Im Oktober 2014 hat sich eine außerordentliche weltweite Bischofssynode mit den „pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung“ auseinandergesetzt. Bei der Vorbereitung hatte Papst Franziskus neue Wege eingeschlagen, indem er einen Fragebogen an alle Bischofskonferenzen verschickte und dabei zur Beteiligung aller Gläubigen aufrief. Da der Fragenkatalog auch Fragen über gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Kinder mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren enthielt, gab er das Signal, dass auch gleichgeschlechtliche Beziehungen Gegenstand der synodalen Beratung sein würden. Wie nicht anders zu erwarten, erwies sich dies als eines der umstrittensten Themengebiete der Synode. Wie ist die Auseinandersetzung verlaufen? Welche Akteure und Positionen sind in Erscheinung getreten?
Da der synodale Prozess auf zwei Jahre angelegt ist und erst auf der Ordentlichen Bischofssynode im Oktober 2015 zum Abschluss kommen wird, ist die Synode 2014 lediglich ein Meilenstein auf dem Weg dahin. Wie kann die katholische Kirche neue und produktive Antworten finden, die auch unter weltkirchlichen Perspektiven zustimmungsfähig sind?
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Thema der Synode 2014
Die Ergebnisse der weltweiten Befragung wurden im „Instrumentum Laboris“ (IL) zusammengefasst, das als Grundlage für die Aussprache während der ersten Woche der Synode diente1. Treffend beschreibt es in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften drei verschiedene regionale Kontexte:
„der erste ist derjenige, in dem eine unterdrückende und bestrafende Haltung vorherrscht. Dies gilt vor allen Dingen dort, wo der öffentliche Ausdruck der Homosexualität durch das Gesetz verboten ist. Einige Antworten weisen darauf hin, dass auch in diesem Umfeld Formen der geistlichen Begleitung einzelner homosexueller Personen, welche die Hilfe der Kirche suchen, stattfinden.“ (IL 110)
Ein gesetzliches Verbot von gleichgeschlechtlichen Handlungen gibt es zurzeit in circa 80 Ländern. Es handelt sich vor allem um Länder in Afrika, der Karibik und Asien, die ehemals zum britischen Kolonialreich gehörten, sowie Länder oder Regionen mit Scharia-Gesetzgebung. Es heißt weiter:
„Ein zweiter Kontext ist derjenige, in dem das Phänomen der Homosexualität ambivalent wahrgenommen wird. Das homosexuelle Verhalten wird nicht bestraft, sondern toleriert, so lange es nicht sichtbar oder öffentlich wird. [...] Zur Unterstützung dieser Vorgehensweise werden Gründe der Nichtdiskriminierung genannt. Diese Haltung wird von den Gläubigen und einem Großteil der öffentlichen Meinung in Mittel-Ost-Europa als eine Auferlegung von Seiten einer politischen oder fremden Kultur betrachtet.“ (IL 111)
Viele Länder des ehemaligen Ostblocks nahmen nach 1989 eine rasante Entwicklung in der Antidiskriminierungsgesetzgebung. Das lag nicht etwa an einer veränderten moralischen Einstellung der Bevölkerung zur Homosexualität, sondern daran, dass die EU die Gleichstellung von Schwulen und Lesben zu einer conditio sine qua non in den Beitrittsverhandlungen machte. Dadurch wurde es in den Beitrittsländern zu einem gesellschaftspolitischen Thema mit hohem Erregungspotenzial. Viele Vertreter der katholischen und der orthodoxen Kirche fühlten sich von der Moralpolitik der EU überfahren. Als Reaktion hat die katholische Kirche in Kroatien und in der Slowakei Volksbegehren unterstützt, die die Ehe in der Verfassung als Bund zwischen Mann und Frau festschreiben sollen2. Der Text fährt fort:
