„Fragt die Gläubigen!“ - Die Aufforderung von Papst Franziskus im Vorfeld der Bischofssynoden zu Fragen von Ehe- und Familienpastoral war unmissverständlich. Dieser Impuls war nicht nur Anstoß für zwei kirchliche Umfragephasen, sondern auch für das von den Autoren1 unabhängig durchgeführte Forschungsprojekt „Partnerschaftsethik und Familienbilder von Katholikinnen und Katholiken: Eine interkulturell-komparative Studie zum Verhältnis von kirchlicher Lehre, gelebter Praxis und sozialisatorischen Parametern“2. Das Autorenteam teilt die Begeisterung für Papst Franziskus’ Vorstoß, es nimmt aber auch die Kritik über die Unverständlichkeit und den relativ geringen Verbreitungsgrad der offiziellen vatikanischen Fragebögen ernst.
Genau an diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt an und sucht Wege, wie das enorme Potenzial einer solchen Umfrage bestmöglich genutzt werden kann und wie aussagekräftige Erkenntnisse erreicht werden können. Dazu erstellten die Autoren in Anlehnung an die inhaltliche Schwerpunktsetzung der päpstlichen Initiative einen verständlicheren und nach sozialwissenschaftlichen Methoden auswertbaren Fragebogen3 und stellten diesen während einer viermonatigen Forschungsreise und auch online Gläubigen in sieben Sprachen zur Verfügung. Die Resonanz überstieg alle Erwartungen. Insgesamt über 12 000 Teilnehmende (TN) aus über 40 Ländern füllten den Bogen aus, und noch immer bekommt das Autorenteam unaufgefordert Briefe und Fragebögen zugeschickt. Der vergleichsweise geringe Rücklauf der vatikanischen Fragebögen in den Bistümern sollte folglich nicht zwingend als Resultat eines Desinteresses der Gläubigen gedeutet werden. Die Zahl der Rückmeldungen auf die Studie der Autoren zeigt, dass ein methodisch fundierter Fragebogen als Instrument des differenzierten Zuhörens enormes Mobilisierungspotenzial bietet. Damit wurde exemplarisch eine Möglichkeit aufgezeigt, wie die Lebenswirklichkeit von Gläubigen systematisch erfasst und in lehramtliche Diskussionen einbezogen werden kann. Hiermit verbunden ist der Wunsch, dem übergreifenden Anliegen der Antwortenden gerecht zu werden, dass ihre Stimmen im synodalen Prozess Gehör finden.
Welche Bedeutung messen die Befragten Kirche und Glaube im Ehe- und Familienleben zu? Was sind die größten Kritikpunkte? Und wie werden sie begründet? Welche Veränderungen wünschen sich die Befragten? Fasst man die Ergebnisse zusammen, fällt eine Spannung zwischen grundsätzlicher Verbundenheit mit Kirche und Glaube einerseits und deutlich kritisch-distanzierter Auseinandersetzung mit Teilen der kirchlichen Lehre andererseits auf.
Methodische Herangehensweise: Fragebogendesign und Auswertung
Der methodische Ansatz folgt einem Mixed Methods Design, das heißt einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Elementen. Kernstück ist ein aus 26 Items bestehender Fragebogen, dessen inhaltlicher Ausgangspunkt der der Außerordentlichen Synode 2014 vorausgegangene vatikanische Fragebogen war. Er wurde an eine alltagsnähere und allgemein verständlichere Sprache angeglichen und um weitere Fragen ergänzt. Hierbei wurde das Autorenteam durch das GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften sowie weitere Experten verschiedener Fachrichtungen beraten.
