Wie alt dürfen wir werden?Der demografische Wandel als theologisch-ethische Herausforderung

Der demografische Wandel stellt eine wachsende gesellschaftliche Herausforderung dar. Ralf Lutz, Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Moraltheologie der Universität Tübingen, untersucht die theologisch-ethischen Aspekte des Problems.

Das Phänomen des sogenannten demografischen Wandels ist alles andere als neu. Er wird inzwischen seit Jahr(zehnt)en beschworen und gehört doch zu den großen noch weitgehend unbewältigten Herausforderungen westlich orientierter Gesellschaften. Wir haben es beim demografischen Wandel, verstanden als Gesamt der Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung, die zur Verschiebung der Altersstruktur einer Gesellschaft führen, mit einem historisch neuen Phänomen zu tun, denn bislang existieren keine Vorbilder für ausgesprochene Alterskulturen.

Reflexions- und Gestaltungsbedarf

Hier artikuliert sich ein enormer Reflexions- und Gestaltungsbedarf, der inzwischen durchaus gesehen und angenommen wird, der aber insbesondere für die Disziplinen der Ethik noch erheblichen Lernbedarf bereithält. Das gilt nicht nur für die theologische, sondern auch für die philosophische Ethik, wie Otfried Höffe völlig zu Recht moniert hat, wenn er darauf hinweist, dass trotz "ihrer langen Tradition das Alter kein professionelles Thema"1 der Philosophie bilde, von Ausnahmen abgesehen wie etwa dem stoischen Titel "De senectute". Es ist auch nach wie vor von einem weitgehenden "Fehlen der Theologie als gerontologischer Diskurspartnerin"2 auszugehen, wiewohl es neben den inzwischen klassisch zu nennenden theologischen Arbeiten von Romano Guardini3, Karl Rahner SJ4 und für die Moraltheologie Alfons Auer5 natürlich auch äußerst lohnende aktuelle Ansätze gibt, etwa in der Pastoraltheologie oder in der Pflegeethik (care ethics). Aber darüber hinaus ist das Potenzial der Theologie, erst recht der theologischen Ethik, zur Rekonstruktion von Konzepten und Modellen gelingenden Altwerdens und Altseins, womöglich auch als kritisches Korrektiv säkularer Ansätze, auch nicht nur ansatzweise ausgeschöpft.

Aus dieser Beobachtung lassen sich drei Kernthesen entwickeln: Wir haben es - meine erste These - mit einem erheblichen Theoriedefizit6 bezüglich der theologisch-ethischen Durchdringung von Altersphänomenen zu tun, die bislang zu wenig Aufmerksamkeit von Philosophie, Theologie und weiteren Normwissenschaften gefunden haben. Mit dem erwähnten Theoriedefizit geht - meine zweite These - auch ein erheblicher Orientierungsbedarf einher - schließlich reden wir von einer Lebensphase, die nicht selten noch zwei, drei oder mehr Dekaden umfassen kann und gestaltet werden will, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Dabei haben die sogenannten Alten potenziell erhebliche soziale Gestaltungsmacht7, wie die "Berichte zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland"8 differenziert belegen. Die damit für die theologische Ethik verbundenen Anfragen sind vielfältig. Werden diese Anfragen ernst genommen, dann können wir - meine dritte Kernthese - zahlreiche Transformationen unserer Moralsprache beobachten und müssen in der Folge auch Akzentverschiebungen unserer ethischen Begriffe herausarbeiten.

Diese Herausforderungen verlangen daher auch Antworten, die sich nicht allein an einem medizinischen Altersparadigma orientieren, sondern auch die moralischen und spirituellen Dimensionen ausreichend würdigen. Um hier eine erste Orientierung zu bieten, möchte ich in drei Schritten vorgehen: Nach einem ersten Teil, der sich vor allem mit Vorklärungen beschäftigt (begrifflich, sozialwissenschaftlich und biblisch), soll im zweiten Teil zu den ethischen Herausforderungen Stellung genommen werden, aus moraltheologischer wie aus sozialethischer Perspektive. Ein dritter Teil wagt abschließend einen Ausblick.

