Eine Konferenz zwischen zwei Kardinälen: Im Vatikan trafen sich Ende Februar die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der Welt, um Kinderschutz und die Aufarbeitung von Missbrauch zu besprechen. Ein gemeinsames Bewusstsein in der Weltkirche sollte entstehen, so hörte man es vorher immer wieder. Wer die Konferenz näher verfolgte, konnte Fortschritte auf diesem Gebiet nicht übersehen. Bischöfe aus Ländern, die bislang in den Medien mit abfälligen Bemerkungen über ein „westliches“ Problem zitiert wurden, sprachen nachdenklich darüber, dass man vielleicht doch besser hinhören müsse, auch in der eigenen Kultur. Auch wenn die katholische Kirche eine Minderheit, vielleicht sogar eine verfolgte Minderheit ist, Kinderschutz muss ein Anliegen sein.
Soweit hat die Konferenz wirklich einen Schritt voran gemacht. Aber sie blieb eingeklemmt zwischen zwei Kardinäle: Vor der Konferenz war Theodore McCarrick aus dem Klerikerstand entlassen worden, bereits im Vorjahr hatte er seine Kardinalswürde verloren. Die Beweislage war klar, in den USA nennt man solch einen Missbrauchstäter einen predator, ein Raubtier. Nach der Konferenz kam das Urteil gegen Kardinal George Pell hinzu, verurteilt in Australien. Während es bei McCarrick noch ein kirchenrechtlicher Prozess war, fand sich Pell direkt nach einem staatlichen Strafprozess im Gefängnis wieder. Die Beklemmung, welche die Konferenz immer begleitete, war auch in Rom zu spüren. Der Vatikan setzte nicht allein das Thema, im Gegenteil: Die vielen nach Rom gereisten Vertreter von Gruppen, welche sich für Opfer und Überlebende einsetzen, die vielen selbst missbrauchten Menschen machten ihre eigenen Veranstaltungen. Man muss dem Vatikan zugutehalten, dass es keinen Versuch gab, das kleinzureden. Seine Konferenz war an jenem Wochenende nur eine der Veranstaltungen zum Thema.
Der emotionale Aufruhr war erheblich. Zu Recht. Zu lange hat es gedauert und dauert es, zu viel war beschwichtigt worden. Zu oft weggeschaut. Die Katholische Kirche ist in einer tiefen Krise, es geht gar nicht mehr nur um die Glaubwürdigkeit als Organisation, die sich immer wieder in Sachen Moral und Ethik zu Wort meldet. Es geht ums Eingemachte, um die Frage, ob diese Kirche irgendwie in Verbindung mit Jesus Christus gebracht werden kann.
Als ob das nicht genug öffentlicher Druck auf der Konferenz gewesen wäre, kam Weiteres hinzu: Vor allem Journalisten stellten immer wieder die Frage, ob damit das Pontifikat von Papst Franziskus gescheitert sei und seine Reformen am Ende. Interessierte Kreise versuchten, vom Thema Missbrauch auf das Thema Homosexualität abzulenken. Und leider gab es auch in der Berichterstattung grobe Fehler, die vieles bei der Konferenz in ein komisches Licht rückten. Umso merkwürdiger klingt es, wenn nach der Konferenz im Vatikan viele Stimmen betonen, wie wichtig alles war. Konkrete Maßnahmen gab es nicht, denn was der Vatikan nachher bekanntgab, war schon vorher in Vorbereitung, etwa ein Verhaltenskodex für Bischöfe und ein Solidaritätsnetzwerk für lokale Kirchen, die sich die nötigen Kirchenjuristen, Psychologen und Aufarbeitungsstrukturen nicht leisten können. Nie war es Absicht, während der Konferenz Beschlüsse zu fassen. Versammelt waren ja so etwas wie Klassensprecher: Vorsitzende von Bischofskonferenzen sind nicht die Chefs in ihrem Land. Richtlinien zum Umgang mit Missbrauch und zur Aufarbeitung, Maßnahmen zur Prävention, Zusammenarbeit mit staatlichen Instanzen, all das ist in der Weltkirche viel zu sehr von lokalen Kulturen und Rechtsordnungen abhängig, als dass es die eine große Lösung geben könnte.
Was es brauchte, war die glaubwürdige Überzeugung der Kirche, dass sie alles tun werde, um Kinder zu schützen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Was es außerdem brauchte, war die glaubwürdige Einsicht, dass es über diese konkrete Frage hinaus andere Formen des Missbrauchs von Macht in der Kirche gibt, die anzugehen sind. Und zwar bald. Daran hat die Konferenz gearbeitet. Hat sie es geschafft? Das wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Oft wurde von Partizipation der Nichtkleriker gesprochen. In einem Redebeitrag war von „Laien-Experten“ die Rede; diese Formulierung zeigt auf, wie kirchliche Sprache und damit kirchliches Denken überhaupt nicht mehr zur Realität passen. Wirkliche Partizipation zu schaffen, ist schon oft versprochen worden. Daran wird sich die Kirche messen lassen müssen, und zwar vor Ort, in den Ortskirchen.
Von einer weltkirchlich gemeinsamen Überzeugung war die Rede. Wir werden sehen, ob sich wieder Bischöfe zu Wort melden mit der Behauptung, das Problem liege in Wirklichkeit ganz woanders, und ob diese Bischöfe dann zur Rechenschaft gezogen werden. Wir werden sehen, ob Konsequenzen gezogen werden und wirklich Verantwortliche in der Kirche, allen voran Bischöfe, geradestehen müssen für Versagen und Versäumnisse, bis hin zum Verlust des Amtes. Hier wird sich zeigen, ob die Konferenz ein Schritt voran war, wovon der Schreiber dieser Zeilen vorsichtig überzeugt ist, oder ob sie eingeklemmt blieb und damit doch wieder nur eine Konferenz unter vielen war, wieder nur Worte.