Das Internet gehört heute zum täglichen Leben. Bis vor einiger Zeit verlangte das Netz spezielle Fertigkeiten. Heute wird es benutzt, um mit entfernt wohnenden Freunden Kontakt zu halten, Nachrichten zu lesen, ein Buch zu kaufen oder eine Reise zu bestellen, um Interessen und Ideen auszutauschen. Das gilt auch, wenn wir unterwegs sind - dank der Geräte, die einmal Handy hießen und heute veritable Taschencomputer sind. Das Internet ist nicht eine Ansammlung von Kabeln, Drähten, Modems und Computern, sondern in erster Linie eine Erfahrung, ein neuer existenzieller Kontext.
Die Kommunikationstechnologien sind dabei, eine digitale Umwelt zu schaffen, in der der Mensch lernt, sich neu zu informieren, die Welt kennenzulernen, Beziehungen einzugehen und lebendig zu erhalten. Zugleich helfen sie uns zu bestimmen, wie die Welt zu bewohnen und zu organisieren ist; sie leiten und inspirieren individuelle, familiäre und gesellschaftliche Verhaltensweisen. Das Netz ist also ein gewöhnlicher „Ort“ und „Raum“ der menschlichen Erfahrung, in dem der Mensch sein öffentliches, sein soziales und sein kulturelles Leben lebt und strukturiert.
Papst Benedikt XVI. erinnerte daran in seiner Botschaft zum „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel“ vom Januar 2013: „Die digitale Umwelt ist keine parallele oder rein virtuelle Welt, sondern ist Teil der Lebenswelt vieler Menschen, insbesondere der jüngeren Generation.“ Der digitale Raum ist nicht unauthentisch, verfremdet, falsch oder fiktiv, sondern ein Phänomen unseres alltäglichen Lebensraumes - „eine Art von Lebensumfeld“, wie Papst Franziskus in seiner Ansprache an den Päpstlichen Rat für die Laien vom 7. Dezember 2013 ergänzte, „um die ununterdrückbaren Fragen des Herzens über den Sinn des Lebens zu wecken“.
Wohnen heißt, dem Raum die eigenen Bedeutungen einzuschreiben. Gerade darin liegt die Herausforderung: Die Bedeutungen und Werte unseres Lebens der digitalen Umwelt einzuschreiben und auch zu verstehen, was das Netz uns über die Weise lehrt, den Glauben heute zu gestalten. Deshalb ist der Christ aufgerufen, das eigentliche Wesen der digitalen Technologien, ja selbst den Anruf, der durch sie ergeht, in Bezug auf das geistige Leben zu verstehen.
Es liegt auf der Hand, dass die Technik immer ambivalent ist, weil die Freiheit des Menschen auch für das Böse eingesetzt werden kann. Aber gerade das zeigt, dass ihre Natur mit dem Leben des Geistes verbunden ist. Schon 1964 gebrauchte Papst Paul VI. in seiner Rede vor einer Gruppe von Jesuiten, die in Gallarate bei Mailand Informatiktechnologien auf den Bibeltext anwendete, revolutionäre Worte: „Die Wissenschaft und die Technik lassen uns neue Geheimnisse erkennen: das mechanische Gehirn kommt dem geistigen Gehirn zu Hilfe.“ Er fuhr fort: „Das Bemühen, mechanischen Geräten den Reflex von geistigen Funktionen einzugeben, wird erhöht zu einem Dienst, der das Heilige berührt.“ Das Bemühen des Menschen besteht also darin, „mechanischen Geräten“ den „Reflex von geistigen Funktionen“ einzugeben. Das ist die „theologische“ Definition der Technologie, ihre „Berufung“. Dank der Technologie kann die Materie „dem Geist einen erhabenen Dienst“ leisten.
Schon die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“ (1965) über die Kirche in der Welt von heute sprach von einer bestimmten Wirkung der Technologien auf den modus cogitandi des Menschen (vgl. GS 5). Doch wenn die Technologie und inbesondere die digitale Revolution eine Wirkung auf die Art haben, wie wir die Realität denken, betrifft das am Ende nicht in gewisser Weise auch den Glauben? Und wie? Das ist der Kern dessen, was ich Cyber-Theologie nenne. Die Frage lautet: Wenn die elektronischen Medien und die digitalen Technologien die Weise des Mitteilens und sogar des Denkens verändern, welche Wirkung haben sie dann auf die Weise, Theologie zu treiben?
Man muss Cyber-Theologie als das Verstehen des Glaubens im Zeitalter des Netzes betrachten: die Reflexion auf die Denkbarkeit des Glaubens im Licht der Logik des Netzes. Diese Reflexion wird angeregt durch die Frage danach, wie die Logik des Netzes mit ihren starken Metaphern, die nicht nur auf die Intelligenz, sondern auch auf die Imagination wirken, das Hören und Lesen der Bibel beeinflussen, das Verständnis der Kirche und der kirchlichen Gemeinschaft, die Offenbarung, die Liturgie, die Sakramente - also die klassischen Themen systematischer Theologie. Diese Reflexion ist umso wichtiger, je mehr das Internet dazu beiträgt, die religiöse Identität von Personen zu formen. Wenn das schon allgemein gilt, dann erst recht für die sogenannten „digital natives“.
Die cybertheologische Reflexion geht immer von der Erfahrung des Glaubens aus. Sie bleibt Theologie, insofern sie der Formel „fides quaerens intellectum“ (der Glaube sucht das Denken) entspricht. Cyber-Theologie ist also nicht eine soziologische Reflexion über Religiosität im Internet, sondern Frucht des Glaubens, der aus sich selber die Neugierde hervorbringt in einer Zeit, in der die Logik des Netzes die Weise des Denkens, Erkennens, Mitteilens und Lebens prägt. Es genügt dabei nicht, die cybertheologische Reflexion als einen der vielen Fälle von „kontextueller Theologie“ zu betrachten, die den spezifischen menschlichen Kontext, in dem sie sich ausdrückt, bewusst hält. Der Kontext des Netzes hat die Tendenz, nicht als ein besonderer und bestimmter Kontext isolierbar zu sein (und er wird es immer weniger sein), sondern im Fluss unserer alltäglichen Existenz aufzugehen (und er wird es immer mehr).
Wir müssen heute versuchen, den Glauben zu verstehen gemäß einer Zeit, in der das Netz unsere Art zu denken, zu erkennen, mitzuteilen und zu leben verwandelt. Die Kultur der Cyberwelt bringt neue Herausforderungen für unsere Fähigkeit, eine symbolische Sprache zu formulieren und zu vernehmen, die von der Möglichkeit und den Zeichen der Transzendenz in unserem Leben spricht - ein Gewinn, für das Leben ebenso wie für den Glauben.