Das letzte Konsistorium (20./21. November 2010) mit der Kreation neuer Kardinäle läßt erneut die Frage nach dem Verhältnis von Kardinalat und Episkopat im Rahmen der kirchlichen Verfassung stellen. Während das Bischofsamt eine altkirchliche Institution ist, hat das Kardinalat seinen Ursprung im Mittelalter.
Die Entstehung des Kardinalskollegiums
Von den großen Veränderungen, die sich im 11. und 12. Jahrhundert innerhalb der Kirche vollzogen haben, war auch die Institution der römischen Kardinäle betroffen. Man kann deshalb von der Entstehung des Kardinalskollegiums in dieser Zeit sprechen1. Die Bezeichnung "cardinalis" stand ursprünglich mit "incardinare" in Verbindung und wurde den Klerikern beigelegt, die an einer fremden Kirche, für die sie nicht geweiht waren, Dienst taten2.
Der Personenkreis, aus dem sich das Kardinalskollegium herausbildete, bestand aus drei Gruppen von Klerikern: Die erste Gruppe waren die sieben sogenannten Lateranensischen Bischöfe, Inhaber Rom benachbarter Bistümer. Diese verrichteten als Hebdomadare abwechselnd den liturgischen Wochendienst an der römischen Hauptkirche, der Lateranbasilika3. Die zweite Gruppe waren die 28 Kardinalpriester, die den römischen Titelkirchen vorstanden und abwechselnd zu je sieben die gottesdienstlichen Aufgaben an den vier Patriarchalbasiliken St. Peter, St. Paul, Santa Maria Maggiore und San Lorenzo vor den Mauern besorgten4. Mit diesen Aufgaben hängt wohl die Übernahme des Begriffes "cardinalis" als "episcopi cardinales" und "presbyteri cardinales" (an einer fremden Kirche Dienst tun) zusammen. Die dritte Gruppe bestand aus den sieben Pfalzdiakonen und den zwölf Regionardiakonen der Stadt Rom5.
Die Aufgabe der römischen Kardinäle war bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts vornehmlich eine liturgische. Zu den liturgischen Obliegenheiten der Kardinäle gehörte auch die Assistenz bei den päpstlichen Gottesdiensten. Im 11. Jahrhundert, unter dem Pontifikat Papst Leos IX. (1049-1054), zeichnet sich eine Neuordnung der Kardinäle ab6. Mehrere Lateranensische Bistümer wurden mit Männern der Reform (zum Teil Nichtitaliener) besetzt. Diese Männer des neuen Reformkurses aber wurden nicht zu liturgischen Diensten nach Rom berufen. Sie wurden zu Hauptstützen des Papsttums in der Leitung der Gesamtkirche und zu Helfern bei der Durchführung der Reform. Zu nennen sind hier etwa Petrus Damiani und Humbert von Silva Candida. Im Papstwahldekret Nikolaus' II. von 1059 wurde die Papstwahl in erster Linie in die Hände der Kardinalbischöfe gelegt, die als quasi metropolitane Instanz (der römische Bischof hatte ja keinen Metropoliten über sich) bei der Wahl des römischen Bischofs galten7. Der Kreis der Kardinalpresbyter strebte danach, es in der kirchenpolitischen Stellung den Kardinalbischöfen gleich zu tun. Mit einer gewissen Phasenverschiebung gelang ihnen das auch8. Als letztem gelang es dem Ordo der Kardinaldiakone, in den Senat des Papstes aufzusteigen. Sie bildeten nun zusammen mit den Kardinalbischöfen und Kardinalpresbytern das eine Kardinalskollegium9.
Dieser Prozeß, bei dem sich die drei Gruppen der am Gottesdienst beteiligten Kleriker zum Kardinalskollegium als einem Instrument der Kirchenregierung umgebildet haben, war um 1100 im wesentlichen abgeschlossen. Bereits Petrus Damiani († 1072) hatte geschrieben, die römische Kurie müsse die alte Kurie der Römer nachahmen. Dabei verglich er die Kardinäle mit dem römischen Senat10.