„Ein dritter Kontext ist derjenige, in dem die Staaten eine Gesetzgebung eingeführt haben, welche gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften oder Ehen zwischen Homosexuellen staatlich anerkennt. Es gibt Staaten, in denen man von einer echten Re-Definition der Ehe sprechen muss, welche den Blick auf das Paar auf einige juristische Aspekte wie die Gleichheit der Rechte und die ,Nichtdiskriminierung‘ reduziert, ohne dass ein konstruktiver Dialog über die einschlägigen anthropologischen Fragen stattfände. Auch das umfassende Wohl der Person, besonders das umfassende Wohl der Kinder, die in einer solchen Gemeinschaft leben, steht nicht im Zentrum des Interesses. [...] Dieser Kontext besteht vor allem in der englischsprachigen Welt und in Zentraleuropa.“ (IL 112)
Insgesamt scheint mir die Unterscheidung dieser drei Kontexte ein sehr realistisches Bild zu zeichnen. Manche Regionen, vor allem Lateinamerika, werden jedoch nicht explizit eingeordnet, obwohl sich dort in vielen Ländern die gesellschaftliche Situation in wenigen Jahren revolutioniert hat. Argentinien zum Beispiel gilt als das Land mit der weltweit fortschrittlichsten LGBT-Gesetzgebung. Freilich ergeben sich zugleich kritische Anfragen über die Wahrnehmung und Einordnung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. So ist es eher eine Unterstellung als eine Tatsachenbeschreibung, dass das Wohl der Kinder nicht im Blick stünde, wenn es um die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare geht. Den Intentionen der Akteure zumindest wird das IL damit nicht gerecht. Vielmehr zeigt sich darin die Haltung, dass alle Bischofskonferenzen die Adoption von Kindern in gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ablehnen. Allerdings befürworten sie die Taufe eines Kindes in einer „Regenbogenfamilie“, falls die Eltern darum bitten.
Ein gemeinsamer Nenner bestand auch darin, dass alle Bischofskonferenzen sich gegen eine Neudefinition der Ehe zwischen Mann und Frau ausgesprochen haben. Da auch Papst Franziskus in dieser Frage keine Signale für ein Umdenken gegeben hat, ist eine Veränderung in dieser Frage momentan außerhalb jeglicher Reichweite.
Bisher - so stellt IL 113 fest - gebe es keine nennenswerte Pastoral im Bereich der gleichgeschlechtlichen Lebensformen, da dies als Phänomen neu sei und es keine Klarheit gebe, wie man den Widerspruch zwischen Lehramt und barmherziger Annahme bewältigen soll. Die Ursache wird in den extremen Positionen gesehen, die sich gegenseitig blockierten.
Es gehört zur Strategie von Papst Franziskus, auf der Familiensynode nur über pastorale Ansätze zu beraten und Fragen der Lehre auszuklammern. Hier ist jedoch zu bedenken, ob ohne die Überwindung der bisherigen lehramtlichen Positionen zu gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen (d. h. ihrer Beurteilung als Sünde und der Aufforderung zu lebenslänglicher sexueller Enthaltsamkeit) eine „wirksame Pastoral“ nicht von vornherein ausgeschlossen oder doch zumindest stark eingeschränkt ist, da ihr die nötige Ehrlichkeit fehlt. Nur eine verschwindend kleine Minderheit von Schwulen und Lesben lässt sich auf diese moralischen Prämissen der Kirche ein. Für alle anderen wären sie (weiterhin) inakzeptabel.
