Nach dem Gesetz können muslimische Organisationen Körperschaften öffentlichen Rechts werden. Ihre Anerkennung setzt voraus, dass sie eine positive Grundeinstellung gegenüber der staatlichen Rechtsordnung zeigen. Muslimen wird die religiöse Betreuung in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Justizanstalten und dem Bundesheer zugesichert. Um geeignetes Personal zu haben, wird an der Universität Wien ein islamisch-theologisches Studium mit sechs Lehrstellen eingerichtet. Die Ausübung islamischer Lebensweisen bis zur Einhaltung von Feiertagen wird zugesichert. Das Gesetz soll dahin führen, dass der Islam sprachlich in Österreich verankert wird. Imame sollen daher in Österreich ausgebildet werden, Deutsch sprechen, aber auch in Österreich finanziert werden.
Das hat umgekehrt zur Folge, dass der Islam in Zukunft weder personell noch finanziell von anderen islamischen Ländern abhängig sein und der ausländische Einfluss auf die rund 560 000 in Österreich lebenden Muslime weithin unterbunden wird. Das trifft vor allem die durch die türkische Regierung bezahlten Imame, für die es auf Dauer andere Lösungen geben muss. Grundsätzlich gilt: Die staatliche Gesetzgebung hat für die Muslime Vorrang gegenüber dem religiösen Gesetz, der Scharia.
Das neue Gesetz findet in Österreich Zustimmung und Widerspruch: Zustimmung, insofern vor allem die individuellen Rechte der Muslime vor Ort gestärkt werden; Widerspruch, insofern die Einflüsse islamischer Organisationen, vor allem in ihrer Einflussnahme vom Ausland her, eingeschränkt oder gar unterbunden werden. Hier ist zu beachten, dass der Islam strukturell anders als die christlichen Kirchen weniger klar überschaubar ist und religiöse und staatliche Verknüpfungen sich anders darstellen als im Christentum. Selbst wenn der Vatikan staatliche Hoheitsrechte beansprucht, sind diese von anderer Qualität als die der Türkei oder der Vereinigten Arabischen Emirate.
Große Beachtung findet das Gesetz verständlicherweise in den umliegenden europäischen Ländern, zumal in Deutschland. So fragt man bei uns: Brauchen wir ein Islamgesetz? Vor- und Nachteile eines solchen Gesetzes werden - wie gesagt - auch in Österreich diskutiert und sind entsprechend nachvollziehbar. Es gibt aber gute Gründe, auch hierzulande über ein solches Gesetz nachzudenken. Dabei ist die Sicht der unmittelbar Betroffenen wichtiger als die divergierenden Meinungen der Mehrheitsgesellschaft, die dem Islam in unserem Land mehr oder weniger freundlich oder ablehnend gegenübersteht. Man muss nur darauf achten, wie immer noch um den Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff und jetzt der Bundeskanzlerin Angela Merkel gestritten wird: „Der Islam gehört zu Deutschland.“
Bei den Betroffenen ist zu unterscheiden zwischen den islamischen Organisationen und den einzelnen Menschen, die sich zum Islam bekennen. Während die Organisationen an der Wahrung ihrer Möglichkeiten interessiert sind, würde ein Gesetz den Individuen zweifellos größere Freiheiten und eine größere Rechtssicherheit als Staatsbürger bieten.
Unübersehbar findet im heutigen Islam eine Auseinandersetzung um das Selbstverständnis statt. Das beginnt mit der Einschätzung des Heiligen Buches, des Korans. Während moderne Muslime mit immer größerer Offenheit für eine kontextuelle Behandlung des Urtextes eintreten und dabei die in der europäischen Theologie entwickelten Regeln einer Literaturkritik anwenden, gibt es weite Kreise, die sich dem nach wie vor entschieden widersetzen. Die Zeit, als wir uns an der Bonner Universität mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher für Nasr Hamid Abu Zaid (1943-2010), einen der bedeutendsten Reformtheologen in Ägypten, einsetzten, liegt so lange nicht zurück. 1995 wurde er in Ägypten als Apostat von seiner Frau zwangsgeschieden, durfte aber dann mit ihr das Land verlassen und lebte bis zu seinem Tod in den Niederlanden.
Der Islam in seiner klassischen Form hat die westliche Aufklärung bis heute weithin nicht angenommen. Konservative Kreise, die sich gegen die Moderne zur Wehr setzen, gibt es auch im Christentum, doch die Größenverhältnisse der Gruppierungen sind umgekehrt. Während 80 bis 90 Prozent der Christen bei uns ein mehr oder weniger distanziertes Verhältnis zur Kirche haben, findet die Mehrzahl der Muslime in der Diaspora in der Moschee eine starke Beheimatung. Für diejenigen, die als junge Menschen mehr und mehr die Mentalität der Mehrheitsgesellschaft annehmen, ist die mit einem Islamgesetz angesagte Distanzierung zur Scharia daher eine große Hilfe auf dem Weg zu einem Islam im Rahmen der modernen, aufgeklärten Gesellschaft.
Was vom Islam heute gefordert wird - vom Ausland unabhängig zu werden -, hat sich im christlichen Raum weithin vollzogen. Die europäischen Länder waren lange stolz darauf, wie viele Missionare sie in die weite Welt geschickt haben. Der Prozess geht zu Ende, auch wenn es nach wie vor Hilfsleistungen von den reicheren an die ärmeren Kirchen gibt. China war das Land, das in jüngerer Zeit am stärksten die Unabhängigkeit vom Ausland betont hat. Das wird jetzt für einen neu heranwachsenden Islam in der westlichen Welt gefordert. Vielleicht sind uns die USA, die ein anderes Verhältnis zum religiösen Pluralismus haben, hier einen Schritt voraus. Doch so viel steht fest: Nützlich wäre ein Islamgesetz auf jeden Fall schon im Hinblick auf den Einfluss der Scharia.