Fuchs, Ottmar: Im Schatten der Verdammnis. Nonni – sein Weg aus kirchlicher Verengung. Würzburg: Echter 2019. 184 S. Kt. 14,90.
Jón Sveinsson (1857-1944) war ein isländischer Jesuit und Autor, der in den 1930er- bis 1950er-Jahren mit seinen Reiseberichten und Kinderbüchern weltweit ein Millionenpublikum erreichte. Unter der fiktiven und doch autobiografischen Gestalt „Nonni“ – der Name ist die Koseform von „Jón“ – erzählt er in vielen Anläufen eine verklärte Kindheit und verarbeitet isländische Lebenskunst, und das in literarisch hochstehender und mitreißender Form.
Ottmar Fuchs, emeritierter Pastoraltheologe in Tübingen, schreibt ein recht persönliches Buch über Nonni / Sveinsson. Seine eigene religiös-autoritäre Kindheitserfahrung und seinen Weg zu einer neuen Theologie verarbeitet er mit Blick auf die Parallelen in Sveinssons Weg – mit dem Wunsch, dass viele Lesende ihre ähnlichen Glaubenswege damit deuten und verstehen können. Biografisch lehnt Fuchs sich eng an die große Biografie von Gunnar F. Guðmundsson (Köln 2017) an.
Sveinsson konvertierte mit 12 Jahren zum Katholizismus und verinnerlichte in seiner religiösen Erziehung ein verengtes Kirchenbild: Nur in der katholischen Kirche kann man der Hölle entgehen, nur sie hat die wahre und zu glaubende Lehre, nur ihr gilt absolute Unterwerfung, Andersgläubige sind zu missionieren, notfalls mit Druck. Verdammungsängste begleiten ihn ein Leben lang, vor allem in Bezug auf seine nicht konvertierte Familie. Sein lebenslang unerfüllter Wunsch, die protestantische Heimat zu „missionieren“, entspringt aus dieser Spiritualität. Seine schriftstellerische Tätigkeit hilft ihm, in einem romantisierten Islandbild und mit der Projektion des Jungen, der als Held alle Probleme überwindet, seine Ängste und sein mangelndes Selbstwertgefühl zu bewältigen. Bewegend ist Fuchs‘ Beschreibung der jahrzehntelangen Leidenszeit Sveinssons im Jesuitenorden, als dieser in Dänemark als Lehrer in ein striktes pädagogisches System eingezwängt wurde und seiner tieferen Berufung, Missionar und Schriftsteller zu werden, aufgrund von engen und gefühllosen Oberen nicht nachgehen durfte. Gegen Ende seines Lebens erst wandelt sich sein Leiden: Er darf schreiben, Vorträge in aller Welt halten und seine großen Erfolge genießen. Er entdeckt – nachhaltig vor allem auf einer Japanreise –, dass Gott auch außerhalb der katholischen Kirche Heil wirken kann, dass Gottes Liebe größer ist und dass alle seine Ängste unbegründet sind – und doch bleibt er der glühende Konvertit, für den die Kirchengrenze auch eine Heilsgrenze sein kann.
Im Schlusskapitel beschreibt Fuchs ausführlich seinen eigenen spirituellen und theologischen Weg, der nach dem II. Vatikanischen Konzil zur Entdeckung des Gottes der Liebe und vor allem zu einer ganz neuen Eschatologie geführt hat. Auch wenn Lesende vieles und Farbiges über Nonni erfahren, ist Fuchs‘ Buch keine klassische Biografie, sondern es beschreibt persönliche religiöse Wege, die ähnlich wohl sehr viele Katholiken im 20. Jahrhundert gegangen sind.
Stefan Kiechle SJ
Maurer, Michael: Konfessionskulturen. Die Europäer als Protestanten und Katholiken. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019. 415 S. Gb. 49,90.
