Die UN-Erklärung über die Menschenrechte der indigenen VölkerTheoretische und praktische Aspekte

Stefan Krotz, Professor für Anthropologie an der Universität von Merida (Yucatan, Mexiko), beschreibt die über ein Vierteljahrhundert dauernde Verhandlungsgeschichte, die 2007 durch die Verabschiedung der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker ihren Abschluß gefunden hat. Dieser Vorgang gewährleistet den indigenen Völkern einen angemessenen völkerrechtlichen Status und bedeutet eine formelle Weiterentwicklung der Idee der Menschenrechte.

Die nach über einem Vierteljahrhundert komplizierter Verhandlungen im September 2007 verabschiedete Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker hat diese Völker in vielen Ländern und auch international sichtbarer gemacht und kann ein wichtiges Instrument zur Verbesserung ihrer meist ziemlich problematischen Lage werden. Gleichzeitig bedeutet sie eine substantielle theoretische Weiterentwicklung der modernen Idee der Menschenrechte.

Was sind "indigene Völker"?

Wenn heute von "Völkern" die Rede ist, dann geht es dabei fast immer nur um "Nationen" im Sinne der Bevölkerungen moderner Nationalstaaten. Damit wird jedoch einerseits letzteren eine inexistente soziokulturelle Homogenität zugeschrieben und anderseits die Existenz der meisten heute lebenden Völker negiert, insbesondere jener, deren Vorfahren in den asiatischen, afrikanischen und ozeanischen Kolonien und in den Anfang des vorletzten Jahrhunderts politisch unabhängig gewordenen Ländern Lateinamerikas lebten. Diese Völker fanden sich im damals allgemein akzeptierten Entwicklungsschema den nordatlantischen und den aus den nordatlantischen Ländern eingewanderten "Zivilisierten" als "Wilde", "Barbaren" oder "Primitive" gegenüber, die kulturell, sprachlich, religiös, rechtlich und politisch irgendwie und soweit möglich "entwickelt" werden sollten.

Diese abwertende Begrifflichkeit änderte sich im 20. Jahrhundert nur langsam1. Auch die politische Unabhängigkeit der meisten europäischen Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg modifizierte dieses Bild kaum, da die neuen Länder ja nach dem Vorbild der nordatlantischen Nationalstaaten organisiert (genauso wie die eineinhalb Jahrhunderte zuvor gegründeten lateinamerikanischen Republiken) und dementsprechend ihre Bevölkerungen üblicherweise als einheitliche, jeweils einem Staat zugehörige "Nationen" wahrgenommen wurden.

Im Übereinkommen 107 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) "über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen" von 1957 ist erstmals eine völkerrechtlich relevante Definition dessen enthalten, was heute generell unter "indigenen Völkern" verstanden wird, wobei "Maßnahmen zum Schutze der genannten Bevölkerungsgruppen und zu ihrer schrittweisen Eingliederung in die nationale Gemeinschaft"2 gefordert werden. Die paternalistische Behandlung der Indigenen durch die Nicht-Indigenen entsprach ganz dem in den Nachkriegsjahren aufkommenden Desarrollismus und seinem Verständnis von "Entwicklung" als eines hauptsächlich technologisch und wirtschaftlich definierten, globalen, einlinigen und teleologischen Evolutionsprozesses; unbeschadet seiner formellen Absage schloß er überall Zwangsmaßnahmen ein, angefangen vom die indigenen Kulturen mißachtenden Schulsystem bis hin zu gewaltsamer Umsiedlung zugunsten großflächiger Infrastrukturprojekte.

Im Gefolge der beiden Menschenrechtspakte von 1966/1976 wurde das genannte Übereinkommen durch das 1989 verabschiedete und 1991 in Kraft getretene Übereinkommen 169 "über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern" ersetzt. Hier wird erstmals der Begriff "Völker" verwendet und deren Lage im Rahmen der Menschenrechtsdoktrin bewertet3. Die dem Ethnozid gleichkommenden Assimilierungsstrategien werden abgelehnt, und der "Beitrag der eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker zur kulturellen Vielfalt und sozialen und ökologischen Harmonie der Menschheit sowie zur internationalen Zusammenarbeit und zum internationalen Verständnis" wird gewürdigt. Der Blick auf die indigenen Völker als soziale und politische Akteure, die bestrebt sind, "im Rahmen der Staaten, in denen sie leben, Kontrolle über ihre Einrichtungen, ihre Lebensweise und ihre wirtschaftliche Entwicklung auszuüben und ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren und zu entwickeln", ersetzt nun den früheren, wenngleich auch heute noch oft anzutreffenden Paternalismus4.

