Rezensionen: Geschichte & Biografie

Wolfsteiner, Alfred: „Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“. Pater Augustin Rösch und sein Kampf gegen den Nationalsozialismus. Regensburg: Friedrich Pustet 2018.
120 S. Kt. 12,95.

Der deutsche Jesuitenpater Augustin Rösch SJ (1883-1961) zählt unbestritten zu den wichtigsten, wenn auch bislang vergleichsweise unbekannten Gegnern des Nationalsozialismus. Für Alfred Wolfsteiner, den langjährigen Bibliothekar von Röschs Heimatstadt Schwandorf, sei Letzteres vor allem dem Umstand geschuldet, dass Rösch im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter das Dritte Reich überlebte.

Als Provinzial der Oberdeutschen Provinz in München wie auch später als führender Kopf im Ausschuss für Ordensangelegenheiten hatte er sich mit den Angriffen des Nationalsozialismus auf das deutsche Ordenswesen auseinanderzusetzen. Dabei gehörte er früh zu jenen Stimmen, welche den deutschen Episkopat wiederholt auf die Gefahren hinwiesen, die vom NS‑Staat für die Katholische Kirche im Dritten Reich ausgingen. Nachdem es ihm nicht gelang, eine Mehrheit der Bischöfe von der Notwendigkeit eines entschlosseneren Auftretens gegenüber dem NS-Regime zu überzeugen, schloss sich Rösch mit den beiden Münchner Jesuiten Alfred Delp SJ und Lothar König SJ dem Kreisauer Kreis um Helmut James von Moltke an. Von Letzterem stammte das in dem Buchtitel festgehaltene Zitat, wonach Rösch „der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“ gewesen sei. Der Kreisauer Kreis machte es sich zur Aufgabe, Überlegungen zur politischen wie gesellschaftlichen Neuordnung Deutschlands nach einem zu erwartenden Zusammenbruch des NS‑Regimes anzustellen, wobei Formen eines gewaltsam herbeigeführten Umsturzes gemeinhin abgelehnt wurden. Infolge des missglückten Attentats vom 20. Juli 1944 wurde Rösch verhaftet und in der Haft schwer misshandelt. Durch einen glücklichen Zufall entging Rösch einer Verurteilung, so dass er kurz vor dem Kriegsende regulär frei kam. In der Nachkriegszeit war er als Mitglied des bayerischen Senats sowie als Landes-Caritasdirektor und Leiter des Suchdienstes in vielfacher Funktion aktiv am Wiederaufbau der Demokratie in Bayern beteiligt.

Die vorliegende, anlässlich seines 125. Geburtstags erschienene Kurzbiografie verfolgt die Absicht, das Leben und Wirken Röschs knapp zu skizzieren und dadurch einem breiteren Leserkreis bekannt zu machen. Dabei liefert der Autor auch einige interessante Einblicke in die Sichtweisen Röschs auf seine drei Mitbrüder Delp, König und Mayer, denen er lange als verantwortlicher Provinzial vorstand. So sei es ihm wichtig gewesen, „dass seine Mitarbeit und die seiner Mitbrüder P. Delp und P. König von kirchlicher Seite abgesegnet waren.“ Selbst lehnte er es ab, sich in „politische Machinationen“ zu verstricken oder sich an Attentatsversuchen zu beteiligen. „Es sei ihm nur um den Kampf mit geistigen Waffen gegangen, wie allen Jesuiten.“ Durch die Lektüre dieses kleinen Bandes erlangt die Leserschaft eine Vorstellung davon, wie uneins der deutsche Episkopat im Umgang mit dem Nationalsozialismus war und welche Auswirkungen dies auf den Handlungsrahmen jedes einzelnen Geistlichen hatte. Ein beachtens- und empfehlenswertes Buch.

Fabian Flohr

 

Becker, Sabina: Experiment Weimar. Eine Kulturgeschichte Deutschlands 1918-1933. Darmstadt: wbgAcademic 2018. 608 S. Gb. 69,95.

Die Kultur der Weimarer Epoche wird nicht selten als eine solche der „Zwischenkriegszeit“ oder genauer als diejenige von der Novemberrevolution 1918 bis zur Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 gesehen. Die Verfasserin, Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Freiburg, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Kultur einmal in sich zu betrachten, ohne gleich zu fragen, wo sie herkam und wohin sie führte. Dieser Blickwinkel führt zu einer faszinierenden Darstellung einer der kreativsten Phasen der deutschen Kulturgeschichte.

Am Anfang steht eine kurze Analyse der Faktoren, die das Kulturleben Weimars bestimmen. Deutschland konstituiert sich als Republik, wenn auch zunächst mit wenig Republikanern. Auf der einen Seite bestimmt die Kriegserfahrung noch das kulturelle Erleben, auf der anderen ein Modernisierungsschub, der auch durch neue Möglichkeiten der Technik gegeben ist: Radio und Film treten neben die klassischen Kommunikationsformen. Die Struktur der Gesellschaft, befreit von alten Hierarchien, wird demokratischer. Die Masse wird Adressat auch des Künstlers. Dies wird nun in den verschiedenen Bereichen der Kultur durchgespielt.