Ausgestaltung des Kardinalskollegiums im Hoch- und Spätmittelalter
In der Folgezeit entwickelte sich das Kollegium der Kardinäle in vielfacher Hinsicht weiter11. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts an waren die Kardinäle (nicht nur die Kardinalbischöfe) die ausschließlichen Papstwähler. Aus der Tätigkeit der Kardinäle als Mitarbeiter der Päpste entwickelte sich das Konsistorium. Alle wichtigeren Fragen der Kurie wurden im Konsistorium behandelt und entschieden. "De fratrum nostrorum consilio" lautete eine stereotype Formel für die Entscheidungen der Päpste. Die Kardinäle nahmen auch teil an der Entscheidung von Glaubensfragen, so in dem Verfahren gegen Peter Abaelard. Die Unterschriften der Kardinäle in den Papsturkunden neben der des Papstes wurden zu einer feststehenden Größe. Aus den römischen Synoden, die seit dem 11. Jahrhundert an Bedeutung gewannen, entstanden die allgemeinen (päpstlichen) Konzilien des Hochmittelalters. Da diese nicht so oft zusammentreten konnten, trat in die Lücke das Kardinalskollegium. Es wurde sozusagen zu einer Synode im Kleinen. Die Kardinäle übernahmen auch wichtige politische Missionen als päpstliche Legaten, und an die Spitze kurialer Behörden trat zeitweilig oder für immer ein Kardinal.
Die zunehmende Bedeutung der Kardinäle brachte es mit sich, daß sich gegen Ende des 12. Jahrhunderts in der hierarchischen Wertskala das Kardinalat über den Episkopat erhoben hat. Bis zur Zeit Alexanders III. (1159-1181) war das Amt eines Bischofs mit dem eines Kardinalpriesters oder Kardinaldiakons nicht zu vereinbaren. Die Kardinäle, die ein Bistum übernahmen, mußten aus dem Kollegium ausscheiden - ein Zeichen, daß das Bischofsamt noch einen höheren Rang als das Kardinalat einnahm12. Seit den 60er und 70er Jahren des 12. Jahrhunderts wurden auch auswärtige Bischöfe zu Kardinalpriestern ernannt. Dem Kardinalat wurde nun der höhere hierarchische Stellenwert zugeschrieben. Allerdings hatten die Kardinäle seit dem beginnenden 13. Jahrhundert für längere Zeit ausschließlich die Stellung von Kurienkardinälen. Nur so konnten sie an der kurialen Verwaltung teilnehmen. Erst vom Spätmittelalter an findet sich wieder die Übung, daß einzelne auswärtige Bischöfe zu Mitgliedern des Kardinalskollegiums ernannt wurden.
Das Kardinalskollegium suchte im Laufe seiner mittelalterlichen Entwicklung in zunehmendem Maße seine Machtposition auszuweiten und in entscheidender Weise an der Regierung der Kirche mitbeteiligt zu werden.
Theorien über die ekklesiologische Stellung der Kardinäle
Von Kanonisten wurde im ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhundert der Begriff der "Romana ecclesia" bereits korporativ verstanden als Gemeinschaft von Papst und Kardinälen. Hostiensis († 1271), einer der bedeutendsten Kanonisten des Mittelalters, lehrt, die plenitudo potestatis, also die päpstliche Vollgewalt, komme nicht allein dem Papst zu, sondern die Kardinäle hätten an ihr Anteil13.
Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts finden wir die Aussage, die Kardinäle gingen auf göttliche Einsetzung zurück, sie seien Nachfolger der Apostel. Nikolaus von Kues entwirft eine eigenständige Konzeption. Nach ihm sollen die Kardinäle von den Erzbischöfen gewählt werden als Vertreter der einzelnen Provinzen beim Papst. Das Kardinalskollegium wäre danach eine ständige Vertretung der Lokalkirchen, sozusagen ein dauerndes Konzil im Kleinen14.
Der Rückgang der Bedeutung des Kardinalskollegiums in Praxis und Theorie
Nach einer Phase der äußersten Schwäche, bedingt durch das große Abendländische Schisma (14./15. Jh.) und den Konziliarismus, konnte das Papsttum seit der Mitte des 15. Jahrhunderts seine Stellung wesentlich festigen. Die Ansprüche des Kardinalskollegiums wurden zurückgedrängt, und die Kardinäle wurden mehr und mehr in die Verweltlichung des Renaissance-Papsttums hineingezogen15. Bischof Teodoro de Lelli stellt um die Mitte des 15. Jahrhunderts fest, die Kardinäle seien nicht Nachfolger der Apostel, sondern eine Schöpfung des Apostolischen Stuhles16. Das Kardinalskollegium als hierarchische Institution hatte seinen Zenit überschritten.