Die in Artikel 1 dieses Übereinkommens enthaltene Definition wurde zu einem wahren Meilenstein für die weiteren theoretischen und politisch-juristischen Diskussionen. Es gilt erstens für in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist; zweitens für Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihre traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.

Der dritte Absatz des Artikels schränkt die Geltung dieser Definition allerdings gleich erheblich ein, denn "die Verwendung des Ausdrucks 'Völker'" dürfe nicht so ausgelegt werden, "als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können". Positiv zu sehen ist hingegen der zweite Absatz, der eine Zwangsanwendung der Definition verhindert, weil er das "Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit" als ein "grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen" einführt, auf die das Übereinkommen anzuwenden ist.

Diese Definition hat in kurzer Zeit sowohl auf der politischen und juristischen Ebene als auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen viele der bis dahin verwendeten, meist pejorativ konnotierten Bezeichnungen wie Autochthone, Urbevölkerung, Wald- und Wildvölker, Naturvölker oder Indios ersetzt. Jedoch hat der Rassismus, der ja nicht nur die alltäglichen Beziehungen vergiftet, sondern meist auch institutionell verfaßt ist und die sozialen und wirtschaftlichen Chancen der Mitglieder indigener Völker schwer beeinträchtigt, dazu geführt, daß in vielen Volkszählungen, wenn diese überhaupt das Thema berühren, Mitglieder indigener Völker diese Zugehörigkeit zu verbergen suchen. Denn für viele Nicht-Indigene - und viele Indigene haben diese Sichtweise als Folge des internationalen und des landesinternen Kolonialismus verinnerlicht - ist die soziokulturelle Andersheit ethnischen Ursprungs ein objektives Zeichen von Unterentwicklung, verweist auf die wesensmäßige Minderwertigkeit der Indigenen und stellt eine Hypothek für die nationalstaatliche Modernisierung dar5. Deswegen kann es nicht verwundern, daß bis heute in Lateinamerika das Wort "Indio" meist als Beleidigung verstanden und verwendet wird oder daß Mitglieder indischer Stammesvölker und australische Ureinwohner von ihren nicht-indigenen Mitbürgern als eine Art "Untermenschen" angesehen werden.

Deswegen wird meist die Muttersprache als demographisches Hauptklassifikationskriterium zur Bestimmung indigener Völker verwendet. Das hat trotz aller berechtigter Kritik für sich, daß die - immer spezifische - Sprache nicht nur das wichtigste menschliche Ausdrucksmittel ist, sondern auch ein je kultureigenes Perzeptionsraster und deswegen Hort von in Jahrhunderten gewachsenen - je eigenen - Weltanschauungen, Philosophien, Theologien, Umweltbewältigungsstrategien und sozialen Organisationsformen.

Aufgrund dieses Kriteriums wird die Zahl der Indigenen gegenwärtig weltweit meist auf etwa 350 bis 400 Millionen geschätzt, also rund fünf Prozent der Weltbevölkerung. Diese gehören mehr als 5000 Völkern an, die in etwa 70 Staaten leben6, allerdings mit ganz erheblichen Unterschieden:

1. Einige zählen mehrere Millionen (wie etwa die Berber, die Tibeter oder die Ketschua), eine beträchtliche Anzahl hat mehrere Hunderttausende Mitglieder, aber sehr viele andere haben nur noch einige Hundert, und ein Großteil davon ist offensichtlich im Aussterben begriffen.

2. Der Anteil der Indigenen an der Gesamtbevölkerung liegt in einigen Ländern bei rund der Hälfte (etwa in Guatemala und Bolivien), in anderen ist er verschwindend gering (etwa in Brasilien und Kolumbien, wo jedoch die indigenen Völker sehr ausgedehnte Territorien bewohnen)7. Anderseits existieren oft Siedlungen oder Verwaltungseinheiten mit geringer Bevölkerungsdichte, in denen die indigene Bevölkerung praktisch 100 Prozent ausmacht.

3. Aufgrund der kolonialen Vergangenheit leben viele Indigene in relativ abgelegenen, aber häufig militärisch, wirtschaftlich und ökologisch wichtigen Regionen, sind aber ebenso häufig in kleinen und großen Städten zu finden.

4. Es gibt indigene Völker, die sich in Sprache und Lebensweise stark von ihren indigenen Nachbarn und noch mehr von der nicht-indigenen Bevölkerung unterscheiden und abgrenzen (etwa im Amazonasbecken und in den Anden) oder ausgegrenzt werden (wie die australischen Ureinwohner oder die japanischen Ainu), wohingegen bei anderen die Übergänge durch im Laufe der Zeit entstandene Mischbevölkerung extrem fließend sind; hier muß auch berücksichtigt werden, daß bestimmte Völker in relativ abgeschlossenen Regionen mit spärlichen Außenkontakten beheimatet sind, während andere aufgrund von Migration oder politischen Ereignissen über mehrere Orte und sogar verschiedene Länder verstreut sind und teilweise in Metropolen leben (wie etwa die südmexikanischen Mixe, die Armenier und die Kurden).