Mehrfach verwendet das IL den Begriff der „Gender-Ideologie“, um hier eine Ursache der veränderten gesellschaftlichen Haltung zur sexuellen Identität dingfest zu machen:
„Ein Faktum, das die pastorale Tätigkeit der Kirche herausfordert und die Suche nach einer ausgewogenen Haltung gegenüber diesen Realitäten komplex werden lässt, ist die Propagierung der Genderideologie, welche in einigen Regionen auch die Erziehung vom Kindergarten an zu beeinflussen sucht, indem sie eine Mentalität verbreitet, die mittels der Idee der Beseitigung der Homophobie in Wirklichkeit eine Umstürzung der sexuellen Identität beabsichtigt.“ (IL 114)
In IL 23 wird als Gender-Ideologie die Vorstellung bezeichnet,
„entsprechend der das gender jedes Individuums nur das Ergebnis der Bedingungen und sozialen Bedürfnissen (sic!) ist. Auf diese Weise hört es auf, eine Entsprechung in der biologisch bedingten Sexualität zu haben.“
Mehrere Bischofskonferenzen (Polen, Slowakei, Portugal, Regionen in Italien) und Einzelbischöfe (z. B. Vitus Huonder aus Chur) haben in den letzten Jahren Hirtenbriefe verfasst, in denen sie vor der Ausbreitung einer „Gender-Ideologie“ warnen. Was damit gemeint ist, bleibt oft unscharf und zumeist widersprüchlich - so wenn etwa Gender-Mainstreaming und die Queer-Theorie in einen Topf geworfen werden, obwohl beide auf geradezu gegensätzlichen Gender-Theorien basieren. Denn während Gender-Mainstreaming eine natürliche Zweigeschlechtlichkeit voraussetzt, stellt die Queer-Theorie diese mit zahlreichen Argumenten infrage. Nicht nachvollziehbar bleibt auch die Behauptung, dass durch die Beseitigung der Homophobie die sexuelle Identität (d. h. ob sich jemand als heterosexuell, homosexuell oder bisexuell versteht) umgestürzt werden soll. Es ist offensichtlich, dass das Geschlecht einer Person nicht automatisch Auskunft über das Geschlecht ihres Sexualpartners gibt - wie es das heteronormative Denken unterstellt.
Die Zurückweisung der Gender-Theorie steht im IL weitgehend unversöhnt neben den Resultaten, die die Fragen zum Naturrecht ergeben haben. Die traditionelle katholische Naturrechtslehre ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Ihr abstraktes Ordnungsdenken widerspricht dem spontanen Empfinden und der Idee der Selbstbestimmung des Menschen ebenso wie dem wissenschaftlichen und kulturell unterschiedlichen Verständnis von Natur. Die traditionelle Funktion des Naturrechts, universale Normen zu begründen, wird eher den Menschenrechten zugeschrieben (vgl. IL 21-25). Da das Naturrecht eine der wichtigsten Säulen für die Ablehnung der Homosexualität in der katholischen Lehre darstellte, müsste seine Zurückweisung durch die Gläubigen eigentlich zu einer grundlegenden Neubewertung gleichgeschlechtlicher Sexualität führen. Das IL zieht jedoch diesen Schluss nicht, sondern schlägt stattdessen vor, die „biblisch inspirierte Vorstellung von der Schöpfungsordnung zu thematisieren und zu vertiefen“ (IL 30). Dies dürfte freilich nicht weiterführend sein, wenn damit lediglich eine statische Ordnung fest- und vorgeschrieben werden soll, die anthropologische und soziologische Dynamiken ausblendet.
Die erste Woche der Synode: Eine neue Offenheit
In der ersten Woche der Synode hatten die 191 Bischöfe und 62 Experten, Expertinnen und Gäste (darunter 13 Ehepaare und 30 Frauen) die Gelegenheit, ein kurzes Statement zum IL abzugeben. Einige Ehepaare waren eingeladen, ein persönliches Lebenszeugnis zu geben. Dabei erzählte unter anderem ein australisches Ehepaar, dass es den Freund ihres schwulen Sohnes zu Weihnachten eingeladen hatte, weil es ihrem Verständnis von Kirche entspreche.
Eine Reihe von Kardinälen und Bischöfen sprach sich dafür aus, Homosexuelle in der Kirche willkommen zu heißen und die positiven Werte, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gelebt werden, anzuerkennen. So zum Beispiel die Kardinäle Reinhard Marx (München), Christoph Schönborn OP (Wien) und Vincent Nichols (London) sowie Erzbischof Mario Grech (Gozo, Malta). Insgesamt war in dieser Woche eine bislang nie dagewesene Vielfalt von bischöflichen Stimmen zu hören, die eine größere Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verlangten.
Bedeutsam war außerdem, dass Erzbischof Ignatius Kaigama von Jos, der Vorsitzende der nigerianischen Bischofskonferenz, öffentlich erklärte, dass die katholische Kirche in Nigeria gegen die Kriminalisierung von Homosexuellen sei. Sie habe lediglich ein Gesetz gewollt, das die Homo-Ehe verbiete, doch die Regierung habe daraus etwas ganz anderes gemacht. Da die katholische Bischofskonferenz von Nigeria das Gesetz bislang politisch unterstützt hat, signalisierte diese Distanzierung einen Kurswechsel.