Sixtus V. vollendete die Herabstufung des Kardinalskollegiums, indem er am 22. Januar 1588 ein System von 15 Kongregationen für die päpstliche Verwaltung schuf17. Die Kardinäle waren künftig an der Regierung der Gesamtkirche nicht mehr als korporative Institution beteiligt, sondern als Beamte im Auftrag des Papstes. Ihre Zahl wurde nun auf 70 erhöht18. Das Konsistorium, einst Ort der großen kirchlichen und politischen Entscheidungen, wurde seit dem 16. Jahrhundert fast nur noch zu einer Formalität. Die wichtigste Aufgabe, die dem Kardinalskollegium als Korporation noch verblieb, war die Papstwahl.
Kardinalat und Bischofsamt in der Neuzeit
Die drei Ordines des Kardinalskollegiums - Kardinalbischöfe, Kardinalpriester und Kardinaldiakone - hatten in der Neuzeit eigene Entwicklungen. Die Kardinalbischöfe, also die Inhaber der sieben suburbikarischen Bistümer, waren sogenannte Kurienkardinäle. Die Kardinalpriester waren teils an der römischen Kurie oder in deren Diensten beschäftigt, teils waren sie Inhaber auswärtiger Bistümer, während die Kardinaldiakone ebenfalls an der Kurie weilten. Der Kardinalbischof von Ostia erhielt die Stellung des Dekans des Kardinalskollegiums. Seit 1900 ist Ostia mit einem anderen Kardinalbistum verbunden, so daß sich die Zahl der Kardinalbischöfe auf sechs verringerte19.
Die Kardinalpriester hatten teils die Bischofsweihe empfangen, sofern sie Bischöfe auswärtiger Bistümer waren, teils waren sie nur Priester. Verschiedene Päpste der Neuzeit, die als Kardinalpriester zum Papst gewählt wurden, mußten nach ihrer Wahl erst noch zum Bischof geweiht werden, so Clemens VIII. (1592), Clemens XI. (1700), Clemens XIV. (1769), Pius VI. (1775), Gregor XVI. (1831)20. Es gab auch Fälle, daß Inhaber auswärtiger Bistümer sich meist in Rom aufhielten.
Die Kardinaldiakone hatten die Diakonats- oder die Priesterweihe empfangen. Giacomo Antonelli, Kardinaldiakon und Staatssekretär unter Pius IX., war nur geweihter Diakon21. Kardinaldiakone mit Priesterweihe waren - um einige bekannte Namen zu nennen - die von Leo XIII. erhobenen John Henry Newman, Oratorianer, und Joseph Hergenröther, vorher Professor für Kirchengeschichte an der Universität Würzburg. Von Pius XI. wurden 1922 Franz Ehrle SJ, lange Jahre Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, und 1936 Giovanni Mercati, ebenfalls Präfekt der Vaticana, zum Kardinaldiakon ernannt.
Kuriale Dienste und Bischofsamt
Auf dem Konzil von Trient gab es Bestrebungen, die Titularbischöfe ganz abzuschaffen. Der Eichstätter Weihbischof Leonhard Haller rettete mit einer vielbeachteten Rede die Ehre der Weihbischöfe. Das Konzil verzichtete schließlich auf einen Kanon22. Zahlreiche Weihbischöfe gab es in der Neuzeit vor allem in Deutschland, Polen und Spanien. Mit der Zunahme der Missionsgebiete wuchs die Zahl der dortigen Titularbischöfe23. Im Deutschen Reich waren die Weihbischöfe notwendig, da die Reichsbischöfe als Fürsten kaum bischöfliche Funktionen ausübten. Daher nahm auch die Zahl der deutschen Weihbischöfe nach der Säkularisation deutlich ab24. Die Inflation der Weihbischöfe ist erst eine Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Während die Titular(erz)bistümer früher "episcopi in partibus infidelium" (d. h. in früheren christlichen, aber dem Christentum verloren gegangenen Gebieten) hießen, wurde ihr Name umgewandelt in "episcopi titulares"25. Es werden nämlich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche italienische Bistümer, die mit anderen zusammengelegt worden waren, zu Titular(erz)bistümern gemacht, wie etwa Aquileia, Volturno, Cerveteri. Es wäre aber eine Beleidigung der Italiener, diese Titularbistümer "in partibus infidelium", d. h. "im Gebiet der Ungläubigen" zu nennen.