5. Auch hinsichtlich der Stärke des kollektiven Selbstbewußtseins und der eigenen Sozialorganisation gibt es große Unterschiede. Diese hängen von den höchst unterschiedlichen Beziehungen zu den ehemaligen Kolonialmächten bzw. den heutigen nationalstaatlichen Institutionen ab und sind einmal durch mehr aktiven (wie die Allianz indigener Völker südostasiatischer Länder gegen die Waldrodung zugunsten von Palmölplantagen) oder mehr passiven (wie bei großen Teilen der Maya-Völker) Widerstand, dann wieder durch weitgehende Akkulturation oder gar durch zwangsweise Aufgabe jeglicher äußererer Unterscheidungsmerkmale (wie der Nahuas seit den Massakern der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in El Salvador) geprägt.

6. Zwar sind nicht alle Indigene arm und ausgeschlossen, was sich an indigenen Händlern und Unternehmern überall, an Angestellten und Akademikern in den Städten zeigen läßt. Jedoch sind sie überwiegend von der Teilhabe an den positiven Ergebnissen der menschlichen Entwicklung ausgeschlossen (was sie gelegentlich zwar vor damit verbundenen negativen Elementen beschützt, sie aber oft genug zu mittellosem Grenzgängertum zwischen den Zivilisationen verdammt) und immer stärker in den globalen Ausbeutungskreislauf hineingezwungen.

Ursprung, Entwicklung und Inhalt der UN-Erklärung

Im Gefolge der beiden erwähnten Menschenrechtspakte und der UN-Dekaden gegen den Rassismus stellte Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die damalige Unterkommission für die Prävention von Diskriminierung und den Schutz der Minderheitenrechte die Eigenständigkeit des Themas der indigenen Völker und ihrer Rechte fest. Der UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) erteilte ihr 1971 den Auftrag zu einer Studie über die Situation der Diskriminierung der indigenen Völker, die mit dem Namen des Ecuadorianers José Ricardo Martínez Cobo, des damaligen Sonderberichterstatters, verbunden ist8. Damit begann - trotz des späteren ILO-Übereinkommens 169 und der Verbindung mit dessen Vorbereitung - die allmähliche Verlagerung der hauptsächlichen Impulsquelle für die Weiterentwicklung der Menschenrechte der indigenen Völker von der ILO zu den Vereinten Nationen, welche schließlich zu der Erklärung vom September 2007 geführt hat.

Im Rückblick können neben den bereits erwähnten, einige weitere Vorkommnisse als Stationen auf diesem Weg gesehen werden (wobei die Reihenfolge ihrer Nennung keine Gewichtung impliziert):

1. Erfahrungen in der internationalen und nationalen entwicklungspolitischen Praxis, die im Kontakt mit indigenen Völkern und ihren Kulturen immer wieder an ihre Grenzen stoßen und lernen müssen, Letztere als aktive und zustimmungsberechtigte soziale und politische Akteure in ihre Strategien einzubeziehen.

2. Vielgestaltige und nicht immer leicht nachzuvollziehende Mobilisierungen indigener Völker und Organisationen, die von der Forderung nach Anerkennung der Gültigkeit kolonialer Landrechte in Lateinamerika und nach Einhaltung weit zurückliegender Kapitulationsabkommen indianischer Stämme mit der US-Regierung bis zu den langjährigen Konflikten der Mapuche mit der chilenischen Regierung, den Blockaden der ecuadorianischen Amazonasvölker gegen die ausländischen Erdölgesellschaften, den sich nur langsam formierenden Protesten der indischen Adivasi gegen Landraub und Vertreibung, den bislang stets niedergeschlagenen Demonstrationen vietnamnesischer Ureinwohner für Bewegungs- und Religionsfreiheit oder der Absage der mexikanischen Neozapatisten an den globalisierten Neoliberalismus reichen.

3. Die sozial- und kulturanthropologische Forschung, die den Aufweis der Lebendigkeit und gleichzeitig der höchst problematischen Lage der indigenen Völker führt9 und über antiimperialistische und pro-indigene (auch indianistisch genannte) Positionen einiger wichtiger Vertreter in unmittelbarem Austausch mit indigenen Völkern, Gruppen und sie unterstützenden Organisationen steht10.