Begriffliche Klärungen

Zur Bestimmung des Gegenstandes der vorliegenden Reflexionen möchte ich zunächst einige begriffliche Klärungen vornehmen. Ich unterscheide den Prozess des Alterns im Sinne eines Entwicklungsverlaufs von der definierten Lebensphase des Alters, die bekanntlich in junges, mittleres und hohes Alter differenziert wird, wobei eine in mehrerlei Hinsicht entscheidende Schwelle um das 80. bzw. 85. Lebensjahr angesetzt wird. Schließlich sind die Subjekte des Alterns bzw. Alters nochmals zu unterscheiden von den Altersbildern, Alterskonzepten und Alterstheorien, die wir über diese Subjekte haben.

Mit anderen Worten: Prozess, Phase, Subjekte und Bilder bzw. Konzepte sind zu unterscheiden. Insbesondere die Altersbilder sind dabei nochmals zu differenzieren: in die individuellen Selbstbilder der Alten - wichtig vor allem für individualethische Fragestellungen; und die gesellschaftlich anzutreffenden Konzepte und Bilder über das Altern und die Alten - wichtig insbesondere für sozialethische Perspektiven.

Sozialwissenschaftliche Befunde

Eine Bevölkerung altert, wenn die Menschen länger leben und gleichzeitig weniger Kinder geboren werden. Dann steigt der relative Anteil der älteren Einwohner an der Gesamtbevölkerung. Dieses kollektive Altern wird ausgedrückt durch den Altenquotienten, das Verhältnis von Rentnern zu Menschen im Erwerbsalter. Der Altenquotient 65 (über 65-Jährige je 100 Personen von 15 bis 64 Jahren) liegt in Deutschland heute bei 34,1. Er wird auf 41 im Jahr 2025 und auf etwa 56 bis 60 im Jahr 2050 ansteigen. Die deutsche Gesellschaft wird in den nächsten Jahrzehnten also stark altern9.

Auffallend ist schließlich aus sozial-historischer Perspektive, dass das Ansehen der alten Menschen in der Geschichte heftigen Wandlungen unterlag10. Erschien etwa für die frühe Neuzeit des 16. und frühen 17. Jahrhunderts der alte Mensch noch als Bürde und Jammergestalt, so führten Versittlichungsprozesse im späten 17. Jahrhundert zu Achtung vor den Alten bis hin zu einer Art Inthronisation des Alters. Die ökonomischen und sozialen Veränderungen des 19. Jahrhunderts schließlich ließen zwar nicht die ihnen entgegengebrachte Achtung, wohl aber ihre Autorität sinken. Die klare Abgrenzung des Alters als Lebensphase kann erst in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts datiert werden.

Biblische Aussagen

Bei einem Blick in das Zeugnis der Heiligen Schrift sind zunächst die Anzahl und der Gehalt der Aussagen im Alten Testament auffallend. Das Neue Testament ist da deutlich zurückhaltender. Dennoch ist "keine systematische Entfaltung der Lebensbedingungen des alternden Menschen"11 zu finden, wohl aber eine Fülle von altersbezogenen Vorstellungen12. So finden sich Reflexionen auf die Lebenszeit des Menschen, die einen Realismus der Vergänglichkeit und der verrinnenden Lebenszeit erkennen lassen, die Lebensphasen unterscheiden und insgesamt die kurze Lebenszeit, die "knapp an Tagen" (Ijob 14,2) ist, thematisieren.

Daneben finden sich bleibend aktuelle Themen wie Altersarmut oder ein Lebensabend ohne Arbeit. Auch die Versorgung der Alten findet Erwähnung über eine Art familial bezogenen Generationenvertrag. Die sogenannte "Sohnespflicht" kann als "familiäre Solidaritätspflicht" gedeutet werden, was ein familienbezogenes Ethos voraussetzt. Daher bezieht sich das Dekalog-Gebot der Elternehrung folgerichtig auf die Sorge für die alternden Eltern13. Daneben findet die Lebensfreude im Alter (Kohelet) und die immer wieder viel beschworene Altersweisheit - meist im Kontext der Gottesbeziehung - Erwähnung. Dabei kann insgesamt eine erstaunliche "Wertschätzung der Erfahrungen der älteren Mitbürger" als "ein Kennzeichen der sozialen Welt des Alten Testaments"14 gelten.