Die Zwischenrelatio: Eine neue Sprache der Wertschätzung
Entsprechend der Vielfalt dieser neuen Stimmen enthielt die „Relatio post disceptationem“ (Zwischenrelatio), erstellt vom ungarischen Kardinal Péter Erdö (zusammen mit Erzbischof Bruno Forte), unter der Teilüberschrift „Homosexuelle Menschen aufnehmen“ eine Reihe von neuen Akzenten:
„Homosexuelle Menschen besitzen Gaben und Qualitäten, die sie der Christengemeinschaft schenken können: Können wir diese Menschen aufnehmen, indem wir ihnen einen Raum der Brüderlichkeit in unseren Gemeinschaften zusichern? Oft möchten sie einer Kirche begegnen, die sie bei sich aufnimmt. Sind unsere Gemeinschaften in der Lage, dies zu tun und ihre sexuelle Ausrichtung zu akzeptieren und zu bewerten, ohne die katholische Familien- und Ehelehre zu gefährden?“ (Nr. 50)3
Die Zwischenrelatio spricht eine neue Sprache der Wertschätzung: Homosexuelle haben Gaben und Qualitäten, Gemeinden sollen sie willkommen heißen, ihnen einen Raum der Brüderlichkeit garantieren. Die „gegenseitige Unterstützung“ in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wird als „eine wertvolle Stütze im Leben der Partner“ (Nr. 52) anerkannt4. Dies ist eingebettet in einen pastoralen und selbstkritischen Ansatz: Die Gemeinden werden durch rhetorische Fragen dazu aufgefordert, sich zu prüfen, ob sie bereit sind, homosexuelle Menschen willkommen zu heißen und bei sich aufzunehmen.
Die Integration der sexuellen Dimension wird sodann als eine Reifungsaufgabe und als erzieherische Herausforderung für alle beschrieben. Auch wenn bei der Rede von einer „Integration der Sexualität“ in der katholischen Kirche oft der Subtext mitschwingt, dass auf eine sexuelle Praxis (d. h. auf jegliche Ausübung der Homosexualität) letztlich verzichtet werden soll, steht einer solchen Auslegung entgegen, dass hier gefordert wird, über realistische Wege der Persönlichkeitsentwicklung neu nachzudenken.
Im Umgang mit Regenbogenfamilien wird als Prinzip formuliert, bei auftretenden Konflikten mit der kirchlichen Ordnung immer von den Bedürfnissen und Rechten der Kinder aus zu denken. Somit sollte ausgeschlossen sein, dass ihnen die Taufe oder die Aufnahme in eine katholische Schule verweigert wird - wie es in den letzten Jahren in den USA mehrfach passiert ist5.
Vergleicht man die Sprache mit der Mehrzahl älterer kirchlicher Dokumente, so ist zunächst bemerkenswert, dass unbefangen von „sexueller Orientierung“6 gesprochen wird statt wie bisher von „(tiefgreifenden) homosexuellen Tendenzen oder Neigungen“. Implizit wird mit dieser Begriffswahl die anthropologische Tatsache anerkannt, dass es Menschen gibt, die eine willentlich oder therapeutisch nicht veränderliche Ausrichtung ihrer sexuellen Wünsche auf Menschen des gleichen Geschlechts besitzen7. Dass diese (homo-)sexuelle Orientierung akzeptiert werden soll, ist eine Neubewertung, die das ältere Verständnis revidiert, demzufolge „die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen“8 wurde.
Positiv ist auch hervorzuheben, was in der Zwischenrelatio nicht wiederholt wird: Von Sünde (gar Todsünde) oder intrinsischer Ungeordnetheit ist keine Rede mehr. Leider schweigt die Zwischenrelatio aber dazu, dass Homosexualität und Trans-Existenz in circa 80 Ländern der Erde als krimineller Straftatbestand behandelt werden, obwohl dies ein fundamentales pastorales Problem darstellt (vgl. IL 110)9.