Zunehmend werden, vor allem seit dem 19. Jahrhundert, Beamte der römischen Kurie zu Titularbischöfen geweiht26. Zu ihnen gehören unter anderem die päpstlichen Nuntien, die Sekretäre der kurialen Kongregationen und der Päpstlichen Räte, der Sekretär der Signatur (Gerichtshof), der Dekan der Rota, der Auditor der Apostolischen Kammer, der Sekretär der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhles, der Präfekt und der Sekretär der ökonomischen Angelegenheiten des Apostolischen Stuhles, der Präfekt der Casa Pontificia, der Präfekt des Vatikanischen Archivs, der Delegat für die Verwaltung von St. Peter (Fabrica), der Präsident des päpstlichen Arbeitsamtes27.
Unter Pius XI. und Pius XII. läßt sich eine große Zurückhaltung in der Ernennung von kurialen Titularbischöfen feststellen. Alfredo Ottaviani wurde 1929 Substitut im Staatssekretariat, 1935 Assessor und 1953 Pro-Sekretär des Hl. Offiziums. 1953 wurde er Kardinaldiakon, 1959 bis 1968 Präfekt des Hl. Offiziums (der heutigen Glaubenskongregation), und erst 1962 wurde er zum Titularbischof geweiht. Er war also Substitut im Staatssekretariat und Chef des Hl. Offiziums, ohne Bischof zu sein. Giovanni B. Montini (später Paul VI.), seit 1924 im Staatssekretariat, wurde 1937 Substitut. Da Pius XII. nach dem Tod Kardinal Luigi Magliones 1944 keinen Staatssekretär mehr ernannte, wurde Montini zusammen mit Domenico Tardini 1952 Pro-Staatssekretär. Erst 1954 wurde er nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Mailand zum Bischof geweiht.
Unter Johannes XXIII., dem sonst so verdienstvollen Papst, setzte eine neue Praxis ein. Am 11. April 1962 verfügte er, daß die suburbikarischen Bistümer künftig von residierenden Bischöfen geleitet werden und die sechs Kardinalbischöfe nur noch Titulare dieser Bistümer sind28. Am 15. April 1962 bestimmte er, daß alle Kardinäle die Bischofsweihe besitzen sollen29. Diese Regelung erfolgte wegen Präzedenz-Schwierigkeiten im Hinblick auf das bevorstehende Konzil. Die unierten Patriarchen erhoben nämlich Einspruch, da die Kardinäle ohne Bischofsweihe die Präzedenz vor ihnen besaßen. Johannes XXIII. weihte nun am 19. April 1962 alle zwölf Kardinaldiakone, unter ihnen auch Ottaviani, zu Bischöfen30. Dabei erhielten sie zum Zweck der Bischofsweihe ein Titularbistum, das sie aber danach sogleich wieder verloren, da die Kardinäle kein Titularbistum haben31. (Eine Ausnahme bilden die sechs Kardinalbischöfe.) Ein Beispiel aus dem gegenwärtigen Kardinalskollegium sei erwähnt: Giovanni Lajolo war Titularbischof von Cesariana mit dem persönlichen Titel eines Erzbischofs. Am 24. November 2007 wurde er zum Kardinal kreiert. Bereits am 15. Januar 2008 wurde das Titularbistum einem neuen Inhaber verliehen.
Paul VI. nahm in Februar 1965 die Mehrzahl der unierten orientalischen Patriarchen ins Kardinalskollegium auf. Diesen wurde die Annahme der Kardinalswürde dadurch erleichtert, daß sie ihren Patriarchensitz behalten dürfen, der Rangklasse der Kardinalbischöfe zugerechnet werden und nicht zum römischen Stadtklerus gehören. Sie führen nicht den Titel "Kardinal der Heiligen Römischen Kirche" (Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalis), sondern heißen einfach "Kardinal der Heiligen Kirche" (Sanctae Ecclesiae Cardinalis).