Schließlich ist religionshistorisch höchst interessant, dass Tun-Ergehens-Zusammenhänge von hohem Lebensalter und gerechtem Lebenswandel (graues Haar als positives Zeichen erfüllten Lebens) zwar noch Erwähnung finden, aber die Vorstellung eines langen Lebens als Gottes-Geschenk und Auszeichnung, als Lohn für toratreue Fromme immer wieder an der Erfahrung zerbricht - und genau diese Erfahrungs-Bruchstellen dann Reflexionen über einen nachtodlichen Ausgleich nahelegen. Bei allem biblischen Realismus bezüglich des Alters kann also von einer hohen Wertschätzung des Alters insbesondere im Alten Testament ausgegangen werden.

Ethische Herausforderungen

Wenn es stimmt, was Thomas Rentsch als zentrales Charakteristikum der Lebenssituation der Alten bezeichnet hat, nämlich eine "Radikalisierung der menschlichen Grundsituation"15, dann haben wir es bezüglich des demografischen Wandels mit der ganzen Breite an ethischen Fragestellungen zu tun, wie sie der conditio humana insgesamt entsprechen.

Ich möchte zur Systematisierung drei Klassen von ethischen Aspekten paradigmatisch unterscheiden, jeweils die wichtigsten ethischen Herausforderungen benennen und schließlich exemplarisch eine grundlegende Problematik aus moraltheologischer Perspektive herausgreifen: Es geht um Fragen des guten und gelingenden Lebens; um Fragen nach Rechten und Pflichten; und um folgenorientierte Fragen.

Was ist der entscheidende methodologische Vorteil dieser Klassifizierung? Mindestens zwei Gründe können hierfür genannt werden: Zum einen ermöglicht sie eine unmittelbare Anbindung an moraltheologische und moralphilosophische Theoriebildungen, von denen sie schließlich abgeleitet ist. Und zum zweiten hat sie den Vorteil, sich nicht von den äußerst vielgestaltigen und komplexen Anwendungskontexten her strukturieren zu müssen.

Individualethische Aspekte

Aus individualethischer Perspektive lassen sich klassische Fragen nach dem guten Leben unschwer in Fragen nach Modellen gelingenden Alterns übersetzen. Darunter fallen etwa Fragen nach der Lebensqualität im Alter, die wir bei aller Konsultationspflicht nicht den Sozialwissenschaften, der Medizin und der Psychologie überlassen sollten.

Hier wäre auch aus der Tradition ein reicher Schatz an Erfahrungen vonseiten der theologischen Ethik zu heben, etwa mit Blick auf die Themen: Spiritualität im Alter - auch bei demenziell Erkrankten16; Umgang mit Verlusten und den Grenzen bewusster Lebensführung, mit Kontingenz, Pflegebedürftigkeit, Multimorbidität und überhaupt Leiblichkeit im Alter; sowie die großen, kaum zu überschätzenden eschatologischen Hoffnungspotenziale des Christentums - auf Auferstehung des Leibes, auf Vollendung des Fragments unseres Lebens, auf Versöhnung und Sinn17.

Auch die normative Ebene von Fragen nach Rechten und Pflichten wäre vielfältig zu differenzieren, man denke exemplarisch an die Frage, ob es spezieller Altenrechte bedarf, analog zu sogenannten Kinderrechten? Die zivilisatorische Errungenschaft, die Kindheit als Lebensphase rechtlich geschützt zu haben, könnte zur Analogie verleiten, auch für das Alter spezifische (Schutz-) Rechte begründen zu wollen18. Und schließlich folgenbezogene Problemstellungen: Für die Moraltheologie sind etwa Fragen nach Sexualität im Alter relevant, insbesondere in der postreproduktiven Phase.

Offizielle Texte beginnen in der Regel mit der Geschlechtsreife, enden aber mit der reproduktiven Phase. Die mitunter weit mehr als zwanzig, dreißig Jahre, in denen Paare heute aufgrund der hohen Lebenserwartung ohne Nachwuchsziel und Nachwuchssorgen Sexualität im Dienste der Beziehung erleben könn(t)en, werden praktisch nicht thematisiert. Hier gibt es hohen Reflexionsbedarf - auch mit Blick auf alternative Beziehungs-, Wohn- und Kommunikationsformen im Alter, zur Stabilisierung von lange währenden Beziehungen, zur Vermeidung von Alterseinsamkeit, Alterssuizid und vieles andere mehr. Exemplarisch sei nachfolgend die erwähnte Transformation theologisch-ethischer Grundbegriffe am Thema der Selbstbestimmung bei Demenz erläutert.