4. Eine neue Phase der Befreiungstheologien und -philosophien und die neuen kontextuellen Theologien und interkulturellen Philosophien, welche die ethnokulturellen Gegebenheiten nicht als vernachlässigbaren "Überbau" verkennen, sondern als wesentliche Charakteristiken konkreten Menschseins ernst nehmen, wobei sich diese theoretischen Strömungen von der an vielen Orten geübten Solidarität christlicher Gruppen mit indigenen Völkern nähren und sie gleichzeitig weiter befördern11.

5. Die eigendynamische Weiterentwicklung der modernen Menschenrechtsidee. Hier sind zuallererst die Debatten über die Rechtfertigung der weiteren "Generationen" der Menschenrechte zu nennen. Spezielle Bedeutung für die indigenen Völker hatten wohl das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1965) und die Weltkonferenzen gegen Rassismus (1978, 1983, 2001), dann der Umweltgipfel von Rio de Janeiro (1992) und der Wiener Menschenrechtsgipfel (1993); auch auf dem Kopenhagener Weltgipfel über soziale Entwicklung (1995), der IV. Frauenweltkonferenz (1996) in Peking und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2001) kamen die indigenen Völker und ihre Rechte zur Sprache12. In Lateinamerika erhielten alle diese Vorgänge eine besondere Note durch die in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach langen Militärdiktaturen erfolgte "Rückkehr" zu formaldemokratischen Staatsformen sowie durch eine Reihe von Verfassungsänderungen zugunsten der indigenen Völker im Vorfeld des 500. Jahrestags der ersten Begegnung von Europäern und Amerikanern.

Nach eingehenden Untersuchungen in 37 lateinamerikanischen und asiatischen Ländern, von denen elf besucht wurden, diskutierte man ab 1982 Entwürfe des Berichts. Als Ergebnis des 1985 dem ECOSOC vorgelegten Berichtes wurde im selben Jahr beschlossen, auf eine Menschenrechtserklärung für die indigenen Völker hinzuarbeiten.

Der skizzierte Prozeß und die Folgejahre waren durch zwei gegenläufige Vorkommnisse gekennzeichnet. Zum einen mußte fast von Anfang an auf die Bezeichnung indigene "Völker" zugunsten von "Bevölkerung" verzichtet werden13. Zum andern autorisierte der ECOSOC 1982 die Bildung einer jährlich zusammentretenden Arbeitsgruppe über die Problematik der indigenen Völker (WGIP)14, deren Sitzungen sich in einer bis dahin noch nie dagewesenen Dynamik zu einer Art Weltparlament der indigenen Völker entwickelten, bei denen sich schließlich fast 1000 Vertreter indigener Völker und Organisationen versammelten15. Das führte mit dazu, daß die anfänglich stark auf Lateinamerika zentrierte Perspektive nach und nach Nordeuropa, Asien, Ozeanien und Afrika einbezog, wiewohl viele afrikanische Staaten sich eher als Vielvölkerstaaten begriffen und nur am Rande das Thema der staatenübergreifenden Hirtenvölker in den Blick bekamen.

Das nur langsam vorankommende Projekt wurde 1992 durch den Friedensnobelpreis für die guatemaltekische Quiché-Indianerin Rigoberta Menchú und durch die Ausrufung des Jahres 1993 zum "Jahr der Indigenen Bevölkerungen" beflügelt, in dem der Entwurf der Menschenrechtserklärung fertiggestellt wurde. 1994 wurde von den Vereinten Nationen eine Dekade der Indigenen Bevölkerungen ausgerufen16, während der es jedoch nicht gelang, eine Mehrheit für die Verabschiedung der Erklärung durch die Vollversammlung zusammenzubekommen, weswegen an ihrem Ende die "II. Dekade der Indigenen Bevölkerungen" (2005-2014) ausgerufen wurde17.

In der Zwischenzeit (2001) beschloß die UN-Menschenrechtskommission, einen "Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten der Indigenen Völker" zu ernennen. Dazu entstanden verschiedene regionale Initiativen, darunter der 1999 begonnene, bislang erfolglose Versuch der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), eine "Amerikanische Erklärung der Rechte der indigenen Völker" zu formulieren, die Errichtung (2001) einer Expertenarbeitsgruppe zu indigenen Bevölkerungen und Gemeinschaften bei der "Afrikanischen Kommission" für Menschenrechte und Rechte der Völker sowie die 2004 geschaffene "Regionale Initiative für Rechte und Entwicklung Indigener Völker" des UN- Entwicklungsprogramms in 25 asiatischen Staaten18.

