Kinder und Jugendliche machen heutzutage ihre prägenden Glaubenserfahrungen nicht mehr länger in der Familie oder der Gemeinde. Sie sind darüber hinaus mit vielfältigen Sinnangeboten konfrontiert. Dazu kommt ein brüchiges katholisches Milieu, das nicht nur Kirchengemeinden und Bistümer vor immer größere Herausforderungen stellt.
In dieser Situation können die katholischen Jugendverbände zu Fundorten des Glaubens werden. Hier haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus einer langen Tradition heraus einen Ort, der sowohl geistlich als auch persönlich ihre Biografie nachhaltig prägt, was von manchen freilich als Konkurrenz zur Pfarrei interpretiert wird. Dies erlebe ich als Bundeskaplan der KSJ (Katholische Studierende Jugend), einer der kirchlichen Jugendverbände. Den genannten Herausforderungen stellt sich ein im April 2015 veröffentlichtes Papier des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), unseres Dachverbandes, mit dem Titel: Der Anteil der Verbände an der Sendung der Kirche. Beitrag zu einer Theologie der Verbände. Eine solche theologische Reflexion und Verortung gab es bislang nicht.
Leitend sind zwei Erkenntnisse: Kirche ist Ereignis, das sich an vielen unterschiedlichen Orten zeigt. Die Jugendverbände haben einen eigenen und unverwechselbaren Anteil an der Sendung der Kirche; wobei diese Sendung als spezifischer Auftrag einerseits die Weitergabe des Evangeliums meint und andererseits die Entdeckung der Zeichen der Zeit, der Orte, an denen Menschen um die Anerkennung ihrer Würde ringen. Dieser Auftrag muss immer wieder neu in der jeweiligen Situation definiert werden.
Die Jugendverbände zeichnen sich seit ihrer Gründung nicht nur durch ihren christlichen Glauben, sondern vor allem durch ihren Lebensweltbezug aus. Die existenziellen Fragen junger Menschen erhalten so einen Ort, der mit der Gottesfrage beantwortet werden kann. Dieser Ort ist nicht unmarkiert. Er geht von der Option für die Armen aus, die gerade versteckte Formen von Ausgrenzung, Sprachlosigkeit oder Chancenungleichheit in den Blick nimmt. Durch den Lebensweltbezug sind in den Kinder- und Jugendverbänden nicht nur die Hoffnungen, Ängste und Herausforderungen der Zeit präsent. Vielmehr werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gleichzeitig befähigt, ihre Lebenswelt und die Kirche zu gestalten, denn in Kindern und Jugendlichen treffen sich Kirche und Welt von heute, wie es das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ (1965) beschrieben hat.
Darüber hinaus spielen Partizipation, Selbstorganisation und Demokratie sowie Ehrenamtlichkeit und Freiwilligkeit als die weiteren der sieben Grundprinzipien des BDKJ eine tragende Rolle, die alle Verbände trotz ihrer unterschiedlichen Spezifika miteinander vereint. Diese Prinzipien sind unverzichtbar im Alltag des Verbandslebens. Partizipation, Selbstorganisation und Demokratie bedeuten, junge Menschen in ihrer Entwicklung und Verantwortungsübernahme zu unterstützen. Außerdem werden fundierte Meinungsbildungsprozesse gefördert. Der Auftrag aller, sich zu Wort zu melden, entspricht ihrem Selbstverständnis. Freiwilligkeit und Ehrenamtlichkeit eröffnen jungen Menschen Räume, sich selbst mit den je eigenen Talenten auszuprobieren und die Beziehung zu Gott auf ganz eigene Weise zu gestalten. Die lebendigen Orte der Kinder- und Jugendverbände sind so sichtbare Orte des wandernden Volkes Gottes. Als solches halten sie zukunftsweisende Impulse für gesamtkirchliche Herausforderungen bereit.
Eine wichtige Funktion innerhalb der Verbände hat die Geistliche Verbandsleitung. Hier wirken Männer und Frauen, Priester und Laien partnerschaftlich zusammen und gehen gemeinsam einen Weg aus Wahl und Beauftragung. Die Geistliche Verbandsleitung wird darüber hinaus von allen in der Leitung wahrgenommen und eröffnet als Querschnittsaufgabe immer wieder neu den Horizont des Handelns auf das Reich Gottes hin. In diesen Strukturen leben junge Menschen ihre Berufungen auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Dies gilt besonders für die gelebte Spiritualität. Sie ist bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Verbände immer Aufgabe aller im Verband. Sie schafft damit Räume für Zweifel und Glauben, für Ausdruck und Schweigen. Sie orientiert sich immer an der Erfahrungswelt junger Menschen und ist dabei „bodenständig-empfangend und himmelsgewandt-geerdet“.
Kinder- und Jugendverbände sind Orte von Gemeinde, wie es viele andere Vergemeinschaftungen von Christinnen und Christen gibt - in und über die bestehenden Pfarreien hinaus. Sie stehen für die Einheit in Vielfalt und haben mit ihren je spezifischen Aufträgen Anteil an der Sendung der Kirche, wobei ihnen allen die Ausrichtung auf Christus als Haupt gemein ist. Sie beeinflussen sich gegenseitig und fordern sich auf dem gemeinsamen Weg zum Reich Gottes heraus.
Oftmals wird die prophetische Kraft der Jugend unterschätzt oder überhaupt nicht wahrgenommen. Sie ist in unseren Verbänden so vielfältig zu erleben. Das zeigt mir immer wieder die Lebendigkeit des Reiches Gottes unter uns auf (vgl. Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 105).
Der Beitrag des BDKJ zu einer Theologie der Verbände atmet die prophetische Kraft der Jugend, die keine Angst vor Um- und Aufbrüchen in Kirche und Gesellschaft hat. Mit der Bereitschaft zur Veränderung, auf der Basis ausgehandelter und lange erprobter Prinzipien, machen die Kinder- und Jugendverbände der Kirche ein Angebot, das neue Impulse setzen möchte. So leben die Kinder- und Jugendverbände ihre Vision von einem Leben in Fülle (vgl. Joh 10,10), das aus den eigenen Quellen schöpft, vielfältige Begegnungen ermöglicht, weltweite Solidarität in die Tat umsetzt und aus der Hoffnung auf das Reich Gottes lebt. Am Ende dieser Arbeit steht der Anfang und die herzliche Einladung zur gemeinsamen Diskussion, denn der jetzt veröffentlichte Text bietet nur eine erste Verortung.