Von September 2014 bis Januar 2015 wurde der Fragebogen auf einer Forschungsreise in Küstenstädten Europas, Nordafrikas, Latein- und Nordamerikas vor allem in Gemeinden verteilt4. Auf diese Weise konnte neben Papierfragebögen wertvolles Material in informellen Interviews gesammelt werden. Von Januar bis März 2015 bestand darüber hinaus die Möglichkeit, den Fragebogen auf Deutsch, Englisch, Polnisch, Portugiesisch, Italienisch, Spanisch oder Französisch online auszufüllen. Im Gesamtrücklauf sind alle Alters- und Sozialgruppen vertreten, die meisten TN, annähernd 8000, leben in Deutschland5.
Die Ergebnisse der Umfrage wurden auf zwei sich ergänzende Arten ausgewertet: Erstens in Form einer deskriptiven Statistik, die sich unter anderem mit den Zusammenhängen zwischen den soziodemografischen Grunddaten und den inhaltlichen Antworten beschäftigt. Somit können Kategorisierungen beispielsweise nach kultur-, alters- oder geschlechtsspezifischen Merkmalen vorgenommen werden, um eine vergleichende Betrachtungsweise zu ermöglichen. Zweitens wurden die Ergebnisse der Freitextfelder mit Mitteln der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet, bei der die Antworten der Befragten zunächst von den Autoren kodiert und dann mittels zusammenfassender Kategorien verglichen wurden.
Darüber hinaus erfolgte eine Betrachtung des kulturellen Kontexts auf der Metaebene. In informellen Interviews vor Ort wurde Fragen nachgegangen wie etwa: „Wie wird in diesem Kulturkreis über das Thema Partnerschaft und Familie im katholischen Kontext gesprochen? Was sind Tabuthemen in diesem Bereich?“ Die Einschätzung von Einheimischen bzw. Personen, die schon länger an dem jeweiligen Ort leben oder die sich aufgrund ihrer Profession mit ähnlichen Fragen beschäftigen, ermöglichte unter anderem eine kontextuale Einordung der Ergebnisse aus dem Fragebogen.
In diesem Artikel werden Kernergebnisse der Studie erstmals veröffentlicht. Die Analyse bezieht sich, wenn nicht anders erwähnt, auf die Angaben der Rückmeldungen aus Deutschland. Ausgehend von dieser Grundlage werden Vergleiche mit anderen Ländern bzw. Ländergruppen gezogen.
Große Bedeutung kirchlicher Hochzeit, christlicher Werte und (familiärer) Glaubenspraxis
Der Großteil der Befragten kann als kirchlich aktiv beschrieben werden, was über den Indikator der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs gemessen wurde. Etwa die Hälfte der TN nimmt jede Woche oder öfter am Gottesdienst teil, knapp 80 Prozent mehr als einmal im Monat. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Bezug auf die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs der Befragten anderer Länder. Auch wenn in Deutschland die Häufigkeit der Teilnahme mit jüngerem Alter sinkt, gaben lediglich ca. sechs Prozent der 14- bis 30-Jährigen an, nie einen Gottesdienst zu besuchen. Es fällt auf, dass selbst über 60 Prozent der TN, die angeben, der kirchlichen Lehre zur Familie nicht zuzustimmen, mehr als einmal im Monat einen Gottesdienst besuchen. Die Befragung spiegelt daher im Gesamttrend die Haltung der Gruppe von Katholiken wider, die zumindest am gottesdienstlichen Gemeindeleben aktiv teilnehmen.
Eine sehr große Zahl der TN äußert den Wunsch, die eigene Partnerschaft und Familiengründung auch im Kontext kirchlichen Lebens verorten zu können. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten der anderen Länder bejahen mehr als 90 Prozent der TN die Frage, ob ihnen eine kirchliche Hochzeit persönlich wichtig sei. Auch beim Vergleich nach Alter, Geschlecht und Umfeld lassen sich keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Die Tatsache, dass fast 90 Prozent derer, die die Wichtigkeit der kirchlichen Hochzeit bejahen, mehr als einmal im Monat den Gottesdienst besuchen, spricht dafür, dass eine kirchliche Hochzeit eher als Glaubensakt denn als Event verstanden wird.
