltregionen - dasselbe Recht auf die Nutzung der Atmosphäre haben sollten. Menschen in reichen Ländern müßten aufgrund der schon verbrauchten hohen Emissionen ihrer Vorfahren diese vergangenen Emissionen von ihrem Budget abgezogen werden.
Die Forderung nach historischer Verantwortung der Industrieländer ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Bei näherer Betrachtung ist dieses Argument allerdings kaum überzeugend, denn heute lebende Personen können nicht direkt für die Handlungen (wie z. B. Emissionen) von Verstorbenen haftbar gemacht werden. Zudem ist früheren Generationen zuzugestehen, daß sie noch wenig über die schädlichen Folgen von Emissionen wußten. Schon deswegen sind direkte Kompensationsforderungen für historische Emissionen etwa vor 1995 problematisch. Hinzu kommt, daß es grundsätzlich schwierig ist, die für historische Emissionen Verantwortlichen, den Umfang der Verantwortung oder die den Emissionen zuschreibbaren Schäden klar zu bestimmen. Das gilt gleichermaßen für die Forderung, gegenwärtige Vorteile aufgrund historischer Emissionen auszugleichen.
Die Industrieländer plädieren dagegen immer wieder für eine Aufteilung des verbleibenden Deponieraums nach Maßgabe gegenwärtiger Emissionen oder der Größe des Bruttoinlandsprodukts. Sie argumentieren, daß sie ein größeres Emissionsbudget für den Betrieb ihrer energieintensiven Wirtschaftssysteme benötigen. Dieser Ansatz würde aber die bestehenden globalen Ungleichheiten von Lebenschancen noch weiter verfestigen, was aus der Perspektive der Entwicklungsländer nicht akzeptabel ist.
Daher sollten bei der Frage nach der gerechten Verteilung von Emissionsrechten weder Fragen von Schuld und Kompensation noch einseitige wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Mit Blick auf die Zukunft und die Realisierung der allgemeinen Menschenrechte sollten dagegen vor allem die Möglichkeiten der Erweiterung des Handlungsvermögens der Ärmsten berücksichtigt werden. Darüber hinaus erscheint es fair, bei der Verteilung von Emissionsrechten die regional unterschiedlich hohen Kosten für den Klimaschutz in Betracht zu ziehen. Letztlich wird ein Beschluß von allen Beteiligten dauerhaft mitgetragen werden müssen, so daß die Aufgabe darin besteht, einen politisch tragfähigen Kompromiß zur Verteilung der atmosphärischen Eigentumsrechte zu identifizieren, der auch aus ethischer Perspektive zu überzeugen vermag.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Gleichverteilung von Emissionsrechten für jeden Menschen als vergleichsweise einfache und pragmatische Lösung. Es läßt sich zeigen, daß dieser Verteilungsschlüssel in einem globalen Emissionshandel zu einer Nettoverteilung der Vermeidungskosten führt, bei der die Entwicklungsländer die geringsten Lasten zu tragen haben oder sogar profitieren. Dies ist möglich, weil Entwicklungsländer ihre nicht benötigten Emissionsrechte an die Industrieländer verkaufen können und im Gegenzug Güter und Kapital erhalten. Zudem fallen bei einer Gleichverteilung der Emissionsrechte die Unterschiede der regionalen Vermeidungskosten im Vergleich zu anderen Verteilungsschlüsseln relativ gering aus11.
Prinzipiell lassen sich auch andere Verteilungsschlüssel konstruieren, die der Forderung einer Erweiterung der Handlungschancen insbesondere der Ärmsten näher kommen könnten. Eine Möglichkeit etwa ist, den ärmeren Entwicklungsländern für einen Übergangszeitraum überproportional viele Emissionsrechte pro Einwohner zuzusprechen. Diskutiert wird auch eine anfänglich großzügigere Ausstattung der Industrieländer mit Emissionsrechten, um ihren größeren Bedarf an Emissionsrechten zu befriedigen. Mittel- bis langfristig aber erscheint aus ethischer und verhandlungspolitischer Perspektive die Gleichbehandlung aller Menschen bei der Verteilung des neu zu schaffenden Vermögens aus "Rechten an der Erdatmosphäre" eine überzeugende Option. Dennoch sollte weiter über die Frage nachgedacht werden, wie die Emissionsrechte so verteilt werden, daß vor allem das Handlungsvermögen der Armen erhöht wird. Die praktische Durchführung eines solchen Programms der Begrenzung und Verteilung von Emissionsrechten könnte einer globalen Klimazentralbank oder einem Netzwerk regionaler Klimazentralbanken übertragen werden. Eine solche Klimazentralbank würde das verbleibende Kohlenstoffbudget für die Menschheit treuhänderisch verwalten.
