"Tempelreinigung der deutschen Kirche?"Die Causa Weltbild und ethische Geldanlagen in moraltheologischer Sicht

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Konflikte um den Augsburger Medienverlag Weltbild. Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz, beleuchtet die Hintergründe und hebt die Bedeutung ethischer Wertmaßstäbe für kirchliche Geldanlagen hervor.

"Ist in der Kirche der Teufel los?" So fragt der Journalist Paul Badde am 20. November 2011 den Kölner Kardinal Joachim Meisner. Dieser antwortet:

"Ich verstehe jeden, der das fragt, wenn wir Schriften von Kirchenfeinden, Esoterik, Erotik et cetera verbreiten. Das kann ich alles nicht mehr nachvollziehen. Da gibt es nur noch eins: Wir müssen uns davon radikal trennen! Dazu gibt es für mich gar keine Alternative."

Ein zweites Mal hakt der Journalist nach: "Kündigt sich da eine Tempelreinigung der deutschen Kirche an?" Worauf der Kardinal antwortet:

"Ich hoffe es. Doch wissen Sie, ich gehe alle vier Wochen beichten. Das ist auch eine Art Tempelreinigung. Aber nun werden wir wohl zu klaren Entscheidungen im Sinne des Heiligen Vaters kommen."1

Noch ein drittes Mal spitzt der Journalist zu: "Heißt das, dass Sie schon die Stricke flechten, mit denen Sie die Händler aus dem Tempel verjagen wollen?" Worauf der Kardinal erwidert:

"Wissen Sie, wir sind eine Bischofskonferenz und gemeinsam Träger des apostolischen Amtes, da kommen wir, hoffe ich, auch ohne Stricke aus. Wir sind zu einem eindeutigen Zeugnis aufgerufen. Dies vor allem anderen. Dass wir sagen: Das geht, und das geht nicht mehr. Manches wird nicht mehr so weitergehen können, wie es bis bisher gegangen ist."2

Hintergrund des Interviews war die "Causa Weltbild". Der Augsburger Medienverlag Weltbild gehört zu 100 Prozent der katholischen Kirche in Deutschland. Gesellschafter des Konzerns mit 6400 Mitarbeitern und mehr als 1,6 Milliarden Euro Jahresumsatz sind zwölf katholische Diözesen, der Verband der Diözesen Deutschlands und die Soldatenseelsorge Berlin. Dieser Konzern vertreibe über seinen Online-Handel etliche erotische, esoterische und kirchenkritische Schriften, so der bereits 2008 geäußerte Vorwurf konservativer Kreise. Doch während die Bischöfe 2008 den Ball flach halten und die öffentliche Erregung abwiegeln können, gelingt ihnen dies Ende 2011 nicht mehr. So fordert zum Beispiel Alexander Kissler im "Focus" den "kompletten Ausstieg" der Kirche aus Weltbild und Droemer Knaur sowie den "Verkauf sämtlicher Anteile..., und sei es mit Verlusten". Diesen Preis müsse "eine Kirche sich leisten können, für die eine Entweltlichung um der Welt willen nicht nur eine fromme Phrase ist"3.

Zu seiner Verteidigung gibt der Verlag an, dass der Umsatz mit den beanstandeten Schriften nur 0,2 Prozent ausmache und er auf den "mündigen Bürger" setze. Zensur finde nicht statt. Darüber hinaus versuche man, der eigenen Verantwortung gerecht zu werden, indem man bei "Holocaust-Leugnern, Kriegs- und Gewaltverherrlichung sowie bei Sex" und Kirchenkritik Grenzen setze. Auf Drängen des Aufsichtsrates sei vor Jahren ein Speziallektorat eingerichtet worden mit der Aufgabe, inhaltlich nicht tolerable Publikationen aus dem Vertrieb zu nehmen. Da sich Weltbild im Versandhandel mit Wettbewerbern wie Amazon behaupten müsse, habe die Verlagsgruppe ihr Angebot im Internet um das lieferbare Großhandelsangebot ergänzt. Darin fänden sich auch Bücher erotischen, nicht aber pornografischen Inhalts4.

