Wird Indonesien islamistisch?Die drittgrößte Demokratie der Welt wählt

In diesem Monat wählen 265 Millionen Indonesier einen neuen Präsidenten, und der Kandidat muslimischer Hardliner und Extremisten könnte das Ren-nen machen. Den Autor, Franz Magnis-Suseno SJ, zog es schon früh als Missionar nach Indonesien, wo er sich seither für soziale Gerechtigkeit und Solidarität mit den Armen einsetzt und sich im christlich-muslimischen Dialog engagiert. 1977 nahm er die indonesische Staatsbürgerschaft an. Er lehrte an der Philosophischen Hochschule Jakarta, deren Rektor er wurde, sowie an der Universität Indonesia.

Am 17. April 2019 wählen knapp 200 Millionen wahlberechtigte Indonesier ein Parlament und einen Präsidenten für die nächsten fünf Jahre. Wieder stehen sich Joko Widodo, hier nur Jokowi genannt, Präsident seit 2014, und Prabowo Subiyanto gegenüber. Prabowo, der frühere Schwiegersohn des zweiten indonesischen Präsidenten Suharto, war lange Chef der Kopassus, der berüchtigten Spezialtruppen der Armee, denen in der Vergangenheit schwere Menschenrechtsverletzungen in Indonesien und Osttimor vorgeworfen wurden. Wie schon vor fünf Jahren ist Prabowo der erklärte Kandidat muslimischer Hardliner und Extremisten. Ein Wahlsieg Prabowos könnte das Ende des demokratischen, trotz mancher Konflikte religiös toleranten Indonesiens sein. Mit seinen gut 265 Millionen Menschen ist Indonesien die drittgrößte Demokratie der Welt. Es ist auch das Land mit den meisten Muslimen. Jeder fünfte Muslim ist Indonesier. Ob Jokowi oder Prabowo die Wahlen am 17. April gewinnt, ist daher von mehr als nur indonesischer Bedeutung.

Indonesien galt lange als das Musterland islamischer Toleranz. Allerdings, dieses schöne Bild hat Risse bekommen. Die demokratische Öffnung Indonesiens nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Suharto ermöglichte es islamischen Radikalen und Extremisten, an die Öffentlichkeit zu treten. Forderungen nach einer Islamisierung der Gesellschaft konnten nun ungestraft gestellt werden. In kleinen und großen indonesischen Buchläden, zum Beispiel auf Flughäfen, nehmen jetzt islamische Bücher aller Art fast so viel Raum ein wie linke Literatur Anfang der 70er-Jahre in Deutschland. Dagegen kann man Kritik am Islam nur vorsichtig formulieren. Nicht weil der Staat, sondern weil islamistische Gruppen sofort dagegen losziehen, auch mit einem Blasphemiegesetz aus der Sukarnozeit.

Islamismus, Intoleranz und Terror

Seitdem haben religiöse Intoleranz und Gewalt stark zugenommen. Es wird für Minderheitsreligionen immer schwieriger, Kirchen und Tempel zu eröffnen. Immer wieder zwingen gewaltbereite Mobs Kirchen, deren Bauerlaubnisse nicht vollständig sind, zu schließen. Ganz neu sind zwei Schändungen von katholischen Gräbern auf Friedhöfen in Mitteljava Ende Dezember 2018 und am 2. Januar dieses Jahres. Auch Muslime sind besorgt über die ständige Zunahme von Verordnungen auf Basis der Scharia, die gesetzeswidrig in vielen Regierungsbezirken und Munizipalitäten aus politischem Opportunismus von lokalen Administrationen eingeführt werden. So zum Beispiel in der Provinz Westsumatra, wo muslimische Kandidaten für den Beamtenstatus den Koran (auf arabisch) lesen können müssen.