In jedem Fall ist für das künftige Handlungsvermögen von Ländern nicht nur die Verteilung von Emissionsrechten entscheidend, sondern vor allem auch der Zugang zu kohlenstoffarmen Technologien. Je besser verfügbar solche Technologien sind, um so geringer werden die Kosten des Klimaschutzes. Die Gleichverteilung von Emissionsrechten sollte daher ergänzt werden durch Maßnahmen, die vor allem denen den Zugang zu kohlenstoffarmen Technologien erleichtern, die mit hohen Vermeidungskosten zu rechnen haben.
Globale Kooperation ist eine Herausforderung
Die "Bewirtschaftung" der Atmosphäre als "Emissionsdeponie" hat also erhebliche Konsequenzen für die Verteilung von Vermögen und Einkommen. Aber selbst wenn man den klimapolitischen Eingriff für normativ begründbar hält, wird man sich die Frage stellen müssen, wie es in den politischen Verhandlungen zu einer Einigung über die Begrenzung und Aufteilung der Eigentumsrechte an der Atmosphäre kommen kann. Dabei ist es hilfreich, die Möglichkeiten eines internationalen Klimaabkommens unter der Annahme abzuschätzen, daß sich die Staaten nicht primär an ethischen Erwägungen, sondern an ihrem nationalen Interesse orientieren12.
Dies ist notwendig, weil sich das Gewaltmonopol und die Legitimationsquellen zur verbindlichen Formulierung von Politiken nach wie vor und auf absehbare Zeit in der Hand souveräner Nationalstaaten befinden. Diese aber handeln erfahrungsgemäß vor allem eigennützig. Diese Diagnose hat für das Klimaproblem tiefgreifende Konsequenzen, denn die Stabilisierung des globalen Klimas durch Emissionsreduktionen weist die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes auf: Die Reduktionen eines Landes kommen allen Ländern zugute, und keines läßt sich davon ausschließen. Die Kosten der Bereitstellung fallen aber nur für dasjenige Land an, das klimapolitische Anstrengungen unternimmt. Dann aber hat jedes sich rational-egoistisch verhaltende Land einen Anreiz, als Trittbrettfahrer aufzutreten und die anderen reduzieren zu lassen. Am Ende reduziert keines seine Emissionen, obwohl dies im gemeinsamen Interesse aller läge. Die Menschheit befindet sich in einem klassischen Gefangenendilemma: Nationalstaatliche Schläue führt zu globaler Dummheit.
Natürlich wissen die Staaten, daß sie in ein Dilemma verstrickt sind. Da es keine Weltregierung gibt, die Politiken auf globaler Ebene beschließen und durchsetzen oder wenigstens die Einhaltung von Verträgen überwachen und erzwingen kann, ist der Abschluß von Verträgen freiwillig. Daher muß sich ein internationales Klimaabkommen für jeden der Nationalstaaten lohnen. Analysen internationaler Umweltabkommen zeigen, daß bei Verhandlungen mit wenigen Akteuren stabile Abkommen mit relativ hoher Teilnehmerzahl auch zwischen egoistischen Staaten möglich sind13. Problematischer dagegen sind Verhandlungen mit vielen Akteuren. An den Klimaverhandlungen unter der Klimarahmenkonvention etwa nehmen 194 Vertragsstaaten teil. Zwar ist es für eine gewisse Anzahl von Ländern auch dann noch rational, eine Klimaschutzkoalition zu bilden. Für den Großteil der übrigen Länder ist es jedoch vorteilhafter, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten. Sobald einige andere Länder bei der Emissionsminderung in Vorleistung treten, lohnt es sich nicht mehr, die Kosten von Emissionsreduktionen auf sich zu nehmen. Der zusätzliche Nutzen der eigenen Anstrengungen ist, verglichen mit den zusätzlichen Kosten, zu gering.