Ähnlich deutlich ist das Ergebnis, dass für über 95 Prozent der TN eine christliche Kindererziehung wichtig ist. Dieser Trend zeigt sich über Landes-, Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg und unabhängig davon, ob die TN in Metropolen, Kleinstädten oder Dörfern leben. Lediglich die Gruppe der TN, die nie einen Gottesdienst besuchen, antwortet gegen den Trend, macht aber mit etwa drei Prozent nur einen marginalen Anteil der Befragten aus. Über 90 Prozent der kinderlosen Befragten antworten ferner, dass ihnen eine christliche Erziehung von Kindern grundsätzlich wichtig ist.
Die Frage, wie oft die TN mit ihren Kindern beten, lässt Rückschlüsse auf die Glaubenspraxis in den Familien zu. Da über 60 Prozent der Befragten mit Kindern angeben, mindestens einmal in der Woche mit ihren Kindern zu beten, lässt sich eine relativ klare Tendenz erkennen: Glaubenspraxis ist im Familienleben vieler TN präsent. Wie genau diese Praxis aussieht, wurde in einer offenen Frage untersucht. Die TN nennen insbesondere das Morgen-, Abend- und Tischgebet sowie das Singen christlicher Lieder. Anhand dieser Ergebnisse wird deutlich, dass Ehe und Familie im Alltag Bereiche sind, die für die TN durch Kirche und Glauben geprägt sind. Die positive Einstellung zur kirchlichen Hochzeit sowie zur Glaubensweitergabe und -praxis in der Familie bedeutet jedoch nicht, dass die TN die Lehre der Kirche in diesen Bereichen annehmen, ohne sie zu hinterfragen, wie die im Folgenden dargestellten Resultate zeigen werden.
Kritik an Praxis und Lehre
Bei der allgemeinen Frage nach der Kenntnis der kirchlichen Lehre und der Zustimmung zu dieser lässt sich ein differenzierter Umgang mit dem erkennen, was von den Befragten als offizielle Lehre der Kirche wahrgenommen wird. 60 Prozent geben an, „die“ Lehre zu kennen6; gefragt nach ihrer Zustimmung zu dieser tendieren die Befragten deutlich zu mittleren Kategorien („eher ja“, „eher nein“), ohne dass sich ein allgemeiner Trend erkennen lässt.
Wie stehen die Befragten zu einzelnen konkreten Themengebieten? Dazu hat die Studie verschiedene, oft kontrovers diskutierte Themen kirchlicher Lehrverkündigung herausgegriffen. Während ein Großteil der Befragten die Kirche in Fragestellungen wie der Empfängnisverhütung nicht als relevante Bezugsgröße sieht und die kirchliche Lehre daher kaum in ihre Entscheidung einzufließen scheint, findet die Position der Kirche in anderen Bereichen des Ehe- und Familienlebens Beachtung und wird kritisch-differenziert reflektiert. Dies zeigt sich in deutlichen Positionierungen zum „probeweisen“ Zusammenleben vor der Ehe, zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, zum (Wahl-)Zölibat und zum Diakonat der Frau. Auch im Hinblick auf Beratungsund Unterstützungsangebote, beispielsweise in der Ehevorbereitung, beziehen die Befragten deutlich Stellung.
„Probeweises“ Zusammenleben vor der Ehe
Der erste Bereich, der im Rahmen einer Kritik an der kirchlichen Lehre und Praxis dargestellt wird, betrifft das „probeweise“ Zusammenleben vor der Ehe, für das sich in Deutschland deutlich über 80 Prozent aussprechen. Diese auffällig hohe Befürwortung eines „probeweisen“ Zusammenlebens findet sich auch in den meisten der anderen Ländergruppen. Dennoch zeigen sich bei dieser Frage deutliche kulturelle Unterschiede: In Polen lassen sich gegenläufige Tendenzen im Vergleich zum Gesamttrend feststellen. Südeuropa7, Nordamerika und Brasilien weisen eine Verteilung von nahezu 50 zu 50 Prozent auf.
