Herausforderung Berufungspastoral

Junge Menschen erkennen in der katholischen Kirche in Deutschland größtenteils keinen attraktiven Lebensort. Das Gelingen ihrer Zukunft verbinden sie nicht mit Glauben oder Gott. Aber die Frage nach der eigenen Berufung ist zuinnerst eine Frage nach Vitalität und Lebenserfüllung. Junge Menschen wollen wachsen, gefordert sein, Kompetenzen erwerben, Welt zum Besseren gestalten und selbstbestimmt leben. Sie wünschen sich eine sinnerfüllte Tätigkeit, dann sind sie auch zu großherziger Hingabe bereit. Für ihr Wachstum suchen sie sich lebendige und überzeugende Lernorte oder Menschen, von denen sie sich fruchtbare Auseinandersetzungen versprechen.

Christliche Berufung trifft diese Grundsehnsucht. „Berufung“ ist nicht in erster Linie Selbstoptimierung, um möglichst viele Talente zu entfalten. Menschen lassen vielmehr ihr Leben los, um es zu gewinnen. Deshalb können Fähigkeiten brach liegen bleiben, weil es um etwas Größeres geht. Gelungene Berufung verbindet ein ganzheitliches Bild von Menschsein und Identität, von Christsein und Nachfolge.

Berufungspastoral muss deshalb junge Menschen über ein zu eng gezogenes Bild von sich selbst in die Weite des Lebenswillens Gottes führen. Berufung kann man nicht „machen“. Sie ist wesentlich unverfügbar. Der Ruf liegt allein in der freien Initiative Gottes, und es antwortet darauf der einzelne, freie Mensch. Der menschlichen Freiheit etwas zuzutrauen, fordert Berufungspastoral heraus. Wo dies fehlt, mißlingt sie.

Wie ließe sich der ausbleibende Nachwuchs in Diözesen und Orden geistlich interpretieren? Berufungspastoral fragt auch nach der geistlichen Vitalität unserer Ortskirchen und Ordensgemeinschaften. Lebendige Orte sind, wo Menschen überzeugend, treu und ehrlich um die Nachfolge Jesu ringen, sich gegenseitig freilassen, aber sich auch wertschätzend und kritisch begleiten, wo eine Gemeinschaft offen ist, wo ihr Auftrag die Antwort auf echte Not ist. Es braucht ein klares Profil.

Wenn Lernbereitschaft und Lernfähigkeit Eignungskriterien für junge Ordensleute oder Priesternachwuchs sind, dann müssen sich Diözesen, Pfarreien, Klöster und Ordensgemeinschaften die Frage stellen, ob sie noch lernfähig und -bereit sind. Junge Menschen zwischen sechzehn und Ende zwanzig erfahren ihr Leben als Baustelle: Umbrüche, Spannungen, Träume, Widersprüche, fehlende Fähigkeiten, Sehnsucht nach Entfaltung, Ungestümes, Lahmes ... Das bringt Unordnung mit sich. Die Frage ist: Darf Unordnung sein? Sind wir fähig, dem Ordnungsprozess den nötigen Freiraum anzubieten? Sind wir attraktive Orte, wo die überkommenen Strukturen wirklich einem Mehr an Leben dienen? Oder opfern wir unsere vitalen Kräfte den Strukturen? Im Rahmen der Berufungspastoral gehören die Unterscheidung und Entscheidung nach innen zur Aufgabe der Leitungspersonen.

So ist Berufungspastoral eine gegenseitige Herausforderung und ein gemeinsamer Klärungsprozess: Junge Menschen haben der Kirche und diese hat jungen Menschen etwas zu sagen. Papst Franziskus wünscht sich diese Auseinandersetzung für die Bischofssynode im Oktober 2018, welche die Jugend- und Berufungspastoral zum Thema haben wird. Ein differenziertes Vorbereitungsdokument hat der Vatikan im Januar 2017 vorgelegt. Darin heißt es: „Wenn wir wollen, dass in der Gesellschaft oder in der Gemeinschaft der Christen etwas Neues geschieht, müssen wir Raum schaffen, damit neue Menschen handeln können. […] Den Wandel nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu planen, macht es erforderlich, den neuen Generationen zuzugestehen, ein neues Modell der Entwicklung auszuprobieren. Dies ist vor allem in den Ländern und institutionellen Kontexten problematisch, in denen das Alter derjenigen, die Verantwortung tragen, hoch und der Rhythmus des Generationswechsels verlangsamt ist.“

Der Schwerpunkt für die Beauftragten der Berufungspastoral sollte auf der Förderung und Begleitung der Berufungsfrage in jungen, suchenden Menschen liegen. Dies besteht vor allem in einer geistlichen Befähigung. Sie spüren das Chaos in sich, entdecken die Verheißungen, wollen selbst anpacken. Aber wie? Das über Jahrhunderte gewachsene geistliche Instrumentarium kann junge Menschen in ihrer Berufungsklärung bereichern und ihnen helfen. Zum Erlernen braucht es aber Freiraum, der ihnen im Alltag häufig fehlt. Freiraum entsteht, wo Begleiter zuhören und zum geistlichen Leben anleiten, wo Gleichgesinnte sich austauschen, wo inspirierende Vorbilder vorgestellt werden, wo junge Menschen Strukturen selbst mitgestalten können. Wenn Berufungspastoral in einer Studentengemeinde oder in einer Gemeinschaft eine Atmosphäre geistlicher Startups schaffen kann, wird sie eine Dynamik zur Berufungsfindung freisetzen. Wie die Wirtschaft bereits erkannt hat, liegt im Zusammenspiel von Kompetenz und Innovationskraft junger Leute ein produktives und fruchtbares Miteinander.

Das Entscheidende in der Berufungspastoral bleibt das Gebet. Zum einen die Bitte an Gott, er möge in vielen jungen Menschen den Wunsch wecken, sich für sein Reich zu engagieren. Aber noch mehr braucht es das hörende und ringende Gebet jedes einzelnen. Damit ist nicht ein naives Plappern gemeint. Beten lässt neues Leben wachsen, wo es ein Sich-Anvertrauen an die gütige Führung Gottes, ein schmerzliches Innewerden der eigenen Wunden und Sünden, ein Sich-Herausrufen- Lassen aus Liebgewonnenem wird. Dieses Gebet können und dürfen wir den jungen Menschen, die auf der Suche nach ihrer Berufung sind, und uns selbst, die wir uns Nachwuchs wünschen, nicht ersparen. Ich bin überzeugt, dass durch dieses vitalisierende Beten junge Menschen wieder verstehen werden, warum Glaube so viel mit einem gelungenen Leben zu tun hat. Dann wollen sie wissen, welchen Ruf Gott für sie hat. Sie werden mutig und vertrauensvoll in die Zukunft gehen und auch wir, die uns Nachwuchs wünschen, dürfen uns überraschen lassen, was Gott wachsen lässt.

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