König, Andreas: Im Kreuzgang. Gedichte. Passau: Ralf Schuster 2018. 103 S. Kt. 14,98.
Dem Titel entsprechend gibt das Softcover den Blick auf einen romanischen Säulengang frei. Das Foto zeigt den offenen Flügel eines während der Säkularisation größtenteils abgebrochenen Kreuzgangs beim Steingadener Welfenmünster im oberbayerischen Pfaffenwinkel. Auf diesen (Ab)Bruch bezieht sich gleich das erste Gedicht des im Allgäu lebenden Ausnahmepoeten:
Gottes gebrochener Flügel
Gottes gebrochener Sohn
Tag und Nacht steht seine Barmherzigkeit offen
Eine Pforte, die nur der Gebrochene findet.
Schon auf dieser ersten Seite des Bändchens zeigt sich, was der Lyriker kann und wie er es macht: In seinem lyrischen Kreuzgang kreuzen sich konkrete, real nachvollziehbare und erfahrbare Eindrücke mit sehr persönlichen Einfällen bzw. Intuitionen, die schließlich in eine Pointe münden, die der Autor aus der spirituellen und therapeutisch fundierten Tiefe seines eigenen Erlebens schöpft: Jedes Gedicht ein Cross-over, fast lapidar, zumindest aber minimalistisch, beinahe im Stil eines Haiku; sehr dicht – Dichtung im wörtlichen und wahren Sinn dieses Wortes, das ganze Büchlein hindurch. Fast immer gehen die Gedichte Königs auf Begegnungen und Impulse zurück, die sich ihm in der Natur oder an exponierten, oft sakralen Orten ergeben haben und dann in ihm weiter wirkten: Berge, Täler, Wälder, Kapellen, Kirchen, Klöster, Krypten, Kunstwerke, aber auch Bahnhöfe und Wirtsgärten, Häuser und Brunnen, manchmal scheinbar Nebensächliches oder dem Blick Verborgenes. Der Titel ist trefflich gewählt, ist der Kreuzgang doch ein Ort der sinnenden Betrachtung, des individuellen Gebets, der meditativen Zwiesprache mit dem Heiligen; ein geschützter halb offener Raum im Innern eines Klosters, der zwischen Gottesdienst und Arbeit, den Eckpfeilern geistlichen Lebens, etwas Drittes erschließen möchte: einen Zwischenraum und Weg, der aus der Befangenheit des allzu Irdischen täglich neu die Richtungen des Himmels erfahren lässt, im Ergehen der Himmelsrichtungen zu einer tieferen Begegnung mit sich selbst und mit Gott einlädt. In seinem persönlichen Kreuzgang lässt der pilgernde Poet Andreas König seine LeserInnen teilhaben an der Ergründung seiner Gedanken, Gefühle und Strebungen zwischen Erde und Himmel, Tag und Nacht, Bewegung und Ruhe, Wachen und Schlaf, Beten und Arbeiten, Reden und Schweigen, Körper und Geist, Zeit und Ewigkeit, Struktur und Freiheit, Gott und der Welt. Welcher lyrische Literat spricht heute noch von Gott? Andreas König: in seinem Geist atmenden Traktat für das Weltkloster jeder lyrisch aufgeschlossenen Seele. Ein solches Brevier hätte allerdings einen höherwertigen Einband und eine anspruchsvollere typografische Gestaltung verdient, trotz der preiswerten Ausgabe.
Karl Michael Ranftl