Der Stillstand fand erst ein Ende, als die Vereinten Nationen ihre Menschenrechtskommission durch einen Menschenrechtsrat ersetzten, der im Sommer 2006, in seiner ersten Sitzung die Erklärung der Rechte der indigenen Völker approbierte. Jedoch formierte sich schnell massiver Widerstand gegen die nun anstehende Einbringung der Erklärung in die Vollversammlung, welcher hauptsächlich von Australien, Kanada, Neuseeland und den USA getragen wurde19, die einen Großteil der afrikanischen Länder hinter sich brachten.

Die Vorbehalte kreisten um zwei Klassen von Problemen. Die erste war politischer Natur, bezog sich einerseits auf die Definition der indigenen Völker und ihr Recht auf Selbstbestimmung und anderseits auf vorhersehbare Forderungen nach Wiederherstellung von Rechten über natürliche Ressourcen bzw. nach Entschädigung und schließlich auf die Verpflichtung zu staatlicher Anerkennung indigener wirtschaftlicher und politischer Institutionen. Dazu befürchteten viele afrikanische Staaten eine Stärkung separatistischer Bewegungen20. Die anderen Probleme waren theoretischer Art, denn man meinte, Gefahr zu laufen, daß die Grundidee der individuellen Freiheitsrechte der Person durch die kollektiven Menschenrechte beschädigt werden könnte.

Nach hektischen und komplizierten Verhandlungen wurde schließlich am 13. September 2007 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen die "Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker" verabschiedet21 - und zwar mit 143 Ja-Stimmen, elf Enthaltungen und vier Gegenstimmen (Australien, Kanada, Neuseeland und die USA; jedoch zog die folgende Regierung Australiens ihre Vorbehalte zurück, so daß nun technisch 144 Ja-Stimmen existieren).

Hinsichtlich der wichtigsten Charakteristiken dieser Erklärung fällt sofort positiv auf, daß jetzt von "indigenen Völkern" die Rede ist, anderseits aber nur von ihren "Rechten" und nicht von ihren "Menschenrechten". Gravierender ist, daß es sich nicht um ein völkerrechtlich bindendes Abkommen handelt, sondern lediglich um eine "Erklärung der Vereinten Nationen"; auch sieht man dem Text an, daß er das Ergebnis jahrzehntelanger Verhandlungen ist.

Die Erklärung definiert "indigenes Volk" nicht22; interessanterweise bezieht sie sich jedoch nicht nur auf indigene Völker sondern auch auf "indigene Menschen" und zeigt sich ganz klar inspiriert von den bereits im genannten Martínez-Cobo-Bericht enthaltenen definitorischen Elementen, wonach indigene Völker und deren Mitglieder solche sind, die:

1. Nachfahren einer vor einer Invasion bestehenden und vorkolonialen Gesellschaft sind und sich in von anderen Gesellschaften beherrschten Territorien entwickelt haben;

2. sich im Vergleich mit den übrigen, insbesondere den dominierenden oder die Nation repräsentierenden Sektoren der Gesellschaft als kulturell verschieden verstehen;

3. Teil der nicht-dominanten Segmente der Gesellschaft sind;

4. die Absicht haben, ihre angestammten Territorien und ihre ethnische Identität als Grundlage ihrer Existenz als Volk zu bewahren, zu entwickeln und weiterzugeben23.

In der Präambel werden die indigenen Völker allen anderen Völkern gleichgestellt und ihr Recht auf Verschiedenheit und die weltweite Kulturenvielfalt als zu wahrendes Erbe der Menschheit anerkannt. Das allgemeine Diskriminierungsverbot wird bekräftigt und die gegenwärtige Lage der indigenen Völker auch als Resultat der Kolonialzeit bezeichnet. Ausdrücklich wird begrüßt, "daß sich die indigenen Völker organisieren", um "ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation zu verbessern und allen Formen der Diskriminierung und Unterdrückung … ein Ende zu setzen".

Was die 46 Artikel angeht24, so wird gleich eingangs das Recht der indigenen Völker "auf Selbstbestimmung" (Art. 3) festgestellt, wenngleich im Art. 46.1 klargestellt wird, die Erklärung ermächtige nicht "zu Maßnahmen, welche die territoriale Unversehrtheit oder politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten ganz oder teilweise zerstören oder beeinträchtigen würden". Dafür wird im Art. 4 das "Recht auf Autonomie oder Selbstverwaltung" sowie das Recht, "über die Mittel zur Finanzierung ihrer autonomen Aufgaben zu verfügen" anerkannt.

Wichtig ist der Art. 5, der besagt, indigene Völker hätten "das Recht, ihre eigenen politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Institutionen zu bewahren und zu stärken, während sie gleichzeitig das Recht behalten, uneingeschränkt am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben des Staates teilzunehmen, sofern sie dies wünschen". Das heißt, es wird in der gesamten Erklärung von einer Wiederbelebung und Weiterentwicklung (in diesem Sinne auch Art. 11-13, 20, 31) der indigenen Kulturen ausgegangen, und es sind verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation mit den staatlichen Institutionen (vgl. auch Art. 23, 32) vorgesehen.