Die zweite Woche der Synode: Die konservative Reaktion
Nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts meldeten sich die konservativen Synodalen mit großer Empörung zu Wort, die sich darin nicht wiederfinden konnten, wie die Kardinäle Wilfrid Fox Napier OFM (Südafrika), Raymond Leo Burke (USA/Kurie), Stanislaw Gadecki (Polen) und Robert Sarah (Guinea/Kurie). Ihre erste erfolgreiche Aktion bestand darin, dass sie die englische Übersetzung des italienischen Wortes accogliere („willkommen heißen“) von welcoming in das weniger treffende providing for („sorgen für“) ändern ließen10.
In dieser zweiten Woche der Synode entwickelten zehn nach Sprachen sortierte Gruppen Änderungsvorschläge für das Abschlussdokument, die im Detail nicht veröffentlicht wurden11. Als Moderatoren dieser „Circoli minori“ besaßen mehrere Wortführer der Konservativen in dieser Phase eine starke Stellung, die sie dazu nutzten, die kritischen Erkenntnisse aus dem IL und die Fortschritte der Zwischenrelatio wieder rückgängig zu machen.
Eine Redaktionsgruppe erstellte aus diesen Änderungsanträgen - unter großem Zeitdruck und ohne die Möglichkeit, widersprüchliche Eingaben erneut im Plenum diskutieren und klären zu können - den Entwurf für die Schlussrelatio, über den am letzten Tag der Synode absatzweise abgestimmt wurde. Nach den Statuten der Synode gelten nur solche Passagen als angenommen, die mindestens zwei Drittel der Stimmen erhalten haben. Allerdings hat Papst Franziskus auch die drei Absätze veröffentlichen lassen, die dieses Quorum knapp verfehlt haben.
Die „Relatio Synodi“: Ein Trümmerhaufen
Der zur Abstimmung vorgelegte Entwurf für die Schlussrelatio (RS) enthielt nur noch zwei Abschnitte zum Thema der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Davon verfehlte der erste die Zwei-Drittel-Mehrheit knapp:
„Einige Familien machen die Erfahrung, dass in ihrer Mitte Personen mit homosexueller Orientierung leben. Diesbezüglich hat man sich gefragt, welche pastorale Aufmerksamkeit in diesen Fällen angemessen ist, indem man sich auf das bezog, was die Kirche lehrt: ,Es gibt keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.‘ Dennoch müssen Männer und Frauen mit homosexuellen Tendenzen mit Achtung und Feingefühl aufgenommen werden. ,Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen‘“.12 (Nr. 55, ja 118 / nein 62)
Homosexuelle Personen werden hier aus der Perspektive ihrer Familien betrachtet. Es ist daher semantisch offen, ob die „pastorale Aufmerksamkeit“ den homosexuellen Personen, ihren Eltern oder ihren Herkunftsfamilien insgesamt gelten soll. Zwar wird die Existenz dieser Erfahrung konzediert, doch eine pastorale Antwort darauf gibt die RS nicht. Stattdessen definiert sie das Spannungsfeld, in dem eine Antwort zu suchen ist, indem sie zwei Grundsätze der katholischen Morallehre wiederholt, die sich ähnlich auch im Katechismus und anderen Dokumenten finden13: Einerseits haben gleichgeschlechtliche Partnerschaften in der kirchlichen Vorstellung vom „Plan Gottes“ keinen Platz und andererseits gilt es, homosexuelle Personen zu achten und nicht zu diskriminieren.
Das Verfehlen der Zwei-Drittel-Mehrheit kann durchaus unterschiedlich interpretiert werden: als Absage an jegliche Pastoral mit homosexuellen Personen bzw. sogar an die Achtung vor ihrer Menschenwürde (die reaktionäre Lesart) oder als Enttäuschung über den Rückschritt in der Schlussrelatio, da sie wieder hinter den Stand der Zwischenrelatio zurückfällt und pastoral nicht weit genug geht. Im letzteren Sinn hat zumindest der englische Kardinal Nichols sein ablehnendes Votum erläutert.
