Papst Franziskus spricht immer wieder vom Teufel; theologische Kollegen nennen das gerne „Volksfrömmigkeit“, aber vor Franziskus hat Jesus selbst das getan. Meine Frage zielt nicht darauf, ob es den Teufel gebe; Anstoß zu ihr gibt mir die tradierte Lehre vom Plural der Engel, die Luzifer gefolgt sind. Als Philosoph erlaube ich mir, mit philosophischen Überlegungen zu beginnen. Gewinn philosophischer Theologie – das Wort verdanken wir Platon – ist der Monotheismus. Es gibt nur ein „Absolut-Sein“, das in sich das Gute, ja Heilige ist. Leider hat selbst der „göttliche“ Platon nicht zu Gott als Schöpfer gefunden, obwohl dies nach der Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils (1871) in den Möglichkeiten unserer Vernunft liegt.
Woher aber in der Schöpfung das Übel und das Böse? Zum Übel bieten sich verschiedene Antworten an. Dabei bin ich freilich seit langem sehr zurückhaltend, weil mir unter diesen Versuchen zu viele begegnen, gerade in der neueren angelsächsischen Philosophie, die in den Ohren der Opfer nur zynisch klingen. Ein Beispiel, besonders arg allerdings: Auschwitz als Chance zur Vergebung. Wer und was nämlich sind wir als Geschöpfe, zudem selbst oft versagend, dass wir glauben, die Wahrheit der Dinge und gar des Schöpfers unverkürzt und wurzeltief zu erfassen? Können wir uns vornehmen, Gott zu verteidigen? Meine Antwort ist bescheidener: Statt Gott zu verteidigen, verteidige ich nur meinen Glauben an Ihn. Zu diesem Glauben indes gehört es, dass uns gesagt worden ist, die Antwort sei von Ihm selbst zu erwarten: „Ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude. An jenem Tag werdet ihr mich nichts mehr fragen“ (Joh 16.22 f.).
Daher dürfen wir das Übel sogar auf Gott selbst zurückführen: „Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil; ich bin der Herr, der das alles vollbringt“ (Jes 45,7); Ich verweise an dieser Stelle auf meine Abhandlung in ThPhil 92 (2017) 404-414, darin zugleich ein Abweis der Beschuldigungen Gottes durch theologische Kollegen.
So aber darf nicht über das Böse gesprochen werden; denn durch wen Böses in die Wirklichkeit kommt, der ist dadurch selbst zum Bösen geworden, zwar nicht sachlich (als Neutrum: das Böse), aber böse: männlich oder weiblich. Bekannt ist die Wortmeldung Heraklits, „gut“ und „böse“ seien menschliche Unterscheidungen. Zu Gott als dem Absoluten gehöre die Fülle des Ganzen: Gut und Böse.
„Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Sattheit Hunger. Er wandelt sich aber wie das Feuer, das, wenn es mit Räucherwerk vermengt wird, nach dem Duft eines jeglichen heißt“ (fr 67). Die Welt ist kosmos, das heißt ein Ordnungs-(„Schmuck-“)Gesamt stimmiger Gegensätzlichkeit: „Haben sie nicht mich, sondern den Sinn vernommen, so ist es weise, dem Sinne gemäß zu sagen, alles sei eins. – Sie verstehen nicht, wie es auseinander getragen mit sich selbst im Sinn zusammen geht: gegenstrebige Harmonie wie die des Bogens und der Leier“ (fr 50, 51). Zusammengefasst: „Für Gott ist alles schön und gut und gerecht; die Menschen aber haben das eine als ungerecht, das andere als gerecht angenommen“ (fr 102).
Entschiedenen Widerspruch hiergegen meldet die attische Philosophie an. Sie versteht sich als Antwort auf die sophistische Krise, in welche der Geltungsschwund überlieferter Normen geführt hat und durch die, auch wenn man die großen Sophisten anders beurteilt, als Platon sie uns in seinen Dialogen vorstellt, der Menschlichkeit ein Untergang droht: hinein in die Diktatur eines technizistischen „Relativismus“ (vgl. hierzu auch Jürgen Mittelstraß: Neuzeit und Aufklärung. Studien zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft und Philosophie. Berlin 1970, 41: „Die Platonische Karikatur der Sophistik, die wohl die wirkungsvollste Diskreditierung darstellt, welche die Philosophiegeschichte kennt, trifft im Grunde nur auf die jüngeren Vertreter dieser, historisch gesehen nicht einmal sehr profilierten, Gruppe zu.“ – Die Fragmente der Vorsokratiker werden hier geboten nach Diels/Kranz, Hildesheim 1951-1952).
