Zölibat und Priestertum

Klaus Mertes SJ, Redaktionsmitglied dieser Zeitschrift und Direktor des Jesuitenkollegs St. Blasien, entwickelt ein differenziertes Bild des Zölibats. Bedeutet der Zölibat bloß Verzicht? Welchen theologischen Sinn hat er? Wie gehören priesterlicher und nicht-priesterlicher Zölibat zusammen, und wie unterscheiden sie sich?

Christoph Eschenbach, Pianist und Dirigent, wurde kürzlich in einem Interview befragt: „Der Cellist Desmond Hoebig sagte einmal, dass Musik für Sie alles sei, mehr als hundert Prozent. Das sei jedoch nur möglich, weil Sie nicht zusätzlich noch Familie hätten.“ Eschenbach: „Das Wort zusätzlich ist richtig. Ich liebe Kinder, und ich würde es auch lieben, eine Familie zu haben, aber es würde mich einschränken, sowohl in meinem Ausdruck als auch in meiner Konzentration. Es ist ein Leben durch die Musik und mit der Musik, dem ich mich verschrieben habe.“1

Ist das schon Zölibat? Nein, sofern man unter Zölibat spezifisch religiös begründeten Ehe- und Familienverzicht versteht (ich unterscheide dabei noch nicht zwischen dem Zölibat der Diözesanpriester und dem Gelübde der Ordensleute). Dennoch gibt die Antwort einige Hinweise, die auch für das Verständnis des Zölibates hilfreich sind. Erstens: Die Rede ist von „Familienlosigkeit“, nicht bloß von „Ehelosigkeit“ oder „sexueller Enthaltsamkeit“. In der Regel wird beim Zölibat zunächst die sexuelle Enthaltsamkeit assoziiert. Um die geht es im Zölibat auch, zumal Sexualität und Fruchtbarkeit zusammenhängen. Aber die Fixierung auf die sexuelle Enthaltsamkeit verstellt den Blick auf den weitergehenden, umfassenderen Verzicht auf Familie. Zweitens: Der Familienverzicht ist die Rückseite der positiv motivierten Hingabe an etwas Erfüllendes. Auch für den Zölibat gilt: Die Vision vom Himmelreich und der Einsatz dafür sind etwas vergleichbar Ergreifendes und Erfüllendes wie die Musik – der Verzicht auf Familie gilt dem Leben für das Himmelreich. Familie, Ehe oder Sexualität sind damit nicht abgewertet, zumal man ja gerade die Verantwortung für Familie ernst nimmt, wenn man sie nicht bloß als etwas „Zusätzliches“ versteht und lebt. Drittens: Es gibt ausgezeichnete Pianisten und Dirigenten, die verheiratet sind und Kinder haben. Es lassen sich aus der persönlichen Entscheidung für die Familienlosigkeit keine allgemeinen Forderungen an Pianisten und Dirigenten ableiten. Dasselbe gilt auch für zölibatäres Leben. Das wird in Hinblick auf den verpflichtenden Priesterzölibat noch näher zu bedenken sein. Keineswegs ist jedenfalls verheirateten Männern und Frauen abgesprochen, sich ihrerseits ganz in den Dienst des Himmelreiches stellen zu können.2

Das theologische Zeichen

Vieles kann sublimiert werden, aber nicht alles. Das Himmelreich beziehungsweise das „Reich Gottes“3 ist kein Ersatz für ein Gut, auf das verzichtet wurde. Die Leerstelle, die durch den Verzicht entsteht, meldet sich bei aller Erfüllung doch immer wieder zu Wort. Sie schmerzt. Es wäre zu einfach, den Schmerz bloß als Preis für die Erfüllung zu verstehen. Die schmerzende Leerstelle hat vielmehr einen theologischen Sinn. Gott ist nicht nur gegenwärtig, er fehlt auch. Er ist auch kein Etwas in der Welt, das die Leerstelle füllen kann und soll. Vielmehr zeigt sich die Herrlichkeit Gottes in der Gleichzeitigkeit von Präsenz und Entzug (vgl. Ex 33,23; Lk 24,31). In seiner Präsenz schenkt Gott die Freude der Erfüllung und gleichzeitig den Schmerz des Entzugs. Zölibatäres Leben muss scheitern, wenn erwartet wird, dass der Schmerz irgendwann verschwinden wird und nur noch Erfüllung da ist.