Angenommen wurde demgegenüber der zweite Absatz zum Thema „Gleichgeschlechtliche Partnerschaften“:
„Es ist vollkommen unannehmbar, dass auf Hirten der Kirche in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen gegenüber ärmeren Ländern davon abhängig machen, dass sie in ihrer Gesetzgebung eine ,Ehe‘ unter Personen desselben Geschlechts einführen.“ (RS 56, ja 159 / nein 21)
Im Unterschied zum Zwischenbericht (Nr. 51) ist jetzt nicht mehr von „Gender-Ideologie“ die Rede, sondern von der gleichgeschlechtlichen Ehe. Hierin deutet sich eine Verschiebung von einer osteuropäischen zu einer afrikanischen Perspektive an, denn in mehreren afrikanischen Ländern gibt es aktuell eine geradezu hysterische Furcht vor der Einführung der sogenannten Homo-Ehe. Allerdings gibt es für das behauptete Problem keinerlei Evidenz, denn außer in Südafrika hat keine afrikanische LGBT-Organisation jemals die Homo-Ehe gefordert. Die Gruppen haben ganz andere Ziele: die Aufhebung der Kriminalisierungsgesetze, die Versöhnung mit ihren Familien, die Überwindung der Stigmatisierung und nachbarschaftlichen Gewalt, bessere Gesundheitsversorgung für Menschen mit HIV/Aids und eine bessere Prävention, die sich auch an MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) richtet, eine ökonomische Unabhängigkeit, so dass sie keinen willkürlichen Kündigungen mehr ausgesetzt sind, psychologische Betreuung usw. Gleichwohl wird in den Medien dieser Länder immer wieder das Gerücht verbreitet, dass LGBT-Gruppen die Homo-Ehe gefordert hätten14.
Am Ende der Synode muss man sich daher verwundert die Augen reiben: Ist dieser Absatz wirklich das Ergebnis der Beratung von knapp 200 Bischöfen und Kardinälen zum Thema „gleichgeschlechtliche Partnerschaften“? Während alle konstruktiven Gedanken der vorherigen Dokumente wieder einkassiert wurden, konnten sich die Synodalen lediglich darauf verständigen, ein Phantasma zu bekämpfen.
Perspektiven für die Synode 2015
Das IL hat aufgezeigt, dass die Frage der Homosexualität in drei unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten diskutiert wird: in liberalen westlichen Ländern, die sich in Richtung der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bewegen; in den Ländern Mittel- und Osteuropas, in denen sich die Kirche aufgrund der EU-induzierten Antidiskriminierungsgesetzgebung und der kalten Modernisierung nach 1989 von ihrer Tradition entfremdet fühlt; und in den Ländern Afrikas, Asiens und der Karibik, die Homosexualität unter - teils drakonische - Strafen stellen und gesellschaftlich stigmatisieren. Die Formulierung für den pastoralen Umgang der Kirche mit Schwulen und Lesben auf der Synode 2015 muss daher in allen drei Kontexten akzeptabel sein. Andernfalls steht zu befürchten, dass sich die bisherigen Fraktionen gegenseitig lähmen, wie es bei der Synode 2014 geschehen ist.
Blicken wir zunächst auf die beiden Strategien, die 2014 gescheitert sind: Die Autoren der Schlussrelatio haben versucht, den Status quo zu zementieren. Sie haben zu den Texten der Glaubenskongregation Zuflucht genommen, ohne die bestehenden Widersprüche zwischen der Verurteilung der homosexuellen Handlung und der Achtung der homosexuellen Person zu überwinden und ohne eine wegweisende Perspektive für die Pastoral zu entwickeln. Doch eine kritische Zahl an Bischöfen hat erklärt, dass sie mit dem alten Weg nicht mehr einverstanden ist, so dass ein schlichtes „Weiter so!“ nicht mehr möglich ist.
Die Zwischenrelatio hatte demgegenüber versucht, einen gesamtkirchlichen Prozess der Umkehr anzustoßen, dessen Adressat, die Gemeinden, Schwule und Lesben willkommen heißen und geschwisterlich aufnehmen sollen. Ausgangspunkt dafür war die Akzeptanz der homosexuellen Orientierung und die Wertschätzung gelebter Liebe in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Da diese Position den Konservativen offensichtlich zu weit ging, hat sie die zweite Woche der Beratung nicht überstanden.