Gegen solch egoistischen Subjektivismus sahen Platon und Aristoteles sich zum Widerstand gerufen. Ähnlich gibt es später die frühneuzeitliche Selbstbegründung des Denkens angesichts eines nominalistisch-theologischen Absolutismus. Wer sich für die heutige Aufnahme der Wortmeldungen Platons und Aristotoles interessiert, sei verwiesen auf H. Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit (Frankfurt am Main 1966). Weniger antinomisch: G. Rohrmoser: Emanzipation und Freiheit. München 1970, 10‑15; Bei W. Pannenberg: Gottesgedanke und menschliche Freiheit. Göttingen 1972, 114‑128, 119 f., wird übrigens mit Recht betont, dass man die Theodizee-Frage nicht zum Hauptmotiv der Theologiegeschichte stilisieren darf.
Von dorther legt sich anderseits ein Dualismus nahe, nach dem Vorbild orientalischer Religion. Kämpfen gemäß dem Parsismus der „Weise Herr“ Ahura Mazda (Ormazd) und der böse Gegengott Ahriman in der Welt und in jeder Menschenseele um den Sieg und stehen im Manichäismus Licht und Finsternis unrückführbar am Anfang des Weltgeschehens, das sich als Zerstreuung des Lichts und als Kampf um seine rettende Sammlung darstellt, so zeigt sich eine ähnliche Spannung nicht nur in der „Dichotomie“ der klassischen Metaphysik und gerade auch – wie schon anklang – in den antiken Monismen, sondern sie führt auch zu Konzepten eines innergöttlichen Dualismus – auch in der Kabbala – bis hinein zu Spekulationen des späten Schelling.
Im Zug dieser Tradition verliert der Dualismus nicht selten seinen ethisch‑kämpferischen Charakter und wird als Erscheinung eines Gesamt dargestellt, das als solches vollkommen und „gut“ ist. Die angesprochene These Heraklits erscheint dann neu in C.G. Jungs Option für die Vierfachheit gegen die christliche Trinität. Während deren isolierende Absolutsetzung zu einer sie spiegelbildlich ergänzenden satanischen Trinität führen müsse, sei das Heil allein durch Integration der Schatten‑Hälfte als des Vierten erreichbar. Und in solch dualistische Totalität – darum der bisherige Gedankengang – passt das Gegenüber von Gott und singularischem Teufel.
Dass der göttliche Logos Mensch wird, ist nach Johannes Duns Scotus nicht dem Fall der Ureltern verdankt, sondern es ist Ziel der Schöpfung; daher muss man den Fall der Ureltern nicht „sicher notwendig“ und „glücklich“ nennen. Mit der Inkarnation hat nun Luzifer endlich die Gelegenheit zur Konfrontation mit Gott selbst. Darum spricht auch Jesus singularisch. Aber sollte man Luzifer und den Seinen die Genugtuung bereiten, ihn deshalb zum Gegenpol Jesu oder gar zu einem Gegen-Gott erheben?
Darum liegt mir am Plural. Luzifer und seine Gefolgsleute sind eben nicht der Gegenpol, der sie gern wären. In jüdischen Legenden protestieren die Engel bereits, als Gott ihnen sagt, er wolle Menschen schaffen. Als Gott nun sich für die Mensch- statt für die Engelwerdung des Wortes entscheidet – so sagt die christliche Tradition –, lehnt sich unter Luzifers Führung eine Gruppe Engel auf. Gegen Gott. Ein Kampf aber findet nicht zwischen Luzifer und Gott statt, sondern unter den Engeln: zwischen denen, die sich gegen Gottes Entscheidung auflehnen, und denen, die sie annehmen. Und so, fände ich wichtig, sollte es weitergehen.
Also: die Teufel.