Selbstbestimmung und Demenz

Das Prinzip Selbstbestimmung19 wurde in den letzten Jahr(zehnt)en insbesondere auf medizin- und gesundheitsbezogenen Handlungsfeldern sukzessive gestärkt - völlig zu Recht. Damit gehen allerdings schnell Anwendungsprobleme einher, und Forderungen nach differenzierter Analyse der normativen Grenzen einer solcherart gestärkten Selbstbestimmung werden laut. Nicht selten genügt es dann nicht mehr, allgemein-abstrakte ethische Begriffe einfach applizieren zu wollen, sondern diese müssen sich ausreichend kontextualisieren lassen, um damit zu angemessenen ethischen Bewertungen zu kommen20.

Für den Kontext Demenz hieße das, die einseitige Auseinandersetzung innerhalb eines medizinischen Paradigmas zurückzunehmen und diese auch als genuin ethische Aufgabe zu begreifen21. Man denke etwa an die Stellungnahme "Demenz und Selbstbestimmung"22 des Deutschen Ethikrats aus dem Jahr 2012, in der ein Konzept "gestufter Autonomie" vorgeschlagen wird. Das heißt, es findet eine Graduierung von Autonomie anhand des spezifischen Kontextes der Demenz23 statt, was eine Empfänglichkeit für entsprechende - auch leibliche - Artikulationen voraussetzt, was wiederum für den potenziellen Widerruf von Vorausverfügungen des Willens (Patientenverfügungen) sehr wichtig ist. Statt von Verlust wäre daher besser von "Veränderung der Selbstbestimmung"24 in späten Stadien der Demenz zu sprechen.

Hier zeigt sich, dass auch höchst eingeschränkte Formen der Selbstbestimmung zu unterstützen sind und insgesamt ein weites Verständnis der Autonomie in Anschlag zu bringen ist, wiewohl auch Grenzen der Wunscherfüllung (mit Blick auf Schadensvermeidung bzgl. Selbst- bzw. Fremdgefährdung) und überhaupt Grenzfälle, die nur advokatorisch entschieden werden können, zu beachten sind. Was hier zur Debatte steht, ist die Bedeutung einer "kontextuellen Anthropologie" für die Bestimmung theologisch-ethischer Begriffe. Auch normativ gezogene Grenzen der Autonomie bestimmen sich dann unter anderem unter Konsultation des Kontextes und einer entsprechenden Anthropologie - zumindest nicht mehr ohne diese. Das würde auch erlauben, die nicht selten immer noch praktizierte Gegenüberstellung von Autonomie und Fürsorge mindestens partiell aufzulösen zugunsten einer Spannungseinheit und Balance von Autonomie und Relationalität.

Natürlich gibt es eine Pflicht zur Unterstützung auch eingeschränkter Formen der Autonomie - so lange wie möglich, erst recht, wenn wir sie als "sittliche Subjektivität" begreifen. Aber wir sollten Autonomie dabei als relationale Größe bestimmen, die auch in Hilfsbedürftigkeit und Hinfälligkeit realisiert werden kann. Eine der zentralen Grundfragen, die sich dabei stellen, lautet: Hört Autonomie auf, erstrebens- und erhaltenswert zu sein, wenn sie nicht (mehr) in ihrer Hochform als Handlungsmächtigkeit daherkommt, sondern eingebettet ist in Formen "assistierter Selbstbestimmung"25? Der Leitwert "rationaler Selbstbestimmung"26 ist daher zu erweitern um eine Anthropologie, die auch eine Annahme von Abhängigkeit und sukzessivem Verlust von Fähigkeiten zu eröffnen vermag. Das muss nicht notwendig mit Resignation27 einhergehen, schließlich ist auch in späten Stadien der Demenz noch ein positiver Einfluss auf Lebensqualität möglich. Dafür ist allerdings ein Denken in Kompetenzen und Ressourcen notwendig, das auch rudimentäre Formen der Selbstaktualisierung auszudrücken vermag28. Normativ ist dabei am Personstatus Maß zu nehmen und an einer Menschenwürdekonzeption, die die vielfachen Bezogenheiten des Menschen (Relationalität) ernst nimmt29.