Die wesentliche Ursache dieser Pattsituation liegt darin, dass es unter den Bischöfen zwei Anthropologien gibt, die als entgegengesetzte theologische Ideologien wahrgenommen, jedoch nicht auf ihre soziologischen Ursachen hin befragt werden. Aus westlicher Sicht erscheint eine Korrektur der katholischen Morallehre in der Frage der Homosexuellen unvermeidlich, um endlich die Konsequenzen aus der moraltheologischen Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Menschen als Person und die Würde der menschlichen Person zu ziehen. Das bedeutet, dass sie homosexuelle Handlungen nicht länger isoliert von der Person des Akteurs (und seiner sexuellen Orientierung) beurteilen will. Aus dieser Sicht muss die Kirche, um weiterhin glaubwürdig zu sein, die Subjektivität und die Konstitution des personalen Selbst von Menschen mit homosexueller Orientierung ernst nehmen statt sie weiterhin im Rahmen des Naturrechts oder einer heteronormativ verstandenen „Schöpfungsordnung“ zu deuten und damit zu verfehlen.
Allerdings fehlen in manchen Regionen die sozialanthropologischen Voraussetzungen für diese Sichtweise. Der Philosoph und Historiker Michel Foucault hatte die Entstehung des modernen Verständnisses „des Homosexuellen“ soziologisch auf die Überlagerung des „Dispositivs der Allianz“ durch ein „Dispositiv der Sexualität“ zurückgeführt15. Das Sexuelle wird nicht länger als heikler Kitt verstanden, der die Allianzen zwischen zwei Familien erzeugt und zusammenhält und daher streng kontrolliert werden muss, sondern als „Sexualität“, das heißt als elementarer Bestandteil und Ausdruck der Persönlichkeit. Dieser Übergang kann aber nur dort erfolgen, wo die Familie und die Verwandtschaftsverhältnisse ihre soziale Funktion als vorrangiger Ort der Produktion und der sozialen Absicherung zugunsten von Industrieproduktion und sozialstaatlichen Sicherungssystemen eingebüßt haben. In vielen Ländern Afrikas dagegen bleibt die Familie - deren Umfang den sozialen Bedürfnissen entsprechend flexibel ausgedehnt werden kann - als ökonomische Einheit und für das Überleben in Krisen nach wie vor unentbehrlich. Dementsprechend wird die Familie auch in der Kultur und der Religion immer wieder als zentraler Wert bekräftigt. Gleichzeitig gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass sich ein „Dispositiv der Sexualität“ auch in afrikanischen Ländern zu entwickeln beginnt, vor allem im Kontext der Großstädte. Erst dieser strukturelle Gegensatz heizt den moralpolitischen Kampf an und sorgt dafür, dass Menschen mit schwuler oder lesbischer Identität als Bedrohung des familiären Sicherheitsnetzes wahrgenommen und bekämpft werden.
Wo könnte nun eine weltkirchlich akzeptable Lösung liegen? Welche Möglichkeiten gibt es, produktiv mit der gespaltenen Sozialanthropologie umzugehen?
1. Eine naheliegende Möglichkeit wäre die Regionalisierung der Pastoral. Unter einem Dach aus mehrdeutigen Formeln könnte man die Verantwortung für den konkreten Umgang mit Lesben und Schwulen den nationalen oder regionalen Bischofskonferenzen oder dem einzelnen Bischof übertragen. Die beiden Lager würden sich auf der Ebene der Weltkirche nicht mehr gegenseitig blockieren, sondern könnten sich je nach regionalen Konstellationen kulturell adäquat verhalten. Bis zu einem gewissen Ausmaß gibt es eine solche Regionalisierung, die den kulturellen Unterschieden der Regionen Rechnung trägt, ohnehin schon längst. Doch es fragt sich, ob die Weltkirche diese Diversifizierung im Sinne einer versöhnten Verschiedenheit aushalten könnte, ohne an ihrer Einheit schaden zu nehmen.