Welche Erklärungsansätze lassen sich für diese kulturellen Unterschiede beispielsweise in Bezug auf Brasilien finden? In den Gebieten rund um Rio de Janeiro und Salvador scheint es üblich zu sein zusammenzuziehen, auch wenn man formell nicht verheiratet ist. Interviewte Paare beschreiben sich nach Jahren gemeinsamen Zusammenlebens de facto als „verheiratet“, auch wenn sie de jure weder zivilrechtlich noch kirchlich verheiratet sind8. Die Wahl der Lebensform scheint jedoch oft kein bewusster Entschluss gegen die Ehe zu sein, sondern ist eher den Lebensumständen geschuldet. Viele Paare sparen jahrelang für eine kirchliche Hochzeit, da es kulturell nicht anerkannt zu sein scheint, diese ohne großes Fest zu feiern. Zudem wurde in Gesprächen eine Heirat ohne vorheriges Zusammenleben von den Interviewten als naive Handlung eingestuft. Daher scheint die in den Ergebnissen deutlich werdende Ablehnung des „probeweisen“ Zusammenlebens für Brasilien eher auf ein kulturellsprachliches Übersetzungsproblem des Wortes „probeweise“ hinzudeuten. Während in den genannten Regionen die Formulierung „probeweise“ tendenziell mit einem ergebnisoffenen Versuch assoziiert und daher abgelehnt wird, ist die Praxis eines „probeweisen“ Zusammenlebens als ein auf die Ehe ausgerichteter Vorbereitungsschritt weit verbreitet.
Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen
Auf die Frage, wie sich die TN zur Lehre der Kirche in Bezug auf den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener vom Kommunionempfang positionieren9, reagierten in Deutschland insgesamt knapp 90 Prozent ablehnend, wobei sich mit 75 Prozent eine klare Tendenz zur eindeutigeren Antwortoption „dagegen“ ausmachen lässt. Ähnlich deutlich und über Ländergruppen hinweg einheitlich sind die affirmativen Auffassungen zur Frage, ob sich die TN wünschen, dass die Kirche die neue Partnerschaft von zivil wiederverheirateten Geschiedenen segnet und anerkennt. Beim internationalen Vergleich der Umfrageergebnisse fällt auf, dass allein das Meinungsbild der polnischen TN dieser Umfrage nicht kongruent zum allgemeinen Trend ist: Rund 50 Prozent der dort Befragten befürworten die geltende kirchliche Lehre. Dieser Linie folgend lehnen auch knapp 55 Prozent der dort Befragten Veränderungen an der Praxis des derzeitigen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen ab. Abgesehen von der spezifischen Stellung des Meinungsbilds für Polen zeigt sich jedoch, dass bei interkulturell-komparativer Perspektive die momentane kirchliche Lehre in diesem Aspekt von der weit überwiegenden Anzahl der Befragten abgelehnt und der Ruf nach Veränderungen im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen deutlich unterstützt wird.
Auf die Frage nach einer Begründung wird oft die Unverhältnismäßigkeit des Ausschlusses von der Kommunion angeführt. So erklärte ein Diakon aus Salvador (Brasilien), dass es für ihn völlig unverständlich sei, dass ein Mörder nach der Beichte wieder zur Kommunion zugelassen werden könne, aber ein Geschiedener, der zivil erneut heiratet, ein Leben lang davon ausgeschlossen bleibe10. Mit dieser intuitiven - kirchenrechtliche Differenzierungen nicht aufgreifenden - Begründung scheint er für viele der Befragten zu sprechen. Es ist ein Erklärungsmuster, das sich nicht nur in weiteren Gesprächen, sondern auch in den Einträgen in den Freitextfeldern findet. Viele deutsche TN kennzeichnen die Praxis als unbarmherzig und fordern die Zulassung zur Kommunion, gegebenenfalls auch erst nach einer Einzelfallprüfung. Dagegen ist das Bild in anderen Ländergruppen deutlich diverser. Auch wenn sich insgesamt eine Tendenz zeigt, die Zulassung zur Kommunion zu wünschen, werden die Hürden einer solchen Prüfung teilweise deutlich höher angesetzt, etwa mit Ermöglichung des erneuten Kommunionempfangs nur für „klar unverschuldet“ verlassene Personen.
Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
Ein Fragenbereich, bei dem sich signifikante kulturelle wie generationelle Unterschiede erkennen lassen, ist der Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. Die erste Auffälligkeit zeigt sich bereits beim grundsätzlichen Vergleich der Fragen nach Anerkennung und Segnung zum einen und kirchlicher Heirat zum anderen. Während bei der Frage nach Anerkennung und Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit rund 70 Prozent „ja“ und „eher ja“ eine klar befürwortende Tendenz zu erkennen ist, zeigt sich bezüglich der Frage, ob gleichgeschlechtliche Partner kirchlich heiraten dürfen sollten, kein eindeutiges Bild. Ein häufig in Interviews genannter Erklärungsansatz hierfür ist, dass entsprechend der Lehre der katholischen Kirche die Bedeutung des Sakraments der Ehe als auf die Annahme von Kindern hin offener Bund von Mann und Frau von den TN als so wichtig empfunden wird, dass sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften hiervon per se ausschließen. Dennoch wird eine Anerkennung dieser Lebensform verlangt. Festzuhalten ist daher eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und der zurückhaltenden Positionierung gegenüber der Frage nach einer kirchlichen Heirat.
Die Thematik wirkt zudem im interkulturellen Vergleich polarisierend. Für beide Items tendieren TN aus Polen, Südeuropa und Brasilien deutlich zur Ablehnung. Auch bei der Analyse nach soziodemografischen Parametern ist die Frage nach dem Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine der wenigen, bei denen sich deutliche Abweichungen zwischen den Gruppen zeigen. Im Generationenvergleich fällt die Gruppe der 14- bis 30-Jährigen auf, da sie sich deutlicher als die TN der anderen Altersgruppen die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wünscht. Differenziert man nach Geschlecht, wird deutlich, dass der Wunsch bei den weiblichen TN etwas stärker ausgeprägt ist als bei den männlichen. In Bezug auf den Zivilstand positionieren sich ledige und in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften lebende TN deutlicher für eine Anerkennung als die TN anderen Zivilstands. Vergleicht man die Antworten der TN nach Umfeld, ist der Wunsch nach Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bei den in einer Metropole/ Stadt oder Kleinstadt lebenden TN stärker ausgeprägt als bei den in Dörfern lebenden.
(Wahl-)Zölibat
Danach gefragt, ob katholische Priester zwischen Zölibat und Ehe wählen können sollten, antworten über 85 Prozent der TN aus Deutschland „ja“ und „eher ja“, wobei fast 75 Prozent das entschiedene „Ja“ wählen. International muss hier im Vergleich der Ländergruppen jedoch ein differenzierteres Bild gezeichnet werden: So tragen etwa die TN der Ländergruppen Polen und Südeuropa den Gesamttrend für die Einführung eines Wahlzölibats nicht mit, wobei sich in Polen eine deutlichere Tendenz zur ablehnenden Position andeutet. Die TN der Ländergruppen Schweiz/Österreich/Liechtenstein bzw. aus den Ländern Frankreich, Nordamerika und Brasilien sprechen sich dagegen sehr deutlich für eine Einführung des Wahlzölibats aus. Auffällig ist, dass ein Viertel derer, die angeben, der kirchlichen Lehre in Fragen von Familie und Ehe voll zuzustimmen, die Einführung des Wahlzölibats befürworten.
