San Romero de AméricaOscar Arnulfo Romero wird heiliggesprochen

Am 14. Oktober wird Papst Franziskus Erzbischof Oscar Romero (1917-1980) zusammen mit Papst Paul VI. und weiteren Seligen während der Jugendsynode in Rom heiligsprechen. Wer war der Erzbischof aus El Salvador, der sich erst kritisch gegen die aufkommende Befreiungstheologie stellte, dann aber einer ihrer bekanntesten Fürsprecher wurde? Martin Maier SJ, früherer Herausgeber und Chefredakteur dieser Zeitschrift und heute Beauftragter des Jesuitenordens für europäische Angelegenheiten in Brüssel steht in einer langjährigen Verbindung mit El Salvador. Er rekonstruiert die Wandlung Romeros bis zu dessen Märtyrertod während einer Predigt.

Es war ein Selig- und Heiligsprechungsverfahren mit vielen Hindernissen und Verzögerungen. In El Salvador verehrte die große Mehrheit der Bevölkerung Erzbischof Oscar Romero schon längst als Heiligen. Noch unter dem Eindruck seiner Ermordung am 24. März 1980 während der Feier einer heiligen Messe hatte der brasilianische Bischof Pedro Casaldáliga sein berühmtes Gedicht „San Romero de América“ geschrieben. Darin heißt es: „Niemand wird Deine letzte Predigt zum Schweigen bringen.“ Doch Mitglieder der Oberschicht El Salvadors setzten alle Hebel in Bewegung, um eine kirchenoffizielle Anerkennung Romeros zu verhindern. Sie hatten Verbündete unter einflussreichen Kurienkardinälen im Vatikan. Romero, so argumentierten sie, sei nicht um des Glaubens willen gestorben, sondern weil er sich in die Politik eingemischt habe.

Papst Franziskus hat sich die Selig- und Heiligsprechung Oscar Romeros zu einem ganz persönlichen Anliegen gemacht. Für ihn ist er ein Märtyrer und ein vorbildlicher Bischof einer armen Kirche für die Armen. Schon wenige Wochen nach seiner Wahl traf er sich mit Erzbischof Vincenzo Paglia, dem Verantwortlichen für die Causa Romeros, und forderte ihn auf, das Verfahren zu „entblockieren“ und schnell voranzubringen. Am 18. August 2014 bezeichnete er Romero im Flugzeug auf der Rückreise von Korea nach Rom vor Journalisten als einen Märtyrer der Nächstenliebe, der für die Gerechtigkeit gestorben sei. Die Seligsprechung fand am 23. Mai 2015 in El Salvador statt. In einer denkwürdigen Ansprache am 30. Oktober 2015 vor einer Delegation von 500 Salvadorianern in Rom sagte der Papst, dass sich das Martyrium Romeros noch nach seinem Tod fortgesetzt habe. Auch von Mitbrüdern im Priester- und Bischofsamt sei er „diffamiert, verleumdet und beschmutzt worden“. Er selbst sei Zeuge dessen gewesen. „Wie oft werden Menschen, die schon ihr Leben hingegeben haben und tot sind, weiterhin mit dem härtesten Stein gesteinigt, den es auf der Welt gibt: der Zunge.“

Am 14. Oktober 2018 wird Papst Franziskus Erzbischof Oscar Romero zusammen mit Papst Paul VI. in Rom während der Jugendsynode heiligsprechen. Mit ihnen werden die Gründerin der Dernbacher Schwestern Maria Katharina Kasper (1820-1898), die italienischen Priester Francesco Spinelli (1853-1913) und Vincenzo Romano (1751-1831) sowie die aus Spanien stammende Ordensgründerin Nazaria Ignazia March Mesa (1889-1943) und der mit neunzehn Jahren verstorbene Italiener Nunzio Sulprizio (1817-1836) in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen.