Eine weitreichende Neuerung veranlaßte Paul VI. am 21. November 1970. Er verfügte, daß die Kardinäle mit Vollendung des 80. Lebensjahres das aktive Papstwahlrecht verlieren32. Damit wurde das letzte wichtige Korporationsrecht der Kardinäle als Kollegium angetastet. Seit 1. Januar 1971 ist nicht mehr das Kardinalskollegium das Gremium für die Papstwahl, sondern nur noch ein Teil, nämlich diejenigen, die das 80. Lebensjahr noch nicht überschritten haben.
Paul VI. machte auch den Anfang mit einer neuen Übung. Er nahm einige verdiente Priester ins Kardinalskollegium (Kardinaldiakone) auf. So wurde Carlo Bevilacqua 1965 84jährig Kardinal, blieb aber in seiner Pfarrei in Brescia, ebenfalls 1965 Charles Journet, Theologieprofessor am Priesterseminar in Fribourg (Schweiz), der gleichfalls seine Stellung beibehielt, und 1969 den Jesuiten Jean Daniélou. Die nachfolgenden Päpste behielten diese Praxis bei. Johannes Paul II. nahm 1983 den Theologen Henri de Lubac SJ († 1991), 1988 den Theologen Hans Urs von Balthasar († 1988), 1991 den Jesuiten Paolo Dezza († 1999), 1994 den Dominikanertheologen Yves Congar († 1995) und den Jesuitentheologen Alois Grillmeier († 1998), 2001 die Theologieprofessoren Leo Scheffczyk († 2005) und Avery Dulles SJ († 2008) sowie Roberto Tucci SJ und 2003 Tomás Spidlik SJ († 2010) ins Kardinalskollegium auf. Benedikt XVI. ernannte 2007 Urbano Navarrete SJ († 2010) zum Kardinal. Von all den Genannten ließ sich nur Daniélou zum Bischof weihen. Die anderen ließen sich vom Empfang der Bischofsweihe dispensieren.
Beim letzten Konsistorium am 20. November 2010 ernannte Benedikt XVI. wiederum zwei Priester zu Kardinälen, die beide kein Papstwahlrecht mehr besitzen. Einer von ihnen ließ sich noch zum Bischof weihen und wurde zum Zweck der Bischofsweihe für einige Tage zum Titularerzbischof von Caesarea in Mauretania ernannt.
Das Problem der Titularbischöfe
Während das Konzil von Trient keine umfassende theologische Bestimmung des Bischofsamtes gab33, befaßte sich das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution "Lumen gentium" und im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche ausführlich damit34. Das Konzil beschreibt das Bischofsamt als sakramentales Amt. Die Bischöfe sind als Hirten ausgewählt, die Herde des Herrn zu weiden; sie sind Diener Christi und Ausspender der Geheimnisse Gottes. Ihnen ist die Fülle des Weihesakramentes übertragen (LG 21). Das Bischofskollegium ist an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten (LG 19-22) und hat die Aufgabe, als Lehrer, Priester und Hirten der Kirche zu dienen (LG 25-27).
Die Weihbischöfe, die einer Diözese zugeordnet sind, nehmen in gewisser Weise an der Hirtenaufgabe des Diözesanbischofs teil. Sie sind in den großen Diözesen oftmals für bestimmte Teile der Diözese zuständig. Der Diözesanbischof ist dann quasi ein Metropolit, und die Weihbischöfe sind quasi seine Suffragane. Die Stellung eines Bischofs als Hirte einer Diözese wird als Fiktion insofern noch aufrecht erhalten, als es keine absolute Bischofsweihe gibt. Den Titularbischöfen wird bei der Weihe ein nicht mehr existierendes Bistum als Titel zugewiesen, in dem sie allerdings nichts zu sagen haben. Die Kardinäle haben, sofern sie nicht Residentialbischöfe sind, kein Titularbistum. Eine Ausnahme bilden die sechs suburbikarischen Bischöfe.