Kann also der "Tempel" kirchlicher Vermögensbeteiligungen überhaupt keimfrei gehalten werden? Kann die Kirche Geldgeschäfte machen, ohne dass ihre Finger schmutzig werden? Und wenn nicht, ist dann die Konsequenz Kardinal Meisners unausweichlich, den Tempel zu reinigen, indem man ihn entleert und alle kirchlichen Beteiligungen preisgibt?

Frage und Geltungsbereiche der klassischen Lehre der cooperatio

Genau um diese Fragen geht es in der klassischen moraltheologischen Lehre über die "cooperatio ad malum", die "Mitwirkung zur Sünde". Kontext dieses traditionsreichen Arguments, das in der Moraltheologie des 16. und 17. Jahrhunderts auftaucht5 und in der "Theologia moralis" des Alfons von Liguori (1696-1787) eine erste umfassende Systematisierung erfährt6, ist die Überzeugung, dass "'die Welt' eine Quelle sittlicher Versuchungen" und folglich "jede Teilnahme an der von der Welt andrängenden Sünde" zu meiden sei7 - ohne dass man sich jedoch gänzlich aus der Welt zurückziehen könne. Wie können Christen und Christinnen in einer Welt handeln, in der sie unweigerlich mit Menschen in Kontakt kommen, die Böses tun? Wie können sie mit diesen Menschen kooperieren, ohne selbst in deren böse Taten hineingezogen zu werden - insbesondere dann, wenn die Kooperation ein objektiv gutes Ziel verfolgt?

So zu fragen, heißt voraussetzen, dass Menschen in Konflikten die Situation durch ein lupenreines Sich-Fernhalten von der Sünde eines Anderen gegebenenfalls verschlimmern und umgekehrt durch ein beschränktes Zusammenwirken mit bösen Menschen Leid lindern und Gutes tun können. Es gibt keine saubere Trennung von Gut und Böse, Schwarz und Weiß, auch wenn wir uns das wünschen würden. Genau diesem Umstand trägt die Lehre der Mitwirkung zum Bösen Rechnung und möchte in einer unübersichtlichen, immer und notwendig verstrickten Welt den nötigen Handlungsspielraum zum Guten schaffen:

"Angesichts der engen sozialen Verflochtenheit der Menschen in Arbeit und Leben, der dadurch bedingten erhöhten, aber oft unvermeidlichen Fernwirkungen des einzelmenschlichen Handelns, seiner Verstrickung in soziologische Handlungszusammenhänge ist die Vermeidung jeder materiellen Mitwirkung zur Sünde … für den Menschen unmöglich."8

Wenn es stimmt, dass die Vermeidung jeder materiellen Mitwirkung zur Sünde unvermeidlich ist, kommt es auf die Unterscheidung an: Unter welchen Bedingungen kann eine solche Mitwirkung verantwortet werden - und unter welchen Bedingungen auf keinen Fall?

Es ist auffallend, dass diese Frage in den nachkonziliaren Lehrbüchern zur Fundamentalmoral nicht vorkommt - anders als in den neuscholastischen Handbüchern, die sie mit großer Selbstverständlichkeit behandeln. Dort wird die Mitwirkung klassisch auf Interaktionen zwischen Einzelpersonen bezogen, vor allem in den Bereichen des fünften bis siebten Gebots im Dekalog (also Leben, Sexualität und Eigentum)9. Neuerdings spielt die Frage der Mitwirkung aber eher eine Rolle auf der institutionellen Ebene der Kooperation zwischen Kirche und Staat (etwa die Scheinausstellung in der Schwangerenberatung, die Restriktionen kirchlicher Krankenhäuser im Leistungsangebot, der Unterricht der Sexualkunde in kirchlichen Schulen usw.). Auch die Causa Weltbild ist auf dieser institutionellen Ebene anzusiedeln, wenn auch in der Beziehung der Kirche zu einem Unternehmen.

