Russland zwischen Europa und AsienDie Wende nach Osten auf der Suche nach sich selbst

Russland will nicht zum Westen gehören. Aber es blickt nach dem Westen. Sinnbild dafür ist der Doppeladler, der nach Ost wie nach West blickt. Er löste 1993 das sowjetische Hammer-Sichel-Emblem ab. Warum gelang der Anschluss an den Westen, oftmals versucht, nicht? Und warum orientiert sich die Bevölkerung eher an China als am Westen? Das Wappen stammt aus Byzanz, das 1453 von den Türken erobert wurde. Ivan III., der erste Herrscher des unabhängigen Russlands, hat von dem von Türken eroberten Byzanz nicht nur seine Frau bekommen (die Nichte des letzten byzantinischen Kaisers), sondern auch einen zweiköpfigen Adler – als Wappen und auch als Ausdruck einer Idee. Auch wenn mehrere Länder in Osteuropa sich mehr oder weniger als Nachfolger dieser imperialen Idee betrachten: Nirgendwo war dieser Zwiespalt – wahrscheinlich mit Ausnahme der Türkei selbst –, diese Zerrissenheit zwischen dem Westen und Osten, so stark wie in Russland.

Die kommunistische Idee kam aus dem Westen

Auch wenn nach Peter dem Großen dieser zweiköpfige Adler immer mehr gen Westen blickte, bedeutete das aber nicht, dass das Land selbst europäisch wurde. Allenfalls die Eliten, genauso wie jetzt eine kleine Schicht der prowestlichen Intelligenz, sehen im Westen ein Vorbild. Aber das Volk konnte damit kaum etwas anfangen.
Alle Versuche, Russland nach westlichem Muster umzuformen, sind kläglich gescheitert, auch wenn es manchmal Jahrzehnte, manchmal auch Jahrhunderte dauerte, bis das Scheitern des jeweiligen Vorhabens offensichtlich wurde. Was Peter der Große unternahm, wurde zu einem fast identitätsstiftenden Mythos des europäischen Russlands. Wobei neben allen Erfolgen, die seine Reformen gebracht haben, ihre Folgen letztendlich für das Schicksal des Landes verheerend waren.
Im Jahr 2017 wird in Russland besonders viel über die Geschichte des Landes diskutiert – aus gutem, aber leider nicht so erfreulichem Grund: Genau vor hundert Jahren haben Bolschewiken die Macht an sich gerissen und das Land in das Chaos und die Tragödie des Bürgerkrieges gestürzt. Der Bürgerkrieg ist längst vorbei, die Geschichte aber bleibt nach wie vor ein Feld, auf dem ein „Kalter Bürgerkrieg“ ausgefochten wird. Nur dass es nicht mehr der Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und ihren Feinden ist, sondern der zwischen den Liberalen und Traditionalisten. Die Geschichte kann leicht ihren Charakter als Wissenschaft verlieren, um Dienerin der Ideologie zu werden.
In der Sowjetzeit wurde die Geschichte als eine Geschichte des Kampfes der fortschrittlichen Menschheit dargestellt, die sich gegen ihre Unterdrückung wendet. Das Seltsame an dieser Geschichtsdeutung war, dass das Ideal der Befreiung durch die Kommunisten den Blick nach vorne richtete und sich eigentlich am Westen orientierte. In Wirklichkeit wurde Russland zu einer Gesellschaft gemacht hat, die wie eine orientalische Despotie regiert wurde. Der Marxismus war letztlich eine westliche Ideologie. Heute werden die „Freiheitskämpfer“ der Vergangenheit als Räuber oder in die Irre geleitete Liberale betrachtet.