Weder Kunst- noch Musikgeschichte sind hier Thema von Michael Maurer, Professor für Kulturgeschichte in Jena, sondern Theologie und Soziologie. Theologen, Pastoren, Landesbischöfe, Päpste, Jesuiten, Philosophen und Fürsten vertreten fünf Jahrhunderte europäischer Kulturgeschichte. Wenn sich der Leser mit dieser Einschränkung abgefunden hat, findet er vieles: eine konzise, gut erzählte (man spürt die Vorlesungserfahrung) Geschichte der Reformation, ihrer Verbreitung von Wittenberg nach Zürich und Genf, nach Skandinavien, Holland, Frankreich, England, Ungarn und Böhmen, sowie Hintergründe über den Einfluss der Reformation auf die Entstehung von Nationalsprachen und Nationalliteraturen und ihren Anteil sowohl am Aufstieg der Fürsten zu absolutistischen Herrschern wie zur Bildung von Städtegesellschaften in der Schweiz und in Holland.
Die Grausamkeiten der Ketzerverfolgung und der Religionskriege werden eher diskret behandelt. Dass die Erneuerung der katholischen Kirche nur durch massive Dispense von den Regeln des Konzils von Trient in der Kumulation von Bischofssitzen in Deutschland und von Abteien in Frankreich möglich war, wird nicht problematisiert. Maurer zeigt, wie die gegenseitigen Vorurteile von Katholiken und Protestanten historisch gewachsen sind. Er beleuchtet das Verhältnis des Protestantismus und der katholischen Kirche zur Aufklärung, zum Sozialismus und Faschismus. Er setzt sich mit Max Webers Aufsätzen „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ (1904/05) auseinander und stellt die Frage, ob das Basis-Überbau-Modell von Karl Marx nicht umgedreht werden müsste, nämlich ob wirtschaftliche Entwicklungen nicht religiöse als Ursache hätten. Am Ende fragt er, welche Funktionen Konfessionen im Zeitalter der Globalisierung, der Migrationen und des Internets noch haben. Er schließt mit den Sätzen: „Wenn wir unsere Herkunft verstehen, sind wir bereit zu reflektiertem, verantwortlichem Handeln. Und nebenbei: Es ist auch nützlich, die eigene Geschichte denjenigen erläutern zu können, die eine andere Tradition mitbringen.“
Es geht beinahe allein um das Wort. Bildende Künste von den Weihnachtskrippen und Stadtkirchen der Jesuiten zu den Klosterpalästen der alten Orden zwischen Kastilien und Ungarn spielen keine Rolle, auch nicht die Akzentuierung katholischer Herrschaften als Sakrallandschaften durch Wallfahrtskirchen, Heilige Berge, Kapellen, Dreifaltigkeits- und Mariensäulen. Im 17. und 18. Jahrhundert orientierten sich die Katholiken im Römischen Reich deutscher Nation am Mittelmeer, Italien und Spanien, die Protestanten an Nord- und Ostsee, Holland, England, Skandinavien. Die Höhepunkte deutscher katholischer und protestantischer Barockkultur waren zeitgleich: Im Mai 1723 wurde der romanische Freisinger Dom geschlossen, damit nach den Plänen der Maler-Architekten Cosmas Damian und Egid Quirin Asam, der Dom zur Jahrtausendfeier „kostbar erneuert“ und so die „Stadt des Himmels“ auf Erden in Stuck und Farben anschaulich werden konnte. Im selben Monat veränderte sich in der spätgotischen Hallenkirche St. Thomas in Leipzig gar nichts. Es wurde nur, nach seiner zweiten Bewerbung, ein neuer Kantor angestellt: Johann Sebastian Bach. Seine Musik bewegt Protestanten und Katholiken bis heute.
Der Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan (1909-1992), piemontesischer Waldenser und erster kommunistischer Bürgermeister von Rom (1976-79) hat in einem berühmten Aufsatz „retorica e il barocco“ nachgewiesen, dass die Kunst wie die Rhetorik des Barock delectare, docere, permovere (erfreuen, belehren, erschüttern) wolle. Damit überschreitet sie die seit der Zeit des Augustus gültige Kunsttheorie mit den Zielen des Belehrens und Erfreuens um das Element der Emotion, der Gemütsbewegung, der Erschütterung. Das leistet die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach ebenso wie die bilderreichen Räume von Bernini oder Asam. Doch wie sie dies tun, wäre eine ganz andere Geschichte.
Peter Steiner