1999 kam es zum ersten Terroranschlag seit fast 20 Jahren: Eine Bombe explodierte vor der großen Istiqual Moschee in Jakarta. An Weihnachten 2000 explodierten dann 32 Bomben vor Kirchen von Sumatra über Java bis Lombok mit 17 Toten und über 100 Verletzten. Beunruhigend war, dass die Anschläge von der Polizei nie gründlich untersucht wurden, wohl weil, so wird vermutet, Militär dahinter stand. Im Oktober 2002 explodierten dann drei Sprengkörper in Kuta auf Bali, die mehr als 200 Menschen, darunter vor allem ausländische Touristen, in den Tod rissen. Dieses Attentat brachte allerdings die Wende in der Terrorbekämpfung. Jetzt bildete Indonesien eine Antiterror-Einheit, die in kürzester Zeit die Bali-Terroristen verhaftete und bis heute sämtliche auch folgenden Terroranschläge in kurzer Zeit aufgeklärt hat. Objekt des letzten islamistischen Terrors waren im Mai 2018 drei K­­irchen in Surabaya, bei denen acht Christen starben, wobei sich die Terroristen, die auf vier Motorrädern angefahren kamen – eine komplette Familie: Vater, zwei fast erwachsene Söhne sowie die Mutter mit ihren zwei kleinen Mädchen auf dem Sattel – selbst in die Luft sprengten.

Besorgniserregend war auch der Fall Ahok. Ahok, mit vollem Namen Basuki Tjahaja Purnama, war 2014 Gouverneur von Groß-Jakarta geworden, nachdem der 2013 gewählte Gouverneur Joko Widodo zum indonesischen Präsidenten gewählt worden war. Ahok war Jokowis Vize gewesen. Ahok erwies sich als extrem fähig. Er brachte die Korruption unter Kontrolle, machte die Stadtverwaltung effizient und kundenfreundlich, begann die Flüsse, die Jakarta mit Überschwemmungen bedrohten, zu regulieren. Er war populär und unbestechlich. Aber Ahok war ein protestantischer Christ und chinesischer Abstammung, also doppelte Minderheit.

Eine unbedachte Äußerung im September 2016 gab seinen islamistischen Gegnern die ersehnte Gelegenheit, Ahok der Koranlästerung anzuklagen. Mit dem Schlagwort „Verteidigung des Islams“ mobilisierten sie Hunderttausende von Muslimen für Demonstrationen in Jakarta. Es war das erste Mal, dass in Indonesien eine solche Welle islamischen Populismus‘ losgetreten wurde. Ahok wurde im Jahr darauf in regulären Wahlen abgewählt und von einem Gericht unter dem Druck eines islamistischen Pöbels zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die auch von vielen Muslimen als schweres Fehlurteil bezeichnet wurde.

Bedenklich an dieser Populismuswelle war, dass dabei der gemäßigte Islam auf die Seite gedrückt wurde. Dem Führer der Islamischen Verteidigungsfront (FBI), die sich durch Gewalttaten einen Namen gemacht hatte, Habib Rizieq, der vorher eher als extremistischer Hanswurst angesehen wurde, gelang es, sich zu einem „Imam [dt. „Führer“] des indonesischen Islams“ zu mausern, den viele islamische Jugendliche bewunderten. Mit Ahok im Gefängnis ging dem Populismus dann doch etwas die Luft aus. Aber das eigentliche Ziel der islamistischen Drahtzieher war nicht Ahok gewesen, sondern Jokowi, der indonesische Präsident. Er gilt den Hardlinern als das Haupthindernis für eine weitere Islamisierung des Landes.

87 Prozent aller Indonesier gehören in irgendeiner Form dem Islam an. Daher war die Frage nach der Stellung des Islam von Anfang an eine Kernfrage für Indonesien. Erstaunlicherweise gab sich Indonesien, nachdem es 1945 seine Unabhängigkeit von den Niederlanden erklärt hatte, eine Verfassung – sie ist noch heute in Kraft –, in der dem Islam keinerlei Sonderstellung eingeräumt ist. Stattdessen gründet sich die Verfassung auf fünf Prinzipien, die Sukarno als Pancasila zur philosophischen Grundlage Indonesiens formulierte: Glaube an das eine Göttliche, gerechte und zivilisierte Menschlichkeit, Einheit Indonesiens, Demokratie, und soziale Gerechtigkeit. Knackpunkt ist das erste Prinzip. Es wurde so formuliert, dass alle Religionen, nicht nur der Islam, darunter fielen. Ein Zusatz zum ersten Prinzip, auf den man sich bereits geeinigt hatte und der Muslime verpflichtet hätte, die Scharia-Gesetzgebung einzuhalten, wurde noch in letzter Sekunde gestrichen, um zu vermeiden, dass Nichtmuslime als Staatsbürger zweiter Klasse angesehen werden könnten.