Von großer Bedeutung sind die Anerkennung des Rechtes der indigenen Völker "auf das Land, die Gebiete und die Ressourcen, die sie traditionell besessen, innegehabt oder auf andere Weise genutzt oder erworben haben" (Art. 26), die Forderung nach staatlicher Anerkennung dieses Rechtes (Art. 27) und das "Recht auf Wiedergutmachung" durch Rückerstattung oder Entschädigung (Art. 28)25.

Das kritische Thema der indigenen Sprachen erscheint mehrmals: zunächst als Teil der gegebenenfalls wiederzubelebenden und weiterzuentwickelnden kulturellen Überlieferungen (Art. 31.1), dann im Zusammenhang mit dem ebenfalls kritischen Recht, "eigene Bildungssysteme und -institutionen einzurichten und zu kontrollieren" (Art. 14.1) und der entsprechenden Pflicht der Staaten, dafür zu sorgen, daß "indigene Menschen, … einschließlich derjenigen, die außerhalb ihrer Gemeinschaften leben, nach Möglichkeit Zugang zu Bildung in ihrer eigenen Kultur und in ihrer eigenen Sprache haben" (Art. 14.3). Hinsichtlich der Justiz- und Verwaltungsverfahren wird die Pflicht der Staaten benannt, das Verstehen und Verstandenwerden aller Beteiligten zu garantieren (Art. 13.2). Sehr wichtig ist auch der Art. 18:

"Indigene Völker haben das Recht, an Entscheidungsprozessen in Angelegenheiten, die ihre Rechte berühren können, durch von ihnen selbst gemäß ihren eigenen Verfahren gewählte Vertreter mitzuwirken und ihre eigenen indigenen Entscheidungssituationen zu bewahren und weiterzuentwickeln."

Das heißt konkret, es werden nicht unverbindliche Konsultationen empfohlen, sondern es wird die sogenannte freie, vorherige und informierte Zustimmung gefordert.

Es sind vor allem drei Instanzen der Vereinten Nationen, die mit der Umsetzung der Erklärung befaßt sind, die in der Selbsteinschätzung der Generalversammlung nur "die Mindestnormen" enthält, "die für das Überleben, die Würde und das Wohlergehen der indigenen Völker der Welt notwendig sind" (Art. 25). Die erste ist das seit 2002 bestehende, in New York ansässige Ständige Forum für Indigene Angelegenheiten, das einmal pro Jahr zusammentritt26. Es ist ein Beratungsgremium des ECOSOC und besteht aus acht Regierungsvertretern und acht von indigenen Organisationen vorgeschlagenen Mitgliedern. Die zweite ist das kurz nach der Annahme der Erklärung als Nachfolger der früheren Arbeitsgruppe für Indigene Bevölkerungen geschaffene Expertengremium für Fragen indigener Völker27. Es besteht aus fünf Mitgliedern für die üblichen UN-Regionen, ist ebenfalls dem ECOSOC zugeordnet und tritt einmal pro Jahr in Genf unter weiterhin beträchtlicher Beteiligung von Vertretern von Regierungen, indigenen Völkern und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Dazu kommt noch der bereits erwähnte Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte und Grundlegenden Freiheiten der Indigenen Völker.

Theoretische und praktische Perspektiven der UN-Erklärung

Die Erklärung ist als Ergebnis von dreieinhalb Jahrzehnten der Analysen, Vorschläge und Verhandlungen für viele indigene Völker und Organisationen, aber auch für Sozialwissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten zunächst einmal enttäuschend, vor allem, weil sie sich nicht, wie ursprünglich erhofft, formell in die Reihe der UN-Menschenrechtserklärungen einfügt und für kein Land verpflichtend ist28.

Dennoch bedeutet die von der Vollversammlung mit so klarer Mehrheit angenommene Erklärung einen hoffnungsvollen Schritt in die richtige Richtung. Sie gibt nämlich den indigenen Völkern insgesamt etwas von der Würde zurück, die ihnen erst Eroberung und Kolonialregime und dann der "interne Kolonialismus" der modernen Nationalstaaten genommen hatten, und akzeptiert sie als "neue Weltbürger"29; darüber hinaus trägt sie zur Weiterentwicklung der Idee von der Existenz allgemeiner, angeborener, unverzichtbarer und unteilbarer Menschenrechte bei.

