"Eure Heiligkeit" (Santità) oder einfach "Heiliger Vater" (Santo Padre) - so lautet die offizielle Anrede eines Papstes. Ist der Papst schon zu Lebzeiten von Amts wegen ein Heiliger? Dieser Auffassung neigte der mittelalterliche Papst Gregor VII. zu, der wegen der Verdienste Petri auch dessen Nachfolgern schon zu Lebzeiten eine Amtsheiligkeit zubilligte. Nach biblischer Auffassung können alle in Christus Geheiligten als Heilige bezeichnet werden (1 Kor 1,2). Dass die Kirche von Gott her heilig ist, bekennen die Christen im Credo. Aber sie wissen auch, dass die heilige Kirche Sünder umfasst, wie die Dogmatische Konstitution "Lumen gentium" des letzten Konzils festhält: "Sie ist zugleich heilig und der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung" (LG 8). Daher bedarf es einer Prüfung, auch bei Päpsten, welche Personen nach ihrem Tod in die Liste der Heiligen aufgenommen werden können.
Solche Erhebungen dürfen allerdings nicht zum Trugschluss verleiten, dass nur Kanonisierte und nicht auch Andere heiligmäßig gelebt hätten und zur Gemeinschaft der Heiligen (communio sanctorum) berufen wären. Aber es sind die Heiligen, in denen "Gott seine Gegenwart und sein Antlitz den Menschen in lebendiger Weise kundtut" (LG 50). Um dies herauszufinden, bedarf es der Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Die Untersuchungen werden im Sterbebistum eingeleitet und in der römischen Kongregation für die Kanonisationen fortgesetzt, über deren Urteil unanfechtbar der Papst entscheidet. Im Konsistorium am 30. September 2013 hat nun Papst Franziskus festgelegt, dass gleich zwei seiner Vorgänger zugleich heiliggesprochen werden sollen. Das singuläre Ereignis findet am zweiten Ostersonntag der Barmherzigkeit (27. April 2014) in Rom statt. Johannes XXIII. und Johannes Paul II., zwei Zeitgenossen, die viele noch in lebendiger Erinnerung haben, werden "zur Ehre der Altäre" erhoben.
Angelo Giuseppe Roncalli hatte im hohen Alter von 78 Jahren das Papstamt übernommen und sich Johannes XXIII. genannt. Ihm war nur ein kurzes Pontifikat von fünf Jahren (1958 bis 1963) vergönnt, in dem er aber die Sympathie aller Welt gewann und vor allem das Zweite Vatikanische Konzil einläutete. Er wandte sich in seiner Eröffnungsansprache am 11. Oktober 1962 gegen die "Unglückspropheten" seiner Zeit, die nur Untergang und Unheil witterten, akzeptierte kritisch die Moderne und sah die Menschheit in eine "neue Ordnung" eintreten. Durch ein pastorales Konzil wollte er die Kirche in die Gegenwart hineinstellen und verheutigen (aggiornamento). Im Sinn dieser Proximität fühlte sich die konziliare Kirche "engstens verbunden" mit der Menschheit" (GS 1) und sah sich als sakramentales "Zeichen und Werkzeug" für die Vereinigung mit Gott und für die "Einheit der ganzen Menschheit" (LG 1). Die Verehrung, die Johannes XXIII. im Volk genoss, bewegte seinen Nachfolger Paul VI., der das Konzil zu Ende geführt hatte, im Jahr 1970 ein Verfahren in Gang zu setzen, das Johannes Paul II. im Jahr 2000 mit der Seligsprechung abschloss - übrigens zusammen mit dem Konzilspapst des Ersten Vatikanums, dem umstrittenen Pius IX. Dieses Zusammenspannen, das manche Kritik auslöste, sollte wohl Kontinuität demonstrieren, legte jedoch auch die Differenz der Stile und der inhaltlichen Positionen offen.
Der Pole Karol Wojtyla, der sich in Anknüpfung an seine Vorgänger Johannes Paul II. nannte, konnte auf ein außerordentlich langes Pontifikat (1978 bis 2005) zurückblicken, in dem er mithalf, den Kommunismus in seinem Heimatland niederzuringen. Auf zahlreichen Auslandsreisen präsentierte er die Kirche als internationale Akteurin und als Missionarin unter den Völkern - nicht ohne für die Einheit der Menschheit und die Menschenwürde der Einzelnen zu streiten. Da er bei den weltweiten Visiten aber auch auf die kirchlichen Fehler und Sünden in Geschichte und Gegenwart stieß, zum Beispiel bei der Durchsetzung von Wahrheitsansprüchen, rief er die Kirche im Heiligen Jahr 2000 zur Reinigung des Gedächtnisses in Form eines Bußaktes auf. Als die Welt auf dem Petersplatz von ihm Abschied nahm und der stürmische Wind im Lektionar auf dem Sarg blätterte, vernahm man sogleich den Ruf nach baldiger Kanonisation des Jahrhundertpapstes. "Santo subito" war zu hören und auf Spruchbändern zu lesen. Der Ruf blieb nicht unerhört. Denn sein ins Petrusamt gewählter Nachfolger, der Deutsche Benedikt XVI., leitete noch im Todesjahr seines Vorgängers ohne die üblichen Fristen das Verfahren ein, das in Rekordzeit mit der Seligsprechung von Johannes Paul II. im Jahr 2011 endete.
Bei allen Unterschieden haben beide Päpste in deutlicher Zeitgenossenschaft zu einem Wandlungsprozess der Kirche beigetragen, der sie näher an den Text des Evangeliums und den Kontext der Zeit heranrückte. So haben sie - jeder auf seine Weise - die Selbstbezüglichkeit der Kirche aufgebrochen und ihre Mission bis an die Peripherien hervorgehoben.
Auch bei den Kanonisationen gibt es Peripherien. So hat unter den jüngsten Heiligsprechungen Papst Benedikt XVI. die seit Jahrhunderten verehrte Hildegard von Bingen († 1179) per Dekret zur Heiligen erklärt, um sie kurz danach zur vierten Kirchenlehrerin zu erheben (2012). Der 1872 seliggesprochene Peter Faber SJ († 1546), ein enger Gefährte von Ignatius von Loyola und der erste Priester der Gesellschaft Jesu, der in Deutschland für die geistliche und moralische Erneuerung gewirkt hatte, wurde ebenfalls per Dekret von Papst Franziskus in die Liste der Heiligen aufgenommen. Nun wartet Lateinamerika auf eine Entscheidung in der in Rom anhängigen Causa des 1980 ermordeten Bischofs Oscar Arnulfo Romero von El Salvador, der als Märtyrer für Glaube und Gerechtigkeit verehrt wird. Schließlich sollte die konziliare Forderung nach einer Stärkung der Laien auch in der Heiligsprechungspolitik interkulturell ihren Niederschlag finden. An Kandidatinnen und Kandidaten aus aller Welt fehlt es nicht.