Bemerkenswert ist die offensichtlich sehr hohe Bedeutung dieses Themas für viele TN. In einem signifikanten Teil der ausgefüllten Freitextfelder mit Mitteilungen an den Papst und an die Verantwortlichen in der Kirche wird der Zölibat eigeninitiativ aufgegriffen und als einer der Gründe für massive Glaubwürdigkeitsprobleme der katholischen Kirche auf dem Gebiet der Ehe- und Familienlehre genannt. In Gemeindegesprächen wurde zudem deutlich, dass der Zölibat als gewählte Lebensform hoch anerkannt ist und es dem Großteil der Gläubigen daher nicht um dessen Abschaffung, sondern um die Einführung eines Wahlzölibats geht.
Diakonat der Frau
Auf hohe Zustimmung stößt die Idee der Einführung des Diakonats der Frau. So unterstützen 87 Prozent der TN dessen Einführung mit „ja“ (76 %) und „eher ja“ (11 %). Während der Feldarbeit hat sich gezeigt, dass wegen Übersetzungsschwierigkeiten des Begriffs „Diakonat“ ein interkultureller Vergleich nicht valide gezogen werden kann. Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen Geschlecht und Position zum Diakonat der Frau ist hinsichtlich der TN aus Deutschland kein signifikanter Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Befragten festzustellen. Frauen unterstützen den Vorschlag etwas stärker, allerdings ist die Struktur des Meinungsbilds der Geschlechtergruppen ähnlich (Abweichung <10 %). Durch alle Altersgruppen hindurch wird der Wunsch nach der Einführung des Diakonats der Frau von einer deutlichen Mehrheit geteilt.
Seelsorgliche Unterstützung von Ehepaaren und Familien
Ehepaare und Familien sollten sich im Idealfall durch verschiedene seelsorgliche Angebote angesprochen fühlen. Gerade mit Blick auf die vielfältigen Herausforderungen, denen sich Ehepaare und Familien stellen müssen, wurde danach gefragt, ob und, wenn ja, wie kirchliche Unterstützungsangebote rezipiert werden. Zunächst ist auffällig, dass lediglich 21 Prozent der TN angeben, in ihrer Ehe (beispielsweise in einer Ehekrise) kirchliche Unterstützung von Seelsorgern oder von anderer Seite angefragt zu haben. Hier ist also festzustellen, dass anscheinend der überwiegende Anteil der TN die Kirche bei Problemen im Ehe- und Familienleben nicht als primäre Ansprechpartnerin ansieht. In Polen und Südeuropa hingegen baten jeweils 43 Prozent um kirchliche Unterstützung.
Mit Blick auf die Rezeption kirchlicher Unterstützungsangebote wurden die TN zudem gefragt, ob sie von Seelsorgern oder von anderer Seite kirchliche Unterstützung erfahren haben. Von den 21 Prozent der deutschen TN, die (wie oben dargelegt) Unterstützung angefragt haben, geben 83 Prozent an, diese auch tatsächlich erfahren zu haben. Insgesamt - unabhängig davon, ob angefragt wurde oder nicht - geben knapp 60 Prozent der TN an, eher keine Unterstützung erfahren zu haben. Es zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede, sofern man die Antworten nach Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs differenziert: Die Befragten, die angeben, mehr als einmal im Jahr am Gottesdienst teilzunehmen, bejahen lediglich mit zwölf Prozent, Unterstützung erfahren zu haben. Von denen, die jede Woche den Gottesdienst besuchen, geben hingegen 37 Prozent an, unterstützt worden zu sein. Dennoch antworten auch bei dieser Gruppe rund 50 Prozent mit „eher nein“ und „nein“, die restlichen mit „keine Antwort“.
