Seewald, Michael: Dogma im Wandel. Wie Glaubenslehren sich entwickeln. Freiburg: Herder 2018. 334 S. Gb. 25,–.
Auf den ersten Blick wirkt das Buch wie eine kirchenpolitische Streitschrift: gegen die Verteidiger eines per se unverrückbaren Dogmas und damit einer starren und gegen alle Änderungen immunen „Lehre der Kirche“; für eine alte und neue Offenheit, nach der – theologisch sehr wohl legitim und wünschenswert – Dogmen sich immer weiterentwickelt haben und auch zukünftig weiterentwickeln werden, also aktuelle Reformideen nicht einfach mit Verweis auf das Dogma als obsolet vom Tisch gewischt werden dürfen.
Auf den zweiten Blick ist das Buch dann doch ein sehr fachliches und begrifflich differenziertes: Es deutet nicht nur die Geschichte und Geschichtlichkeit der Dogmen an, sondern zeichnet vor allem die Geschichte der Lehre von der Dogmenentwicklung nach. Schon „Dogma“ ist ein recht neuer und vieldeutiger Begriff – ab Seite 271 werden fünf Verständnisse beschrieben –, erst recht ist die theologische Begründung und Deutung möglicher Dogmenentwicklung höchst komplex. Etwa rekurrieren einige Kirchenväter auf göttliche Pädagogik, welche die Kirche erst nach und nach die Fülle der Offenbarung erkennen lässt. Augustinus betont den Heiligen Geist als diesen Pädagogen der Kirche. Vinzenz von Lérins (5. Jh.) sagt, einen „Fortschritt“ in der Lehre könne es dann geben, wenn eine neue Lehre „überall, immer und von allen“ – oder zumindest nach einem dieser drei Kriterien – geglaubt werde. Um aus der Gegenwart ein Beispiel zu bringen: Der junge Joseph Ratzinger hat einen ungewöhnlich weiten Offenbarungsbegriff, der eine sehr breite Dogmengeschichte eröffnet, aber die Frage offenlässt, wie und von wem diese Entwicklung zu regulieren sei – der spätere Präfekt der Glaubenskongregation bindet die Regulierung dann recht deutlich an das Petrusamt.
Gegen Ende systematisiert Seewald seine Untersuchungen und unterscheidet elf Idealtypen dogmatischer Entwicklungstheorien. Schließlich betont er: Das Dogma ist eine vorletzte Wirklichkeit, also nicht selbst das Evangelium oder das Wort Gottes oder die Offenbarung. Es ist Mittel zu dem Zweck, das Evangelium verständlich und zeitgemäß auszudrücken. In der Vollendung, im Schauen Gottes, werden wir kein Dogma mehr brauchen. Seewald schreibt mit großer Belesenheit und Klarheit und mit guter Sprache. Wer die Anstrengung des Begriffs nicht scheut, wird in ein faszinierendes Forschen und Argumentieren zu einem wichtigen theologischen Thema eingeführt.
Damit hat – auf den dritten Blick – das Buch dann doch kirchenpolitische Brisanz, indem es mit kluger Unterscheidung und mit argumentativer Stringenz Horizonte öffnet, nicht nur für ständige Weiterentwicklung kirchlicher Lehre, sondern im Zusammenhang damit für das reformierende Wirken des Geistes in allem kirchlichen Leben.
Stefan Kiechle SJ
Eckert OSB, Abt Johannes: Steht auf! Frauen im Markusevangelium als Provokation für heute. Freiburg: Herder 2018. 143 S. Gb. 16,–.
Dass die Rolle der Frau in der katholischen Kirche neu gedacht muss, sagt inzwischen sogar der Papst. Nicht nur das damit verbundene Thema der Geschlechtergerechtigkeit erlebt derzeit einen erfreulichen Aufwind in den Theologien. Immer höherrangigere Kirchenleute fordern mindestens den Diakonat der Frau. Anders als früher ist heute vielleicht, dass römische Bemühungen, die Debatte zu unterbinden, nicht mehr ausreichend frustrieren, um die Engagierten für ein paar Jahre ruhigzustellen.
Mit dem Münchener Abt Johannes Eckert OSB hat dieses Engagement einen wichtigen Fürsprecher gewonnen. Gut ist, dass auch Männer sich dem Thema widmen – Gerechtigkeit geht nicht nur Frauen etwas an und sie müssen und sollen diesen Kampf nicht alleine führen. Außerdem legt Abt Johannes wichtige Argumente vor, die er – in Anekdoten – aus seiner praktischen Erfahrung sowie aus der Lektüre der Heiligen Schrift gewinnt, welche sonst so oft als Blaupause für eine patriarchale Welt- und Kirchenordnung missbraucht wurde. Dennoch: „Dieses Buch ist daher ein Versuch, manche aktuellen kirchlichen Themen, denen wir nicht ausweichen dürfen und können, auf der Grundlage des Evangeliums neu ins geistliche Gespräch zu bringen. Es wurde nicht geschrieben, um innerkirchliche Wolkenbrüche mit Blitz und Donner heraufzubeschwören oder sich gar durch Reizthemen zu profilieren“ (142).
Im ältesten Evangelium schreibt Markus von Frauen, die Jesu Weg als Jüngerinnen mitgehen. Bis zum Ende bleiben sie ihm treu – während die männlichen nach seiner Verhaftung (Mk 14,50: „Da verließen ihn alle und flohen“) oder spätestens nach seiner Kreuzigung eigene Wege gehen (40). Frauen sind es auch, die als erste zu Zeuginnen der Auferstehung Jesu werden. Sie heißen Maria von Magdala – ihre Geschichte wurde neulich verfilmt und auf ‹stimmen-der-zeit.de› ausführlich besprochen –, Maria, die Mutter von Jakobus und Joses, und Salome. Neben ihnen berichtet Markus von zahlreichen nicht namentlich genannten Jüngerinnen: „Was haben sie uns heute zu sagen?“ (24).
Abt Johannes analysiert die Bedeutung ihrer Auftritte und ordnet das biblische Geschehen wie beispielsweise den Engel am Grab in den soziokulturellen Kontext ein: „Mit diesen drei Frauen und ihrem Verkündigungsauftrag fängt Gott neu an“ (19), obwohl doch Männer weitaus höhergestellt waren: eine Provokation. Es geht Johannes Eckert aber nicht nur um die vollwertige Jüngerschaft der Frauen. So gibt es auch kleinere Geschichten, Bibelstellen, die man leicht überliest (29), und die uns doch viel zu sagen haben, wie jene über die fieberkranke Schwiegermutter des Simon. Nach deren Heilung durch Jesus in ihrem Haus heißt es in Mk 1,29-31 schließlich: „Und sie bediente sie!“ Abt Johannes: „Eigentlich ist das eine ungenaue Übersetzung, denn damit ist nicht eine einmalige Bewirtung gemeint, dass die Hausfrau in die Küche geht […] Das griechische Wort für ‚dienen‘ – diako – steht hier im Imperfekt und beschreibt eine andauernde Haltung des Dienens. An ihrem Vorbild werden die Jünger […] unterwiesen, was Nachfolge bedeutet […,] durch konkrete Taten zeigt die Geheilte, was es heißt, vom Menschenfischer Jesus auferweckt zu sein“ (34). Übrigens ist Simons Schwiegermutter der erste Mensch überhaupt, den Jesus körperlich berührt (40).
Allein dieses Beispiel steht für einen großen Schatz an anregenden Einsichten des Autors in die Heilige Schrift, aber auch in die Tradition und Lehre der Kirche. Mit überraschender Leichtigkeit, so liest es sich, demonstriert er, wie viel die Kirche durch eine Öffnung für Frauen zu gewinnen hätte – und wie wenig es dazu eigentlich bräuchte.
Philipp Adolphs
Röser, Johannes: Gott? Die religiöse Frage heute. Freiburg: Herder 2018, 416 S. Gb. 28,–.
Aus Anlass des siebzigjährigen Bestehens der Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“ haben sich 135 Autoren auf diesem verminten Themenfeld versammelt. In der überwiegenden Mehrheit sind es Theologinnen und Theologen zumeist aus einem lehrenden Berufsfeld. Der Herausgeber ist nicht zu beneiden um die Aufgabe, die Vielfalt unter dreizehn Aspekte zu bändigen. Diese reichen vom Theodizee-Diskurs bis zu Erneuerungs-Vorschlägen für die Kirche. Aber ein Lesebuch ist entstanden, in dem man gerne schmökert, weil die Lesehappen überschaubar sind und eine Kontinuität gar nicht angestrebt wird. Schade allerdings, dass die Autoren nur in einem Namensregister (411 f.) aufgeführt werden. Immerhin wird darin deutlich, dass nur zwanzig Frauen in der Anthologie zu Wort kommen.
Freilich: bei einigen bischöflichen Voten hat man den Eindruck frommen Selbstbetrugs; bei Manfred Scheuer, Bischof von Linz, und Joachim Wanke, dem emeritierten Bischof von Erfurt, überraschen textliche Übereinstimmungen (391 par 394) ihrer Beiträge. Überdies sind sie unschwer am Gebrauch der Pluralform „wir“ und dem distanzierten Umgang mit „den Menschen“ zu erkennen.
Die weiblichen Beiträger – beispielhaft Renate Kern (24 ff.) und Ulla Hahn (13 ff.) – zeichnen sich durch plastische Beispiele, persönliche Erlebnisse und ihre betonte Subjektivität aus, die gelegentlich in lyrisches Sprechen (198 ff.) ausmünden. Thematisiert wird Gottes Unverfügbarkeit, die Geschichte der Zweifel und Leugnung seiner Existenz sowie seine Verharmlosung und Verbannung. Der Machbarkeitswahn wird thematisiert (184).
Nur wenige Aufsätze haben mich existenziell berührt: Volker Resing (96 ff.) beklagt den schleichenden Zusammenbruch einer katholischen Kindheit und Jugend, die in der Großstadt für eine persönliche Gottsuche („Entscheidungschristentum“, 99) Raum geschaffen hat. Rückhaltlos konfrontiert er mit dem Auszug der Gläubigen. Friedrich Schorlemmer, Theologe und Ehrenbürger Wittenbergs, problematisiert auf für mich wunderbar plausible Weise den Glauben und formuliert ein ebenso überraschendes wie impulsreiches Bekenntnis, das die gängige Präposition „an“ durch den Dativ ersetzt: „Ich glaube dir“ (268 ff.). Monika Warmbrunn (270 ff.) gehört meine Sympathie, weil ich ihre Gemeinde-Erfahrungen so gut nachvollziehen kann. Zentrale Aussagen des Buches waren für mich: „Gelegentlich wird in der Kirche mit zweierlei Maß gemessen“ (406) und „Es ist das Herz, das Gott spürt, und nicht die Vernunft“ (151). Zugegeben: die herausgegriffenen Beiträge und aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen stehen in einem Kontext, der vielfach wiederholt und auf unterschiedlichen Ebenen argumentiert. Ich habe alle Beiträge gelesen und mich besonders angesprochen gefühlt, wenn das Ringen um den eigenen Standpunkt herauszuspüren war. Der Band richtet sich an alle Leser der christlichen Wochenzeitschrift und lädt zur gedanklichen und tätigen Auseinandersetzung ein. Man kann darin stöbern und aufgeworfene Fragen mit anderen diskutieren.
Eberhard Ockel