Finanztransaktionssteuer - jetzt?

In Deutschland begann die Kampagne Steuer gegen Armut am 17. Oktober 2009. Insgesamt 32 Organisationen und acht Einzelpersonen forderten in einem Offenen Brief an die Bundesregierung eine Steuer von 0,05 Prozent auf alle spekulationsrelevanten Finanztransaktionen, deren Einnahmen zur Bekämpfung von nationaler und internationaler Armut sowie zum Schutz von Klima und Umwelt verwendet werden sollen. Inspiriert war diese Initiative von Überlegungen, die auf die Ökonomen John M. Keynes und James Tobin ("Tobin Tax") zurückgehen. Eine solche Steuer wird bereits seit 1998 von der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac gefordert - allerdings ohne nennenswerte Resonanz.

Die Kampagne Steuer gegen Armut erlebte hingegen einen Durchbruch, als innerhalb von drei Wochen 55 000 Bürgerinnen und Bürger eine Petition an den Deutschen Bundestag unterzeichneten und damit das Thema auf dessen Tagesordnung setzten. Inzwischen wird sie von 88 Organisationen - von Adveniat bis zum DGB und politischen Parteien - sowie 16 Einzelpersonen getragen, darunter Bischöfe, Banker und Wissenschaftler. Im Februar 2010 wurde die britische Robin Hood Tax Campaign gegründet, die im englischen Sprachraum das Anliegen popularisierte. Inzwischen wird die Forderung der Kampagne in über 30 Ländern der Welt vertreten; im November 2011 übernahm sie auch die Occupy Wallstreet-Bewegung.

Aus welcher Dynamik erklärt sich der Erfolg dieser internationalen zivilgesellschaftlichen Bewegung? Drei Gründe dürften eine Rolle spielen: Erstens die Enttäuschung vieler Bürgerinnen und Bürger, daß Finanzmarktakteure Gewinne privatisieren, Verluste aber der Allgemeinheit aufbürden und weiter Boni und Gewinne einstreichen können. Zweitens die Einsicht, daß nicht nur die reichen Länder unter den Finanzkrisen und der sie mitverursachenden Spekulation gelitten haben, sondern auch arme Staaten, so daß etwa die Zahl der Hungernden weltweit die Milliardengrenze überschritt. Drittens die Erkenntnis, daß die Welt vor großen Herausforderungen hinsichtlich der Bewahrung globaler Allgemeingüter wie Trinkwasser, Wälder und Klima steht, die ohne entsprechende finanzielle Aufwendungen nicht bewältigt werden können, und daß sich der Finanzsektor, der jeden Tag gigantische Summen bewegt, bislang nicht erkennbar an dieser Last beteiligt.

Für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bestehen derzeit die größten Chancen in der EU oder der Eurozone: Ende September 2011 legte die EU-Kommission einen entsprechenden Legislativvorschlag samt Zeitplan vor. Der stärkste Widerstand kommt aus Großbritannien. Dort steht die Regierung unter massivem Druck der Finanzinstitutionen und will deshalb eine solche Steuer nur weltweit mittragen. Aber: Wenn man bei allen guten Ideen immer warten würde, bis alle zur Umsetzung bereit sind, würde vieles erst gar nicht zustande kommen bzw. durch den Zwang zum Kompromiß derart verwässert, daß es wirkungslos wäre. Warum sollen also EU oder Eurozone nicht vorangehen und andere einladen, sich ihnen anzuschließen? Auch die Konvention für das Verbot von Landminen oder das Kyoto-Protokoll kamen nur auf diesem Weg in Gang.

Die wachsende Zustimmung zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer verdeckt allerdings die Probleme, die hinsichtlich der Verwendung der Einnahmen bestehen: Die Begeisterung vieler Regierungen für die Steuer erklärt sich aus deren Absicht, die Einnahmen zum Schuldenabbau oder für Rücklagen im Hinblick auf die nächste Bankenkrise zu verwenden. Andere Regierungen (etwa Frankreich), die Zivilgesellschaft und die meisten Oppositionsparteien hingegen pochen auf die Verwendung zumindest eines substantiellen Teils der Einnahmen für die ursprünglichen Ziele der Kampagne.

Man darf gespannt sein, wie sich die Initiative 2012 weiterentwickeln wird. Der G20-Gipfel in Cannes bestätigte im November 2011, daß man hinsichtlich der Staaten mit einem angelsächsisch geprägten Finanzsystem wenig Hoffnung auf Einigung hegen kann. Vielversprechender waren die Äußerungen wichtiger Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien oder Südafrika: Dort wächst die Bereitschaft, sich an einem Regelwerk zu beteiligen. Auch darf nicht unterschätzt werden, daß eine wachsende Anzahl von Global Playern wie zum Beispiel UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die Afrikanische Union, der Internationale Gewerkschaftsbund sowie die katholische und anglikanische Kirche die Kampagnenforderungen unterstützen.

Aber auch in Deutschland bleibt noch viel zu tun: Es ist eine Ironie der Politik, daß ausgerechnet Bundesminister Dirk Niebel, dessen Budget vom geforderten Einnahmenzuwachs am meisten profitieren würde, zu einem der heftigsten Gegner der Steuer zählt. Ebenso bedauerlich ist, daß inzwischen über 370 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen im sogenannten "Entwicklungspolitischen Konsens" erklärt haben, bis 2015 das 40 Jahre alte Versprechen einzulösen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungshilfe aufzuwenden, es aber trotz dieser großen parlamentarischen Mehrheit nicht geschafft haben, den konkreten Prozeß bei den Haushaltsberatungen tatsächlich in Gang zu setzen. Wollte man dies wirklich ernsthaft tun, wäre ab sofort ein jährlicher Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro im Entwicklungshaushalt erforderlich gewesen. Es wäre auch ein Signal gewesen, daß der Bundestag den Optimismus und die Entschiedenheit des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU Fraktion, Peter Altmaier, teilt, der am 9. November 2011 erklärt hat: "Noch bevor das nächste Jahr vorbei ist, werden wir die Finanztransaktionsteuer bekommen!" Spätestens dann stünden entsprechende Einnahmen aus diesem "innovativen Finanzierungsinstrument" zur Verfügung.

Trotz aller Erfolge besteht also doch kein Anlaß zum Jubel, wohl aber zu begründetem Optimismus. Es werden freilich noch einige dicke Bretter gebohrt werden müssen.

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