Diesen „theologischen Schmerz“ kennen alle, die Gott suchen. Auch für Eheleute ist Gott transzendent, teilt sich ihnen auch in der Gleichzeitigkeit von Präsenz und Entzug mit. Die theologische Leerstelle wird vom Ehepartner oder von den Kindern nicht gefüllt. Der Unterschied zum zölibatären Leben ist nur, dass die theologische Leerstelle durch die Ehelosigkeit um des Himmelreiches stärker sichtbar ist. Insofern ist der Verzicht selbst auch ein Zeichen – nicht nur für die Wertschätzung des Himmelreiches, sondern gerade auch für dessen Transzendenzbezug. Der Verzicht markiert „Alterität“ (Eckhard Nordhofen), weil man „zwischen dem Schöpfer und Geschöpf … keine so große Ähnlichkeit feststellen kann, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“4 Der Verzicht ist mehr als nur ein Preis, der zu zahlen wäre, um sich ganz auf das Himmelreich konzentrieren zu können. Er ist selbst ein theologisches Zeichen, eine existentielle Darstellung des paradoxen Charakters der Gegenwart Gottes in der Welt.

Ehelosigkeit und Ehe/Familie ergänzen einander – zumal ja auch die Ehe sakramentales Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt ist. Beide verweisen sich gegenseitig auf den „Vater im Himmel“, seine Anwesenheit und seine Ferne. Die Ausrichtung auf Gott entkommt der paradoxen Präsenz zwischen Erfüllung und Entzug nicht – sonst würde sie sich ja nach etwas anderem ausrichten als nach Gott.

Zölibat im Evangelium

Es gibt nur eine mir bekannte Stelle im Alten Testament, in der Gott von einem Menschen ausdrücklich den Verzicht auf Familie fordert: „Das Wort des Herrn erging an mich: Du sollst dir keine Frau nehmen und weder Söhne noch Töchter haben an diesem Ort“ (Jer 16,2). Der Prophet lebt mitten in einer Zeit des Untergangs. Jerusalem und der verbliebene südliche Teil Israels stehen vor der endgültigen Eroberung und Vernichtung durch die Truppen des Babyloniers Nebukadnezar. In dieser Situation ist die Gründung einer Familie sinnlos: „Denn so spricht der Herr über die Söhne und Töchter, die an diesem Ort geboren werden, über die Mütter, die sie gebären, und über ihre Väter, die sie zeugen in diesem Land: Eines qualvollen Todes müssen sie sterben; man wird sie nicht beklagen und nicht begraben; sie werden zum Dünger auf dem Acker. Durch Schwert und Hunger kommen sie um; ihre Leichen werden zum Fraße für die Vögel des Himmels und die Tiere des Feldes“ (Jer 16,3 ff.). Erschwerend kommt hinzu, dass dem Propheten für seine provozierende Botschaft Anfeindung durch die eigenen Leute, auch durch den eigenen Clan droht. Franz Werfel hat in seinem Jeremia-Roman „Höret die Stimme“ den Familien-Verzicht des Propheten literarisch auf gültige Weise beschrieben.

Wo keine Zukunft ist, da lohnt sich auch Familiengründung nicht. Familie steht also, so der Umkehrschluss, für Zukunft. Eigentlich schenkt Gott ja bessere Zukunft. Kindersegen gilt auch in der biblischen Tradition als Segen des Himmels.5 Umso bemerkenswerter ist, dass Jesus den Verzicht auf Fruchtbarkeit lobt: „Manche haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht – um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12). Es mag bei Jesus das jeremianische Motiv der Untergangszeit mitschwingen.6 Doch mit dem Wort vom „Himmelreich“ ist eigentlich eine positive Verheißung ausgesagt. Deren Erfüllung hängt allerdings nicht an der Fruchtbarkeit für die (Groß-)Familie. Jesus gründet vielmehr eine andere Familie: „Die den Willen Gottes tun, sie sind für mich Bruder, Schwester und Mutter“ (Mk 3,35). Diese neue Großfamilie wird gesammelt aus unzählig vielen Menschen, insbesondere den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt 10,6); mit diesem Ausdruck sind die „Armen und Sünder“ gemeint, die auch deswegen massenhaft an den Rand gedrängt leben, weil sie aus den Zusammenhängen der Clan-Zugehörigkeit und Clan-Fürsorge herausfallen. Die Zeit ihrer Not ist mit der Ankunft des Himmelreiches vorbei.7 Die Familie aus Nazareth erlebt das als Provokation und spaltet sich daran.

Der Zölibat des Evangeliums ist also zunächst ein kritisches Zeichen. In einer Clan-Gesellschaft gilt: Keine Instanz darf höhere Ansprüche an ihre Mitglieder stellen als eben der Clan, die Familie. Das führt im Evangelium zu einem Konflikt, denn dieses predigt und praktiziert eine größere Nächstenliebe, die über die Grenzen der „Nächsten“-Liebe zu den eigenen Leuten hinausgeht. Familienlosigkeit wird so zum Stein des Anstoßes, andererseits macht sie aber auch frei dafür, eben diesen Konflikt auszutragen.

