Demokratie auf dem Prüfstand

Die Demokratie steht heute weltweit vor neuen und teils widersprüchlichen Herausforderungen. Im Nahen Osten hat sie in den letzten Jahren durch den "Arabischen Frühling" viel Auftrieb erhalten. Dies scheint allerdings tendenziell islamistische Gruppen zu stärken, was mit nicht geringen Risiken für christliche, aber auch für islamische Minderheiten verbunden ist. Zugrunde liegt ein in vielen Entwicklungsländern verbreiteter politischer Fundamentalismus, der religiös, ethnisch oder auch parteipolitisch geprägt sein kann. Meist ist er mit der Vorstellung verbunden, dass nach Wahlen das Prinzip gilt: "The winner gets all." Anderswo gibt es hybride Demokratien mit demokratischen Institutionen, aber einer undemokratischen (autoritären) politischen Kultur.

Aber auch etablierte Demokratien stehen vor großen Problemen. Die Handlungsfähigkeit der USA ist durch eine Polarisierung ohne Bereitschaft zu Kompromissen gefährdet. In Europa findet eine Verlagerung von Kompetenzen auf supranationale Institutionen wie die Europäische Union statt, was die demokratischen Mitspracherechte der Mitgliedsstaaten und ihrer Bürger und die Transparenz von Entscheidungen einschränkt. Anderseits verlangen Probleme wie die Rettung des Euro schnelle Entscheidungen, was jedoch die Beteiligung der Parlamente aushöhlt. Umgekehrt scheinen vielerorts Bürgerbewegungen die repräsentative Demokratie infrage zu stellen. Das Stichwort "Mediendemokratie" verweist auf ein weiteres Problem, vor allem auf die Gefahr schwer kontrollierbarer Manipulationen. Die Folge ist "Politikverdrossenheit", die sich in sinkender Wahlbeteiligung und in Stimmen für Protestparteien niederschlägt. Hinzu kommt vielerorts ein Erstarken kruder nationalistischer und populistischer Kräfte, die demokratische Rechte gering achten oder nach Wahlerfolgen einzuschränken versuchen.

Die Ursachen dieser und ähnlicher Entwicklungen sind vielfältig und meist ebenso vielschichtig. Dazu gehören komplexe Prozesse, die demokratische Aufbrüche oft unstabil machen und in autoritäre Systeme umschlagen lassen können. In vielen Entwicklungsländern trägt dazu ein politisches Umfeld bei, das von schlechter Regierungsführung bis hin zum Zerfall jeglicher staatlicher Gewalt reicht. Dies hat undemokratischen Traditionen und populistischen Kräften - durchaus unter dem Mantel einer Demokratie - Auftrieb gegeben. Autoritäre Systeme erscheinen dann als "kleineres Übel", zumal wenn sie für öffentliche Sicherheit und grundlegende Dienstleistungen sorgen.

Eine ambivalente Ursache für demokratische Umbrüche ist der zivilgesellschaftliche Aufbruch der letzten Jahre. Der Prozess der Globalisierung hat die Zahl zivilgesellschaftlicher Akteure fast überall auf der Welt sprunghaft ansteigen und eine internationale Zivilgesellschaft mit wachsendem Gewicht entstehen lassen. Dies hat positive Auswirkungen wie "Allianzen der Solidarität" über weltanschauliche und nationale Grenzen hinweg, die sich für gemeinsame Ziele einsetzen, beispielsweise die weltweite Kampagne zum Verbot von Landminen. Diese Akteure von der lokalen bis hin zur internationalen Ebene haben aber auch unübersehbare Grenzen. Sie haben im Allgemeinen nur begrenzte Ziele und Klientelen. Vor allem sind nicht alle gesellschaftlichen Gruppen in gleicher Weise fähig, sich zu organisieren und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Gerade die Armen haben dazu oft sehr hohe Hürden zu überwinden.

All dies spricht nicht gegen die Demokratie, und es gibt zweifellos gute Gründe, ihre Grundidee zu verteidigen. Es braucht aber auch ein neues Nachdenken über ihre Grundlagen und ihre wesentlichen Elemente, gerade dann, wenn man die Demokratie auch in andere Kulturen vermitteln will. Dazu gehört ganz zentral eine Wertebasis, die nicht durch Mehrheitsentscheidungen nach Belieben veränderbar ist. Fast alle Staaten berufen sich dazu heute auf die Menschenrechte. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Minderheitenrechten und besonders dem Recht auf Religionsfreiheit zu. Die Menschenrechte umfassen aber nicht nur bürgerliche und politische (Zivilpakt), sondern auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), was eine gute Regierungsführung voraussetzt. Zu einer politischen Kultur der Demokratie gehört weiter die Orientierung am Gemeinwohl und Kompromissfähigkeit. Ein wesentlicher Aspekt ist eine gewaltfreie Konfliktkultur, die auf einem rechtsstaatlich kontrollierten Gewaltmonopol beruht (Dieter Senghaas: "Zivilisierung wider Willen"). Diese Aspekte sollten auch im Zentrum aller Demokratisierungshilfe stehen.

Im Kern geht es um eine kluge und kulturell angepasste Zuordnung von Partizipation, was weit über demokratische Wahlrechte hinausgeht, und einer politischen Rahmenordnung. Eine "Politik von oben", in deren Zentrum der Staat mit seinen Institutionen steht, verliert heute an Gewicht, und die Vertreter und Akteure einer "Politik von unten" werden immer wichtiger und übernehmen teils sogar staatliche Funktionen. Es braucht aktive Mitbestimmung und Mitgestaltung politischer Maßnahmen, und zwar bereits bei der Entscheidungsfindung und nicht erst bei der Durchführung. Andernfalls werden die Menschen sich entziehen. Nur so lässt sich auch das nötige Selbstvertrauen in die eigenen Möglichkeiten wecken, was Grundvoraussetzung jeder humanen Entwicklungspolitik ist.

Partizipation als Kern einer "Entwicklung von unten" ist aber auch ein ethisches Gebot, so man den Menschen als Mittelpunkt jeglicher Entwicklung sieht bzw. von der Menschenwürde und den Menschenrechten ausgeht. Sie ist eng mit Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit verbunden. Unersetzlich dafür bleibt freilich ein günstiges politisches Umfeld, das individuelle und gemeinschaftliche Initiativen von unten nicht behindert, sondern fördert. Dies ist eine der großen Herausforderungen einer wirksamen internationalen politischen Ordnung. Das Prinzip der Subsidiarität gibt dafür eine hilfreiche strukturelle Orientierung.

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