2. Blickt man auf die Fragen, die die „Lineamenta“ (das vorbereitende Dokument) für die Synode 2015 unter der Überschrift „Die pastorale Aufmerksamkeit gegenüber Personen mit homosexueller Orientierung“ enthalten, dann zeichnet sich die Fokussierung auf eine Pastoral für Familien mit homosexuellen Angehörigen ab. Diese Linie wird maßgeblich von Papst Franziskus unterstützt, der Anfang Dezember 2014 in einem Interview erklärte, dass er als Beichtvater während seiner Zeit in Buenos Aires mehrfach mit den seelischen Nöten von Eltern homosexueller Kinder konfrontiert war16.
Eine Pastoral für Familien mit homosexuellen Angehörigen macht es möglich, die Frage der Homosexualität innerhalb des sozialen Rahmens der Familienstrukturen zu beantworten statt beide gegeneinander auszuspielen, indem man zum Beispiel die Homosexuellen für die Zerstörung der Familien oder die Untergrabung der family values verantwortlich macht. Indem sie die Familien in den Mittelpunkt stellt, antwortet sie auf die Bedürfnisse der Eltern nach seelsorglicher Begleitung, die mit dem Coming-out ihres Kindes mit vielen Fragen und Selbstzweifeln konfrontiert sind und ihrerseits ein Coming-out benötigen17. Das schließt nicht aus, dass sich die Pastoral auch den Schwulen und Lesben selbst zuwendet, denn letztlich wird eben dies das Anliegen der meisten Eltern sein. Allerdings wäre darauf zu achten, dass nicht der bittere Geschmack entsteht, dass die Kirche sich nur um die Eltern sorgt, während sie Lesben und Schwule in ihren spezifischen Bedürfnissen wie auch als Subjekte und kritische Dialogpartner nicht ernst nimmt.
3. Beide Seiten könnten auch versuchen, sich auf ein ethisches Minimum zu verständigen. Anknüpfungspunkte dafür gibt es in der bisherigen Lehre dort, wo die Würde der homosexuellen Person und ihr Schutz vor ungerechter Diskriminierung betont werden. Dies ließe sich dahingehend konkretisieren, dass sich die katholische Kirche weltweit öffentlich dafür einsetzt, dass homosexuelle Handlungen nicht mehr strafbar sein sollen. Gesellschaftspolitisch könnte die katholische Kirche dadurch zum Schrittmacher für eine universale Entkriminalisierung der Homosexualität werden.
4. Papst Franziskus hat am Beginn der Synode 2014 zur „Parrhesia“ aufgefordert, zur offenen Rede, zum furchtlosen Aussprechen der eigenen Erkenntnisse. Bei vielen Bischöfen hat das Angst und Orientierungslosigkeit ausgelöst, auf der anderen Seite meldete sich eine große Zahl von bislang unterdrückten Stimmen zu Wort. Nunmehr liegt offen zutage, dass es unter den Bischöfen und Kardinälen in der Frage der Homosexualität kontroverse Positionen gibt. Dabei ist auffällig, dass sich vor allem solche Bischöfe und Kardinäle positiv zu Wort gemeldet haben, die sich vor der Synode persönlich mit Lesben und Schwulen getroffen und mit ihnen einen Dialog begonnen haben. Das ist ein starkes Argument dafür, den Weg der persönlichen Begegnung fortzuführen, bei der Schwule und Lesben ihre Geschichten erzählen und dem bei vielen Angst auslösenden Problem der Homosexualität ein menschliches Gesicht geben können.
Die Synode im Oktober 2015 sollte daher eine Dekade des Dialogs zwischen der Kirche und Schwulen und Lesben ausrufen und beide Seiten zur persönlichen Begegnung einladen. Dieser Dialog sollte auf der einen Seite auch die Priester, Gemeinden und Verbände umfassen und auf der anderen Seite die Eltern und Familien von Schwulen und Lesben einbeziehen. So könnte die innerkirchliche Debatte, die bislang oftmals ohne die „Betroffenen“ stattgefunden hat, auf eine langfristig tragfähige Grundlage gestellt werden.