Oermann, Nils Ole / Wolff, Hans-Jürgen: Wirtschaftskriege. Geschichte und Gegenwart. Freiburg: Herder 2019. 272 S. Gb. 24,–.
Es ist alles einfach und doch sehr kompliziert: Bereits zu Beginn legen die Autoren dar, dass jede auf Wettbewerb gründende Wirtschaft auch Wettkampf, strukturelle Gewalt und Grade von Gewalttätigkeit beinhaltet. Kompliziert ist die Frage, ab wann explizit von „Wirtschaftskriegen“ gesprochen werden kann und von welchen Faktoren dies abhängt. Dieser Spagat zwischen „einfach“ und „komplex“ durchzieht das Buch von Anfang bis Ende und man muss den Autoren dafür dankbar sein: Einerseits, klare Aussagen zu treffen wie etwa, dass Wirtschaftskriege mehr als „Schießkriege“ die Zivilbevölkerung treffen, andererseits immer wieder die Mühe abzubilden derer es bedarf, um nachvollziehbar und begründet zu solchen Aussagen zu kommen. Präsident Trumps Vorgehen gegenüber China wird entsprechend ebenso differenziert analysiert wie Chinas Methoden, eine hegemoniale Stellung auf Augenhöhe mit den USA zu bekommen. Bei alledem ist der interdisziplinäre Ansatz der beiden Autoren von großem Vorteil, da er unterschiedliche Expertise und Blickwinkel zusammenbringt.
Es wird deutlich, dass es nie nur um „die Wirtschaft“ oder „den Kapitalismus“ geht, sondern dass die Komplexität schon damit beginnt, dass Wirtschaft und Regierungen oftmals Bündnisse eingehen, in denen dann eben nicht nur Profiterwartungen das Handeln diktieren, sondern auch militärische oder sozialpolitische Aspekte. Dabei steht für die Autoren fest: Nach drei Jahrzehnten fortschreitender, staatlich unterstützter wirtschaftlich-technologischer globaler Integration gewinnt aktuell der territoriale Staat und seine nationalen Interessen wieder an Bedeutung mit allen Nebenfolgen wie Protektionismus, dem geostrategischen Ausbau von Einflusssphären, Spionage, Sabotage und Sanktionen – und dem expliziten Einsatz von Wirtschaftskriegs-Instrumenten gegen andere Staaten, etwa den Iran.
Insofern ist die Lektüre des Buchs allein deshalb empfehlenswert, weil es Begründungen für die Aussagen von Papst Franziskus liefert, dass „diese Wirtschaft tötet“, oder dass wir uns im „dritten Weltkrieg auf Raten befinden“.
Gerade vor diesem Hintergrund ist aber ein Punkt zu kurz gekommen: Eingangs des Buchs wird betont, dass das Handeln der Nationen schon immer fließend von Kooperation und Destruktion, von Kooperation und Konfrontation bestimmt war, was an unterschiedlichen Denkschulen und Menschenbildern ebenso liegt wie an allen anderen Grundannahmen über das, „was im tiefsten Grunde vor sich geht“ (11). Wenn dem aber so ist, dann hätte auch die neoliberale Prägung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die seit 1989 das globale, oft brutale Spiel bestimmt und gegen die es aktuell zu brisanten Gegenreaktionen kommt, ausdrücklicher thematisiert werden müssen. Insofern ist es zu einfach, nur vom „westlichen Modell“ zu sprechen, ohne systemische Alternativen wie etwa eine sozial-ökologisch regulierte Marktwirtschaft gezielt anzusprechen. So könnte beispielsweise Europa neben den USA und China eine dritte globale Alternative herausbilden und ihr aktuell ebenfalls neoliberal geprägtes Auftreten gegenüber Afrika durch eine faire und partnerschaftliche Kooperation ersetzen.
Jörg Alt SJ
Levitsky, Steven / Ziblatt, Daniel: Wie Demokratien sterben – und was wir dagegen tun können. München: DVA 2018. 320 S. Gb. 22,–.
„Reichen verfassungsmäßige Sicherheitsvorkehrungen allein aus, um Demokratien zu schützen? Wir meinen: nein. Selbst gut durchdachte Verfassungen versagen manchmal“ (115). Demokratien sind auch angewiesen auf die Einhaltung informeller Normen, insbesondere die der gegenseitigen Achtung und institutionellen Zurückhaltung (vgl. 120), so das Credo der beiden Autoren. Sie haben die krisenhaften Zuspitzungen in den USA im Blick, beschränken sich allerdings nicht auf diese. Entwicklungen in Lateinamerika und Europa werden berücksichtigt. Jedenfalls: Wenn die Normen gegenseitiger Achtung und institutioneller Zurückhaltung gebrochen werden, gerät mittel- bis langfristig das Gleichgewicht der Kräfte ins Wanken. Der Schlüssel liegt bei den Parteien. Je mehr die „Sitten“ (James Bryce) verletzt werden, umso mehr mutieren „die legislativen und judikativen Wachhunde zu parteipolitischen Kampfhunden“ (148) oder im umgekehrten Falle zu „Schoßhunden“ (149) der Exekutive.