Pancasila ist ein Schlüsseldokument. Sie ist der fundamentale Konsens des indonesischen Volkes, dass Indonesien allen Indonesiern gehört, ohne zwischen Mehr- und Minderheiten zu unterscheiden, dass also alle Indonesier, und das bedeutet im Klartext, nicht nur die Muslime, vollberechtigte Staatsbürger sind. Sie garantiert, dass indonesische gewachsene Identitäten – es gibt hunderte von Ethnien, Sprachen, und zahlreiche religiöse Orientierungen – nicht unterdrückt, sondern beschützt und anerkannt werden. Daher ist Pancasila der Schlüssel für die Einheit des multikulturellsten Staates der Erde.

Anerkennung der Pancasila gilt seitdem als Maßroute für Treue zu dem Indonesien, wie es von den founding fathers konzipiert und gegründet wurde. Das bedeutet zwar nicht, dass es in der Praxis nicht immer wieder zu Diskriminierungen auf religiöser Basis kam. Aber der Pancasilakonsens ist so stark im indonsischen Identitätsbewusstsein verankert, dass selbst islamistische Hardliner es nicht wagen, ihn infrage zu stellen.

Die ersten zwanzig Jahre der Republik unter Sukarno standen ganz im Zeichen des indonesischen Nationalismus. Mit der Vernichtung der Kommunisten 1965 – mit drei Millionen Parteimitgliedern und zwanzig Millionen Mitgliedern kommunistischer Mantelorganisationen die stärkste kommunistische Partei außerhalb kommunistisch regierter Länder – entfiel die stärkste politische Gegenkraft zum Islam. Suharto, ab 1966 an der Macht, nahm zwar in seinen ersten 20 Jahren den politischen Islam scharf an die Kandarre, betrieb aber eine innere Islamisierung in der Absicht, dadurch dem Kommunismus für alle Zukunft die Basis zu entziehen. Überall wurden Moscheen gebaut, muslimische Staatsangestellte hatten zum Freitagsgebet in die Moschee zu gehen. Zwar setzte Suharto in den 1980er-Jahren durch, dass sich alle Organisationen, auch religiöse, in einem Grundsatzpapier auf die Pancasila verpflichteten. Aber in den 1990er-Jahren wandte sich Suharto dem Islam zu, um seine politische Basis zu erweitern. Erklärte Islamisten konnten nun im Suhartosystem mitmachen. Damit wurde der indonesische Islam auch politisch immer einflussreicher.

Wie stark dennoch die Pancasila-Orientierung Indonesiens weiterhin war, zeigte sich nach dem Rücktritt Suhartos 1998. Indonesien war damals in einer extrem gefährlichen Situation. Die Hauptstadt Jakarta wurde von Studentendemonstrationen erschüttert. Viele lange unterdrückte Konflikte kamen nun zum Ausbruch. Die politischen Institutionen hatten ihre Glaubwürdigkeit verloren. Und sogar das Militär, das 32 Jahre lang die Macht in der Hand gehalten hatte, hatte sein Selbstvertrauen verloren. Viele Indonesier fürchteten, dass Indonesien dasselbe Schicksal erleiden würde wie Jugoslawien oder die Sowjetunion. Aber es kam anders. Nachdem Suharto dem Druck der demonstrierenden Studenten nachgegeben hatte und zurückgetreten war, übernahmen Politiker mit starker islamischer Identität die Führung: Suhartos Nachfolger, Professor B. J. Habibie; dann sein Nachfolger als Präsident, Abdurrachman Wahid, der voher 15 Jahre lang die Nadlatul Ulama (NU), mit über 40 Millionen Mitgliedern die größte islamische Organisation der Welt, geführt hatte; sowie Amien Rais, früherer Chef der Muhammadiyah, der zweitgrößten islamischen Organisation Indonesiens, der als Vorsitzender des verfassungsgebenden Volkskongresses (MPR) die Verfassung von 1945 demokratisierte und fast den gesamten Kodex der Menschenrechte in sie einbrachte. Statt die Situation zu nutzen, um aus Indonesien einen Islamstaat zu machen, überführten diese islamisch orientierten Politiker das Land in eine auf der Pancasila basierende Demokratie. Diese Leistung wird deutlich, wenn man Indonesien nach dem Sturz Suhartos mit Ägypten nach dem Sturz Hosni Mubaraks vergleicht. Indonesien ist bis heute eine funktionierende Demokratie, Ägypten ist schon wieder eine Diktatur.

