Das Christentum macht zwei grundlegende Aussagen über Gott. Erstens: Gott ist Logos, Wort, und dieses Wort ist Mensch geworden in Jesus von Nazareth; zweitens: Gott ist communio, Gemeinschaft - in der Sprache Jesu - zwischen Vater und Sohn im einen Geist. Als Ebenbild Gottes ist auch der Mensch Wort und Gemeinschaft - in moderner Sprache gesagt: Es besteht Kommunikation zwischen den Menschen, der Mensch ist dialogisch.
Leider hat die Kirche im Laufe der Jahrhunderte diese Grundeinsicht zugunsten strenger Regel- und Normsysteme und der hierarchischen Herrschaftsstrukturen eher verloren. Nicht das freie Wort herrschte in der Kirche, sondern gehorsames Schweigen und Unterwerfung. Karl Rahners SJ Essay "Das freie Wort in der Kirche" (1953) fand zu seiner Zeit keineswegs nur Zustimmung. Als nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil "Dialog" zu einem Schlüsselwort für den Umgang in pluralistischer Gesellschaft avancierte, gab Kardinal Franz König (1905-2004) in einem postum veröffentlichten Gespräch mit der Wien-Korrespondentin des "Tablet", Christa Pongratz-Lippitt ("Offen für Gott - Offen für die Welt. Kirche im Dialog", 2006), zu bedenken: "Der Dialog zwischen Kirche und Welt kann nur erfolgreich sein, wenn es zugleich auch einen innerkirchlichen Dialog gibt. Bedauerlicherweise scheint dieser innerkirchliche Dialog heutzutage allerdings immer öfters zu erlahmen." Dabei geht es "letztlich um die Glaubwürdigkeit der Kirche".
Michael Sievernich SJ hat in einem Artikel "Interkulturelle Freundschaft im frühneuzeitlichen China" (2011) daran erinnert, daß der italienische Jesuit Matteo Ricci, als er einen Zugang zu den Chinesen suchte, in der Freundschaft einen möglichen Weg erkannte. Das erste Buch, das er auf Chinesisch 1595 in Nanchang verfaßte, war eine Sammlung von Aussprüchen und Sentenzen zur Freundschaft, wie sie im Abendland in der klassischen Antike und der christlichen Spätantike reichlich zu finden waren. Wer sich bemüht, andere und Fremde zu Freunden zu gewinnen, muß ihnen auf Augenhöhe begegnen, ihr Vertrauen gewinnen, sich in Wahrhaftigkeit, Treue und Verläßlichkeit bewähren. Er wird ihnen zuhören, ohne gleich zu urteilen oder vorweg zu erklären, daß er sich selbst nicht ändern wird und am Ende jeder bleibt, wie er ist.
In der deutschen Kirche hat ein Dialogprozeß begonnen - merkwürdigerweise weniger als Einladung, sondern verordnet. Bischöfe berichten nach Rom, setzen Lenkungs- und Steuerungsgruppen ein, suchen den "Dialog" von vornherein zu kanalisieren. Manche erklären vorweg, worüber erst gar nicht zu reden ist, weil sich da ohnehin nichts ändern kann und wird. Man spürt Ängste, auch die mangelhafte Erfahrung eines vertrauensvollen Umgangs miteinander. Wären hier eine bescheidene Öffnung und der deutlich erklärte Wille, zunächst einmal zuhören zu wollen, nicht ein Gebot der Stunde? Noch einmal: Wie glaubwürdig sind wir, wenn wir von interreligiösen und anderen Dialogen reden, aber zu einem offenen Dialog im eigenen Haus weder fähig noch bereit sind und ihn folglich auch nicht schaffen?
Wenn Matteo Ricci von Freundschaft spricht, erwähnt er Jesus nicht ausdrücklich. Doch er schreibt: "Ein Freund ist nichts anderes als die Hälfte meiner selbst und ein anderes Ich. Deshalb ist es notwendig, einen Freund so zu behandeln wie sich selbst." Wo aber der Freund zum "anderen Ich" wird, erinnert das unmittelbar an Jesu Worte: "Ihr seid meine Freunde" (Joh 15,14). Paulus spricht davon, daß Christen in der Taufe Christus "angezogen" haben (vgl. Gal 3,27); sie sollten ein "anderer Christus" werden, so daß sie wie Paulus am Ende sagen können: "Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir" (Gal 2,20).
Mit Freundschaft verbindet sich die Haltung des Dienens, wie es das Jesuswort sagt: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen" (Mk 10,45). Und: "Ich bin unter euch wie der, der bedient" (Lk 22,27). Ein Dialog kann nur gelingen, wenn die Kirche als eine Gemeinschaft von Dienenden auftritt, wenn wir alle uns ohne Herrschaftsgebaren auf Augenhöhe begegnen und wenn es zwischen Dialogpartnern ein Nehmen und Hören, ein Empfangen und Geben gibt.
Der Kirche steht als ganzer nach wie vor ein Lernprozeß bevor. Die Erfahrung, die Petrus im Haus des Kornelius machte, stimmt auch heute noch nachdenklich: "Noch während Petrus dies sagte, kam der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort hörten" (Apg 10,44). Der Heilige Geist war schneller als die "Säulen" der Kirche, aber Petrus und seine Gefährten verstanden den Ruf der Stunde und gehorchten dem Anspruch des Geistes: "Kann jemand denen das Wasser der Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?" (10,47) Könnte es nicht auch heute noch sein, daß der Heilige Geist in der Kirche Räume eröffnet, von denen die, die das Sagen haben, meinen, es gebe sie nicht?
Zur Freundschaft gehört ein grundlegender Sprachstil. Es fällt auf, wie aggressiv oft der Ton in der Kirche geworden ist, zum Beispiel in Leserbriefen in kirchlichen und weltlichen Zeitungen. Oft wird mit Unterstellungen gearbeitet. Wer würde heute noch wie in der Frühzeit der Kirche sagen: "Seht, wie sie einander lieben!"? Ignatius von Loyola (1491-1556) hat in seinem Exerzitienbuch, den "Geistlichen Übungen", folgende Grundeinstellung empfohlen: "Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, daß jeder gute Christ bereitwilliger sein muß, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe" (Nr. 22). Nur wo Gesprächspartner sich in ihrem Denken und Wollen ernst nehmen und sich in Respekt, Liebe und Wohlwollen begegnen, kann ein auf Zukunft hin angelegter Dialog gelingen. Das muß auch innerhalb der Kirche Gültigkeit haben.