Frei werden für den Konflikt – das ist der kämpferische Aspekt des Zölibates. Die identitätspolitischen Ansprüche des Clans werden zurückgewiesen. Das Himmelreich ist zugleich offen für Ehen, in denen Clan-Grenzen und andere Grenzen überwunden werden. Im Himmelreich, oder auch „in Christus“ (Gal 3,28) gibt es folglich keine Hierarchie zwischen Ehelosen und Eheleuten – zumal ja auch eine Hochzeit über die Clan-Grenzen hinweg dieselben Konflikte auslösen kann wie durch Familienlosigkeit.

Dem äußerlich sichtbaren Zeichen des familienlosen Lebens entspricht eine innere Haltung, eine mystische (Innen-)Seite. Das ist nicht exklusiv gemeint, denn jedes Verhältnis zu Gott hat eine solche Innenseite. Das Reich Gottes ist Herzensangelegenheit für alle. Mit dem Schmerz des Verzichtes auf Familie ist die theologische Leerstelle aber explizit, existentiell geöffnet. Die Leerstelle richtet das Innere nicht nur auf Leere aus, sondern auch auf Fülle, auf Herzlichkeit in der Begegnung mit Gott in Gebet und Stille, in Dank und Liebe. Diese Intimität ist das Pendant zur Herzlichkeit in der Begegnung mit den Mitmenschen, wie Jesus sie lebt. Sie gehört unbedingt zu dem kritischen und kämpferischen Sinn des Zölibates dazu; ohne sie wird aus der Kritik Ideologie und aus dem Kampf Überheblichkeit. Erst im Innenraum des Herzens wird das Unfassbare fassbar, das zur Entscheidung für den Zölibat des Evangeliums motiviert. „Wer es fassen kann, der fasse es“ (Mt 19,12).

Priesterzölibat heute

Der verpflichtende Priesterzölibat ist ein Zeichen, dem nicht erst seit heute widersprochen wird. Seine Einführung im Jahre 1139 in der lateinischen Kirche8 fiel nicht vom Himmel, sondern hatte eine konfliktreiche Vorgeschichte, die schon bald nach der apostolischen Zeit begann. Schärfster Widerspruch zum Zeitpunkt seiner Einführung kam aus den Dynastien, die gewohnt waren, kirchliche Ämter und Pfründen über die Erbfolge legitimer Kinder weiterzugeben. Der priesterliche Ehelosigkeitszölibat stand dagegen für die Unabhängigkeit der kirchlichen Leitungsämter von der Macht der Clans und Dynastien. Die Losung lautete: „Freiheit der Kirche.“

Zugleich basierte der Priesterzölibat auf einem Verständnis von kultischer Reinheit, über welches das Zweite Vatikanische Konzil Jahrhunderte später aus guten Gründen schwieg, als es zugleich versuchte, den Priesterzölibat von seinem pastoralen Sinn her neu zu begründen: einerseits werde die Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit „nicht vom Wesen der Priestertums selbst gefordert“, wie gerade auch die Praxis in den Ostkirchen zeige, andererseits habe die Kirche „die vollkommene und ständige Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen … besonders im Hinblick auf das priesterliche Leben immer hoch eingeschätzt“, sei sie doch „ein Zeichen und zugleich ein Antrieb der Hirtenliebe.“9

Vieles hat sich in den Säkularisierungsschüben der Moderne inzwischen verändert: Die gesellschaftliche Macht von Clans und Großfamilien ist im europäisch geprägten Westen durch die Trennung von sexueller Aktivität und Fruchtbarkeit einerseits und durch umfassende Individualisierungsprozesse andererseits gebrochen; es gibt die Clans- und Großfamilien als Inhaber entscheidender gesellschaftlicher Macht nicht mehr oder höchstens noch als Folge von Migration aus anderen Kulturen. Das Modell der Moderne ist die Kleinfamilie aus zwei Generationen, Eltern und Kindern.

Und: Für die Moderne ist die Unterscheidung zwischen sakraler und profaner Sphäre schwerer nachzuvollziehen. Was ein Priester ist, wird meist nur noch im Modus der Kritik ausgesagt. Für die Kirche stellt sich die Situation anders dar: Als Weltkirche lebt sie nicht nur in modernen, säkularen Kulturen; es ist weder für sie noch für nicht-moderne Kulturen ausgemacht, ob sie die Modernisierungsprozesse des Westens mitmachen oder sich anders entwickeln will. Als priesterliches Volk Gottes, wie sie sich versteht, kann sie zugleich auf die Unterscheidung zwischen profaner und sakraler Sphäre nicht verzichten, ohne sich selbst aufzuheben.