Die Vielfalt im indonesischen Islam

Heute können wir im indonesischen Islam drei Orientierungen unterscheiden. Da sind einmal die Kinder (und Kindeskinder) der früheren religiös Indifferenten (der sog. abangan), die mit dem Islam wenig am Hut hatten und die sich von Anfang an gegen eine Islamisierung des indonesischen Staates stellten. Deren Kinder beten jetzt, fasten, lesen den Koran, und sind stolz darauf, wenn sie die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht haben. Aber politisch wählen sie weiterhin nicht-islamische Parteien. Wie stark diesse Gruppe ist, sieht man daran, dass islamisch orientierte politische Parteien zusammen seit der demokratischen Wende 1998 niemals mehr als 37 Prozent der Stimmen erhalten haben.

Die zweite sehr große Gruppe lebt ihre Identität voll als Muslime. Dazu gehören die Anhänger islamisch orientierter politischer Parteien. Aber diesen ist es nicht gelungen, eine starke gesellschaftliche Identität auszubilden. Den Kern dieser zweiten Gruppe bilden die zwei schon genannten Großorganisationen, die Muhammadiyah und die Nadlatul Ulama (NU). Beide sehen sich als nichtpolitische Organisationen. Die anfangs des 20. Jahrhunderts gegründete Muhammadiyah hat ihre Basis in den Städten. Sie vertritt einen modernen, das heißt einen den Wissenschaften gegenüber offenstehenden Islam. Sie ist vor allem im Erziehungsbereich tätig, unterhält über hundert Universitäten in ganz Indonesien, hat aber auch Krankenhäuser. Die Basis der NU bilden die über 20.000 pesantrens, Koran-Schulen-Internate, die von Kiais, frommen Islamgelehrten geleitet werden und einen mehr traditionellen Islam vertreten. Ihre Basis ist das agrarische Hinterland. Sie ist mit Abstand die einflussreichste zivilgeselleschaftliche Organisation in Indonesien.

Und dann gibt es die Extremisten, Radikalen und Fundamentalisten verschiedenster Sorte, die alle auf ihre Weise aus Indonesien einen totalen Islamstaat machen möchten. Es gab immer Extremisten in Indonesien. In den 50er-Jahren machte ein Aufstand der Befreiungsorganisation „Darul Islam“ Teile Westjavas, Südsulawesis und Aceh unsicher. Seit Jahren propagiert Saudi-Arabien über großzügige Finanzhilfen seinen intoleranten, exklusiv-fundamentalistischen Wahhabismus, was NU und Muhammadiyah mit großem Misstrauen beäugen. Die NU hat sogar eine fatwa, ein religiöses Rechtsgutachten, erlassen, das den Wahhabismus zur Irrlehre erklärt. Zahlreiche Gruppen und Organisation wie zum Beispiel das Forum der Islamischen Gemeinschaft (FUI) stehen hinter intoleranten Aktionen. Berüchtigt ist die Islamische Verteidigungs-Front (FBI), 1998 von der Polizei gegen die protestierenden Anti-Suharto-Studenten gegründet, die gern Karaokebars angreift und zu Kirchenschließungen engagiert werden kann. Gerade in den religiös neutralen großen Staatsuniversitäten gewinnt die islamistische Ideologie der ägyptischen Muslimbruderschaft sowie Hizbuth Tahrir, eine in den meisten islamischen Staaten verbotene Organisation jordanischen Ursprungs, die den Nationalstaat ablehnt und Kalifate errichten will, an Einfluss. Hizbuth Thahrir wurde vor anderthalb Jahren schließlich verboten.