Kritik zeigt sich im Hinblick auf Erfahrungen mit kirchlichen Angeboten in der Ehevorbereitung. Von denen, die sich noch an ihre Ehevorbereitung erinnern, geben rund 60 Prozent an, dass diese im späteren Eheleben keine Hilfe war. In der Analyse der Freitextantworten zu einer guten kirchlichen Unterstützung von Partnerschaften/ Ehen stechen vier thematische Komplexe heraus: der Wunsch nach einer nichtverurteilenden, zuhörenden Haltung seitens der Kirche, die Forderung nach einer besseren Ehevorbereitung und nach einem zeitlich intensiveren und langfristigen Kontakt mit der Kirche auch nach der Eheschließung sowie das praktische Anliegen, den Austausch unter Ehepaaren zu fördern, zum Beispiel in Gesprächskreisen. Letzteres wird dadurch begründet, dass Priestern, trotz grundsätzlicher Wertschätzung, bei diesen Fragestellungen aufgrund ihrer eigenen Ehelosigkeit teilweise ein Kompetenzmangel zugeschrieben wird. Bemerkenswert ist, dass diese thematischen Schwerpunkte ländergruppenübergreifend zu beobachten sind. Als explizit kirchliche Angebote werden Gebete, Gottesdienste und Exerzitien für (Ehe-)Paare, Beratungsgespräche mit praktischen Ratschlägen zum Beziehungsleben sowie Vorträge und Informationsveranstaltungen über Ehe und Familie gewünscht.
„Schwarz-Weiß-Malerei“ und Zentralismuskritik
„Das sind Menschenleben. Da kann man nicht einfach so eine Schablone anlegen und sagen ja oder nein“11. Dieses Zitat eines marokkanischen Priesters aus Casablanca steht programmatisch für die Kritik der Befragten. Sie fordern nämlich, dass ein „Ideal als Ideal“ angesehen werden und die Kategorien des Scheiterns und der Gradualität sich in lehramtlichen Aussagen wiederfinden sollten12.
In zahlreichen Themenfeldern wird die Kritik damit begründet, dass die Kirche als ausschließlich schwarz-weiß malend wahrgenommen wird. Damit einher geht der Wunsch der TN, ihre Bemühungen um eine Realisierung des katholischen Eheund Familienideals mögen Anerkennung finden, auch wenn sie sich im Zweifelsfall einer Diskrepanz zwischen diesem Ideal und der Realität bewusst sind. Statt einer Verurteilung dieser Diskrepanz nach einer Schwarz-Weiß-Logik wünschen sich die Befragten vielmehr einen adäquaten und die konkrete Lebenswirklichkeit berücksichtigenden Umgang mit Scheitern von Lebensentwürfen sowie eine unterstützende Begleitung über verschiedene Lebensphasen hinweg. Familien und ihre spezifische Situation sollen stärker ins gesamtkirchliche Blickfeld rücken und mit ihren jeweiligen Bedürfnissen, wie etwa Kleinkindergottesdiensten im liturgischen Bereich, auch in den Gemeinden stärkere Berücksichtigung finden. Einige der Befragten schildern offen, wie sie in krisenhaften Zeiten eher eine einer Schwarz- Weiß-Logik folgenden Verurteilung als eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Situation erfahren haben13. Diesen Sachverhalt dabei als Einzelfallproblem zu bezeichnen, legt das Umfragematerial insgesamt nicht nahe: In vielen Interviews und in den Freitextfeldern nennen TN in auffälliger Häufigkeit diese Kritik an nicht-graduellem Denken.
Dies bekommt durch den interkulturellen Vergleich noch eine weitere Dimension. Denn gerade in unterschiedlichen kulturellen Kontexten scheint das, was lehramtlich vorgegeben wird, nur begrenzt zur Lebenswelt der Gläubigen zu passen. Dies wird beispielsweise im Interview mit dem bereits zitierten marokkanischen Priester deutlich. In einem Gespräch über den Fragebogen reagierte er gegenüber den Autoren mit Unverständnis, da er es für eine Anmaßung ihrerseits hielt, dass sie in diesem Aspekt lediglich der Vorgehensweise des Vatikans folgten und die in Minderheit lebenden Katholiken in Marokko mit denselben Fragen wie Katholiken in Europa, Nordamerika und anderen Kontinenten konfrontierten. Diese kritische Anmerkung scheint nachvollziehbar, bedenkt man zum Beispiel, dass das Ausleben von Homosexualität in Marokko gesetzlich verboten ist. Als Konsequenz dieser kulturellen Gegebenheiten entwickelten marokkanische Geistliche einen eigenen Fragebogen mit fünf offenen Fragen14. Dies ist nur einer der vielen in der Feldarbeit gesammelten Hinweise auf eine vielerorts wahrgenommene Diskrepanz zwischen einer im Vatikan zentralisierten Entscheidungsgewalt einerseits und weltkirchlicher Praxis und Lebensrealität andererseits.
