Neue Stimmen für eine neue Zeit

Vor hundert Jahren, mit der Oktober-Ausgabe 1914, änderte diese Zeitschrift ihren Namen: Aus "Stimmen aus Maria Laach" wurden "Stimmen der Zeit". Seit über vierzig Jahren bereits war "Maria Laach" eine virtuelle Angabe und Adresse - und damit irreführend: Die Beuroner Benediktiner, seit 1892 in Maria Laach, befürchteten Besitzansprüche, dem Verlag Herder war der Name "zu klösterlich", er wirke "abschreckend". Im März 1865 gegründet, seit Juli 1871 monatlich erscheinend, hatten die Jesuitengesetze von 1872 die Zeitschrift ins Exil gezwungen: in Tervueren bei Brüssel (1874), in Blyenbeck (1880) und Exaten (1885) in den Niederlanden, im Schriftstellerhaus in Luxemburg (1899) und schließlich in Valkenburg (1911), im Kolleg der deutschen Jesuiten zwischen Maastricht und Aachen.

Etwas lyrisch wurden in der Oktober-Ausgabe 1914 Orts- und Titelwechsel angezeigt - heute eher an einen Roman von Ludwig Ganghofer erinnernd: "Waldesrauschen und die spiegelklare Tiefe des feuergeborenen Sees, ragende Glockentürme und die stille Weihe betender Jahrhunderte kennzeichnen das erste Heim der 'Stimmen aus Maria Laach'." 1863 hatten Jesuiten in der säkularisierten Benediktinerabtei in der Eifel ein Ausbildungshaus eingerichtet. Dabei wurde die Gründung einer Zeitschrift "für Gebildete" ventiliert. Treibende Kräfte waren Florian Rieß SJ, der vor seinem Ordenseintritt als Priester das "Deutsche Volksblatt" und das "Deutsche Sonntagsblatt" geleitet hatte, und Gerhard Schneemann SJ, der später (nach Klaus Schatz SJ) als Experte von Primat und Unfehlbarkeit "der meistbekannte und auch meistgehaßte deutsche Jesuit" wurde. Die "Stimmen aus Maria Laach" erschienen mit dem Ziel, den "Syllabus" Papst Pius' IX., eine Sammlung 80 moderner verurteilter "Irrtümer", und seine ebenfalls 1864 erschienene Enzyklika "Quanta cura", in weiterer Folge das Erste Vatikanische Konzil zu verteidigen.

Nach intensiven Beratungen einigte man sich im Lauf des Jahres 1914 auf "Stimmen der Zeit" - mit dem Untertitel: "Katholische Monatschrift für das Geistesleben der Gegenwart", der im Oktober 1946 auf "Monatschrift für das Geistesleben der Gegenwart" verkürzt und mit Januar 1967 ganz fallengelassen wurde. Varianten waren gewesen: "Katholische Stimmen", "Stimmen der Gegenwart" und "Stimmen". Seit Herbst 1914 befindet sich der Redaktionssitz in München: zunächst verstreut auf verschiedene Wohnungen in Schwabing, dann in der Veterinärstraße, seit Februar 1966 in Nymphenburg, im neugebauten Alfred-Delp-Haus, das im Herbst 2003 aufgegeben wurde, seither in der Kaulbachstraße.

"Stimmen", aber im Plural - nicht nur eine Sicht, wie früher: das Lehramt, Rom, den Papst verteidigend; "Zeit" - nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart; und "Geistesleben" - heute: Kultur und was sich damit verbindet: Diese drei Schlagwörter beschreiben das Spektrum der Inhalte. Die Zeitschrift aus innerkirchlichen Polarisierungen ("Modernismuskrise") herauszuhalten, nicht mehr gegen etwas anzuschreiben (etwa die "Kölner Richtung" oder die Zeitschrift "Hochland"), sondern sich im intellektuellen Diskurs einzubringen, dabei aber Position zu beziehen, wurde ihr Leitbild. Karl Rahner SJ († 1984), der neben Oswald von Nell-Breuning SJ († 1991) zu den regelmäßigsten "Artikel-Lieferanten" der Redaktionsgeschichte vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zählte, prägte den Begriff von der "kritischen Loyalität".

1880 wurde ein Chefredakteur "wegen Selbstherrlichkeit" sogar abgelöst - Professor in Rom konnte er trotzdem werden. Jesuiten wie Josef Kreitmaier, Peter Lippert, Erich Przywara, Anton Koch oder Max Pribilla, um nur einige zu nennen, prägten die Zeitschrift. Das Zweite Vatikanum brachte eine Öffnung, die Wolfgang Seibel SJ, von 1966 bis 1998 Herausgeber und Chefredakteur, nach ihm Martin Maier SJ (1998-2009), konsequent verfolgten - auch gegen gelegentlichen "römischen" Widerstand. Den einen waren die "Stimmen" zu "romtreu" und apologetisch, den anderen zu fortschrittlich und "zeitgeistig" - innerhalb wie außerhalb des Ordens. Gibt es größere Gegensätze der Wahrnehmung?

Im Oktober 1946 - die Nazis hatten die Zeitschrift verboten (die letzte Ausgabe erschien im Juni 1941) - gab es dank "christlicher Konjunktur" 19 000, kurz darauf die Rekordzahl von 21 878 Abonnenten. Traumzahlen! Das änderte sich im Juni 1948 mit der Währungsreform und der Einführung der Deutschen Mark. Die Druckauflage pendelte sich bei 9000 ein, die Zahl der Bezieher sank auf 7000 und ging in den letzten Jahrzehnten, wie bei anderen Zeitschriften auch, kontinuierlich zurück. Die "Stimmen der Zeit" sind ein Minderheitenprogramm - aber mittlerweile die älteste katholische Kulturzeitschrift Deutschlands: ein Spiegelbild dessen, was Kirche und Gesellschaft, Politik und Kultur, Literatur und Künste beschäftig(t)en.

In Valkenburg hatte man sich einen "größeren geistigen Austausch mit Professoren" erhofft, der freilich "auch nicht ohne Probleme" erfolgte. Valkenburg wirkte traumatisch nach. Dabei wird gern Petrus Canisius SJ († 1597) zitiert: In Deutschland sei ein Schriftsteller mehr wert als zehn Professoren. Abgesehen davon, dass manche "Schriftsteller" des Ordens auch als Dozenten tätig sind: Solche Abgrenzungen sind heute nicht mehr nötig. Aber ein bestimmtes Milieu brauchen Blattmacher schon. Synergieeffekte erwartete man sich vom Umzug ans Münchner Berchmanskolleg und auf den Campus der Hochschule für Philosophie.

Die "Stimmen der Zeit" wissen sich dem christlichen Glauben und dem Dienst an der Kirche verpflichtet. Das bedeutet auch, über den katholischen Tellerrand zu schauen und an die Ränder, an die Peripherien von Denken und Glauben zu gehen, wie Papst Franziskus immer wieder betont - und darüber zu informieren. Als Kardinal forderte er im Vorkonklave (2013) "kühne Redefreiheit" - ich ergänze: Schreibfreiheit. Doch auch in Rom gibt es mehr als eine Stimme. Konflikte können dann nicht ausbleiben. Aber das ist eine andere Geschichte.

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