Das Friedenspotential der Kirchen

Diesen Mai findet in Kingston, der Hauptstadt von Jamaika, die "Internationale Ökumenische Friedenskonvokation" statt, welche die vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) ausgerufene "Dekade zur Überwindung von Gewalt" (2001 bis 2010) abschließen und der ÖRK-Vollversammlung 2013 in Busan/Südkorea neue Impulse geben soll. Die Dekade wurde im Jahr 2001 in Berlin eröffnet, um das Streben nach Frieden und Versöhnung "vom Rand in das Zentrum des Lebens und des Zeugnisses der Kirche" zu rücken.

Im ÖRK sind protestantische und orthodoxe Kirchen aus über 110 Ländern zusammengeschlossen (die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, kooperiert aber in einer "Gemeinsamen Arbeitsgruppe"), und deren Einsatz für eine Friedenskultur ist offenbar recht unterschiedlich ausgeprägt; in manchen Regionen nahm man auch von der Dekade kaum Notiz. Die Kirchen sollten nun Formen von direkter und struktureller Gewalt analysieren, Möglichkeiten einer Spiritualität aktiver Gewaltlosigkeit und Versöhnung erkunden, über ihre zahlreichen, oft verborgenen Friedensinitiativen mehr voneinander erfahren und so das Bewußtsein für ihre Friedensverantwortung schärfen. Die Erklärung von Kingston will auch den fundamentalen Pazifismus der Friedenskirchen (Mennoniten, Quäker) und die mißverständliche, nicht mehr befriedigende Lehre vom gerechten Krieg durch eine Ethik rechtserhaltender Gewalt, zumal im Rahmen der Vereinten Nationen, miteinander in Einklang bringen. Die Leitvorstellung bildet die Vision eines "gerechten Friedens".

Damit kann der ÖRK die katholische Kirche vorbehaltlos an seiner Seite wissen. Die Zielperspektive "Gerechter Friede" ist dieser wohlvertraut. Sowohl die Enzyklika "Pacem in terris" (1963) Papst Johannes’ XXIII. als auch das Zweite Vatikanische Konzil warben mit einem positiven Friedensbegriff für eine Politik, die Kriegen vorbeugt und militärische Friedenssicherung nur als "ultima ratio" und im Rahmen einer umfassenden Friedensförderung akzeptiert. Ein Hirtenwort der deutschen Bischöfe hat diese Überlegungen unter dem Leitwort "Gerechter Friede" (2000) weitergeführt, und auf der gleichen Linie argumentiert die EKD-Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" (2007).

Doch was können die Kirchen überhaupt für den Frieden tun, und wie läßt sich ihr Friedenspotential stärken? Angesichts der unzähligen Kriegs- und Gewaltopfer, die im vergangenen Jahrzehnt zu beklagen sind, erscheinen sie wie ohnmächtig. Doch wenn es nach Einschätzung von Fachleuten im Jahr 2010 weltweit neben sechs Kriegen, 22 hoch gewalttätigen Konflikten und 126 Krisen mit sporadisch angewandter Gewalt auch 209 gewaltfrei ausgetragene Konflikte gab, hat die Gewaltprävention und damit auch ein nachhaltiges Friedensengagement der Kirchen keine geringen Chancen. Zwischen den Kirchen bildet sich allmählich ein Konsens über realistische kleine Schritte heraus. Diese stimmen weitestgehend mit Leitlinien der säkularen Friedens- und Konfliktforschung überein.

Demnach können die Kirchen in Europa im Gespräch mit anderen gesellschaftlichen Kräften, mit Parteien und Regierungen durch Stellungnahmen, Vorschläge und Denkschriften ethisch begründete Impulse für eine gewaltpräventive Entwicklungs-, Menschenrechts- und Friedenspolitik geben und - da diese Geld, Personal und Organisation erfordert - für Rückhalt in der Bevölkerung werben. So haben sie schon früh auf eine gerechte Entwicklung als Voraussetzung für Frieden hingewiesen (Papst Paul VI.: "Entwicklung ist der neue Name für Frieden"). Sie können Rüstungsexporte in Konfliktregionen beanstanden, Menschenrechte einklagen und mit der Idee eines "Weltgemeinwohls" den Aufbau einer internationalen Rechtsordnung unterstützen. Schließlich glauben sie ja an die Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott und bilden länder- und ethnienverbindende Gemeinschaften. Kirchen können auch innerstaatlich für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung eintreten. Und in Regionen mit überwiegend nichtchristlicher Bevölkerung? Da können sie sich um einen interreligiösen Dialog bemühen, der einmal zu einer spirituell je spezifisch begründeten Selbstverpflichtung auf Gewaltlosigkeit und Menschenrechte führt.

Die Kirchen können auch eigene Initiativen zur Vermittlung ergreifen - wie es etwa die Gemeinschaft Sant’Egidio bei der Beendigung des Bürgerkriegs in Mosambik (1992) vorgemacht hat. Christliche Friedensdienste und kirchliche Sozialzentren leiten in vielen Ländern zur zivilen Bearbeitung von lokalen und regionalen Konflikten an - eine wichtige Strategie, sind doch seit dem Ende des Ost-West-Konflikts die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen Bürgerkriege. Kirchen beteiligen sich auch an Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, um nach Diktaturen und Bürgerkriegen einen Neuanfang zu erleichtern - so wie nach 1945 "Pax Christi" die Aussöhnung zwischen Franzosen, Polen und Deutschen gefördert hat.

Gewiß, die jährlichen Papstbotschaften zum Welttag des Friedens (1. Januar) sind keine Massenblattlektüre, und das Thema Friede ist weder für die Religionspädagogik noch für die kirchliche Erwachsenenbildung eine leichte Kost, verlangt es doch mehr Nachdenken über komplexe Zusammenhänge als ein wohlfeiler Gefühlspazifismus. Niemand hat ein Patentrezept, wie man Friedensarbeit von einem Anliegen von Experten und wenigen Engagierten zu einer Herzensangelegenheit ganzer Gemeinden machen kann. Trotzdem lohnt es sich, mit langem Atem die Ansprechbaren anzusprechen und ihren Kreis zu erweitern. Denn mit ihrem Einsatz für einen gerechten Frieden haben die Kirchen als transnationale Gemeinschaften einen wichtigen Beitrag zu einer gelingenden Globalisierung zu leisten, der im Evangelium wurzelt und auch von Nichtchristen als gesellschaftsrelevant und modern wahrgenommen wird.

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