Zwischen Oscar Romero und Paul VI. gibt es eine Reihe von Verbindungen. Paul VI. hat das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende geführt, Erzbischof Oscar Romero wurde zu einem wichtigen Übersetzer des Konzils in die Wirklichkeit Lateinamerikas. Was für das Konzil eine Öffnung der Kirche gegenüber der modernen Welt war, wurde für die Kirche Lateinamerikas eine Öffnung gegenüber der Welt der Armen. Diese fand ihren programmatischen Ausdruck in der „vorrangigen Option für die Armen“, wie sie die lateinamerikanischen Bischofsversammlungen in Medellín (1968) und Puebla (1979) beschlossen haben. Paul VI. war es, der Romero 1970 zum Weihbischof, 1974 zum Diözesanbischof von Santiago de María und 1977 zum Erzbischof der Hauptstadt San Salvador ernannte.

Die Beziehung von Oscar Romero zu Papst Paul VI. war von einer besonderen Zuneigung geprägt. Nachdem schon die ersten Beschwerden gegen ihn wegen seines prophetischen Eintretens für Gerechtigkeit in Rom eingegangen waren, begegnete ihm Paul VI. bei einem Besuch im Vatikan verständnisvoll und gütig. Besonders wichtig war ihm, dass der Papst ein Bild von Rutilio Grande SJ, dem ersten in El Salvador ermordeten Priester, segnete. Zur letzten Begegnung mit Paul VI. kam es 1978, wenige Wochen vor dessen Tod. Als er bei seiner nächsten Romreise das Grab Pauls VI. besuchte, verdeutlichte ihm dessen Schlichtheit „den neuen Stil der Einfachheit und Demut im Dienst an der Kirche“, wie ihn Paul VI. geprägt hat.

Die Geschichte einer großen Veränderung

Die Geschichte Oscar Romeros ist die Geschichte einer großen persönlichen Veränderung, die manche sogar eine Bekehrung nennen. In einer armen Familie geboren erwachte in ihm mit zwölf Jahren der Wunsch, Priester zu werden. Ein Freiplatz ermöglichte ihm ein Theologiestudium in Rom, wo er 1942 zum Priester geweiht wurde. Zurück in El Salvador wurde er zu einem geschätzten Seelsorger. Aber er galt als eher konservativ und wollte die Kirche aus den wachsenden sozialen Konflikten heraushalten. Von seiner Ernennung zum Erzbischof waren all jene enttäuscht, die sich eine Fortsetzung der sozial engagierten Linie seines Vorgängers Erzbischof Luis Chávez y González erhofften.

Doch die Ermordung des Jesuiten Rutilio Grande und zwei Begleitern am 12. März 1977 im Auftrag von Großgrundbesitzern erschütterte ihn zutiefst. Grande hatte in dem Bauerndorf Aguilares als Pfarrer die Campesinos ermutigt, sich zu organisieren und eine gerechtere Landverteilung zu fordern. Romero war mit ihm befreundet, stand aber seiner pastoralen Arbeit reserviert gegenüber. Als er vor den drei noch blutenden Körpern stand, spürte er, dass er nun den Weg Rutilios gehen musste. Innerhalb weniger Wochen wurde er zum wortmächtigen Verteidiger der Armen. Romeros Nachfolger Erzbischof Arturo Rivera y Damas drückte es tiefsinnig so aus: „Ein Märtyrer schenkte einem anderen Märtyrer das Leben.“

Viele sprachen im Zusammenhang mit dieser Wandlung vom „Wunder Romero“, das sie dem Tod Rutilio Grandes und seiner beiden Begleiter zuschrieben. War er zuvor eher zurückhaltend, ja ängstlich gewesen und hatte sich mehr bei seinen Büchern wohl gefühlt, so suchte er jetzt die Begegnung mit den Menschen. „Ein Bischof muss immer viel von seinem Volk lernen“, sagte er und machte sich auf den Weg in die Gemeinden in den Elendsvierteln von San Salvador und auf dem Land. Dies bedeutete beschwerliche Fußwanderungen in die entlegenen Weiler unter tropischer Hitze; dies bedeutete, mit den Armen ihr kärgliches Essen zu teilen, mit ihnen unter Unsicherheit und Bedrohung durch das Militärregime zu leiden. In der erzbischöflichen Kurie richtete er eine Cafeteria ein, damit die Besucher einander treffen und miteinander plaudern konnten. Wenn er konnte, setzte er sich dazu und beteiligte sich an den Gesprächen.