Dieses Problem wird beim Klimaschutz noch durch die Wettbewerbsnachteile verschärft, die ein Land erleidet, wenn es Emissionen im nationalen Alleingang reduziert. Wenn Länder im Rahmen ihrer Klimapolitiken einen Preis für Treibhausgasemissionen einführen, dann führt dies dazu, daß der Preis dieser Produkte mit hohem Emissionsanteil in der Produktion auf den Weltmärkten steigt und die Nachfrage sinkt. Dieser Effekt wird bei international gehandelten Gütern durch eine Ausweitung der Produktion - und damit Emissionen - in Ländern mit weniger ambitionierter Klimapolitik ausgeglichen werden, so daß die globalen Emissionsreduktionen geringer ausfallen als beabsichtigt. Zwar sind nur sehr wenige Güter und Sektoren davon betroffen, weil zum Beispiel Arbeitskosten für die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger sind als die noch geringen Emissionspreise. In der politischen Diskussion spielt dieser Effekt jedoch eine gewichtige Rolle und verstärkt mittelfristig den Anreiz zum Trittbrettfahren.
Besteht angesichts dieser wenig ermutigenden Diagnose ein vernünftiger Grund zur Hoffnung, daß das soziale Dilemma des internationalen Klimaschutzes überwunden werden kann? Oder sind die internationalen Klimaverhandlungen unweigerlich zum Scheitern verurteilt? Aufschlußreich ist in diesem Kontext das Paradox internationaler Beziehungen14: Immer dann, wenn von einem internationalen Umweltabkommen alle Teilnehmer in hohem Maße profitieren würden, ist der Anreiz besonders hoch, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten. Anders ausgedrückt: Je notwendiger internationale Umweltabkommen sind, um so unwahrscheinlicher ist es, daß sie zustande kommen. Je entbehrlicher sie dagegen sind, um so wahrscheinlicher ist es, daß sie zustandekommen. Abkommen, denen sich viele Länder anschließen, sind nur dann stabil, wenn ihnen über die nationalen Anstrengungen hinaus keine bedeutsamen Lasten aufgebürdet werden. Somit ist der Zusatznutzen solcher umfassenden Abkommen auch gering. Damit es zu einem ambitionierten Klimaschutz kommt, müßten die Staaten entweder die Kosten der Emissionsreduktion als sehr gering einschätzen oder die Folgen des Klimawandels für ihr Land als katastrophal erachten. Unter jeder dieser Voraussetzungen würden sie ihre Emissionen auch ohne internationales Abkommen drastisch reduzieren. Liegen die Schäden in einer vergleichbaren Größenordnung wie die Kosten der Reduktion, schlägt das Paradox der internationalen Abkommen zu.
Ein Blick auf die Empirie der Verhandlungen zeigt, daß diese Überlegungen durchaus plausibel sind: Das Kyoto-Protokoll wurde von den USA, die dabei die höchsten Kosten zu tragen gehabt hätten, nicht unterzeichnet. Die Vereinbarung von Kopenhagen kann kaum als ein ernsthaftes Klimaabkommen betrachtet werden, auch in Cancún wurde nicht über Reduktionsziele verhandelt. Man kann die in Kopenhagen vereinbarten Ziele wohl eher als Ausdruck eines nationalstaatlichen Egoismus verstehen. Immerhin haben sich die Nationalstaaten zu einer Emissionsreduktion verpflichtet, die die globale Erderwärmung mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit auf etwa 3° C relativ zum vorindustriellen Niveau begrenzen würde15. Dieses Ergebnis gibt durchaus Anlaß zur Hoffnung, weil sich hier zeigt, daß ein gewisses Mindestmaß an Klimaschutz offenbar auch ohne Abkommen im Eigeninteresse der Nationalstaaten liegt. Allerdings bleibt zum einen offen, ob die Ankündigungen der Länder glaubwürdig sind und sie ihre Zusagen auch tatsächlich einlösen werden. Die Zusage der USA etwa, ihre Emissionen bis 2020 um 17 Prozent gegenüber dem Jahr 2005 zu reduzieren, ist im Kopenhagen-Akkord an die Bedingung geknüpft, daß es zu einer entsprechenden klimapolitischen Gesetzgebung in den USA kommt. Nach dem Scheitern der Verhandlungen über ein US-Emissionshandelssystem im Sommer 2010 gelten die Chancen dafür jedoch auf Jahre hinaus als gering. Zum anderen ist unklar, in welchem Ausmaß mit den Vereinbarungen von Kopenhagen das Risiko eines gefährlichen Klimawandels tatsächlich vermindert wird, denn eine 20prozentige Wahrscheinlichkeit einer Erderwärmung zwischen 4° bis 5° Grad bleibt bestehen.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Obwohl alle von einem globalen Abkommen profitieren würden, ist es unwahrscheinlich, daß es dazu kommt. Es ist daher verständlich, daß an die Hauptverschmutzer moralische Appelle gerichtet werden, über ihre nationalen Schatten zu springen. Aber gibt es jenseits moralischer Appelle Ideen, wie die globale Kooperation verbessert werden könnte?