Gescheiterte Versuche der „Verwestlichung“

Mehrmals hat Russland versucht, sich nach westlichem Vorbild umzuformen. Dass diese Versuche gescheitert sind, liegt nicht so sehr am Westen, sondern an der Art und Weise, wie diese nach westlichem Vorbild orientierte Modernisierung in Russland durchgeführt wurde. Unter Peter d. Gr. wurden nicht nur westliche Technologie und Wissenschaft nach Russland gebracht. Die Eliten wurden auch westlich ausgebildet und sogar gekleidet. Das Land wurde zur erstklassigen Militärmacht. Der Kluft zwischen den westlich orientierten Eliten und der nach traditionellen Werten lebenden Bevölkerung wurde dadurch unüberbrückbar. Das hat dann mit dem Ende der Zarenherrschaft zum Zusammenbruch der ganzen Gesellschaft und zu einem brutalen Bürgerkrieg geführt. Wenn man die Geschichte der Revolution studiert, kann man den Eindruck gewinnen, dass es nicht Mitbürger waren, die aufeinander losgingen, sondern Leute, die sich überhaupt nicht verstanden haben. So viel Hass und Brutalität wie damals in Russland kennt man selten in der Geschichte.

Die Perestroika unter Michail Gorbatschow wie die Weiterführung der Reformen unter Boris Jelzin in den 1990er-Jahren sind ein weiteres Beispiel, wie man eine Gesellschaft mit besten Absichten vorwärts bringen kann, im Endeffekt jedoch spaltet und fast an den Rand eines neuen Bürgerkrieges bringt. Es wäre eine Verdrehung der Fakten, das, was damals in Russland geschah, eine Wende nach Westen und einen Triumph, wenn auch einen vorübergehenden der liberalen Demokratie, zu nennen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, besonders für diejenigen, die das persönlich erlebt haben, dass wenige Russen jetzt davon träumen, diesen Versuch noch einmal zu wiederholen. Wenige haben sich damals die Besitztümer des Landes angeeignet. Es herrschte Rechtlosigkeit, jeder war in Gefahr, sogar von der Polizei beraubt zu werden.
Die Modernisierung in der russischen Geschichte beinhaltete nicht immer Verwestlichung. Versuche, sich nach anderen Vorbildern zu modernisieren, hat Russland schon immer unternommen – zuerst wurde die mongolische Militärstrategie übernommen, was den Moskowitern ermöglichte, die Tataren zu schlagen und sich vom Joch der Goldenen Horde zu befreien. Im 16. Jahrhundert, als das osmanische Reich die stärkste Militärmacht war, wurden in Russland Ideen laut, das Heer nach dem Vorbild der Janitscharen zu organisieren. Die radikale Modernisierung und Verwestlichung, die Russland unter Peter d. Gr. unternahm, war eigentlich darauf beschränkt, westliche Technologie, vor allem im Militär, zu übernehmen.
Was die soziale Modernisierung angeht, hatte Peter d. Gr. nicht die Absicht, sie auch nur ansatzweise anzugehen. Seine Einstellung zu Europa war auch nur äußerlich. Er soll gesagt haben, dass die herrschende Schicht Russlands Europa gerade einmal für zwanzig Jahren braucht: „Danach werden wir uns von ihr abwenden.“ Die herrschende Schicht Russlands hat sich allerdings auch nach zwanzig Jahren nicht von Europa abgewendet. Sie wollte die Vorteile der europäischen Zivilisation weiter nutzen, auch die Freiheiten, die die aus Deutschland stammende Kaiserin Katharina die Große ihnen schenkte. Gleichzeitig wurden unter Katharina russische Bauern zu Leibeigenen, die von ihren Gutsherren wie Vieh verkauft werden konnten.
Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass der erste Versuch der Modernisierung nach westlichem Vorbild scheiterte. Die Revolution von 1917 und ihre Brutalität haben wahrscheinlich den gegenseitigen Hass und die Verachtung, die sich über Jahrhunderte zwischen dem Adel und dem Volk angesammelt haben, zum Ausdruck gebracht. Die Russen haben sich ziemlich schnell von der Idee losgesagt, dass Russland ein Teil Europas sei und sie selbst mit ihrer Kultur zu diesem Kontinent gehören. Diese Idee wurde auch nach der Revolution weiter verbreitet, da die Ideologie, derer sich die Bolschewiken bedienten, aus dem Westen stammte. Sich als etwas anderes als Europäer anzusehen, hätte geheißen, sich auf eine niedrigere Entwicklungsstufe zu stellen. Das wollten die Bolschewiken nicht.

