Dramatisch ist der Rückgang der Priester. Im Südschwarzwald, nahe meiner Heimat, wurden sechs große Gemeinden, darunter die wichtigsten Touristenorte, zu einer Seelsorgeeinheit fusioniert: Die Kirchen sind gut besucht, die Menschen von Nah und Fern voller Erwartung – derzeit versucht ein einziger Priester, mit der Arbeit durchzukommen; den ersten Herzinfarkt hat er immerhin überlebt. Wie überall helfen pensionierte Priester aus – die moderne Medizin hilft ja ganz gut, Krisen zu verzögern, für einige Jahre. Die Zahl der Eucharistiefeiern wurde heruntergefahren, bisweilen über die Schmerzgrenze hinaus. Nur in Städten mit Bischofssitz und/ oder mit theologischer Fakultät gibt es viele Priester – seltsamerweise oft mit wenig Präsenz in den Gemeinden.
Verwaltungen machen gerne „Strukturreformen“: Im Bistum Trier werden aus 863 Pfarreien 35 gemacht; auf dem Land wird aus über 40 Pfarreien eine; Saarbrücken bekommt für 100.000 Katholiken eine Pfarrei. Meist bekommt eine solche Großpfarrei einen „Pfarrer“, der sehr viel verwalten muss, und einen oder mehrere „Kooperatoren“, die sich auf die Seelsorge konzentrieren dürfen. Manche Bistümer setzen Laien als Verwaltungsleiter ein, andere lehnen dies als „pastoralen Manichäismus“ ab – das Spirituelle dürfe man vom Materiellen nicht trennen, also muss ein Priester leiten. Tausendjährige Pfarrtraditionen werden rasant über Bord geworfen. Auch im 16. und Anfang des 19. Jahrhunderts gab es kaum Priester für die Seelsorge; nach diesen Krisen kam wieder der Aufschwung – doch so lange will man heute zu Recht nicht warten. Schon die wenigen Großpfarreien können nur noch mühsam „besetzt“ werden. In 15 oder 20 Jahren – unter 40-jährige Priester oder gar Seminaristen gibt es ja kaum noch – wird auch diese „Struktur“ wegbrechen. Darüber denken Verwaltungen lieber nicht nach.
Damit entfällt jedoch die Eucharistie, immerhin „Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens“ (Vat. II), und damit die „sakramentale Grundstruktur der Kirche“. Nun sollen Wortgottesfeiern – übrigens ist man in der Schulung von Laien, die diese gestalten, sehr zögerlich – die Eucharistie gleichsam vertreten, aber viele Katholiken wollen – so sind sie nachkonziliar erzogen worden – lieber Eucharistie feiern und bleiben daher weg. Der Gottesdienst wird somit stärker durch das Wort geprägt: Will man das, in ökumenischer Verbundenheit – hat ja sicherlich auch Vorteile? Oder nimmt man es, eher unwillig, in Kauf? Ist bewusst, dass uralte Theologien und ebenso das Vatikanum II mit ihrem Sinn für die Unverzichtbarkeit der Eucharistie konterkariert werden? Wo bleibt der Aufschrei, besonders jener der Traditionshüter?
Manche argumentieren, es gebe in Relation zur Zahl aktiver Katholiken heute nicht weniger Priester als früher. Das mag stimmen – aber die Sozialstruktur ist anders: In der künftig überall vorherrschenden Diasporasituation sind die Gemeinden kleiner und brauchen daher relativ mehr Priester, damit die Katholiken einigermaßen ortsnah Eucharistie mitfeiern können – auf deren Mobilität zu setzen, hilft ein wenig, aber bei weitem nicht genug.
Über die Zulassung von verheirateten Männern zu den heiligen Weihen darf man neuerdings wieder öffentlich reden. Dieser vermutlich gute Schritt würde jedoch nicht nur einige Probleme zu lösen helfen, sondern auch neue schaffen. Manche Frau wird sagen: „Noch mehr Männer am Altar, das ertrage ich nicht; warum nutzt man nicht die Gelegenheit, endlich Frauen zu weihen?“ Über diese Idee ist seit Johannes Paul II. ein Nachdenk- und Redeverbot verhängt – doch kann man dieses in krisenhaften und zugleich aufgeklärten Zeiten ernsthaft durchsetzen oder auch nur durchsetzen wollen? Zumal feministische Theologie und Frauenbewegung neue Erkenntnisse eingebracht haben, hinter die es kein Zurück mehr gibt?
Bleibt man beim zölibatären Männerklerus, so verstärkt sich in diesen Mangelzeiten der Eindruck, hier wolle eine boygroup ihre Macht erhalten; hinzu kommt für manche der Eindruck sexueller Unreife. Ändert man jedoch die Zulassungsbedingungen, so kommt unweigerlich der Aufschrei in den reaktionären, medial sehr effizienten Netzwerken, die „Lehre der Kirche“ werde zersetzt und das Abendland gehe unter. In den Leitungsetagen der Kirche fürchtet man in diesem Fall eine traditionalistische Abspaltung – aber das gab es in der Geschichte öfters, und wäre diese wirklich so gravierend? Ist die eucharistische Austrocknung der Kirche nicht ein größerer und schwerer zu verantwortender Schaden als das Schisma einiger Gralshüter eines sehr alten Kirchenbildes?
Natürlich ticken die Uhren in verschiedenen Welt- und Kirchenkulturen sehr unterschiedlich. Aber könnten nicht regionale Kirchen – im Zuge der von Papst Franziskus angeregten Dezentralisierung – abgestimmt, aber eigenverantwortlich einige Schritte vorangehen? Der Konformitätsdruck in der Weltkirche wird durch die Globalisierung und durch die Omnipräsenz der Medien – alle wissen alles sofort und man urteilt schnell und redet viel – zwar größer, aber warum braucht es für solche Schritte gleich weltkirchliche Lösungen? „Katholisch“ bedeutet doch immer auch strukturelle Vielfalt, Integration von Kulturen, geistliche Kreativität, elegante und den lokalen Bedürfnissen angepasste Lösungen. Die Bischöfe sind hier am Zug.
Der Priester – grammatikalisch bleibe ich männlich, spreche jedoch von allen Berufenen – ist ein Hörender, der sich von Gott durchdringen und wandeln lässt. Nach intensiver spiritueller und intellektueller Ausbildung wird er von der Kirche in Dienst genommen. Mit großem persönlichem Einsatz an Zeit und Energie bezeugt und verkündet er den Glauben und die Liebe, und er ist den Armen nah. Dafür erhält er von der Kirche eine Weihe, die ihm sakrale Würde und Vollmacht verleiht. Die gleichsam sakrale Person ist es, die aus sich auf Gott verweist – und daher von den Menschen gesucht wird, erlebbar und berührbar. Ein immenser Verlust wäre es nicht nur für die Kirche, sondern für die Menschheit, würden die Priester aussterben.