Die Titularbischöfe, die als Beamte in der römischen Kurie tätig sind, sind reine "Bürobischöfe", die keinerlei Hirtenaufgabe zu erfüllen haben. Während etwa im staatlichen Bereich ein Oberregierungsrat zum Regierungsdirektor befördert wird, wird ein Beamter in der vatikanischen Karriere zum Titularbischof geweiht. Kardinal Josef Frings kritisierte in einer viel beachteten Rede am 8. November 1963 auf dem Zweiten Vatikanum Mißstände der römischen Kurie in scharfer Weise:
"Ein weiterer Vorschlag hinsichtlich der Erneuerung der Beziehungen zwischen dem Episkopat und der römischen Kurie ist, wie mir scheint, daß die Zahl der an der Kurie sich aufhaltenden Bischöfe vermindert wird. Niemand werde zum Bischof geweiht, nur damit seine Person oder sein Amt aufgewertet wird. Das Bischofsamt ist ein Amt, keine Ehre bzw. kein Glanz, der einem anderen Amt hinzuzufügen ist. Wer zum Bischof geweiht wird, soll auch Bischof sein und nichts anderes."35
Bemerkenswert ist, daß Joseph Ratzinger, damals Professor in Bonn und dann in Münster, als Konzilstheologe von Kardinal Frings diesem mit Entwürfen zu seinen Reden zugearbeitet hat, so auch zu dieser Rede36.
Was hat das sakramentale Bischofsamt mit den administrativen Funktionen von Beamten zu tun? Gilt hier nicht die Forderung von Kardinal Frings, "niemand werde zum Bischof geweiht, nur damit seine Person oder sein Amt aufgewertet wird", und: "Wer zum Bischof geweiht wird, soll auch Bischof sein und nichts anderes"? Bedeutet die neue Entwicklung nicht einen Rückschritt hinter die Situation unter Pius XI. und Pius XII.?
Zu dem möglichen Einwand, die reinen Titularbischöfe ohne pastorale Hirtenaufgaben gehörten zum Bischofskollegium, ist zu sagen, daß das Bischofskollegium nicht ein abstraktes Gebilde der Beliebigkeit ist. Die Bischöfe als Mitglieder des Bischofskollegiums repräsentieren ihre lokalen Kirchen. So heißt es in Lumen gentium 23:
"Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen. Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche. Daher stellen die Einzelbischöfe je ihre Kirche, alle zusammen aber in Einheit mit dem Papst die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit dar."
Und Lumen gentium 27 sagt: "Die Bischöfe leiten die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi." Joseph Ratzinger schreibt in seinem Buch "Das neue Volk Gottes":
"Der Begriff der Kollegialität darf also einerseits nicht in einem profan-juristischen Sinn verstanden, aber noch weniger in die Bedeutungslosigkeit einer bloßen Floskel abgedrängt werden. Er drückt eine spezifische Rechtsstruktur der Kirche aus, die in der Kommuniongemeinschaft der einzelnen Kirchen und so aus der einträchtigen Vielheit der diese Kirchen repräsentierenden Bischöfe lebt."37
Ein Labyrinth von Anachronismen, Fiktionen, Konstruktionen und Ungereimtheiten
Die geschichtliche Entwicklung zeigt in den obersten Rängen der kirchlichen Verfassung einen Flickenteppich mit Fiktionen, Konstruktionen und auch Ungereimtheiten. Daß ein und dasselbe Bistum einem residierenden Bischof und zu gleicher Zeit einem Titularbischof verliehen wird, findet sich bei den sechs suburbikarischen Kardinalbischöfen. Aber dies ist auch der Fall bei den ehemaligen italienischen Bistümern, die nun als Titularbistümer vergeben werden, obwohl sie durch die Zusammenlegung mehrerer Bistümer einem Residentialbischof unterstehen. Daß die Titularbischöfe den Titel eines Bistums innehaben, obwohl das Bistum überhaupt nicht mehr existiert und sie auch keinerlei Hirtenaufgaben zu erfüllen haben, ist eine reine Fiktion. Die Titelkirchen und Titeldiakonien der Kardinäle sind ein historisches Relikt, das mitgeschleppt wird und im Grunde ein Anachronismus ist.