Hatte er zuvor die Dokumente der Bischofsversammlung von Medellín nie zitiert, so wurden sie jetzt zu einer der wichtigsten Quellen seiner Predigten und seiner Hirtenbriefe. Hatte er zuvor seine Ratgeber in Kreisen des Opus Dei gesucht, so wurden jetzt jene zu seinen engsten Mitarbeitern, die er wenige Jahre zuvor noch als verdächtig angesehen und in Rom angeschwärzt hatte. Die Reichen, die zuvor seine Freunde gewesen waren, wandten sich zum großen Teil von ihm ab. So ist in seinem Tagebuch am 21. August 1979 im Anschluss an eine Messfeier zu lesen: „Unangenehm bei dieser Messe war die Begegnung mit einer Dame, die sagte, ich sei nicht mehr der gleiche wie früher und hätte sie betrogen. Ich wollte darauf absolut nichts erwidern. Und ich verstehe, dass diese Verleumdung von all denen kommt, die nicht möchten, dass die Kirche an ihre schäbigen Interessen rührt.“

Von angeblich religiösen Gruppen, die sich „Salvadorianischer Katholischer Verein“ oder „Vereinigung Katholischer Frauen“ nannten, wurden in den von der Oligarchie kontrollierten großen Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen mit wüsten Angriffen gegen Romero und die Jesuiten veröffentlicht. Ein ultrarechtes Kampfblatt machte gar den Vorschlag, der Papst solle einen Exorzismus an Romero vollziehen. Am 21. Juni 1977 forderte die Todesschwadron „Union Weißer Krieger“ die Jesuiten auf, binnen dreißig Tagen das Land zu verlassen. Andernfalls würden sie und alle ihre Einrichtungen „zu militärischen Zielscheiben“. Romero stellte sich entschieden hinter die Jesuiten. Diese blieben im Land, und vorerst geschah nach dem Stichtag des 21. Juli nichts.

Hatte er früher seine Entscheidungen einsam getroffen, so ließ sich Romero jetzt von den verschiedensten Leuten und Gruppen beraten. Er wurde zum Mann des Dialogs. Er umgab sich mit drei Beratergruppen: einer für pastorale Fragen, einer zweiten für juristische und einer dritten für politische Fragen. Damit verabschiedete er sich von einem autoritär-vertikalen Kirchenmodell, in dem der Bischof befiehlt und alle anderen gehorchen. Über das partizipative Modell, das er jetzt vertrat, sagte er in einer Predigt: „Wir können nicht autoritär reden, sondern wir müssen zum dialogischen Nachdenken im Licht des Evangeliums einladen“ (III, 222). Er verzichtete auf seine hierarchische Autorität und gewann so eine überragende moralische Autorität.

Auch seine Hirtenbriefe schrieb er nicht mehr allein, sondern sie waren das Ergebnis eines dialogischen und konsultativen Prozesses. In der Vorbereitung des dritten Hirtenbriefs über die Kirche und die Volksorganisationen ließ er Fragebögen an die Gemeinden verteilen, um so die Erfahrungen und Meinungen des Volkes miteinzubeziehen. Einmal führte er sogar eine Umfrage unter dem Klerus und den Ordensleuten durch, um ihre Meinung und ihre Kritik über seine Amtsführung und die pastorale Linie der Erzdiözese zu erfahren. Bei Exerzitien mit Priestern bat er diese ausdrücklich, ihm seine Fehler und Schwächen mitzuteilen.

Von der Wohltätigkeit zu den Strukturen

Mit der Wandlung Romeros verband sich auch die Einsicht, dass durch bloße Wohltätigkeit die Probleme El Salvadors nicht gelöst werden konnten, sondern die Frage nach den Ursachen von Armut und Ungerechtigkeit gestellt werden musste. Dies verdeutlichte er in seiner Predigt am 16. Dezember 1979: „Eine echte christliche Bekehrung heute muss die sozialen Mechanismen aufdecken, die den Arbeiter und den Bauern marginalisieren. Warum gibt es für den armen Campesino nur Einkünfte während der Kaffeeernte, der Baumwoll- und der Zuckerrohrernte? Warum benötigt diese Gesellschaft Bauern ohne Arbeit, schlecht bezahlte Arbeiter, Leute ohne gerechten Lohn?“ (VI, 63) Gerade für die Christen sah er es als eine Pflicht an, diese Zusammenhänge aufzudecken, um nicht zu Komplizen des herrschenden Systems zu werden, das immer mehr Arme, Marginalisierte und Notleidende hervorbrachte.