Wie läßt sich das Paradox internationaler Abkommen überwinden?
Bislang ist es nicht gelungen, überzeugende Vorschläge zu entwickeln, wie ein erfolgreiches internationales Klimaabkommen zustande kommen könnte. Allerdings gibt es einige vielversprechende Ansätze, die zumindest andeuten, in welcher Richtung nach Lösungen gesucht werden kann. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß sie das Verhältnis von Kosten und Nutzen von Klimaschutzmaßnahmen für die einzelnen Länder so modifizieren, daß diese zu mehr Klimaschutz und größerer Kooperation bereit sind.
Erstens können die Kosten des Klimaschutzes durch effiziente Klimapolitiken, technische Innovationen und positive Zusatzeffekte von Emissionsreduktionen vermindert werden. Zweitens kann der Nutzen klimapolitischer Abkommen für Nationalstaaten dadurch erhöht werden, daß Klimaabkommen mit anderen internationalen Verhandlungsthemen verknüpft werden. Hierzu gehören etwa Technologieabkommen, Transferzahlungen und die Androhung von Sanktionen. Drittens könnten aber auch internationale Reputation und ethische Erwägungen bedeutsame Faktoren sein, um die Verhandlungsinteressen von Staaten zu beeinflussen.
Verminderung der Kosten des Klimaschutzes
Das Paradox der internationalen Umweltabkommen zeigt, daß eine Reduzierung der Vermeidungskosten die Bereitschaft zu Klimaschutz und Kooperation erhöht. Daher ist es sinnvoll, über Maßnahmen nachzudenken, mit denen die Kosten von Emissionsreduktionen vermindert werden. Das bis zum Jahr 2020 verabschiedete Klimapaket der Europäischen Union enthält zahlreiche sinnvolle Elemente einer effizienten Klimapolitik, so etwa ein Emissionshandelssystem für Unternehmen, und Technologiepolitiken wie die Unterstützung von Pilotprojekten zur Abscheidung und Einlagerung von CO2, um die Chancen, Kosten und Risiken dieser neuartigen Option zu untersuchen. Gleichzeitig besteht noch Spielraum für Verbesserungen: So sollten etwa alle Sektoren, also auch der Transport- und Gebäudebereich, in das Europäische Emissionshandelssystem einbezogen werden. Es ist ein gutes Zeichen, daß nun auch China - vor dem Hintergrund seiner anläßlich der Konferenz von Kopenhagen erstmals veröffentlichten Klimaziele - die Einführung eines heimischen Emissionshandelssystems prüft. Die Verknüpfung solcher regionalen Systeme ist eine vielversprechende Option zur Minderung von Klimaschutzkosten16.
Eine effiziente Klimapolitik muß zudem alle Vermeidungsoptionen berücksichtigen, und zwar nicht nur im Energiesystem, sondern auch bei der Vermeidung der Entwaldung sowie von anderen Treibhausgasen neben CO2, wie etwa Lachgas und Methan. Die Grundlagen für ein Waldschutzabkommen wurden in Cancún auf den Weg gebracht, denn in der Vermeidung von Entwaldung werden besonders kostengünstige Vermeidungspotentiale erwartet. Dabei muß jedoch bedacht werden, daß durch die wachsende Nachfrage nach Bioenergie (etwa im Transportsektor) der Wert von Wald- und Agrarflächen in Zukunft wieder ansteigt, so daß die Kosten eines effektiven Schutzes der Regenwälder höher ausfallen könnten, als bisher erwartet wird.