Zunächst einmal wird hier ja erneut und höchst autoritativ - und ganz im Sinne der Kulturdefinition der UNESCO und deren Allgemeiner Erklärung zur kulturellen Vielfalt (Paris 2001)30 - die auf der Existenz der indigenen Völker beruhende kulturelle Mannigfaltigkeit der Menschheit positiv bewertet, deren jetzige und künftige Rolle für alle Menschen anerkannt und ihre Wiederbelebung und Weiterentwicklung in Verschiedenheit und Gleichheit zu fördern gesucht. Die indigenen Völker (Art. 1, 2) werden allen anderen Völkern gleichgestellt und ihre gegenwärtige Lage nicht, wie so häufig, rassistisch oder als Zurückgebliebensein interpretiert, sondern "unter anderem als Folge der Kolonisierung und der Entziehung des Besitzes ihres Landes, ihrer Gebiete und ihrer Ressourcen" und von "Diskriminierung und Unterdrückung" (Präambel) erklärt, die es definitiv zu beenden und so weit wie möglich wiedergutzumachen gelte.

Schon in der Präambel wird dabei durch eine ganze Reihe von expliziten Bezügen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den beiden Internationalen Menschenrechtspakten deutlich, daß die Erklärung sich, trotz der Vermeidung der diesbezüglichen Termini in ihrem Namen und ihren Artikeln, ganz auf der Ebene der Menschenrechte bewegt. Darüber hinaus eröffnet sie definitiv eine neue Dimension, denn im Art. 1 werden die indigenen Völker "als Kollektive wie auch auf der Ebene des Individuums" als Rechtsträger eingeführt. Man kann daher die aufeinanderfolgenden Generationen der Menschenrechte als sich allmählich - wenngleich höchst spannungsreich und noch lange nicht abgeschlossen - ergänzende Ausgestaltungen eines noch nicht ausgegorenen Menschenbildes betrachten: So wurde zuerst das Bild der 60er und 70er Jahre des vor der unkontrollierten Staatsmacht zu schützenden freien Individuums in den 80er und 90er Jahren durch das Bild des soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Rechte für alle einfordernden Mitbürgers vervollständigt, der sich darüber hinaus in den 90er Jahren in bezug auf die Umweltaneignung als Glied einer Kette zukünftiger menschlicher Generationen mit identischen Grundrechten zu verstehen begonnen hat. Nun kommen mithilfe der indigenen Völker menschliche Gemeinschaften und Menschen in den Blick, die ohne diese nicht existieren können, und gleichzeitig wird deren kulturelles Erbe nicht als Hypothek des nationalen und weltweiten Zusammenlebens abqualifiziert sondern als mögliche Quelle seiner Bereicherung verstanden.

Selbstverständlich wirft diese Erkenntnis theoretische und praktische Probleme auf - wie ja damals die neuen sozialen Menschenrechte zunächst sehr kontrovers diskutiert und teilweise sogar für unvereinbar mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehalten wurden. In diesem Zusammenhang sei aber auch daran erinnert, daß die Grundperspektive der neuen kollektiven Menschenrechte schon seit längerem von Vertretern asiatischer und afrikanischer Kulturen eingefordert worden ist, und zwar - trotz vereinzelter Versuche, sie zum Schutz menschenverachtender Regime zu instrumentalisieren - im Sinne einer dialektischen Vervollständigung einer weltweiten polyphonen Konzeption menschlichen und menschenwürdigen Daseins in Gemeinschaft.

Zeigt sich diese Dialektik übrigens nicht schon in der Faszination, die indigene Völker oftmals auf nicht-indigene ausüben (ohne daß sie in kontraproduktive Exotisierung oder romantisierende Rückwärtsgewandtheit abgleiten muß)? Denn sie hat ihren eigentlichen Grund darin, daß die soziokulturelle Andersheit Fehlformen oder Leerstellen der eigenen "entwickelten" Gesellschaft spürbar macht. Diese reichen vom in einigen hochindustrialisierten Gesellschaften gerade erst wiedererlangten Bewußtsein der Abhängigkeit von einer allen Menschen gemeinsamen natürlichen Umwelt über verlorene Weisen des Verständnisses von Existenzbrüchen und Tod bis zu alternativen Modellen der Ausübung öffentlicher Macht, Zielvorstellungen rechtlicher Verfahren und Mustern alltäglicher Solidarität und Anteilnahme - alles Ausgangspositionen für kritische und kreative Anfragen an die angeblich alternativlos globalisierte nordatlantische Moderne31.

Die praktischen Konsequenzen der Erklärung stehen noch ganz am Anfang. Zunächst wollen die Vereinten Nationen die Thematik der indigenen Rechte auf allen Ebenen der Organisation bekannt machen und sozusagen transversal mit den davon betroffenen Unterorganisationen vermitteln.