24 Millionen Christen in Indonesien

Diese Situation beunruhigt die religiösen Minderheiten. Darunter sind mit neun Prozent, also etwa 24 Millionen Indonesiern, Christen, davon zwei Drittel Protestanten und ein Drittel Katholiken, die stärksten; etwa eineinhalb Prozent der Indonesier sind Hindu-Balinesen, die übrigen sind Buddhisten, Konfuzianer und Angehörige einheimischer Stammesreligionen. Pancasila-Indonesien hatte für die Minderheiten einen hohen Grad von Toleranz geboten. Ist das im demokratischen Indonesien jetzt zu Ende? Im Folgenden beschränke ich mich auf die Christen.

Da ist zunächst zu sagen: Christen leben nirgends in einer Atmosphäre der Angst. Selbt als kleine Minderheit auf Java oder im islamistischen Aceh leben, arbeiten, verkehren und beten 95 Prozent der Christen ohne Schwierigkeiten. Nicht nur das. Indonesien ist vielleicht das einzige mehrheitlich islamische Land, in dem immer noch die Freiheit des Religionswechsels besteht. Jedes Jahr werden immer noch Tausende von Taufen an Erwachsene, darunter an Muslime, gespendet – allerdings verliert zum Beispiel die katholische Kirche immer wieder Mitglieder auch durch interreligiöse Ehen. Ich habe wiederholt in Hochzeitsmessen für Paare verschiedener Religion assistiert, wo islamische Familienmitglieder und Gäste unter den katholischen Gläubigen saßen. Den Muslimen wird am Anfang gesagt, sie sollten einfach sitzen bleiben; vor der Kommunionausteilung wird dann verkündet, dass nur, wer katholisch getauft ist und die erste heilige Kommunion empfangen hat, zur Kommunion gehen darf; muslimische Gäste schätzen das, da sie ja nicht in den Ritus miteinbezogen werden wollen. Diese Toleranz gilt allerdings nur für die sechs offiziell anerkannten Religionen: Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Achmadis, Schiiten und Anhänger islamischer einheimischer Sekten werden oft Opfer von Gewalt. Auch die Anhänger einheimischer Stammesreligionen werden nicht offiziell anerkannt, was zum Beispiel bedeutet, dass sie nicht offiziell heiraten können und ihre Kinder daher keinen Rechtsstatus haben.

Bemerkenswert ist, dass trotz zunehmender Einzelfälle von Intoleranz die Beziehungen zwischen Katholiken (das gilt auch auch für den protestantischen Mainstream) und dem muslimischen Mainstream noch nie so gut waren wie jetzt. Wir Katholiken haben da einen langen Lernprozess hinter uns. Indonesische Katholiken haben sehr früh voll in der nationalen Befreiungsbewegung mitgemacht. Als Anerkennung dafür wurde der erste indonesische Bischof, Mgr. Albertus Soegijapranata SJ, von Präsident Sukarno zum Nationalhelden erklärt. Politisch hatten Katholiken gute Beziehungen zu Muslimen. Sie teilten den Antikommunismus und demokratische Überzeugungen. Aber ansonsten hielten sie sich an die „Nationalisten“, die Mehrheit der Indonesier, die eine Islamisierung Indonesiens ablehnten. Als General Suharto praktisch eine Militärdiktatur installierte, hielten die Christen zu ihm, da sie seine „Neue Ordnung“ als Versicherung gegen eine Übermacht des Islam ansahen.

Das begann sich in den 70er-Jahren langsam zu ändern. Die Menschenrechtsverletzungen des Suharto-Regimes machten eine fraglose Unterstützung moralisch immer problematischer. Wir begannen uns zu fragen, ob wir als kleine Minderheit in Indonesien eine dauerhafte Zukunft haben könnten, wenn wir zu eigentlichen Muslimen in einer Win-Lose-Beziehung verharrten – nach dem Motto: was gut ist für den Islam, ist schlecht für uns, und umgekehrt. Um langfristig in einem zu 87% muslimischen Land zu existieren mussten wir Christen mit Muslimen vertrauensvolle, positive Beziehungen aufbauen. Zumal der indonesische Islam aus zahlreichen sehr verschieden orientierten Strömungen besteht.

