Oz, Amoz: Liebe Fanatiker.
Drei Plädoyers. Berlin: Suhrkamp 2018. 143 S. Kt. 18,–.
Der vorliegende Band umfasst drei Essays/Vorlesungen, die Oz, der große israelische Schriftsteller, an unterschiedlichen Orten gehalten und für diese Ausgabe aktualisiert und überarbeitet hat. Der erste Essay (11-51) trug ursprünglich den Titel „How to cure a fanatic“ und darf als eine Summe des Denkens von Oz über das Phänomen des Fanatismus angesehen werden.
Im zweiten Essay (53-113) versucht Oz, das Judentum als Kultur der Pluralität gegen die Fanatiker im eigenen Lande und in der eigenen Kultur zu verteidigen, kleine Seitenhiebe inklusive, die den katholischen Leser aufhorchen lassen: „Es ist kein Zufall, dass die Juden keinen Papst haben, sie hätten nie einen Papst haben können“ (55). Im letzten Text (115-141) setzt sich Oz mit leidenschaftlichem Realismus für die Zwei-Staaten-Lösung ein, gegen die „Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte.“ (55) Es sind die Träume der Fanatiker und für Fanatismus Anfälligen – sowohl auf Seiten der „Siedler“ und „Rechten“ (120) als auch auf Seiten der „Tauben“ und „Linken“ (127).
Die Texte von Oz sind in jeder Hinsicht erfrischend zu lesen. Besonders im ersten Essay werden viele Themen angesprochen, die über die spezifischen Fragestellungen in Israel/Palästina hinausgehen. Oz‘ Phänomenologie des Fanatismus deckt überraschende Aspekte dieser Seelenkrankheit auf. Sie räumt mit der Vorstellung auf, dass Fanatismus nur das Problem einiger Radikaler sei. Fanatismus „ist viel älter als der Islam, das Christentum und das Judentum. Er ist viel älter als jede Ideologie“ (13). Die Ursachen für den Fanatismus könnten auch nicht bloß auf die Kluft zwischen Armen und Reichen reduziert werden. Vielmehr sei einfach immer damit zu rechnen, dass es ihn gibt. Und Fanatismus beginne nicht bei den „sichtbaren Fanatikern“, sondern bei den weniger sichtbaren Ausprägungen „um uns herum und manchmal auch in uns selbst.“ (22) Gerade um diese Formen des Fanatismus geht es Oz, denn sie sind der fruchtbare Boden, auf denen die monströsen Formen des Fanatismus gedeihen. Was der Autor hier an Alltagsbeobachtungen zusammenträgt, ist erhellend, erfahrungsgesättigt, und vor allem: niemals antifanatisch fanatisch (vgl. 44). Humor gehört ohnehin zu den Medikamenten, die Oz als Heilmittel gegen den Fanatismus aufzählt. Und er kennt noch einige andere, die zur Kenntnis zu nehmen sich lohnen.
Manchmal hilft der Blick in den fremden Spiegel, um auf sich selbst zu blicken. So könnte gerade die Lektüre dieses Buches auch in Deutschland, in Europa, auch in den Kirchen, helfen, eigenes Angesteckt-Sein vom Fanatismus-Virus zu entdecken – je früher, desto besser. Oz verschont niemanden von der Mühe der Selbstkritik. Und genau das macht die Lektüre so erfrischend und befreiend mitten in allem großen Ernst, der mit dem Thema verbunden ist.
Klaus Mertes SJ