Romero vollzog damit den Schritt vom karitativen zum strukturellen Ansatz in der Armutsbekämpfung. Diesen Schritt hat Erzbischof Hélder Câmara aus Brasilien einmal so auf den Punkt gebracht: „Wenn ich den Armen Brot gebe, nennt man mich einen Heiligen. Aber wenn ich frage, warum die Armen nichts zu essen haben, dann werde ich als Kommunist beschimpft.“ Folgerichtig distanzierte sich Romero von einem paternalistischen Hilfskonzept, wie er es früher selbst praktiziert hatte: „Wir dienen dem Armen nicht durch Paternalismus: Hilfe von oben nach unten. Nicht das möchte Gott, sondern eine Beziehung von Bruder zu Bruder“ (V, 272).

Wer so nach den Gründen der Ungerechtigkeit fragte, stellte das herrschende System infrage. Damit fühlten diejenigen ihre Interessen bedroht, die von diesem System profitierten. Dies betraf auch die USA. Im größeren geopolischen Kontext des Kalten Krieges unterstützte die Regierung der USA in Lateinamerika die Militärregime und versuchte mit allen Mitteln, linksorientierte Regierungen zu verhindern. Wenige Wochen vor seiner Ermordung schrieb Romero einen Brief an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und bat ihn, die Waffenlieferungen an die salvadorianische Armee einzustellen, weil damit die Zivilbevölkerung massakriert würde.

Romero wurde vorgeworfen, seiner eigentlichen Aufgabe der Seelsorge untreu geworden zu sein und sich in die Politik einzumischen. Doch er hatte in neuer Weise gelernt, das „ewige Heil“ und die „irdische Gerechtigkeit“ miteinander verbunden zu sehen. Dazu führte er in seinem zweiten Hirtenbrief aus: „Die Kirche wird verfolgt, weil sie in Wahrheit die Kirche Jesu Christi sein will. Solange die Kirche jenseitige Erlösung verkündet, ohne selbst in die realen Probleme dieser Welt einzutauchen, wird sie geachtet und gepriesen und sogar mit Privilegien überschüttet. Wenn sie aber ihrer Sendung treu ist und auf die Sünde hinweist, die so viele ins Elend stürzt, wenn sie die Hoffnung auf eine gerechtere und menschlichere Welt verkündet, dann wird sie verfolgt und verleumdet, subversiv und kommunistisch genannt“ (VII, 72).

Bischof im Geist des Zweiten Vatikanums

Oscar Romero hat in seinem Leben die grundlegende Veränderung im Verständnis der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils von einer geschlossenen und hierarchisch geordneten Societas perfecta zum Volk Gottes und zur Kirche der Armen mitvollzogen. Eines seiner frühesten gedruckten Zeugnisse, die Predigt zum Requiem seines früh verstorbenen Freundes Weihbischof Rafael Valladares am 2. September 1961, zeigt ein noch triumphalistisches und rein übernatürliches Verständnis der Kirche. Doch in den folgenden Jahren machte er sich das konziliare Neuverständnis der Kirche als in der Geschichte pilgerndes Volk Gottes im Dienst an der Welt und den Menschen zu eigen. Die Kirche des Konzils verstand sich als Sakrament des Heils und der Einheit unter den Menschen, was auch die geschichtliche und die soziale Dimension einschloss. Dementsprechend wandte sich Romero gegen eine „nur spiritualisierte Kirche, eine Kirche der Sakramente, der Gebete, aber ohne soziales Engagement, ohne Engagement in der Geschichte“ (I, 101).