Sozial- bzw. gesellschaftsethische Aspekte

Auch aus sozial- bzw. gesellschaftsethischer Perspektive können die zentralen ethischen Herausforderungen des demografischen Wandels in die drei bereits bekannten Klassen klar strukturiert werden: Fragen des guten Lebens, Fragen nach Rechten und Pflichten und auf Folgen bezogene Fragen, wobei die Klassen mitunter eng verzahnt erscheinen.

So sind vielfältige sozialethische Folgen einer alternden Gesellschaft zu benennen im Hinblick auf: Gesundheit, Arbeit, Bildung, Wirtschaft, soziale Sicherungssysteme (Alterssicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung) und Generationenbeziehungen, aber auch Stadt- und Verkehrsentwicklung, Ökologie und Ressourcenverbrauch30. Insbesondere Fragen der Generationengerechtigkeit wären hier zu diskutieren31.

Unter Rechten und Pflichten müssten Formen der organisierten und gewerblichen Sterbe(bei)hilfe dringend unter sozialethischer Perspektive reflektiert werden. Auch der ärztlich assistierte Suizid hat klare sozialethische Konnotationen. Zudem scheinen mir auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen immer dringlicher zu werden, mithin Fragen nach begründeten Kriterien für eine Priorisierung und auch Rationierung von Gesundheitsleistungen - womöglich sogar aus (vermeintlichen) Altersgründen32.

Bezüglich Fragen des guten Lebens könnte und müsste über flexible Arbeitszeitmodelle nachgedacht werden, die sinnerfüllende, aber altenadäquate Tätigkeiten ermöglichen, auch zugunsten des Gemeinwohls, und unter Aufnahme der Erfahrungs-Kompetenzen der alten Menschen. Wir wissen noch viel zu wenig über best-practice-Modelle, was alternative Lebens-, Arbeits-, Wohn- und Beziehungsformen im Alter anbelangt - ganz abgesehen davon, dass über neue Formen der Generativität des reichen Erfahrungsschatzes der Alten an nachfolgende Generationen nachzudenken ist. Auch Altersarmut33 und Alterseinsamkeit sind hier als Anfragen an die theologische Ethik zu verorten, ebenso intelligente und befriedigende Pflegekonzepte und deren sozialstaatliche Ermöglichung34 oder auch interessante sozial-historische Fragen nach dem Einfluss des Christentums auf den Umgang mit und den Status der alten Menschen.

Theologisch-ethischer Ausblick

Wie alt dürfen wir also werden? Die Frage fordert auf, die uns eröffnete Lebenszeit auf eine gelingende, am Humanum orientierte Weise zu gestalten - individuell und kollektiv. Aus theologisch-ethischer Perspektive heißt das, die entscheidenden individual- und sozialethischen Herausforderungen in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzunehmen und zu bearbeiten. Da die Altersphase aktuell durch enorme Sinn- und Orientierungsdefizite35 gekennzeichnet ist, gilt es auch, die sinnstiftenden Potenziale einer Hoffnung auf den Gott, der Gerechtigkeit stiften wird, der auch das versehrte Leben bejaht und eine Vollendung unseres Lebens verheißt, freizulegen36.

Insgesamt sehe ich drei große Herausforderungen des demografischen Wandels für die (theologische) Ethik: Erstens die Entwicklung und Kommunikation von Altersbildern, die lebensfreundlich sind; zweitens Maßnahmen zum Schutz von Rechten alter Menschen und ihrer spezifischen Bedürfnisse, gegebenenfalls auch die Überprüfung, an welcher Stelle Präzisierungen und Nachbesserungen des Normenbestandes notwendig sind; und drittens die Arbeit an einer Infrastruktur, die kreativ, menschengerecht und bezahlbar - auch für nachfolgende Generationen - die bevorstehenden Pflege- und Betreuungsaufgaben organisiert37.

Letztlich ist hier an eine Kultur des Alter(n)s erinnert, die es vielleicht erst noch zu entwickeln gilt, an der sich aber die "ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft"38 ablesen lassen (werden). Statt mit dem demografischen Wandel allein ein Problem oder gar ein Defizit bewältigen zu wollen, sollten wir daher darin eine geistgewirkte Chance entdecken, einige fundamentale Aspekte christlich inspirierter Ethik in einer sich zunehmend säkularisierenden Gesellschaft zu artikulieren. Das setzt allerdings einen Perspektivenwechsel voraus, der hier angedeutet werden sollte.

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