Unter welchen Bedingungen kann die Mitwirkung an Handlungen verantwortet werden, die zum Bösen führen? In der Beantwortung dieser Frage unterscheidet die Neuscholastik zunächst zwischen formaler und materialer Mitwirkung: Formal nennt man die Mitwirkung dann, wenn das vom Haupthandelnden angestrebte Übel vom Kooperierenden ebenfalls intendiert wird - sei es faktisch, aber unreflektiert "ex cooperatione", das heißt als in der Dynamik der eigenen Handlung liegendes Ziel (wie z. B. im Falle der aktiven Mitwirkung eines Assistenzarztes an einer unrechtmäßigen Abtreibung) oder bewusst und ausdrücklich "ex intentione", das heißt als beabsichtigtes Ziel des Mitwirkenden10: Diese formale Mitwirkung, so die übereinstimmende Lehre der klassischen Moraltheologie, ist unter allen Umständen abzulehnen11.

Material nennt man die Mitwirkung dann, wenn das Böse vom Mitwirkenden nicht intendiert wird und auch nicht in der inneren Dynamik der Kooperationshandlung gegeben ist. In diesem Fall spielen drei Aspekte eine Rolle, die die Beziehung zwischen der Mitwirkungshandlung und der verwerflichen Handlung beschreiben. Diese Beziehung kann sein12: mehr oder weniger unmittelbar oder mittelbar (cooperatio immediata bzw. mediata); mehr oder weniger nah oder fern (cooperatio proxima bzw. remota); mehr oder weniger notwendig oder zufällig (cooperatio necessaria bzw. mere contingens).

Aus diesem Bündel der drei Aspekte leitet die Neuscholastik nun die Generallinie ab: Je mehr eine Mitwirkung unmittelbar, nah und notwendig ist, umso gewichtiger muss das durch die Mitwirkung erstrebte Gute sein, um die Mitwirkung zu rechtfertigen. Wenn die Mitwirkungshandlung maximal unmittelbar, nah und notwendig ist (wie z. B. das Halten einer Leiter für einen Dieb), dann ist sie durch keinen noch so guten Zweck zu rechtfertigen. Wenn die Mitwirkungshandlung relativ unmittelbar, nah und notwendig ist (wie z. B. das Vermieten einer Wohnung zur Einrichtung eines Bordells), dann ist sie kaum zu rechtfertigen. Wenn die Mitwirkungshandlung hingegen eher mittelbar, fern und nicht notwendig ist (wie z. B. das Verkaufen einer Leiter an einen Dieb), kann sie durch hochrangige Ziele gerechtfertigt werden.

Es ist offensichtlich, dass dieses fließende Kontinuum zwischen größtmöglicher Nähe und äußerster Ferne zwischen Kooperationshandlung und Haupthandlung einen großen Ermessensspielraum öffnet. Und es scheint mir, dass die moraltheologische Kasuistik diesen durchaus bewusst offen hält13. Interessanterweise erwähnen Joseph Mausbach und Gustav Ermecke wie auch schon Franz Hürth SJ und Pedro María Abellán SJ den in der Causa Weltbild strittigen Fall des Verkaufs verbotener Bücher ausdrücklich: Sie ordnen ihn als Fall nicht notwendiger Kooperation ein, ohne jedoch ein explizites Urteil über seine Erlaubtheit abzugeben14. Allerdings trifft ihre Beschreibung nicht ganz das Weltbild-Problem: Denn Mausbach und Ermecke fragen nach der Legitimität des Handels mit verwerflichen Büchern, nicht nach der Legitimität des Besitzes eines Verlags, der mit verwerflichen Büchern handelt. Die Causa Weltbild ist also die Frage nach einer noch mehr mittelbaren, ferneren und kontingenteren Kooperation als der im neuscholastischen Handbuch betrachtete Fall. Es deutet sich behutsam an, dass ihn die Neuscholastiker als erlaubt betrachtet hätten.

Die Entfernung zwischen Mitwirkungshandlung und verwerflicher Haupthandlung ließe sich aber theoretisch weiter steigern. Bisher besitzt die Kirche den Verlag Weltbild zu 100 Prozent und ist damit Alleineigentümer. Denkbar wäre es alternativ, dass die Kirche ihre Vermögenswerte, mit denen sie zum Beispiel die Rentenzahlungen an ihre früheren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen absichern will (ein hochrangiges gutes Ziel!), in Aktien oder anderen Wertpapieren so breit streut, dass sie an vielen Unternehmen jeweils nur kleine Anteile hält. Damit wäre der Konnex zwischen Mitwirkungs- und Haupthandlung deutlich weiter gelockert - ohne dass die Frage nach der Legitimität der cooperatio damit erledigt wäre.