Ein Wesensmerkmal der Kirche ist für Romero ihre Hinwendung zu den Armen: „Inkarnation und Umkehr, das ist für uns Annäherung an die Welt der Armen. Die notwendigen inneren Veränderungen in der Kirche, in Seelsorge und Unterricht, im Ordens- und priesterlichen Leben und in den Laienbewegungen sind nicht erfolgt, indem wir uns der Innenschau hingegeben haben. Wir erreichen sie, weil wir uns der Welt der Armen zuwenden.“ (VII, 193) In enger Verbindung damit steht die prophetische Aufgabe der Kirche, die Wahrheit zu verkünden und Unrecht anzuprangern. Damit setzt sie sich Widerspruch und Verfolgung aus. Doch die Verfolgung um der Gerechtigkeit willen ist für Romero ein Zeichen dafür, dass die Kirche ihre Sendung erfüllt. So fügte er den klassischen Kennzeichen der Kirche das der Verfolgung hinzu und wandte auf die Kirche den Satz des Evangeliums an, dass es für sie besser sein kann, ihr Leben zu verlieren, als die ganze Welt zu gewinnen.

Die Kirche ist für ihn immer auch Kirche der Sünder, unter denen er sich selbst als ersten nennt. In seinem zweiten Hirtenbrief sprach er auch von „Sündhaftem in der Kirche selbst“, die damit der Bekehrung bedürftig sei. Die Hauptsünde der Kirche bestand für ihn darin, wenn es einen Widerspruch zwischen dem gibt, was sie lehrt, und dem, was sie tut. Eine Grundversuchung sei es für sie, sich mit den Mächtigen zu arrangieren. Wenn es notwendig sei, müsse Kirche bereit sein, alle ihre Privilegien zu verlieren: „Es ist keine Ehre für die Kirche, mit den Mächtigen auf gutem Fuß zu stehen. Die Ehre der Kirche besteht darin, dass sich die Armen in ihr daheim fühlen, dass sie ihre Sendung auf Erden erfüllt, indem sie alle, auch die Reichen, auffordert, sich zu bekehren und ihr Heil zu wirken, doch von der Welt der Armen aus, denn sie, sie allein sind es, die glückselig sind“ (VI, 283).

Die Kirche verfehlt ihre Sendung, wenn sie sich aus der Geschichte herauszuhalten versucht, wenn sie sich auf die Seite der Mächtigen stellt, wenn sie nicht auch für sich selbst gläubig das österliche Geheimnis von Tod und Auferstehung ernst nimmt. Die Kirche erfüllt ihre Sendung im Aufbau des Reiches Gottes, das – gemäß der ersten Seligpreisung – den Armen gehört. Mit der Kirche zu fühlen – so der Wahlspruch bei seiner Bischofsweihe – hieß für Romero dementsprechend, immer mehr mit den Armen zu fühlen. In ihnen begegnete er dem in der Geschichte gegenwärtigen und fortlebenden Christus, wie er in seinem zweiten Hirtenbrief über die „Kirche als Leib Christi in der Geschichte“ in beeindruckender Weise formulierte. In ihrem Leiden begegnete er dem leidenden Christus, was ihn zur Rede vom „gekreuzigten Volk“ führte.

Romero und die Theologie der Befreiung

Die Selig- und Heiligsprechung Romeros zog sich nicht zuletzt deswegen so lange hin, weil man ihn mit der auch innerkirchlich lange umstrittenen Theologie der Befreiung identifizierte, die vor 50 Jahren in Lateinamerika entstanden ist. In ihrem Zentrum steht die Option für die Armen und die Verbindung von Glaube und Gerechtigkeit. Vor seiner Bekehrung war Romero ein Gegner der Theologie der Befreiung. Ihm erschien es gefährlich, wenn sich Kirche und Theologie in soziale und politische Fragen einmischten. Doch mit seiner Bekehrung veränderte sich auch seine Einstellung zur Theologie der Befreiung. In seinem Theologiestudium an der Päpstlichen Universität Gregoriana hatte er die damals noch weltweit verbindliche neuscholastische Theologie studiert, in der scharfe Grenzen gezogen wurden zwischen „Natur und Gnade“ und dementsprechend zwischen Gott und Mensch, Kirche und Welt, Glaube und Geschichte. Damit in Zusammenhang stand ein Verständnis von Spiritualität, in dem ebenso klar zwischen Gott und Welt, Körper und Seele, Aktion und Kontemplation getrennt wurde. Das Leben in dieser Welt wurde nur als eine Art Durchgangsstation auf dem Weg in die Ewigkeit verstanden. Deshalb hatte sich die Kirche um das Heil der Seelen zu sorgen. Ihr erstes Ziel musste es sein, dass möglichst viele Menschen in den Himmel kommen. Die wichtigsten Mittel dafür waren die Sakramente.