Eine neue Modernisierung – nach welchem Vorbild?

Ende der 1990er-Jahre war allen klar, dass das Experiment, eine westliche Ordnung für Russland aufzubauen, gescheitert war. Es herrschte das Gefühl, das Land stehe am Rande eines neuen Bürgerkriegs. Die Kluft in der Gesellschaft war zu tief. Um den Zusammenprall zwischen der kleinen Gruppe der Gewinner und dem Rest der Bevölkerung, den Verlierern der wirtschaftlichen Entwicklung, abzuwenden, schien nur eine Diktatur der Ausweg zu sein. Nur die Diktatur schien eine wirtschaftliche Modernisierung zustande bringen zu können. Das große Beispiel war Ostasien, wo autoritäre Regierungen es geschafft hatten, ihre Länder wirtschaftlich und technologisch voran zu bringen. Das Scheitern auch dieses neuen Versuches, Russland direkt nach westlichem Vorbild zu entwickeln, hat in breiten Schichten der Gesellschaft zu der Überzeugung geführt, dass Russland auf diesem Weg nicht zu modernisieren war und es sich deshalb an Asien orientieren sollte. Das hieß aber nicht, dass Russland unter Waldimir Putin sich vom Westen abgewendet hätte.
Der Direktor des Carnegie Moscow Centre, Dimitri Trenin, untersucht in seinem Aufsatz „From Greater Europe to Greater Asia?“ Gründe und Folgen dieses Bruches zwischen Russland und dem Westen, zwischen der Abwendung vom westlichem Modell und der Hinwendung zum Osten, besonders nach China. Am Beginn seiner Präsidentschaft hat Putin den Europäern vorgeschlagen, einen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostock zu schaffen und anstelle der NATO eine gemeinsame Sicherheitsstruktur einzurichten. In den Augen des Westens, besonders von Politikern in Washington, war Russland jedoch kein ebenbürtiger Partner, sondern ein Land, das den Kalten Krieg verloren und deswegen kein Recht auf irgendwelche Ansprüche hatte.
Die Ukraine-Krise hat den Prozess der gegenseitigen Entfremdung zwischen dem Westen und Russland dramatisch beschleunigt. Als Reaktion auf den Sturz der Regierung in Kiew im Februar 2015 hat sich Russland die Krim annektiert und den Widerstand der östlichen Gebiete im Don-Becken gegen die neue Regierung in Kiew unterstützt. Die Reaktion Europas war für Russland besonders bedeutend – und schmerzhaft: 2013 machte der Handel mit der EU fünfzig Prozent des russischen Außenhandels aus. Und Europa bezog dreißig Prozent seiner Energieträger aus Russland.
Besonders eng war Russland mit Deutschland verbunden. 6000 deutsche Firmen waren in Russland tätig. Als aber Europa sich der amerikanischen Politik der NATO-Erweiterung anschloss und den Umsturz in der Ukraine unterstützte, waren Versuche der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland von fünfundzwanzig Jahren, besonders im Bereich der Sicherheit und der wirtschaftschaftlichen Zusammenarbeit, mit einem Schlag zunichte gemacht. Dabei hätte es sämtliche Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland auf dem Weg zu einem „Groß-Europa“, einem gemeinsamen Raum von Lissabon bis Wladiwostok, gegeben! Das von Putin favorisierte Projekt sah eine wirtschaftliche Integration vor, bei der russische Bodenschätze und landwirtschaftliches Potenzial mit europäischer Industrie und Technologien aus dem Westen zu einem einzigen Komplex verschmolzen wären. Diese Perspektive, die für deutsche Wirtschaftskreise sehr attraktiv war, ist auf den Widerstand der politischen Klasse Deutschlands gestoßen. Letzlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verstehen gegeben, dass sie dieses Projekt nicht interessiert.
In Europa begann sich eine Koalition gegen Sonderbeziehungen zu Russland zu formieren. Nicht nur Polen und die baltischen Staaten, die immer noch Angst vor einer Aggression aus dem Osten haben, wurden Mitglieder dieser Koalition, sondern auch traditionelle Gegner einer Annäherung zwischen Russland und Europa wie Großbritannien, Schweden und weitere Länder. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben immer mit Argwohn auf die Möglichkeit einer neuen Achse zwischen Berlin und Moskau geschaut. Die Ukraine-Krise hat allen diesen Ängsten sozusagen den Rest gegeben.
Nach dem Absturz von Flug MH17 der „Malaysia-Airline“ auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ukraine am 17. Juni 2014 mit 298 Todesopfern wurden die erzwungenen Sanktionen gegen Russland zu einer Mission von Seiten Berlins. Berlin wurde zum Anführer des Widerstands gegen die „russische Gefahr“. Es gab auch andere wichtige Gründe für die Kursänderung der deutschen Position: die Unzufriedenheit mit dem autoritären Regime in Russland, der Wunsch anderer EU-Länder, Ost-Europa hinter sich zu haben, außerdem eine gewisse moralische Verachtung für die Realpolitik Russlands.
Als Folge wurden die deutsch-russischen Beziehungen fast vollständig abgebrochen oder auf ein Minimum reduziert. Seit 1989, als Gorbatschow die Idee eines „gemeinsamen europäischen Hauses“ aufbrachte und sich der Wiedervereinigung Deutschlands nicht in den Weg stellte, bewegte sich Russland auf eine informelle Assoziierung mit Europa zu, vor allem mit Deutschland. Damit war es im Jahr 2014 vorbei. Der Weg nach Westen, ganz unabhängig davon, ob Russland diesen Weg noch gehen wollte oder nicht, wurde versperrt. Die einzige Alternative war daher die Wende nach Osten. Aber was sollte Russland dort erwarten?

