Rezensionen: Philosophie & Ethik

Dienberg, Thomas / Eggensperger, Thomas / Engel, Ulrich: Zeit ohne Ewigkeit. Lebensgefühl und Last des gehetzten Menschen. Ostfildern: Grünewald 2018, 123 S. Gb. 22,–.

Drei Lehrende der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner in Münster schreiben ein Buch: „Zeiterleben in der säkularen Welt“ ist das Oberthema, unter das sie ihre recht unterschiedlichen Beiträge stellen. Thomas Dienberg, Kapuziner, wählt einen Zugang aus der spirituellen Theologie und beginnt phänomenologisch: Zum einen läuft die Zeit am Menschen vorbei – zugleich erlebt er sie von innen her. In dieser Spannung ist das Zeiterleben gegenwärtig nicht so sehr zyklisch, auch nicht wie im Christentum linear, sondern vor allem chaotisch. Das Hier und Jetzt zählt, das Event, das ständig Neue. Der Mensch hat keine Zeit, weil sie so schnell vergeht. Zeit ist atomisiert. Erinnerung zählt kaum. Bindungen geht der Mensch nur noch auf Zeit ein, und das wichtigste Erleben der Zeit sind das Zappen von Blüte zu Blüte und das Hamsterrad. Dienberg plädiert aus christlicher Spiritualität für eschatologische Gelassenheit: Im Bewusstsein des Endes der Zeit und ihrer baldigen Vollendung kann man gelassener und geduldiger, mit Kontemplation und in Muße weitergehen. Muße ist dabei weniger ein Nichtstun, vielmehr die Tätigkeit des In-Sich-Gehens und die Begegnung mit dem Grund der Dinge. Dienberg schließt mit einer Meditation über das Sterbenmüssen: Leben ist ein gelassenes Vorbereiten auf den Tod.

Zwei Dominikaner setzen die Reflexion in kürzeren Beiträgen fort: Thomas Eggensperger denkt über das Wechselverhältnis von Arbeit, Muße und Langeweile nach. Über die Langeweile kommt er zur alten Mönchslehre der Acedia, die er, ganz dominikanisch-thomistisch, als Traurigkeit und in deren Folge als Überdruss bestimmt. Gutes Zeitmanagement bestimmt er als Zeitsouveränität: Man teilt Zeit selbstbestimmt und nach individuellen Bedürfnissen ein, lernt, Zeitressourcen besser zu nutzen – gegen den Burnout, der zeitliche Desorganisation ist. Ulrich Engels Beitrag ist philosophisch: Aus den Fugen geraten sei die Zeit, es gebe weder Vergangenheit noch Zukunft und daher widersprüchliche Ängste vor Beharrung und zugleich vor Wandel. Als „rasenden Stillstand“ erleben wir die Zeit, und nur noch kurzfristig stimulierende Erlebnisse zählen. Engel behandelt das Zeit- und Geschichtsdenken von Walter Benjamin und Giorgio Agamben: Die Paulusdeutung Agambens sieht in dessen Briefen einen politischen Messianismus aufscheinen. Auf Christus zentriert, wird das Zeitempfinden geschichtlich, ja „rettungsgeschichtlich“. Soteriologisch aufgeladen wird Zeit zu einem subjektiven Phänomen: Das Subjekt ergreift Zeit. Im Jetzt und zugleich endzeitlich zu leben heißt, das Wagnis des Ungeplanten zu ergreifen.

Die drei dichten und inhaltsreichen Texte stehen ein wenig unverbunden beieinander, die Überfülle an Gedanken erscheint bisweilen assoziativ gereiht und ist kaum zusammenzufassen. Doch in der Fülle liegt auch Kraft: Die Autoren nehmen das gegenwärtige Zeitempfinden mit all seinen Widersprüchen und Umbrüchen genügend ernst, zugleich geben sie aus christlichem Erbe Hinweise zur Deutung, zur existentiellen Bewältigung und zum konkreten geistlichen Umgang mit der Zeit – eine spannungsreiche und anregende Mischung.

Stefan Kiechle SJ

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Zeit ohne EwigkeitLebensgefühl und Last des gehetzten Menschen

Ostfildern: Grünewald 2018, 123 S. Gb. 22,–.

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