Von muslimischer Seite fanden wir in wachsendem Maße Intellektuelle und religiöse Führer, die ihrerseits mit uns ins Gespräch kommen wollten. Dazu gehörte ab Ende der 70er-Jahre in hervorragender Weise der junge Abdurrachman Wahid. Gus Dur, wie er genannt wurde, war Enkel des Gründers der NU. Von Anfang an vertrat er einen offenen, dialogalen Islam. Speziell fühlte er sich für das Wohlergehen von Minderheiten verantwortlich. 1984 wurde er, gegen den Wunsch Suhartos, Vorsitzender der NU und blieb das für 15 Jahre. Über Gus Dur begannen Bischöfe und andere Kirchenführer, Beziehungen zu Kiais, den Leitern der Koranschulen, aufzunehmen. So entstanden zwischen Christen und NU-Muslimen enge Beziehungen, die sich bis heute noch weiterentwickeln. So werden seit dem Aufkommen des Terrorismus in der Weihnachts- und Osternacht viele Kirchen von den Banser, den Milizen der NU, bewacht. Dass dieser Gus Dur 1999 der vierte Präsident Indonesiens wurde, sehen viele Christen als eine besondere Gnade an. Es bleibt zu vermelden, dass Ende der 90er-Jahre auch unsere Beziehungen zur spröderen Muhammadiyah herzlich zu werden begannen. Kommt es zu intoleranten Zwischenfällen, so können wir mit der Hilfe sowohl von NU als auch von Muhammadiyah rechnen.

Der Kampf um die Seele des Islam

In Indonesien ist inzwischen ein Kampf um die Seele des Islam im Gange. Fundamentalisten und Radikale werben Anhänger unter der islamischen Jugend, indem sie vor allem NU als „kafir“ (Heiden) beschimpfen. Dagegen haben NU und Muhammadiyah öffentlich erklärt, dass für sie „die Republik Indonesien“ die definitive politische Organisation Indonesiens sei, dass die Idee eines Kalifats eine extremistische Verirrung des Islams sei, dass Pancasila die Übersetzung islamischer Werte in die indonesische politische Wirklichkeit sei, und dass der Islam immer religiöse Toleranz hochgehalten habe. Es hat sich beinahe so etwas wie eine inoffizielle Koalition gegen den islamistischen Extremismus gebildet, die aus dem sich selbt gemäßigt nennenden islamischen Mainstream, also vor allem NU und Muhammadiyah, den Nationalisten und den Nicht-Muslimen besteht. Da Prabowo als der Prasidentschaftskandidat der islamischen Hardliner gilt, steht die Koalition der Gemäßigten de facto hinter Präsident Jokowi.

Wie wird es weitergehen? Bei den anstehenden Wahlen geht es nicht darum, ob Indonesien mehr islamisch wird. Sondern ob sich die fortschreitende innere Islamisierung im Rahmen der bestehenden Pancasilademokratie vollziehen, mit Hochachtung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit, oder ob Indonesien einer zerstörerischen Radikalisierung wie etwa Pakistan entgegengehen wird.

Auf lange Sicht werden Fortschritte in sozialer Gerechtigkeit entscheidend sein. Haben einfache Menschen die Überzeugung, dass unter einem Regime im Geiste Jokowis ihre Kinder Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben können, werden die islamistischen Extremisten eine unangenehme Randerscheinung bleiben. Aber ein plötzlicher Umschlag, wie er mit den „Gelbwesten“ total unerwartet in Frankreich passierte, ist auch eine Möglichkeit in Indonesien. Sollten die ärmeren 50 Prozent der Indonesier den Eindruck gewinnen, dass man sie in Jakarta vergessen hat, und dass Indonesien zu einem Land verottet, an dem sich „Die da oben“, die Besucher strahlender Shopping-Tempel und die Bewohner der aus dem Boden schießenden Appartement-Türme, selbst bereichern, dann wäre alles möglich. Man darf vertrauen, dass es Jokowi, der selbst aus einfachen Verhältnissen kommt, nicht soweit kommen lässt.

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