Ursprung und generelle Idee der ethischen Geldanlagen

Nehmen wir einmal an, die Kirche würde ihr gesamtes Vermögen auf diese Weise in breit gestreuten Aktien und Wertpapieren anlegen. Nach welchen Kriterien sollte sie das tun? Welche Unternehmen könnte sie mit ihrem Geld verantwortet unterstützen und welche nicht? Die Idee ethischer Investments hat ihren Ursprung in den 1970er Jahren in den Bewegungen gegen den Krieg in Vietnam und die Apartheid in Südafrika. "Kein Geld für Rüstung und Apartheid!" war damals die Devise.

Zuerst entwickelte man spezifische Finanzprodukte in den USA und Großbritannien - den damals im Aktienhandel dominierenden Ländern -, dann aber auch in Kontinentaleuropa. Treibende Kräfte waren Organisationen mit starken ethischen Ansprüchen, also Universitäten, Stiftungen und Kirchen. Spätestens seit der Vatikan in den 1980er Jahren bezichtigt wurde, Aktien einer Firma für Kondome zu besitzen, ist dieses Thema für "Überzeugungsgemeinschaften" wie die Kirchen zu einer kommunikativen Überlebensfrage geworden. In der ersten Reihe haben es Ordensgemeinschaften vorangetrieben, aber auch viele Diözesen legen ihr Geld heute ethisch "sauber" an.

Ethische Geldanlagen sind also solche, die neben ökonomischen Renditekriterien auch ethische Wertmaßstäbe berücksichtigen. Oft wird von ökologischem und sozial verantwortlichem Investment (socially responsible investment = SRI) gesprochen. Nach Antje Schneeweiß15 kann man drei Grundformen unterscheiden:

1. Fördersparmöglichkeiten bei alternativen Bankinstituten: Ethisch orientierte Banken bieten Sparbücher an und garantieren, mit dem hinterlegten Geld bestimmte Aktivitäten zu fördern, für die sie die Kredite zu günstigeren Konditionen gewähren als auf dem übrigen Markt. Die Bank übernimmt das Risiko, der Anleger erhält meist eine niedrigere Verzinsung als auf dem Kapitalmarkt.

2. Direktinvestitionen in nicht börsennotierte Unternehmen: Der Investor stellt einem ethisch handelnden Unternehmen über Anteile oder Anleihen direkt Geld zur Verfügung und wird über Ausschüttungen oder Festzins am Gewinn beteiligt. Er trägt das Risiko mit.

3. Ethische Investmentfonds: Der Anleger investiert in Investmentfonds, deren Management sich anhand ethischer Kriterien zu einer Beschränkung verpflichtet. Innerhalb der Auswahlkriterien entscheidet das Fondsmanagement nach klassischen Renditekriterien. Das Risiko für den Anleger ist ein mittleres.

"Pecunia non olet!" - "Geld stinkt nicht!" So heißt ein klassisches römisches Sprichwort. Dem Geld selbst sieht man nicht an, wie es verdient oder erworben wurde. Ethische Geldanlagen sind also ein Versuch, dem zunächst geruchlosen Geld seine ethische Duftnote zu geben und riechbar zu machen: den Wohlgeruch der Moralität auf der einen Seite, den üblen Gestank der Unmoral auf der anderen. Mit Niklas Luhmann wissenschaftlicher formuliert: Es geht darum, zwei gesellschaftliche Teilsysteme miteinander zu verknüpfen, Ökonomie und Ethik, so dass ihrer beider Funktionslogiken aneinander gebunden werden und Ergebnisse bringen, die sowohl ökonomisch als auch ethisch weitgehend erwünscht sind.