Die neue Achse Moskau – Peking

Am Anfang der Krise hat Barack Obama gehofft, dass Peking Russland verurteilen würde, besonders wegen der Verletzung der Prinzipien der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten, die für Peking eine wichtige Rolle spielen. Aber dieses Kalkül ging nicht auf. Peking hat auf die Verurteilung Russlands bei der Abstimmung in der Generalversammlung der UNO im März 2014 verzichtet.
Auf den ersten Blick stand diese Reaktion im Widerspruch zu den Prinzipien, auf denen Chinas Außenpolitik basiert. Gleichzeitig verstand Peking sehr gut, was die Reaktion Moskaus verursacht hat. Für die chinesische Regierung war eine von außen gesteuerte Revolution ein Alptraum. Einige chinesische Führungspersönlichkeiten bewunderten sogar die entschlossene Reaktion Russlands auf den Umsturz der Regierung in Kiew. Gleichzeitig hat die Eskalation der Regierung in Peking die Angst vor einer möglichen Kooperation zwischen Russland und den USA genommen. Jetzt sahen sie ihre nördliche Flanke abgesichert. Die neue Konfrontation mit dem Westen hat die Möglichkeiten Moskaus, sich auf der internationalen Bühne frei bewegen zu können, erheblich eingeengt. Andererseits veranlasste es Moskau, in Peking einen Partner zu suchen, wenn auch zu ganz bestimmten Bedingungen. In diesem neuen Szenario ist China für Moskau nicht nur Handelspartner Nummer eins, sondern auch eine Tür in die weite Welt geworden. Was Russland an westlichen Investitionen und Technologien verloren hat, hoffte es jetzt, zumindest teilweise, mit Hilfe Chinas wettmachen zu können.
Die Wende Russlands nach Osten hat glücklicherweise für Peking die Initiative Chinas, eine neue Seidenstraße einzurichten, ergänzt. Im Pazifik ist China von Ländern, die in einem Bündnis mit den USA stehen, eingekreist. Dafür aber ist der Weg nach Westen frei. Er verspricht nicht nur neue Märkte, sondern vor allem Zugang zu Ressourcen.
Das Wichtigste in diesem neuen Bündnis zwischen Russland und China besteht darin, dass es nicht mehr nur auf gegenseitigem Nutzen basiert, sondern auch auf gemeinsamen Werten. Für beide Länder sind Größe, Unabhängigkeit und Macht des Staates sehr wichtig. Beide widersetzen sich vehement jedem Versuch der Ausbreitung von Demokratie, besonders wenn sie durch einen Umsturz der existierenden Regierung erfolgt. Die Regierungen beider Länder sehen in den ständigen Versuchen der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten, auf der ganzen Welt die Demokratie durchzusetzen, nur ein Instrument der Erweiterung des politischen Einflusses – nicht mehr. Die Führung, sowohl in China als auch in Russland, lehnt die Kritik der westlichen Regierungen und Massenmedien ab. Sie versucht, die Finanzierung demokratischer Bewegungen aus dem Ausland zu unterbinden. In beiden Hauptstädten betrachtet man Proteste gegen die Regierung als von Washington gesteuerte Aktionen. Von 2011 bis 2012 hat Putin Proteste in Moskau unterbunden – diese Kundgebungen wurden von den USA unterstützt. Peking hat 2014 „ausländische Agenten“ der Steuerung der Proteste in Hongkong bezichtigt.