Wie also können Priestertum und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen in einer säkularen Gesellschaft so vermittelt werden, dass verstehbar wird, was gemeint ist? Die Crux besteht darin, dass der verpflichtende Charakter der Verbindung von Priestertum und Ehelosigkeit heute Missverständnisse eher fördert und so die Klärung dieser Fragen erschwert. Das hat wiederum mehrere Gründe. Zum einem hat sich die Erkenntnis sogar lehramtlich durchgesetzt, dass es weder aus historischen noch aus dogmatischen Gründen eine notwendige Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit gibt. Je mehr aber in der säkularen Öffentlichkeit die Ehelosigkeit vom Priestertum her gesehen und diskutiert wird, weil der Priesterzölibat ja weiter besteht, umso weniger leuchtet ihr kritischer, kämpferischer und auch mystischer Sinn auf.

Auch die Vorstellung, dass sexuelle Aktivität kultisch verunreinigt, darf als überwunden gelten. Vielleicht schwingt sie noch heute in katholischen (und anderen) Mentalitäten mit, aber weder in der Theologie noch in lehramtlichen Äußerungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil taucht sie weiter auf. Trotzdem steht der Priesterzölibat noch. Priestertum wird deswegen weiterhin mit sexueller Enthaltsamkeit assoziiert. Das Thema des Zölibates überlagert so die Wahrnehmung priesterlicher Tätigkeiten: Seelsorge, sakramentale Handlungen, Dienst an Erinnerung, Vergegenwärtigung und Stellvertretung. Warum müssen für alle diese sinnvollen Dinge alle Priester sexuell enthaltsam leben? – so lautet die nachvollziehbare Rückfrage, auf die es keine wirklich plausible Antwort mehr gibt.

Der Missbrauchsskandal ist da nur noch der Tropfen, der das Fass der kritischen Anfragen zum Überlaufen bringt. Das Verhältnis des Klerus zur Sexualität erscheint nun auch noch im trüben Licht praktischen Versagens – nicht nur wegen der sexualisierten Gewalt von klerikalen Tätern, sondern mehr noch wegen eines klerikalen Milieus, das nicht in der Lage war und ist, die Taten angemessen einzuschätzen und den Betroffenen Schutz zu geben. Das wiederum erhöht die Plausibilität von Forderungen nach Öffnung des Priesterzölibates. Eine beinahe tausendjährige Tradition ist nicht mehr stark genug, um gegen solchen Veränderungsdruck zu bestehen, zumal sich der Druck mit guten Argumenten zur Sache verbindet.

Diözesanklerus und Ordensleute

Es gibt viele Ordensmänner, die auch Priester sind. Und es gibt noch mehr Ordensleute, die keine Priester sind – viele Ordensfrauen und eben auch die Ordens-„Brüder“. Es ist bezeichnend, dass sie aus der öffentlichen Wahrnehmung der Zölibatsdebatte herausfallen. Oder vielleicht doch nicht? Ordensleute, die nicht Priester sind, machen den Blick der Welt auf das Himmelreich besonders frei, gerade weil sie nicht zugleich Priester (oder Priesterinnen) im Kontext des verpflichtenden Priesterzölibates sind. Deswegen trifft die Debatte um den Zölibat sie auch nicht. Das gehört dann wiederum umgekehrt zum Preis, den Priester, egal ob diözesan oder in einem Orden, für den verpflichtenden Priesterzölibat zahlen müssen: Ihr Zeugnis leuchtet nicht so klar, und zwar keineswegs deswegen, weil sie sich weniger ernsthaft um das zölibatäre Leben bemühen würden, sondern deswegen, weil ihr Zeugnis unter den Bedingungen des Priesterzölibates nicht unverstellt leuchten kann.