Was die USA betrifft, so sehen die Autoren die tieferen Ursachen für die jüngeren Entwicklungen in dem Bürgerrechtsgesetz von 1964 und dem Wahlrechtsgesetz von 1965. Bis dahin beruhte die Einhaltung der Normen auf der „Reconstruction“ von 1877. Einerseits beendete sie den Bürgerkrieg, andererseits zementierte sie die Rassenexklusion. Es entstanden ideologische Brücken über die Parteigrenzen hinweg, vor allem zwischen konservativen Republikanern und Südstaatendemokraten. Die Wirkung war in doppelter Hinsicht entpolarisierend: Die Parteien integrierten nach innen hin unterschiedliche ideologische und soziale Milieus, die sich wiederum in den staatlichen Institutionen parteiübergreifend zu Kompromissen die Hände reichen konnten – und es auch taten. Die Rasseninklusion von 1964/65 deckte die rassistische „Ursünde“ der Reconstruction auf: Sie „wird die Vereinigten Staaten auf lange Sicht in vollem Umfang demokratisieren. Aber sie polarisiert sie auch und stellt die etablierten Formen der gegenseitigen Achtung und institutioneller Zurückhaltung vor die größte Herausforderung seit der Ära der Reconstruction“ (169). Die langfristige Konsequenz, in Kombination mit der Migration und anderen Faktoren zeigt sich: „In den 2000er Jahren stellten verheiratete weiße Christen nur noch 40% der Wähler, und sie wählten überwiegend republikanisch. Anders gesagt, die beiden Parteien sind jetzt nach Rasse und Religion getrennt – zwei stark polarisierende Themen, die mehr Intoleranz und Feindseligkeit schüren als traditionelle Politikthemen wie Steuern und Regierungsausgaben“ (201).
Die Autoren bleiben nicht bei ihrer Analyse stehen, sondern machen auch Vorschläge zur Rettung der Demokratie gegen ihre schleichende Unterminierung. Sie vermeiden Empörungsrhetorik und Lagersprache und helfen gerade deswegen mit klugen, differenzierenden Einsichten weiter. Ein äußerst lesenswertes Buch, auch für Europäer.
Klaus Mertes SJ
Blume, Michael: Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Wie neue Medien alte Verschwörungstheorien befeuern. Ostfildern: Patmos 2019. 208 S. Gb. 19,–.
Der Titel überrascht. Der Antisemitismus bedroht „uns alle“? Wird in der öffentlichen Debatte in Deutschland angesichts judenfeindlicher Straftaten vor zunehmendem Antisemitismus gewarnt, dann fehlt nie der Hinweis auf die Schoah und die Verantwortung für den Massenmord in deutschem Namen. Fast immer wird daher Antisemitismus mit „Judenhass“ synonym verwendet. So gesehen würde der Antisemitismus doch wohl eher jüdische Menschen bedrohen.
Der evangelische Religionswissenschaftler Blume greift weiter. Zunächst definiert er „Semitismus“. Der Begriff wird auf Noahs Sohn Sem zurückgeführt, Stammvater des Abraham. Blume setzt „Sem“ mit der Verbreitung des Alphabets gleich, einer Revolution in der geistigen Entwicklung der Menschheit, die er „Semitismus“ nennt. „Im Gegensatz zu immer noch verbreiteten Auffassungen bildet der Semitismus (…) nie eine ‚Rasse‘, sondern immer eine vielgestaltige mythologische Tradition auf Basis des Lesens, in die Frauen und Männer eintreten konnten (und können)“ (181). Sem wird so als mythologischer Vorfahr partizipativer Ethik gesehen, „Semitismus“ beschreibe daher keine „Rasse“, zumal Menschenrassen bekanntlich biologisch nicht existieren. Ohne Alphabet keine für alle les- und schreibbare Schrift, ohne eine solche Schrift keine demokratische Gesellschaft. Das Alphabet ermögliche eine lineare Zeitvorstellung, während etwa Rechtsextremisten zu einem zirkulären Zeitverständnis neigten.
Blume begründet seine Thesen religionswissenschaftlich, historisch, linguistisch und philosophisch. Semitismus bedeutet die Durchsetzung der Menschenrechte, die Begründung von Grundwerten, wissenschaftlicher Verfahren sowie der Forderung nach einem Urteil erst nach Analyse, kurz einer demokratischen, partizipativen Gesellschaft im Sinne des deutschen Grundgesetzes.
Jede rassistische, geistfeindliche, antidemokratische Gruppierung – die nach Ansicht des Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg immer antisemitisch ist, auch wenn sie sich nicht explizit gegen Juden richtet – bedient sich dagegen gängiger Vorurteile und schürt diese. Antisemitismus funktioniert bekanntermaßen ganz ohne die Existenz von Juden. Frappierend, wie Zitate aus „Mein Kampf“ die Strategien heutiger Rechtsextremisten erhellen. Diese bevorzugen mündlich vorgetragene Parolen, gelehrige Schüler des Jahrhundertverbrechers: „Die Macht aber, die die großen historischen Lawinen religiöser und politischer Art ins Rollen brachte, war seit urewig nur die Zauberkraft des gesprochenen Wortes“ (Hitler, zit. bei Blume, 99). Die antisemitischen Verschwörungsmythen (Blume lehnt „Verschwörungstheorie“ ab, wenngleich der Begriff im Untertitel verwendet wird) bedienen sich immer gleicher Konstrukte. Was neu und gefährlich ist, sind die „neuen Medien“, mit denen die Parolen der Volksverhetzer grenzenlos verbreitet werden. Von „Wir werden sie jagen!“ bis zum Mord an einem Politiker ist es ein kleiner Schritt.
Obgleich nicht frei von Wiederholungen ist das faktenreiche Buch ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus.
Friedhelm Wolski-Prenger