Die Entwicklung klimafreundlicher Technologien ist für eine kostengünstige Lösung des Klimaproblems unabdingbar. Je schneller und billiger die Alternativen zu Kohle, Öl, Gas, Entwaldung und Treibhausgasen verfügbar sind, um so geringer die Klimaschutzkosten. Hierzu ist eine durchdachte Technologiepolitik notwendig, die den Emissionshandel ergänzt17. Indem eine gute Technologiepolitik die wirtschaftliche Abhängigkeit von der knappen Ressource Atmosphäre vermindert, reduziert sie zudem den Wert der global verfügbaren Emissionszertifikate. Dadurch steht bei den internationalen Verhandlungen um Emissionsrechte weniger auf dem Spiel. Eine gute Technologiepolitik dürfte daher ein entscheidender Beitrag für eine Beilegung des oben skizzierten Verteilungskonfliktes sein. Für eine Weltgesellschaft, die ausschließlich auf die Nutzung fossiler Energieträger angewiesen wäre, liefen die Klimaverhandlungen letztlich auf ein Nullsummenspiel hinaus: Das Kohlenstoffbudget, das einem Staat zugewiesen wird, steht einem anderen Staat nicht zur Verfügung. Werden jedoch neue technische Möglichkeiten freigesetzt, die ähnlich kostengünstig sind wie die fossilen Energieträger, wird das Problem leichter lösbar.
Positive Zusatzeffekte des Klimaschutzes, wie etwa saubere Luft und verringerte Energieimporte verringern die Nettokosten des Klimaschutzes. Solche positiven Zusatzeffekte müssen bei klimapolitisch relevanten Entscheidungen angemessen berücksichtigt werden. Interessanterweise treten solche Effekte typischerweise auf subnationaler Ebene auf, so daß auch politische Einheiten wie Bundesstaaten oder Kommunen einen Anreiz haben, sie zu implementieren. Die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat darauf hingewiesen, daß ein polyzentrischer Politikansatz, der die Nutzung solcher Potentiale koordiniert und ausnutzt, zu global relevanten Emissionsminderungen führen könnte18. Darüber hinausgehend ließe sich argumentieren, daß solche regionalen Anstrengungen die inländischen Kosten des Klimaschutzes aus der Sicht nationaler Politiker verringern, so daß diese ehrgeizigen internationalen Abkommen zustimmen können.
Schaffung zusätzlicher Anreize und die Androhung von Sanktionen
Die Theorie internationaler Umweltabkommen zeigt, daß die gezielte Verknüpfung von Verhandlungen über Emissionsverminderung etwa mit Themen der Entwicklungs- und Forschungszusammenarbeit oder mit finanziellen Kompensationszahlungen die Chancen der Kooperation auch zwischen eigennützigen Staaten verbessern kann19. Der Beitritt Rußlands zum Kyoto-Protokoll etwa wurde durch die Zusage der EU forciert, Rußland im Gegenzug bei seinen Bemühungen um einen WTO-Beitritt zu unterstützen. Mögliche künftige Optionen sind gemeinsame Forschungsabkommen sowie direkte Transfers von Geld, Technologien oder anderen Gütern. Das vielleicht greifbarste Ergebnis von Cancún besteht in der Zusage von finanziellen Transfers von Industriestaaten an die Entwicklungsländer in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar zwischen 2010 und 2012 und 100 Milliarden US- Dollar jährlich bis 2020. Eine von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon eingesetzte Beratergruppe, zu der etwa der Klimaökonom Nicholas Stern und der Investmentbanker George Soros gehörten, hat zahlreiche Vorschläge erarbeitet, wie solche Transfers mobilisiert und implementiert werden könnten20. In Cancún wurde auf dieser Grundlage beschlossen, einen "Green Climate Fund" zur Administration dieser Mittel einzuführen.