Gelegentlich wird bei Ordensmännern, die Priester sind, vom „freiwilligen“ Zölibat gesprochen, um ihn vom angeblich „unfreiwilligen“ Zölibat des Diözesanklerus abzugrenzen. Mir erscheint das unangemessen. Es stimmt zwar: Streng genommen wird über den Zölibat des Diözesanklerus gestritten; würde der Priesterzölibat aufgehoben, bliebe das Ehelosigkeitsgelübde der Ordensleute unberührt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem befreundeten Theologiestudenten, der mir in den 70er-Jahren riet, nicht in einen Orden einzutreten, sondern in ein diözesanes Priesterseminar: „Dann kannst du heiraten, wenn demnächst der Zölibat aufgehoben wird.“

Aber: Diözesanpriestern gleich die Freiwilligkeit ihrer Entscheidung abzusprechen, bedeutet, die Würde ihre Lebensentscheidung zu bestreiten. Diözesan- und Ordenspriester teilen im Übrigen auch beide gemeinsam dieselben Herausforderungen, die mit der zölibatären Lebensform gegeben sind; es wäre nicht nur anmaßend, sondern schlicht falsch zu behaupten, dass Ordenspriester diese Schwierigkeiten besser bewältigen würden, weil sie ihre Zölibats-Versprechen „freiwillig“ abgelegt hätten. Und schließlich: In beiden Fällen ist die Entscheidung für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen oft unter der Voraussetzung des priesterlichen Pflichtzölibates gefallen.

Motive sind keine Ursachen. Sie können sich klären, verändern, vertiefen. Natürlich kann ein Leben im Priesterzölibat gelingen. Es gibt viele gute Beispiele dafür. Eine Bedingung ist allerdings, die Unterscheidung zwischen priesterlichem Leben und der Ehelosigkeit um des Himmelreiches tiefer zu erfassen, um so beide als Eigenwert zu begreifen, und nicht als jeweils zu zahlende Preise. Es sind da gerade die nicht-priesterlichen Ordensleute, die ein hilfreiches Zeugnis für die eigenständige Würde der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen geben. Hingegen bloß deswegen zölibatär zu leben, um Priester werden zu können – ohne Sinn für den Eigenwert zölibatärer Existenz –, oder gar Priester werden, um zölibatär leben zu können, führt in die Sackgasse. Tragik und auch Pathologie solchen funktionalen Priester- und Zölibats-Verständnisses wird im Scheitern solcher Lebensentscheidungen sichtbar, Scheitern nicht nur zum Schaden der Gescheiterten, sondern auch zum Schaden derjenigen, die den gescheiterten Priestern anvertraut sind.

Markierung von Alterität

Abschließend zurück zur Frage des Verhältnisses von sexueller Enthaltsamkeit und Kult: Dass die Reinheits- und Unreinheitsmetaphorik unangemessen ist, dürfte Konsens sein. Weniger eindeutig ist aber, ob die Moderne tatsächlich keinen Sinn mehr hat für die Unterscheidung zwischen einer sakralen und einer profanen Sphäre, und damit auch nicht für das Priestertum. Max Webers These von der Entzauberung der Welt bewahrheitet sich gegenwärtig nicht. Neue Sakralisierungs- und Kultphänomene schießen aus dem Boden. Sie flottieren frei durch Raum und Zeit der Gegenwart; man darf gespannt sein, zu welchen neuen Groß-Gebilden sie sich weiter zusammenfügen werden.

Der Priesterzölibat verband über Jahrhunderte hinweg den Beruf des Priesters mit der existentiellen Entscheidung zur Ehelosigkeit. Über die pathologische Seite dieser Verbindung ist das Nötige gesagt.

Doch der sichtbare Verzicht hob und hebt zugleich die Verbindung mit der theologischen Leerstelle hervor, von der bereits die Rede war. So passt priesterlich-zölibatäres Leben ja durchaus wieder zusammen mit der Zuordnung zur Sphäre des Sakralen, so lange es eben nicht mit einem abwertenden Verständnis von Sexualität verbunden wird. Mag es auch weitere Pathologien der Übersakralisierung von Priesterpersonen geben, auch dann, wenn sie verheiratet sind, so lautet die angemessene Reaktion darauf doch nicht, die Zuordnung von Priestertum und sakralen Räumen und Handlungen komplett abzulehnen. Wenn es nicht die existentielle Darstellung der theologischen Leerstelle durch Eheverzicht sein soll, dann wären andere Formen zu finden, wie Alterität markiert wird. Denn so viel ist ja auch klar: Den Priester bloß auf den Kultdiener herabzustufen, ohne dass dieser Dienst auch übergreift auf sein existentielles Selbstverständnis, wäre falsch. Sakrale und profane Sphäre sind ja nicht bloß zu unterscheiden, sondern kommunizieren auch miteinander. Wer das Sakrament der Liebe Gottes empfängt und zugleich im Alltag den Nächsten nicht liebt, würdigt das Sakrament herab. Das gilt umso mehr für den Spender oder die Spenderin des Sakramentes. Eine Debatte darüber, wie die Markierung von Alterität in einem nicht-zölibatären Priestertum ausgestaltet werden könnte, steht noch aus.

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