In diesem kirchlichen, theologischen und spirituellen Modell war es nur konsequent, dass Romero lange die Sakramente in den Mittelpunkt seiner priesterlichen Tätigkeit stellte und sich wenig um weltliche Angelegenheiten kümmerte. Dementsprechend hatte Romero bis 1977 eine negative Sicht von der Theologie der Befreiung. Er bezeichnete sie als eine „Modetheologie“ und als gefährlich für den christlichen Glauben. In einem vertraulichen Memorandum, das er 1975 als Konsultor der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika verfasste, setzte er sich kritisch mit der Theologie von Ignacio Ellacuría SJ und Jon Sobrino SJ auseinander. Die vatikanischen Behörden reagierten prompt und Ellacuría und Sobrino mussten sich zum ersten Mal für ihre Theologie rechtfertigen. Doch nach seiner grundlegenden Veränderung veränderte sich auch seine Einstellung gegenüber der Theologie der Befreiung und er machte Ellacuría und Sobrino zu engen Beratern. Bezeichnend für Romeros Wandel und spätere Denkweise ist ein Eintrag in seinem Tagebuch, in dem er mit Genugtuung beschreibt, wie es ihm Anfang 1980 in Löwen gelungen war, bei einem belgischen Theologen Vorbehalte gegenüber der Theologie der Befreiung abzubauen.

Eine andere Unterstellung war, Romero sei von den Jesuiten manipuliert worden. Der 1989 ermordete Rektor der Zentralamerikanischen Universität, Ignacio Ellacuría SJ, stellte dazu in einer Rede zur Verleihung eines posthumen Ehrendoktorats im Jahr 1985 an Romero klar: „In übler Absicht wurde behauptet, dass Erzbischof Romero von unserer Universität manipuliert worden sei. Es ist an der Zeit, öffentlich und feierlich zu sagen, dass dies nicht wahr ist. Sicher hat Erzbischof Romero bei vielen Gelegenheiten um unsere Mitarbeit gebeten, und dies stellte und stellt für uns eine große Ehre dar: Dass er uns darum bat, und die Sache, um die es ihm ging […] aber in all dieser Zusammenarbeit gab es nie einen Zweifel, wer der Meister und wer der Gehilfe war, wer der Hirte war, der die Richtlinien vorgab, und wer der Ausführende war, wer der Prophet war, der das Geheimnis entschlüsselte und wer der Nachfolger war, von wem die Impulse ausgingen, und wer sie empfing, wer die Stimme und wer das Echo war.“

Ein politischer und ein ökumenischer Heiliger

Die salvadorianischen Bischöfe hatten Papst Franziskus gebeten, die Heiligsprechung Romeros in El Salvador vorzunehmen. Doch die Heiligsprechung in Rom unterstreicht seine weltkirchliche Bedeutung. Als ein lateinamerikanischer Heiliger verdeutlicht er noch mehr den Übergang von einer eurozentrischen Kirche zu einer wirklichen Weltkirche, der durch Papst Franziskus sichtbar vollzogen wird. Für ihn ist Oscar Romero ein Vorbild. In seinem Lebenszeugnis wird konkret, was der Papst selbst mit seiner Vision einer „armen Kirche für die Armen“ meint. Er ist ein Beispiel für Bischöfe, „die nach ihren Schafen riechen“ und die mit ihrer Herde unterwegs sind.

Romero war in seinem Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte politisch. Auch Papst Franziskus möchte, dass die Kirche eine politische Rolle im Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung übernimmt. Er selbst spielte in diesem Sinn eine aktive Rolle in der Anknüpfung eines Dialogs zwischen den Regierungen der USA und Kubas mit dem Ziel der Aufhebung des jahrzehntelangen US-Embargos gegen die Karibikinsel. Mit seiner Enzyklika Laudato sí übte er einen wichtigen Einfluss auf den Weltklimagipfel in Paris im Dezember 2015 aus. Wiederholt hat sich Papst Franziskus auch in die europäische Flüchtlingspolitik eingemischt. Vor dem europäischen Parlament in Straßburg mahnte er unter dem Applaus der Abgeordneten, man könne nicht zulassen, dass das Mittelmeer zu einem riesigen Friedhof werde.