Was die Weltordung angeht, sind beide Länder Anhänger der sogenannten „multipolaren Welt“. Aber bis 2014 hat Russland versucht, seinen Platz auch im vom Westen dominierten System zu finden. Russland war Mitglied der G8, hat an der informellen Partnerschaft mit den USA, der NATO und der EU teilgenommen. Moskau wollte sowohl im westlichen als auch im östlichen Lager präsent sein. Es wollte aus Russlands einzigartiger Lage Profit ziehen. China hat diese Anstrengungen mit großer Skepsis beobachtet. 2014 soll Peking angesichts der zerstörten russisch-amerikanischen Beziehungen ziemlich große Schadenfreude empfunden haben, auch wenn es dieses Gefühl nicht öffentlich gezeigt hat.
Jetzt, da Russland nicht mehr auf beiden Seiten stehen kann, haben sich seine Positionen denen von Peking sehr angenähert. Natürlich haben Moskau und Peking nicht zu allen internationalen Fragen die gleiche Einstellung. Aber sie sind beide der Meinung, dass die Außenpolitik der USA nur Chaos verursacht. Die Lage im Nahen Osten ist für sie ein offensichtliches Beispiel. In Ost-Asien versuchen die USA nach ihrer festen Überzeugung, die Lage an den chinesischen Grenzen zu destabilisieren (z. B. in Hongkong, Taiwan und Xinjang), China selbst durch Militärbündnisse zu isolieren und die Versuche Chinas, gute Beziehungen mit den Nachbarn zu etablieren, zu sabotieren. In Eurasien wollen die USA – nach Moskau und Peking – die Grenzen der NATO möglichst nahe an die Grenzen von Russland bringen und die Anstrengungen Moskaus, die Integration in Eurasien voranzutreiben, zunichte machen.
Im Konflikt mit dem Westen, besonders mit den USA, unterstützt Peking Moskau, vor allem, weil China nicht daran interessiert ist, dass Washington Moskaus Widerstandswillen bricht. Noch weniger wollen die Chinesen, dass Russland zerfällt oder ins Chaos abrutscht. Ein prowestliches oder im Chaos begriffenes Russland würde für Peking eine große Gefahr darstellen. Außerdem sieht Peking in dem Druck, den die USA auf Moskau ausüben, eine Warnung an alle nichtwestlichen und nichtprowestlich orientierten Staaten und Regierungen, besonders an das unabhängige China. Auch wenn sowohl Russland als auch China glauben, dass die USA zumindest kurzfristig das mächtigste Land der Welt bleiben, sehen sie auch, dass Washington seinen Willen nicht mehr überall durchsetzen kann und dass der Einfluss der USA immer geringer wird.
Es gibt auch noch einen anderen Grund für die Annäherung Russlands an China – die Freundschaft zwischen Putin und Xi Jinping. Sie respektieren einander als starke Männer und denken, dass ihre Freundschaft eine Grundlage der guten Beziehungen, zumindest für einige Jahre, sein kann.