Sanktionsmechanismen wie etwa Handelszölle können ebenfalls die Kooperationschancen erhöhen. Diese Sanktionen verursachen allerdings auch bei den Staaten Kosten, die diese Maßnahmen androhen, so daß der Spielraum für glaubhafte Sanktionen begrenzt ist. 21 Darüber hinaus sind Sanktionen gegen andere Staaten nur durchsetzbar, wenn sie klimapolitisch motiviert sind und nicht als protektionistische Maßnahmen mit den WTO-Regeln in Konflikt geraten. Zum Beispiel könnten, um Wettbewerbsnachteile durch Emissionsreduktionen zu vermeiden, solche Zölle an den CO2-Anteil gehandelter Güter aus Regionen ohne CO2-Bepreisung gekoppelt werden (vorausgesetzt, die damit verbundenen praktischen Herausforderungen können gelöst werden). Die EU zum Beispiel würde so gewährleisten, daß die Emissionskosten aller hier konsumierten Güter in den Preisen der Endprodukte enthalten sind, auch wenn diese importiert werden. Dies sollte im Lichte des Gleichbehandlungsprinzips prinzipiell auch mit WTO-Regeln vereinbar sein22.
Die Rolle der Ethik und Reputation in den internationalen Beziehungen
Auch wenn in den internationalen Beziehungen andere Legitimationsgrundlagen gelten als in der Beziehung zwischen Rechtsstaaten und ihren Bürgern, heißt dies jedoch keineswegs, daß sich internationale Beziehungen der moralischen Beurteilung entziehen. Die Verhandlungsmacht von Staaten hängt in zunehmendem Maße auch von ihrer Reputation in der Weltöffentlichkeit ab. So ist in der Theorie internationaler Beziehungen ein Paradigmenwechsel zu beobachten, wie er sich analog seit geraumer Zeit in der modernen Ökonomik abzeichnet: Das restriktive Verhaltensmodell des "rationalen Egoisten" wird erweitert.
Es ist ein beinahe triviales Ergebnis der Theorie internationaler Umweltabkommen, daß ein gewisses Maß an Altruismus zu gesteigerten Anstrengungen bei Emissionsvermeidungen führt. Staaten können zudem auf diesem Weg zeigen, daß sie international glaubwürdige Verhandlungspartner sind, was sich für sie hinsichtlich verbesserter Kooperationschancen in anderen Politikfeldern auszahlen kann. Ein wichtiges Beispiel zum Aufbau von Reputation und Vertrauen im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen wird etwa die Einhaltung der oben diskutierten Finanztransfers seitens der Industrieländer sein. Die empirische Relevanz von Altruismus und Reputation beim Klimaschutz mag zwar angesichts der geringen Transferbereitschaft etwa in der Entwicklungshilfe skeptisch beurteilt werden. Aber auch über die Klimaverhandlungen hinaus wird eine intensive Diskussion darüber geführt, wie sich die Definition des nationalen Interesses unter den Bedingungen globaler Risiken erweitern läßt.
Jenseits von naiver Hoffnung und unbegründetem Zynismus
Klimaschutz als Versicherung gegen die Möglichkeit katastrophalen Klimawandels führt unweigerlich zu einer Umverteilung der Vermögen von Kohle-, Öl- und Gasbesitzern an die Besitzer von Emissionsrechten. Politische Konflikte sind angesichts der Verteilungs- und Kooperationsprobleme unvermeidbar. Naive Hoffnungen auf schnelle und einfache Lösungen werden daher wohl enttäuscht werden. Für einen aus Frustration erwachsenden Zynismus gibt es jedoch ebenfalls keinen Grund: Zahlreiche Weltregionen zeigen durchaus Bereitschaft, ihre Emissionen auch ohne ein internationales Klimaschutzabkommen zu reduzieren, so daß die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Klimawandels immerhin reduziert wird. Die Europäische Union hat ein bis 2020 gültiges Klimaschutzprogramm verabschiedet, das in die richtige Richtung weist. Selbst in den USA existieren vielversprechende subnationale Klimaschutzinitiativen. China hat sich immerhin zum ersten Mal auf klimapolitische Ziele festgelegt. Zweifellos ist die Klimapolitik ein geradezu hervorragendes Beispiel für das Webersche Diktum von der Notwendigkeit des "langsamen Bohrens harter Bretter".
Ähnliche Herausforderungen stellen sich in anderen Bereichen internationaler Politik, etwa bei der Koordination von Währungs- und Handelspolitiken. Wenn die Globalisierung gestaltet und nicht nur erlitten werden soll, dann müssen die Regierungen zu einem neuen Verständnis des nationalen Interesses finden und mit neuen Formen internationaler Kooperation jenseits nationalstaatlicher Grenzen experimentieren.