Eine wichtige Facette ist Romeros ökumenische Bedeutung. Oscar Romero ist ein ökumenischer Märtyrer. Wie bedeutsam er seit langem in der Wahrnehmung anderer christlicher Kirchen ist, wird über einem Seitenportal der Westminster Abbey in London augenfällig, wo seit 1998 seine Statue zusammen mit neun anderen Märtyrern des 20. Jahrhunderts neben Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King steht. Und Romero ist ein universaler Heiliger, weit über El Salvador hinaus, sozusagen ein Heiliger für die globale Situation, in der wir uns befinden. Nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Nordamerika, Europa, Afrika und Asien haben sich Gruppen gebildet, die in seinem Geist die Option für die Armen leben. Die Vereinten Nationen erklärten seinen Todestag zum „Internationalen Tag für das Recht auf Wahrheit, im Zusammenhang mit brutaler Gewalt und der Würde der Opfer“. Am 16. Januar 2015 hat der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sein Grab in der Krypta der Kathedrale von San Salvador besucht. Über die Grenzen der Kirche hinaus inspiriert er viele, sich für eine gerechtere und menschlichere Welt einzusetzen.

Romeros Vermächtnis

Nach menschlichem Ermessen ist Oscar Romero gescheitert. Nach seiner Ermordung ist El Salvador in einem zwölfjährigen Bürgerkrieg versunken, der 75.000 Opfer gefordert hat. Bis heute leidet das Land unter einer Welle der Gewalt, weil die eigentliche Ursache des Bürgerkriegs nicht beseitigt wurde: die extreme soziale Ungerechtigkeit. Und trotzdem geht von Romero bis heute Hoffnung aus: Hoffnung, dass sowohl auf der persönlichen als auch auf der strukturellen Ebene Veränderungen möglich sind, dass die Menschlichkeit stärker ist als die Gewalt, dass die Lebenshingabe das größte Zeugnis der Liebe ist. Fragt man arme Menschen in El Salvador, was er für sie bedeutet, so lautet die Antwort: „Er hat die Wahrheit gesagt und uns verteidigt, und deswegen haben sie ihn umgebracht.“

Jemanden „zur Ehre der Altäre zu erheben“ kann sich mit der Gefahr verbinden, ihn zu entrücken und zu idealisieren. Jesus selbst hat auf die Ambivalenz der Prophetendenkmäler hingewiesen. Wir verehren den heiligen Oscar Romero nur dann angemessen, wenn wir seinen Weg gehen: Wenn wir die Wahrheit über diese Welt sagen, die eine Welt von Opfern ist; wenn wir die Frage nach den Gründen von Armut und Ungerechtigkeit stellen; wenn wir die Götzen unserer Zeit beim Namen nennen und bekämpfen; wenn wir Risiken und Konflikte in Kauf nehmen; wenn wir vom Glauben getragen sind, dass die Hingabe stärker als der Egoismus und die Liebe stärker als der Tod sind.

Das entscheidende Kriterium für die Menschlichkeit einer Gesellschaft ist ihr Umgang mit den Schwächsten. Papst Paul VI. hat die Kirche in seiner Ansprache vor den Vereinten Nationen 1965 in New York als „Expertin für Menschlichkeit“ bezeichnet. Darin liegt die Bedeutung und die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute, der Anspruch, an dem sie sich auch messen lassen muss: in den Ländern des Südens ebenso wie in den Ländern des Nordens. Sie muss überall Partei ergreifen für die Schwächsten. Das sind in Europa ganz konkret die Flüchtlinge, die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung, die ungeborenen Kinder und die geborenen, die vernachlässigt werden, die abgeschobenen Alten. Romero zu verehren, heißt, seinen Weg zu gehen: Unrecht beim Namen zu nennen und Gerechtigkeit zu fordern. Romero zur „Ehre der Altäre zu erheben“ muss damit einhergehen, die Armen und Ausgegrenzten auf dieser Welt zur „Ehre eines menschenwürdigen Lebens zu erheben“. Denn, mit seinen Worten: „Die Ehre Gottes ist der Arme, der lebt.“

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