Auf dem Weg nach dem „großen Asien“

Nach den Ereignissen von 2014 stehen die Zeichen statt auf Groß-Europa auf Groß-Asien, das von Shanghai bis Petersburg reicht. Die Zusammenarbeit auf dem Energiesektor ist nur ein Teil dieses umfassenden Projekts. China nimmt auch teil an der Entwicklung der Infrastruktur in Russland. Es gibt Pläne, die Hochleistungs- Eisenbahnstrecke von Moskau bis Kazan auch durch Kasachstan bis nach Peking weiterzuziehen. China investiert in die Modernisierung der Seehäfen an der Pazifikküste Russlands und nimmt an der Entwicklung der Nordstraße von Asien nach Europa teil.
Unter heutigen Bedingungen werden Pläne Chinas, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ zu einer Symbiose mit den russischen Integrationsplänen in Eurasien zu schaffen, nicht zur Konkurenz führen.
Trotz allem ist die Veränderung, die jetzt nicht nur in der russischen Politik, sondern auch im Bewusstsein passiert, gewaltig. Der Schwerpunkt Russlands liegt westlich des Urals. Russland wurde von den Normannen gegründet. Seine herrschende Klasse war immer mindestens zur Hälfte europäisch. Sogar Lenin konnte sich seine Revolution nur als einen Teil der europäischen Revolution vorstellen. Russen sind es gewohnt, sich als Europäer wahrzunehmen. In der Geschichte Russlands gab es schon einmal eine Zeit, in der Russland Teil eines riesigen Reiches mit dem Zentrum in Peking war: unter den Mongolen. In der leidvollen russischen Geschichte war das eine besonders unangenehme Zeit. Das alles macht die Wende nach Osten schwierig. Es macht auch eine Rückkehr in den Westen möglich. Es gibt, zumindest rein theoretisch, die Möglichkeit, doch noch einen Platz zwischen beiden Größen zu finden.
Was im Moment in Russland geschieht, ist der Versuch einer integrativen und ausgeglichenen Modernisierung, die schon mit viel größerem Erfolg in Japan und vor kurzem auch in China durchgeführt wurde. Man versucht, traditionelle Werte des Landes mit dem aus dem Ausland zu integrieren, was dem Land nützlich sein kann.
Russland hat schon oft versucht, seine eigene Geschichte zu leugnen und künstlich – durch von oben durchgeführte Reformen oder durch Revolutionen – zu dem zu werden, was es nicht war. Mit katastrophalen Folgen! Der heutige Versuch, diesen Bürgerkrieg, der einmal auf den Feldern der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Klassen und Gruppen in der Gesellschaft, dann auf dem Feld der Ideologie und der Geschichtsforschung endete, zu verhindern, verdient es zumindest, ausprobiert zu werden. Die Suche Russlands nach seinem Platz auf den Weiten Eurasiens ist nicht nur eine geostrategische Angelegenheit. Es geht dabei nicht nur um einen Platz unter der Sonne, sondern auch darum, dass das Land seinen Weg in die Moderne findet, und gleichzeitig sich selbst nicht zerstört.

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