Da sich laut Präambel "die Situation der indigenen Völker von Region zu Region und von Land zu Land unterscheidet", ist absehbar, daß Versuche der Umsetzung zunächst wohl auf nationaler und vor allem lokal-regionaler Ebene stattfinden werden. Allerdings sind dazu ganz erhebliche rechtliche, finanzielle und organisatorische Anstrengungen nötig - welche einzufordern viele indigene Völker und Organisationen wegen der erwähnten Marginalisierung zur Zeit kaum in der Lage zu sein scheinen.

Deshalb ist eine rasche und massive Verbreitung der Erklärung sowohl in den offiziellen Landessprachen der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen als auch in den indigenen Sprachen gefordert worden, die sich nicht auf die indigenen Völker beschränkt, sondern das Schul- und Universitätswesen, die öffentliche Verwaltung, den Justiz- und den Gesundheitsapparat, die Massenmedien und die Kirchen einschließt. Dadurch könnte es nämlich zu einer Stärkung des durch den internen Kolonialismus oft so geminderten Selbstwertgefühls als auch zu einer politisch wirksamen Unterstützung von Forderungen nach Gerechtigkeit kommen, wofür die weite Verbreitung des ILO-Übereinkommens 169 und seine Verwendung bei der Mobilisierung indigener Völker ein wegweisendes Vorbild sein kann32. Sowohl die periodischen Zwischenberichte der bis 2015 zu erreichenden UN-Millenniumsziele als auch die für 2014 angekündigte UN-Weltkonferenz zum Ende der Zweiten Dekade der Indigenen Völker könnten dafür wichtige Impulse werden33.

Von der Exklusion zur Inklusion

Ob klar geworden ist, daß "das Problem der indigenen Völker" nicht "deren" Problem ist, wie es oft aus der Sicht nicht-indigener Bevölkerungen und staatlicher Stellen formuliert wird? Es ist vielmehr ein Thema der Sozialethik, das die gesamte Menschheit betrifft. Dem nordatlantischen Entwicklungsmodell ist es mit zu verdanken, daß die indigenen fünf Prozent der Weltbevölkerung zu den weltweit am stärksten benachteiligten Menschen gehören, denn zu wirtschaftlicher Ausbeutung, sozialer Exklusion und politischer Bedeutungslosigkeit kommt noch die Last der ethnisch-kulturellen Diskriminierung hinzu34. Deswegen zeigt sich auch die erwähnte Ankündigung der Weltkonferenz 2014 "besorgt über die extrem nachteilige Lage, in der sich die indigenen Völker gemäß einer ganzen Reihe von sozialen und wirtschaftlichen Indikatoren üblicherweise befinden, und über die Hindernisse, die ihnen nicht gestatten, ihre Rechte voll und ganz wahrzunehmen".

Rigoberta Menchú hat in ihrem Aufruf zur Befreiung der indigenen Völker anläßlich der Nobelpreisverleihung die weltweite Bedeutung der indigenen Völker und ihrer Kulturen hervorgehoben und betont, daß "solange die indigenen Völker existieren", es "Hoffnungsschimmer und originäre Weisen, das menschliche Leben zu verstehen" gibt35. Es geht also nicht nur um nachholende Gerechtigkeit und Respektierung der Menschenrechte der heute lebenden indigenen Völker, sondern auch um das Recht der gegenwärtigen und künftigen Menschheit auf Weiterentwicklung des größten bestehenden kulturellen Reservoirs: Tausende von Formen, das Leben zu verstehen, die Welt zu erklären, soziale Beziehungen zu gestalten, sich die Natur anzueignen.

Die meisten dieser Formen werden wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten erlöschen: unvermeidlich, unwiederbringlich und ohne Spuren zu hinterlassen. Andere haben - noch - die Möglichkeit der Aktualisierung und Weiterentwicklung. Natürlich wird und soll es in erster Linie von ihren Erben und Trägern abhängen, ob und wie sie diese Möglichkeit wahr werden lassen wollen.

Ihre Entscheidung wird vor allem von den praktischen Wertungen und den tatsächlichen soziokulturellen Möglichkeitsbedingungen abhängen, die die Nicht-Indigenen für sie und mit ihnen zusammen für die Weiterentwicklung ihrer Kulturen und ihrer Beziehungen zu allen anderen Kulturen dieser Welt schaffen und damit für eine kulturell vielfältige Menschheit der Zukunft.

Anzeige: Traum vom neuen Morgen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Tomáš Halík

Die Stimmen der Zeit im Abo

Mut zur Tiefe und klare Standpunkte zeichnen die „Stimmen der Zeit“ aus. Es gilt die Kraft der Argumente.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen