Papst Franziskus spricht häufig vom Teufel. Das befremdet viele, gerade auch viele unter seinen Anhängern im säkularen Westen, die ein so konkretes Sprechen über den Teufel nicht mehr gewohnt sind. Der Papst hingegen besteht darauf, dass der Teufel keine „diffuse Sache“ sei, sondern eine Person.1 Er wählt plastische Worte, wenn er vom „entzweienden Säer von Unkraut“ spricht, vom „Spalter von Gemeinschaften“, und so weiter. Auf die Kinderfrage, warum Gott den Teufel nicht besiegt habe, obwohl er die Menschen doch so sehr liebe, antwortet Franziskus: „Gott hat den Teufel besiegt, und zwar am Kreuz! Aber du weißt doch, wie das mit Drachen ist – mit dem Teufel ist das wie mit einem großen, schrecklichen Drachen. Auch wenn der getötet wird: Er hat einen langen Schwanz, und auch wenn er tot ist, schlägt der Schwanz noch hin und her.“2
Franziskus spricht hier nicht einfach nur eine an den Verstehens-Horizont von Kindern angepasste Pastoralsprache. Er ist selbst in diesem Sprechen „naiv“ präsent, sofern unter „Naivität“ nicht nur ein vorkritischer Bewusstseinsstand zu verstehen ist, in dem ein Mensch bis ins Alter hängen bleiben kann, sondern eine durch Leiden und Kritik gegangene „zweite Naivität“ (Paul Ricoeur), die keineswegs einem reifen religiösen Bewusstsein entgegensteht, sondern dieses vielmehr zum Ausdruck bringt.
Gelegentlich ist dem Umfeld des Papstes und auch bei seinen wohlwollenden Berichterstattern anzumerken, dass sie mit seiner Teufelsrede an eine Grenze kommen: „Der Papst hat es wieder getan: Franziskus predigte bei seiner Morgenmesse am Donnerstag in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses Santa Marta erneut über den Teufel. Das christliche Leben sei ein andauernder Kampf gegen den Dämon …“3 Ein anders Mal muss der Vatikan nach einer Predigt des Papstes hochnotpeinlich dementieren, dass der anschließende Segensgestus auf dem Petersplatz als Exorzismus zu verstehen sei.
Papst Franziskus unterscheidet sich im Umgang mit der Rede vom Teufel signifikant von seinen Vorgängern. Diese sprachen viel seltener über den Teufel, den „Verwirrer“ (diá-bolos). Ihre Aussagen wirkten, wenn sie über ihn sprachen, säkularer als die von Franziskus. Von Paul VI. ist die Rede über den „Rauch Satans“ in gesamtkirchlicher Erinnerung geblieben, die er aber schon am Beginn des Satzes subjektiv abmildert: „Wir haben das Gefühl, dass durch irgendeinen Spalt der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen ist ...Wir glauben, dass etwas Außernatürliches in die Welt gekommen ist, nur um zu stören, die Früchte des Konzils zu ersticken.“4 Papst Benedikt XVI. formulierte am Ende des Priesterjahres 2009/2010 im Zusammenhang mit den just in diesem Jahr bekannt gewordenen Missbrauchsfällen durch Kleriker im Konjunktiv: „Man könnte nun meinen, der Teufel konnte das Priesterjahr nicht leiden und hat uns daher den Schmutz ins Gesicht geworfen. Als hätte er der Welt zeigen wollen, wie viel Schmutz es gerade auch unter den Priestern gibt.“5 Beide Äußerungen bewegen sich im Rahmen gesamtkirchlicher Entwicklungen und wirken eher wie Metaphern zu ihrer Beschreibung und Deutung. Bei Franziskus hingegen klingt es so, als sei der Teufel eine ganz unmittelbarere, persönlich erfahrene Wirklichkeit, mit der auch er selbst täglich zu tun habe. Entsprechend konkret und alltagspraxistauglich sind seine Ratschläge: „Wenn du ein Gespräch mit dem Teufel anfängst, hast du schon verloren, er ist intelligenter als wir und stößt dich um und verdreht dir den Kopf.“6
Die „Unterscheidung der Geister“
Warum ist das so? Die Antwort liegt auf der Hand. Es ist die jesuitische Prägung von Franziskus, die hier durchschlägt, genauer: Die Prägung durch die ignatianischen Exerzitien. In deren Mittelpunkt steht bekanntlich die „Unterscheidung der Geister“, die Unterscheidung des „guten Geistes“ vom „bösen Geist“. Den zentralen Stellenwert der ignatianischen Mystik für sein Selbstverständnis machte Franziskus schon am Beginn seiner Amtszeit deutlich: „Die Unterscheidung im Herrn leitet mich in meiner Weise des Führens.“7 Sie hilft, gute Entscheidungen „im Herrn“ zu treffen, sowie mit diesen Entscheidungen zu leben und weiter zu gehen. Was Franziskus hier „Entscheidung“ nennt, heißt in der ignatianischen Sprache „Wahl“. Um diese „Wahl“ geht es Ignatius. Sie ist die Frucht der Unterscheidung. Die Zuspitzung auf „Wahl“ ist im Übrigen ja das eigentliche Novum seiner Exerzitien.8
Die „Geister“ sind auch bei Ignatius ganz konkret, erfahrungsbezogen gedacht. Ein anderes Wort für „Geister“ lautet „mociones“, d.h. Regungen oder auch Bewegungen, spontane Lebensäußerungen, die vor der bewussten Einflussnahme liegen: Gefühle, Stimmungen, Gedanken, Assoziationen. Sie sind für Ignatius nicht zu reduzieren auf Ursachen, die psychologisch zu erklären wären. Vielmehr kommen sie von Gott oder eben vom „bösen Feind der menschlichen Seele“ (Ignatius), der „nicht diffus sondern persönlich“ (Papst Franziskus) vorgestellt wird. Wer sich also auf die Regeln zur Unterscheidung der Geister einlässt, befindet sich in einem religiösen Diskurs. Es ist zwar auch möglich, mociones psychologisch oder anders humanwissenschaftlich zu erklären. Aber das ist weder die Perspektive von Ignatius noch die von Papst Franziskus. Ihre Sicht auf die mociones ist eine religiöse. Der „Geist Gottes“ und der Widersacher Gottes wirken durch mociones auf die menschliche Seele ein und kämpfen um sie, und zwar täglich.
Ignatius kennt wie Franziskus für den Widersacher Gottes plastische Bilder: „Der Feind“, der „böse Geist“, der „böse Engel“; er hat einen „Schlangenschwanz“ (EB9, 334); er ist „intelligent“ (Franziskus), denn er tarnt sich „schlau“ (vgl. Gen 3,1) als „Lichtengel“ (vgl. 2 Kor 11,14), wenn er sich der menschlichen Seele nähert; er zieht einen über Tisch wie eine Person, die in dem Maße stärker wird, wie man ihrem Druck nachgibt (vgl. EB, 325); er verstrickt einen wie ein „falscher Liebhaber“ in Heimlichtuereien (EB, 326) und greift die Burg „wie ein Hauptmann oder Anführer“ an ihrer jeweils schwächsten Stelle an (EB, 327) – weswegen es sich für das geistliche Leben empfehle, sich selbst und die eigenen Schwachstellen zu kennen.
Papst Franziskus geht also nicht nur von der lebendigen Wirklichkeit Gottes, sondern auch von der des Teufels aus.10 Das zeigt sich auch in den Worten, mit denen er die deutsche Übersetzung der sechsten Vaterunser-Bitte („Führe uns nicht in Versuchung“) kürzlich kritisierte: „Ein Vater tut so etwas nicht; ein Vater hilft sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“ Franziskus will den Teufel nicht von seiner Verantwortung für die Versuchung entlasten, gerade deswegen, weil der Teufel für ihn keine „diffuse Sache“ ist, sondern „Person“. Wer die Äußerung von Papst Franziskus zur sechsten Vaterunser-Bitte würdigen will, muss den Teil mit dem Teufel hinzunehmen. Bisher sind mir hierzulande zu diesem Aspekt der päpstlichen Äußerung in den öffentlichen Kommentaren nur betretenes Schweigen oder kabarettistische Verarbeitungen begegnet. Dabei gewährt die Äußerung Einblick in die Art seines theologischen Denkens. Es stützt sich auf die Unterscheidung der Geister, also auf die Reflexion der jeweiligen mociones im eigenen Inneren, um zu erkennen, welche Erkenntnis vom guten Geist und welche vom bösen Geist stammt. Kriterien für die richtige Unterscheidung sind einerseits Schrift und Tradition, aber eben auch die Kriterien, wie sie Ignatius in seinen „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ formuliert.
Mystische Theologie
Blaise Pascal, wahrlich kein Jesuitenfreund, hat einmal passend geschrieben: „Le coeur a ses raisons que la raison ne connait pas.“11 Neben der logisch denkenden Vernunft gibt es eine Herzensvernunft, die keineswegs beliebig funktioniert und dennoch nicht nach denselben Regeln denkt wie die mit verallgemeinerbaren Prinzipien arbeitende Vernunft. Die Dynamiken der „raisons du coeur“ kennenzulernen ist gerade die Aufgabe geistlicher Unterscheidung. Das ist mystische Theologie. Sie kann im Fall der Fälle zu einem Korrektiv einer bloß gelehrten Theologie ohne Herzensbildung werden. Die ersten Jesuiten nannten solche mystische Theologie „non scholastice, sed practice“.12
In der Einschätzung des gegenwärtigen Pontifikates spielt folgendes Argument häufig eine Rolle und wird gerade auch von seinen Kritikern mehr oder weniger polemisch ins Feld geführt: Bergoglio/Franziskus sei gar kein professioneller Theologe, 13 sondern eher ein pastoraler Praktiker; im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem Jahrhundert-Theologen Ratzinger/Benedikt falle er ohnehin erheblich zurück; deswegen sei er auch stärker auf Begleitung durch theologische Profis angewiesen, die er leider, weil er ja eher ein pastoraler Praktiker ist, nicht genügend wertschätze.
Solche Einschätzungen sind blind für das mystische Element in der Theologie des Bergoglio-Papstes. Die drastische Rede vom Teufel durchbricht diese Blindheit – vielleicht ohne dies intentional zu wollen, was die Wirkung der Rede allerdings nur umso stärker macht. Es ist dabei vorausgesetzt, dass es zu mystischer Theologie wesentlich gehört, das Wirken eines Versuchers im Leben und im Herzen der Menschen ernst zu nehmen. Die mystische Erkenntnis wird aus dem Unterscheidungsprozess gewonnen. Wen wundert es also, dass Papst Franziskus „es immer wieder tut“, nämlich ganz selbstverständlich vom Teufel zu sprechen? Es gibt für ihn keine geistliche Erkenntnis ohne das Wagnis der Unterscheidung der Geister. Deswegen ist die drastische Rede des gegenwärtigen Papstes, so fremd sie vielen Ohren im säkularen Westen auch klingen mag, keineswegs eine persönliche Marotte und auch kein Gegensatz zu professioneller Theologie. Mystische Theologie kann, ja muss mit Fachtheologie zusammen gehen,14 ohne dass man dabei in die Fallen eines fehlgeleiteten Enthusiasmus zu tappen braucht, für den übrigens manchmal gerade auch Profis anfällig sind, die vor lauter fachlichem Wissen und Gelehrtheit den Kontakt zu dem verloren haben, was in ihrem Herzen los ist.
Der subjektive Charakter mystischer Theologie
Mit dem Begriff der mystischen Theologie werden oft mystische Eingebungen, Prophezeiungen und visionär eingegebene Botschaften an eine größere kirchliche oder weltliche Öffentlichkeit assoziiert. Neuzeitliche Beispiele für solche Privatoffenbarungen sind die Botschaften von Fatima, Medjugorje sowie viele andere. Doch dies ist hier mit dem Begriff der mystischen Theologie gerade nicht gemeint. Bereits Ignatius beschäftigte sich mit dem Phänomen der Privatoffenbarungen und grenzte sie von seiner Unterscheidung der Geister ab.15 Mystische Theologie ist practice: Sie findet in der täglichen Praxis statt, ist auch auf die tägliche Praxis bezogen und müht sich um die Erkenntnis der Stimme des Geistes Gottes mitten in dem Stimmengewirr des Alltags.
Mystische Erkenntnisse und die aus ihnen folgenden Wahlen lassen sich zwar nachträglich als Geschichten erzählen – wie es Ignatius ja auch am Ende seines Lebens auf Bitten seiner Mitbrüder im „Pilgerbericht“ tat. Allerdings sind sie zunächst nur für das erkennende Subjekt und seine Praxis von Bedeutung. Sie sind nicht übertragbar auf andere Personen und deren Wahlen. Es mag sein, dass sich aus ihnen ein gesamtkirchlich relevanter Prozess entwickelt. Doch ein von Anfang an für die Allgemeinheit relevanter Masterplan steckt gerade nicht dahinter, wenn die Geschichte im Rückblick auf einen größeren Sinnzusammenhang hin transparent wird. Auch Ignatius‘ geistlicher Weg begann im Verborgenen, auf dem Krankenbett in Loyola. Die Entdeckung der Geister sowie die Entwicklung der Unterscheidungskunst waren nicht mit Privatoffenbarungen und Prophezeiungen verbunden, die der Kirche und der Welt als Ganzer galten. Ignatius verließ das Krankenbett auf Loyola in eine offene Zukunft hinein. Das mindert aber im Rückblick die gesamtkirchliche Bedeutung seines geistlichen Weges nicht.
Wegen des subjektiven Charakters mystischer Theologie erwartet Ignatius vom geistlichen Magister (also von der Person, „die die Übungen gibt“ – EB, 7), dass er die Person, die „die Übungen nimmt“, nicht belehrt, sondern ihr dazu hilft, zu einer eigenen Erkenntnis des göttlichen Willens zu kommen. Diese muss nicht mit derjenigen Erkenntnis übereinstimmen, die der geistliche Magister selbst auf seinem Weg zu Gott gewonnen hat oder die er sich im Sinne einer Übertragung von der übenden Person wünscht. Übertragungen sind vielmehr gerade zu vermeiden. Schließlich kann nur Gott das Ganze zu einer Geschichte zusammenfügen. Anders gesagt: Ziel der Exerzitien ist, dass Personen, die die Übungen nehmen, selbst zu Subjekten mystischer Theologie werden und sich zugleich in ihrem Selbstverständnis vor Gott so zurücknehmen, dass Gott als in der Geschichte wirkender Gott frei bleibt.
Die Absicht hinter der Versuchung ist hingegen, die Freiheit Gottes einzuschränken und Gott nach dem eigenen Willen, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu lenken. Das ist ja im Kern auch das Ansinnen des schriftkundigen Teufels, dem Jesus in der Wüste begegnet (vgl. Lk 4,1-13). Jesus antwortet darauf mit einem dreifachen schroffen Nein. Das Nein wiederholt sich mehrfach auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem, sehr deutlich in der Szene von Caesarea Philippi: Dort versucht Petrus – subjektiv wohlmeinend – Jesus davon abzuhalten, den gefährlichen Weg nach Jerusalem zu gehen. Die Antwort Jesu lautet: „Zurück, hinter mich, Satan“ (Mk 8,33). Die Situation wird als Versuchungs-Situation markiert („Satan“), und zugleich wird das Wesen der Versuchung bestimmt: Petrus setzt sich selbst, ohne ganz zu begreifen, was er tut, an die Spitze des Zuges, statt „hinter“ Jesus zu folgen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Weigerung von Papst Franziskus, auf die Ja- Nein-Fragen der Dubia-Kardinäle zu antworten, aus einer vergleichbaren Situation der Unterscheidung der Geister stammt. Das Nein ist vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs, der aus unzähligen, täglich neu zu sprechenden Neins gegenüber Ratschlägen, Wünschen und Forderungen zusammengesetzt ist, die einem Papst mit einschüchternd großer Dringlichkeit und Fach-Expertise vorgetragen werden.
Geistliche Expertise
„Wenn du ein Gespräch mit dem Teufel anfängst, hast du schon verloren, er ist intelligenter als wir und stößt dich um und verdreht dir den Kopf.“ Wer sich in einer verantwortlichen Position befindet, steht immer wieder vor Wahlen, für die ihm oder ihr niemand die Verantwortung und Zuständigkeit abnehmen oder absprechen kann. Wer meint, das ginge doch, hat sich schon den Kopf verdrehen lassen. Das gilt vor allem auch für die in Verantwortung stehende Person selbst: Sie kann sich nicht aus der Verantwortung herausschleichen, schon gar nicht mit der Berufung auf Expertise aller Art, auf gut gemeinte Ratschläge Dritter oder gar auf äußeren Druck. Das bedeutet zwar nicht, dass man gute Ratschläge und Expertise einfach in den Wind schlagen und taktische Überlegungen grundsätzlich verachten sollte. Aber die Verantwortung bleibt, auch bei der Übernahme von Ratschlägen oder bei Entscheidungen für taktische Winkelzüge. Hic Rhodos, hic salta – der Freiheit Gottes und seines liebenden Willens entspricht eine nicht delegierbare Verantwortung des unterscheidenden, wählenden Subjekts. Das ist die Ausgangposition mystischer Theologie – sie nimmt die unterscheidende Person ganz in Anspruch. Daraus folgt dann aber auch eine eigene Expertise, die der Intelligenz des Teufels eine eigene Kompetenz entgegenzustellen hat. Diese Expertise ist eine der theologischen Quellen von Papst Franziskus.