Die Funktionsweise ethischer Investmentfonds

Um diese Verknüpfung zweier autonomer Teilsysteme und ihrer Funktionslogiken zu ermöglichen, muss es zwei gleichberechtigte, autonom agierende Entscheidungsgremien geben, von denen das eine für die ökonomische, das andere für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der betreffenden Geldanlage Verantwortung trägt. Beide treffen zunächst unabhängig voneinander ihre Grundsatzentscheidungen. Anschließend prüfen sie miteinander, welche konkreten Folgen diese für die Investierbarkeit ihrer Gelder haben, also in welche Maßnahmen, Unternehmen oder Staaten (man spricht bildhaft vom "Universum") guten Gewissens und ökonomisch erfolgversprechend investiert werden kann.

Um die potenziell investierbaren Maßnahmen, Unternehmen oder Staaten ethisch sachgerecht bewerten zu können, brauchen die genannten Gremien dabei externe Unterstützung in Form von Agenturen für ethisches Rating. Analog zu den ökonomischen Ratingagenturen sollen diese die ethische Performance von Akteuren auf dem Markt kontinuierlich beobachten und bewerten. Um aber ihre Glaubwürdigkeit besser abzusichern als die ökonomischen Ratingagenturen, ist es bei den ethischen Ratingagenturen Standard, dass sie nicht von den zu bewertenden Unternehmen finanziert werden, sondern von denen, die ihren Rat in Anspruch nehmen, also den ethischen Geldanlegern16.

Wie sind nun die ethischen Ratings strukturiert? Mit welchen Mitteln versucht man, eine umfassende und faire Bewertung einzelner Akteure herbeizuführen?

1. Zunächst einmal gibt es absolute Ausschlusskriterien, auf Grund deren die Aktie eines Unternehmens sofort als nicht investierbar gilt, wenn das Unternehmen auch nur irgendwie an der betreffenden ethisch verwerflichen Praxis beteiligt ist (z. B. wenn eine Hotelkette auch nur ein einziges Bordell betreibt). Grund ist hier genau das, was formale Kooperation meint - es würde als ausdrückliche Unterstützung einer in sich verwerflichen Praxis betrachtet, wenn man solche Aktien kaufte.

2. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein absolutes Tabu nicht angebracht ist. Wenn zum Beispiel ein Konzern seinen Managern bei Auslandsaufenthalten unter der Hand einen Bordellbesuch finanziert, wird man das zwar klar missbilligen. Es handelt sich jedoch eindeutig um eine cooperatio remota, wenn man die Aktien dieses Konzerns kauft. Erst wenn die Finanzierung der Bordellbesuche einen nennenswerten Anteil des Konzernumsatzes übersteigen würde, könnte man von einer cooperatio proxima reden. Hier wird man also mit einem relativen Ausschlusskriterium arbeiten, das erst ab einem festgelegten Schwellenwert greift.

3. Eine zentrale Unterscheidung sowohl für absolute als auch für relative Ausschlusskriterien ist die Nähe des Unternehmens oder Staats zu dem unethischen Verhalten: Eigene Aktivitäten wiegen schwerer als Aktivitäten von Vertragspartnern und Zulieferern. Der Handel mit einem unethischen Produkt ist anders zu beurteilen als die Finanzierung seiner Produktion usw. Gerade hier sind die oben erwähnten Skalen von Unmittelbarkeit, Nähe und Notwendigkeit wichtig und werden differenziert angewandt.

4. Bei aller Berechtigung kasuistischer Bewertungen einzelner Handlungen von Konzernen und Staaten case by case darf aber deren Gesamtperformance nicht vergessen werden. Denn es mag vorkommen, dass ein insgesamt hervorragend verantwortungsbewusst handelnder Konzern in einem Einzelfall eine ethisch nicht zu billigende Handlung setzt. Soll man diesen dann aus dem Universum ausschließen und in Unternehmen investieren, die zwar keinen ethischen Kapitalfehler begangen haben, insgesamt aber moralisch mäßig bis unterdurchschnittlich agieren? Bei aller nötigen Sorgfalt, Böses zu vermeiden, muss gerade aus christlicher Perspektive das primäre Bemühen darauf gerichtet sein, das Gute zu fördern. Die Fondsgesellschaften ethischer Geldanlagen fügen daher dem individuellen Beurteilen einzelner Akteure zwei systemische Strategien hinzu:

1. Einerseits kauft man in Branchen, in denen genug Auswahl besteht, nur die Aktien der "best in class". Anstatt eine bestimmte, starr festgelegte ethische Performance von Unternehmen zu verlangen, vergleicht man diese untereinander und kauft dann zum Beispiel die Aktien der zehn besten Großbanken oder der fünf besten Lebensmittelkonzerne. Auf diese Weise entsteht bei den Konzernen - sofern ihr Interesse erwacht, mit ihren Aktien im Ethikfonds vertreten zu sein - ein ständiger Wettbewerb, unter den ethisch Besten zu sein und zu bleiben.