Wunsch nach dialogischem Austausch
„Es müssen neue Antworten auf neue Probleme in einer sich verändernden Welt gefunden werden“15. So antwortet eine australische Ordensschwester auf die Frage, was sie dem Papst und den Verantwortlichen in der Kirche in Bezug auf Familie und Partnerschaft noch mitteilen möchte. Zahlreiche ähnliche Zitate könnten hier aufgeführt werden. Die TN, die keine Veränderung der Lehre wünschen, beurteilen Papst Franziskus häufig negativ. Die deutliche Mehrheit der TN hingegen wünscht sich Veränderungen und zeigt eine hohe Wertschätzung für den Papst sowie eine Vielzahl von Wünschen, die konstruktive Vorschläge für die Praxis und grundlegende Veränderungen der Lehre umfassen. Viele der TN äußern die Hoffnung, dass es der Kirche in Zukunft besser gelingen könnte, konkrete Lebens- und Glaubenserfahrungen in die Entwicklung von Lehre, Pastoral und Theologie einfließen zu lassen. Das Forschungsprojekt zeigt das große Potenzial einer systematischen Befragung von Gläubigen, die als neue Form des Hörens bezeichnet werden kann, wenn in der Konzeption von Umfragen neben inhaltlich-theologischen Gesichtspunkten kontextuelle Faktoren, Verständlichkeit und Auswertbarkeit von Fragebögen bedacht werden.
Kirche und Glaube spielen in der Lebensplanung vieler Befragter eine große Rolle, sie finden in ihrem Alltag Platz und werden in ihrer Ausgestaltung reflektiert. Bei dieser Reflexion zeigt sich allerdings auch ein deutlicher Dissens mit Teilen der katholischen Lehre. Für Deutschland drückt sich dieser insbesondere im Wunsch nach einem anderen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sowie nach Einführung des Wahlzölibats und des Diakonats der Frau aus. Ferner spiegelt er sich in der Befürwortung des „probeweisen“ Zusammenlebens und der Kritik an bestehenden seelsorglichen Angeboten für Ehe und Familien wider. Interessanterweise zeigen sich zwar altersspezifische Nuancen bei einzelnen Fragen, insgesamt ist jedoch keine nennenswerte Diskrepanz zwischen den Generationen zu konstatieren.
Was sich an den ausgeführten Kritikpunkten wiederholt zeigt, ist ein von den TN wahrgenommener Ansatz der Kirche, auf dem Einhalten kirchlicher Normen zu beharren und eine als monologisch empfundene Kommunikationsstruktur zu verfolgen. Die Ergebnisse der Studie zeigen den Wunsch der Gläubigen nach dialogischem Austausch. Die TN wollen die Lehre nicht einfach durch demokratische Abstimmungen ersetzen, wünschen sich aber, dass ihre Lebenswirklichkeit ernst genommen wird. Für sie sind vorurteilsfreies Zuhören und offener Austausch entscheidend. Ebenso wichtig ist ein konstruktiver Wirklichkeitsbezug, auch im Sinne einer Offenheit für spürbare Veränderungen. Auffallend häufig werden Impulse von Papst Franziskus als Versuch, einen konstruktiven Wirklichkeitsbezug herzustellen, anerkennend hervorgehoben - wie auch das Novum einer unmittelbaren Befragung von Gläubigen.