Pacem in terris - das Ende des gerechten Krieges

Von ihrer beklemmenden Eindringlichkeit haben die Worte nichts eingebüßt, sie wirken fünfzig Jahre später so aktuell wie damals: "Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten" (Nr. 127). Geschrieben wurden sie unter dem Zwischentitel "Zeichen der Zeit" von einem, der im 82. Lebensjahr stand: Am 11. April 1963, einem Gründonnerstag, veröffentlichte der bereits von einer schweren Krebskrankheit gezeichnete Papst Johannes XXIII. seine nicht nur an Katholiken, sondern (erstmals) "an alle Menschen guten Willens" gerichtete achte Enzyklika "Pacem in terris". Keine zwei Monate später war er tot.

Der die längste Zeit seines Lebens auf zweitklassigen diplomatischen Außenposten wirkende Roncalli-Papst war weder naiv noch weltfremd, auch wenn er von manchen Zeitgenossen (auch innerhalb der Kirche) manchmal so hingestellt wurde und wird. Zwei Jahre vor Erscheinen seiner Friedensenzyklika war Berlin durch den Mauerbau zur geteilten Stadt geworden. Vier Wochen vor Konzilsbeginn legte am 8. September 1962 das sowjetische Frachtschiff "Omsk" mit einer Ladung von SS-4-Mittelstreckenraketen in Havanna an, brachte die Fracht aber nicht an Land. Am 15. September gelangen den Amerikanern Aufklärungsfotos von dem mit Militärgütern beladenen sowjetischen Frachtschiff "Poltava", das sich auf dem Weg nach Kuba befand. Als Millionen von Katholiken am 11. Oktober 1962 via Fernsehen die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils mitverfolgten, stand die Welt durch die Stationierung russischer Langstreckenraketen auf Kuba am Rande eines Atomkrieges zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion. Die von Präsident John F. Kennedy am 14. Oktober verhängte totale Seeblockade - in dem Hollywoodepos "Thirtheen days" aus amerikanischer Perspektive mit Kevin Costner in der Rolle des Präsidentenberaters imposant nacherzählt - war der geradezu verzweifelte, doch letztlich erfolgreiche Versuch eines visionären Politikers und seiner Berater, die "Gewehr bei Fuß" stehenden Militärs von einem atomaren Erstschlag abzuhalten.

Am 7. März 1963 gewährte Johannes XXIII. im Anschluß an einen Presseempfang anläßlich der Zuerkennung des Internationalen Balzan-Friedenpreises Rada und Alexej Adschubej, dem Chefredakteur der Regierungszeitung Izvestija und Schwiegersohn von Nikita S. Chruschtschow, für den er außenpolitische Sonderaufträge erfüllte, eine Privataudienz. Innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche löste diese Begegnung heftige Reaktionen aus. Im Westen wurde über eine politische Aufweichung gegenüber dem Kommunismus spekuliert, im Vatikan wurde die "pastorale Kontaktfreudigkeit" des Papstes mit Argwohn betrachtet. Am 22. April, keine zwei Wochen nach ihrer Veröffentlichung, erschien in einer Moskauer Zeitschrift eine ausführliche Zusammenfassung von "Pacem in terris". Chruschtschow persönlich äusserte sich in einem Interview mit dem Herausgeber der Mailänder Zeitung Il Giorno sehr positiv über das Papstschreiben. Johannes XXIII. war davon überzeugt, dass die weltpolitische Lage dazu zwinge, die jahrhundertealte Lehre vom "gerechten Krieg" aufzugeben. "Dies", so Giuseppe Alberigo, "war eine Wende von enormer Tragweite, deren Nachvollzug immer noch im Gange ist."

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich das weltpolitische Koordinatensystem stark verändert: Der Kalte Krieg ist Vergangenheit. Es gibt nur mehr eine "Supermacht". Wie verwundbar diese ist, haben die Terrorakte vom 11. September 2001 grausam aufgedeckt. Indien und Pakistan bringen seit Jahren ihre atomaren Arsenale gegeneinander in Stellung. Das vor einem ökonomischen Kollaps stehende Nordkorea arbeitet auch unter dem neuen Machthaber Kim Jong-un an der Drohkulisse eines Atomkriegs.

Im Westen lange nicht mehr bemühte Vokabeln werden wieder verwendet: Seit dem Irak-Krieg wird erneut vom "gerechten" oder von einem "Präventivkrieg" gesprochen. Von der von Aristoteles über Augustinus, Thomas von Aquin bis zu Hugo Grotius, dem Begründer des modernen Völkerrechts, entwickelten Idee des "gerechten Krieges" unterscheidet sich dieser dadurch, dass es ihm nicht um die "Rückkehr zum Frieden" geht, sondern darum, dass angesichts eines drohenden Krieges die dann zu erwartenden Übel so groß erscheinen, dass diese einen präventiven Militärschlag angeraten erscheinen lassen. Da eine Nation allein (Unilateralismus) eine solche Entscheidung schwerlich treffen kann, hatte die US-amerikanische Regierung seinerzeit den Weg über die Vereinten Nationen gewählt und sich für Beschlüsse des Sicherheitsrates stark gemacht. Nur die UNO, hieß es, könne dem Drohpotenzial des Iraks eine wirksame "Koalition der Anständigen" entgegensetzen. Die UNO verweigerte, anders als mit der Resolution 678 im zweiten Golfkrieg 1990/91, ein solches Mandat, woraufhin Truppen der USA und des Vereinigten Königreichs mit politischer wie militärischer Unterstützung verbündeter Staaten ihre Irak-Invasion auf eigene Faust - völkerrechtswidrig - begannen.

Ein Militärschlag gilt gemeinhin als "ultima ratio". Demgegenüber ist an die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" zu erinnern, in der die Konzilsväter mit Bezug auf "Pacem in terris" eine "Übereinkunft zwischen allen Nationen" anregten, damit "jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann" (GS 82). Nur eine "von allen anerkannte öffentliche Weltautorität" könne dem Wettrüsten ein Ende setzen. Diese Weltautorität genießt heute unzweifelhaft die UNO. Sie allein besitzt die Autorität, alle diplomatischen Register zu ziehen - um einen Krieg zu vermeiden. Für den Frieden einzutreten und für seine Erhaltung zu werben, weist auch den christlichen Kirchen eine immense Aufgabe zu. Papst Johannes Paul II. zitierte "Pacem in terris", als er sich gegen eine Irak-Invasion aussprach. Benedikt XVI. arbeitete als Konzilsberater an "Gaudium et spes" mit.

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