2. Die zweite dynamische Strategie, die noch in den Kinderschuhen steckt, aber viel Potenzial hat, ist das so genannte "Engagement": Wenn ein Unternehmen von den zuständigen Gremien aus ethischen Gründen als nicht mehr investierbar beurteilt wird, schreibt der Fondsmanager das Unternehmen an und teilt ihm die Gründe dafür mit. Damit erhält das Unternehmen innerhalb einer festgesetzten Frist die Chance, Fehlentwicklungen zu korrigieren und ethische Prozesse so zu verbessern, dass es im Universum des Ethikfonds verbleiben kann. Wie sich in den letzten Jahren zeigt, nehmen immer mehr Unternehmen eine solche "gelbe Karte" ernst und bemühen sich um eine angemessene Reaktion.

Epilog: Die Würdigung ethischer Geldanlagen im Licht der klassischen Lehre von der cooperatio

Ethische Ratings zielen letztlich darauf, Konflikte zwischen unterschiedlichen ethischen Zielen durch Kompromissoffenheit zu managen. Denn es handelt sich ja im Regelfall nicht ausschließlich um Konflikte zwischen Ökonomie und Ethik. Vielmehr stehen hinter fast jedem Konflikt dieser beiden gesellschaftlichen Teilsysteme innerethische Zielkonflikte17. Eine Diözese, die ihr Geld anlegt, um ihren Ruhestandspriestern eine Pension zahlen zu können, trägt eine ethische Verantwortung für die Stabilität und Verlässlichkeit der Pensionszahlungen. Sie wird also aus ethischen (!) Gründen da und dort Abstriche von der "reinen Lehre" des sittlichen Optimums machen müssen. Genau diesen Konflikt hat die klassische Lehre der cooperatio vor Augen: dass ein sittlich gutes Ziel nur erreicht werden kann, wenn zugleich ein eng begrenztes Mitwirken an schlechten Handlungen in Kauf genommen wird.

"Die Bereitschaft, sich auf verworrene und höchst komplexe Lebenssituationen einzulassen, darf nicht als schuldhafte Verstrickung diskreditiert werden."18 Eine Strategie der sauberen Hände oder des besenreinen Tempels ist unglaubwürdig. Denn die (potenzielle oder reale) Kooperation mit sündigen Personen oder Institutionen ist die einzige Chance, positiven Einfluss auf diese zu nehmen und so an der Verbesserung der Welt mitzuwirken. Es geht also nicht um das "Ob", sondern um das "Wie" und "Wie weit" einer solchen Kooperation. In Jesu Gleichnis von den Talenten wird nicht jener bestraft, der das Geld des Herrn veranlagt und dabei verliert. Bestraft wird vielmehr der, der es überhaupt nicht wagt, das Geld anzulegen, sondern es vergräbt (Mt 25,14-30). Zwar geht es in der Bildhälfte des Gleichnisses um ökonomische Gewinne und Verluste. Mir scheint es aber legitim, die Analogie zu ethischen Gewinnen und Verlusten zu ziehen: Das völlige Sich-Fern-Halten von den Geschäften der sündigen Welt ist nicht der Weg Jesu. Denn wer mit völlig reinen Händen daherkommt, der hat nichts getan.

Nach Pressemeldungen vom 28. Juni 2012 wird die Verlagsgruppe Weltbild nun doch nicht verkauft, sondern in eine Stiftung öffentlichen Rechts eingebracht. Noch ist nicht klar, wie diese genau konstruiert wird, und damit lässt sich auch nicht sagen, ob in ethischer Perspektive wirklich etwas gewonnen ist. Doch eines wird schon jetzt deutlich: Eine "Tempelreinigung der deutschen Kirche" wird es vernünftigerweise nicht geben.

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