Sind Ordenschristen noch Propheten?

Vor 120 Ordensoberen hat Papst Franziskus Ende 2013 ein Jahr der Orden angekündigt, das vom 30. November 2014 bis 2. Februar 2016 dauern soll. Mit dem Themenjahr greift er eine unter Benedikt XVI. begonnene Tradition auf ("Jahr des Priesters", "Jahr des Glaubens"). Der spanische Franziskaner José Rodriguez Carballo, seit seiner Berufung zum Sekretär der Ordenskongregation Erzbischof, zuvor Generalminister seines Ordens, stellte in diesem Zusammenhang ein neues Apostolisches Schreiben in Aussicht. Außerdem soll das Dokument "Mutuae relationes" über die Beziehungen zwischen Bischöfen und Orden revidiert werden.

"Auch ich bin ein Ordensmann", betonte der Papst bei derselben Begegnung. Und weiter: "Weckt die Welt auf! Seid Zeugen eines anderen Handelns!" Dass das Konklave am 13. März 2013 mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio SJ erstmals seit 1831 wieder einen Ordensmann wählte, noch dazu erstmals überhaupt einen Jesuiten, bedeutet auch, dass die Kardinäle diesmal auf die Kraft der Orden setzten. Mit seiner Namenswahl, auch das ein Novum in der Kirchengeschichte, verknüpfte Papst Franziskus zwei geistliche Lebensformen, die auf Reformbewegungen der Kirche im 12. und 16. Jahrhundert zurückverweisen. Christozentrik verbindet Franziskaner und Jesuiten miteinander.

Der brasilianische Kurienkardinal João Braz de Aviz, Präfekt der Ordenskongregation, betonte, es gehe nicht nur um einen Rückblick auf fünf Jahrzehnte seit Ende des Konzils, das zu einer Erneuerung des Ordenslebens aufgerufen hatte, sondern um eine Zukunftsvision: "Die männlichen und weiblichen Ordensangehörigen sind sich bewusst, dass sie nicht die große Geschichte erzählen dürfen, die sie in der Vergangenheit hatten, sondern auch dazu berufen sind, eine nicht minder schöne und große Geschichte in der Zukunft zu schreiben." Die Krise der Orden dürfe man nicht als "Vorzimmer zum Tod" betrachten, sondern vielmehr als Kairos, als eine günstige Gelegenheit für ein "Wachstum aus der Tiefe".

Jenseits vatikanischer Rhetorik ist es hilfreich, sich auch hier Äußerungen des Papstes ins Bewusstsein zu rufen, die auf den Punkt bringen, was Sache ist. Im Interview mit Antonio Spadaro SJ (August 2013) meinte Franziskus: "Ordensleute sind Propheten." Ähnlich wie auf dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro, wo er Jugendliche aufforderte, sich einzumischen, präzisierte er bei seinem Treffen mit Ordensleuten: "Ein Ordensmann oder eine Ordensfrau darf nie auf Prophetie verzichten. Die Prophetie macht Lärm, Krach - manche meinen 'Zirkus'. Aber in Wirklichkeit ist ihr Charisma, Sauerteig zu sein: Die Prophetie verkündet den Geist des Evangeliums."

Trotz vielfacher Erosionserscheinungen sind Ordenschristen dazu berufen, ihre Nachfolge, ein Leben aus den Gelübden von Armut, Keuschheit und Gehorsam, in der Kirche zur Geltung zu bringen: Orden als Kontrastprogramm. "Die Zukunft des Christentums und der Kirche", so Ulrich Ruh im Mai 2013 ("Stunde der Orden?"), "wird in unseren Breiten entscheidend davon abhängen, dass Menschen in einem diffusen Umfeld aus Säkularität und Religiosität Vorbilder und Weggefährten finden, die sie überzeugend und zugleich unaufdringlich in die Grundvollzüge des Glaubens einweisen können." Vorbilder und Weggefährten - auch das hat mit Prophetie zu tun. Der Papst warnte im Interview, wohl nicht ohne Erfahrungshintergrund, vor "Karikaturen", Verzerrungen des Ordenslebens, wenn etwa Keuschheit "zum Leben als alter Junggeselle" degeneriert: "In der Kirche sind Ordensleute besonders berufen, Propheten zu sein, die bezeugen, wie Jesus auf dieser Erde gelebt hat, und die zeigen, wie das Reich Gottes in seiner Vollendung sein wird." Indirekt ist hier eine eschatologische Perspektive angesprochen.

Was heißt das für heute und morgen? Johann Baptist Metz würde wohl ähnliche Fragen stellen wie 1977 ("Zeit der Orden"): Wo und wie sind Orden "produktive Vorbilder"? Nutzen sie ihre "innovatorische Funktion für die Kirche" - als "eine Art Schocktherapie des Heiligen Geistes für die Großkirche"? Wo "klagen sie die Kompromisslosigkeit des Evangeliums und der Nachfolge ein"? Widerstehen sie der Versuchung, in die "Mitte" zu rücken - "gleichsam großkirchlich angepasst und gezähmt"? Wo sind sie Pioniere, Vor- und Querdenker? Haben Orden (noch) "Biss" - und bei welchen Themen? "Aber der katholischen Kirche in der Bundesrepublik", so Ruh, "könnte es auf keinen Fall schaden, wenn etwa im Laienkatholizismus, aber gerade auch in Gestalt der Orden etwas mehr 'Anarchie' im besten Sinn Platz greifen würde."

Nach innen gefragt, wieder mit Metz: Trägt Treue zum Ursprung manchmal nicht auch "Züge des Nekrophilen, des Sicheinschließens in toten […] Lebensformen und Praxen"? Spricht der Lebensstil von Ordenschristen von Christusförmigkeit und radikaler Nachfolge? Was suchen Interessenten in den Orden? Wie steht es um ihre Lebenstüchtigkeit? Wird "Ordensexistenz als Hoffnungsexistenz mit apokalyptischem Stachel" wahrgenommen? Oder eher mit "Schonpark", Rundumversorgung im Ordenshabit, klösterlicher "Idylle"?

Nicht zuletzt: Macht Ordensleben glücklich? Tomás Halík schreibt: "Der Beichtvater einer Ordensgemeinschaft sagte mir einmal […], dass Röntgenaufnahmen von den Mägen der Schwestern oder Brüder mehr über ein Kloster verraten als die Innengestaltung der Kapelle oder der Gesang im Chor. Magengeschwüre sowie andere Beschwerden können mehr als das ständige Lächeln auf den Gesichtern über die wirklichen Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft aussagen, über Stress, der im Interesse der Aufrechterhaltung jenes ewig lächelnden Gesichts manchmal ungenannt bleibt, uneingestanden, innerlich unterdrückt - weitergegeben an die inneren Organe." Ordensleben ist anspruchsvoll. Es fordert. Wer Jesus dabei aus dem Blick verliert, kreist um sich selbst. Und wieder Papst Franziskus: Kirche muss an die Ränder gehen, sie muss wagen und den Mut zum Experiment aufbringen. Ordensexistenz bleibt aktuell. Ordenschristen sind keine Exoten, sondern Propheten.

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