Daß die Kardinäle durch ihre Titelkirchen in besonderer Weise mit der Stadt Rom verbunden seien, ist eine Scheinrealität. Im CIC/1983, Can. 357 § 1, heißt es:
"Die Kardinäle, denen eine suburbikarische Kirche oder eine Kirche in der Stadt Rom als Titel zugewiesen ist, sollen, nachdem sie hiervon Besitz ergriffen haben, das Wohl dieser Diözesen und Kirchen mit Rat und Schirmherrschaft fördern."
Das ist eine elegante Umschreibung dafür, daß die Kardinäle, die wirtschaftlich dazu in der Lage sind, finanzielle Beiträge zum Unterhalt dieser Kirchen leisten sollen. Der Kanon fährt dann aber fort:
"Sie haben aber hierüber keinerlei Leitungsgewalt, und sie haben sich in keiner Weise in die Angelegenheiten einzumischen, die sich auf deren Vermögensverwaltung, Disziplin und kirchlichen Dienst beziehen."
Es ist also nicht richtig, wenn ein Kardinal sagt: "Ich bin nun Pfarrer in Rom."
Bei den obersten Beratungsgremien des Papstes könnte man sich eine genauere sachliche Koordination vorstellen. Nachdem Can. 349 die Kardinäle als Papstwähler erwähnt hat, fährt er fort: "ferner stehen die Kardinäle dem Papst zur Seite, und zwar entweder durch kollegiales Handeln, wenn sie zur Behandlung wichtiger Fragen zusammengerufen werden, oder als einzelne in Ausübung verschiedener Ämter." In Can. 353 § 1 heißt es:
"Die Kardinäle helfen dem obersten Hirten der Kirche auf kollegiale Weise hauptsächlich in den Konsistorien, zu denen sie sich auf Anordnung des Papstes und unter seinem Vorsitz versammeln "
Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die alten Konsistorien vor Sixtus V. nicht nur reine Beratungsgremien waren, sondern daß sie zum Teil auch mit entschieden haben. Dies ist auch in mittelalterlichen Papsturkunden ersichtlich, die nicht nur vom Papst, sondern auch von den Kardinälen unterschrieben wurden. Von den Bischöfen heißt es in Can. 334:
"Bei der Ausübung seines Amtes stehen dem Papst die Bischöfe zur Seite, die mit ihm auf verschiedene Weise zusammenarbeiten können, wozu die Bischofssynode zählt. Hilfe bieten ihm außerdem die Kardinäle sowie andere Personen und ebenso verschiedene, den Zeiterfordernissen entsprechende Einrichtungen …".
Von der Bischofssynode sagt Can. 342:
"Die Bischofssynode ist eine Versammlung von Bischöfen, die aus den verschiedenen Gegenden der Erde ausgewählt, zu bestimmten Zeiten zusammenkommen, um die enge Verbundenheit zwischen Papst und Bischöfen zu fördern und um dem Papst bei Bewahrung und Wachstum von Glaube und Sitte, bei Wahrung und Festigung der kirchlichen Disziplin mit ihrem Rat hilfreich beizustehen und um Fragen bezüglich des Wirkens der Kirche in der Welt zu beraten."
Man sieht also, wie in zahlreichen Fällen Institutionen, die das Kardinalskollegium und die Bischöfe betreffen und die aus verschiedenen historischen Zeiträumen stammen, als Fiktionen weitergeschleppt und nebeneinander gestellt werden, ohne auf eine innere Zuordnung und rechtlich präzise Koordination, die den historischen Entwicklungen gerecht werden, zu achten. Das Kardinalskollegium etwa ist eine sehr alte, tausendjährige Einrichtung. Seine Strukturen sind heute zum Teil überholt. Die nähere Umschreibung des Bischofskollegiums als kollegiales Organ erfolgte dagegen auf dem Zweiten Vatikanum; die Bischofssynode ist ebenfalls aus dem letzten Konzil hervorgegangen.
Wäre es nicht angemessen, in dem Labyrinth von Anachronismen, Fiktionen, Konstruktionen und Ungereimtheiten Ordnung zu schaffen und Strukturen der hierarchischen Institutionen zu entwickeln, die den heutigen Verhältnissen angepaßt sind?