Als „Agenten der Modernisierung“ treten die Angestellten auf den Plan. Neben ihnen gib es „Weimars proletarische Linkskultur“ so wie die „‘Fröste der Freiheit‘“: Weibliche Pioniere“. Insgesamt zeigt sich eine Bewegung von der stärker am Individuum orientierten Kultur der beiden ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts, die sich noch im Expressionismus zeigt, hin zu einer Kultur der Masse, die auch durch die neuen Medien erreicht wird. Schrittweise wird auch die Republik bejaht: von Heinrich Mann von Anfang an, von Thomas Mann immerhin seit 1924.

Aspekte der neuen Kultur können hier nur genannt werden: „Ästhetische Debatten“ um die Adressaten der neuen Kunst, „Großstädtische Lebenswelten – urbane Kultur“, „Massenkultur – Kultur für die Masse“, „Funktionale Ästhetik und Materialkunst“, „Intermediale Diskurse“ und „Theaterexperimente“ vor einer Schlussreflexion: „Weimar – ein Tanz auf welchem Vulkan?“

Es ist eine ganz säkulare Welt, in die das Buch hineinführt. Bevorzugter Schauplatz ist Berlin. Das vielfältige Leben der Großstadt wird eher beschrieben als analysiert in Alexander Döblins Buch „Berlin Alexanderplatz“, das prismenartig die Lebenswelt Weimars widerspiegelt und im Verlauf der Studie von Becker immer wieder auftaucht. Religion wird in der hier dargestellten Epoche eher als ein Bestandteil der untergegangenen wilhelminischen Welt gesehen. Sie taucht dann in säkularisierter Form gelegentlich neu auf. „Sport wird zur Mode, wird gar zur ‚Weltreligion des 20. Jahrhunderts‘“, wie es nach einem Aufsatz aus dem Jahr 1932 heißt (228). „Menschen am Sonntag“ flanieren einfach durch die Stadt (286). Eine Lyrik „mit transzendentalem Bezug“ wird der vergangenen Epoche zugeordnet (292). Wenn Berthold Brecht eine „Hauspostille“ veröffentlicht, dann ist davon nur der Titel der christlichen Tradition entnommen, der Inhalt lässt davon nichts mehr erkennen (294 f.). Kurt Tucholskys „Fromme Gesänge“ von 1919 lassen die bisherige Frömmigkeit hinter sich (300). Der spätere Leiter des Bauhauses, Hannes Meyer, schreibt: „bauhaus ist eine geistige, fortschrittliche richtung, eine gesinnung, die man religion nennen könnte“ (330). Die Moabiter Turbinenhalle der AEG von 1909 kann in der Weimarer Zeit als „Industriekathedrale“ bezeichnet werden (366). Für Lothar Schreyer ist die Bühne „kultische Reinigungs- und Erlösungsstätte des Menschen“ (499). Bei Oskar Schlemmer gehört die Bühne zu dem „Gesamtbereich, […] der zwischen religiösem Kult und der naiven Volksbelustigung liegt“ (510).

Die Ausrichtung des Buches auf die säkulare Kultur der Weimarer Zeit verdient Aufmerksamkeit, doch braucht sie vielleicht auch eine Ergänzung. Als ein Beispiel sei hier der vom Bauhaus beeinflusste Kirchbau dieser Epoche durch Dominikus Böhm, Martin Weber und Rudolf Schwarz genannt.

Johannes Beutler SJ

 

Schneider O.Cist., Maria Adelheid / Stueber, Werner Jakob / Fachon, Marie-Thérèse (Hg.): Suche den Frieden und jage ihm nach. Anneliese Debray. Ein Leben für den Frieden. Sankt Ottilien: Eos 2018, 392 S. Gb. 19,95.

Anneliese Debray (1911-1985) hat die katholische deutsche Frauenbewegung im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt. Sie war zugleich eine Frau, die sich im Bemühen um Frieden und Verständigung im Nachkriegsdeutschland und -europa verdient gemacht hat. Dieses Buch soll helfen, die Erinnerung an sie wachzuhalten und ihre Verdienste zu würdigen. Herausgegeben wird es von früheren Mitarbeiterinnen und Freunden Anneliese Debrays. Einige Beiträge entstammen einem Kreis von Frauen und Männern, die beruflich oder im gesellschaftlichen Engagement mit Debray zusammengekommen waren und bei denen sie Eindruck hinterlassen hatte.

Zunächst wird in mehreren Beiträgen der Werdegang Debrays geschildert. Sie entstammte einem alten französischen Adelsgeschlecht. Jung kam sie 1932 nach Hamburg, wo sie auf den Jugendbund des Katholischen Deutschen Frauenbundes stieß. Ihm schloss sie sich begeistert an und übernahm Leitungsaufgaben, auch in der Zeit des Verbots solcher Organisationen vor 1945. Die Mädchen trafen sich als „Cousinen“ an abgelegenen Orten, bis nach dem Krieg eine geregelte Organisation möglich wurde, die Anneliese Debray bis 1950 leitete. Dann erfolgte der Umzug an den Rhein nach Bendorf, wo sie Mitarbeiterin und später Leiterin des Hedwig-Dransfeld-Hauses, der Zentrale des Katholischen Deutschen Frauenbundes wurde.

Einige frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schildern facettenreich die vielfache Aktivität dieses Hauses. Es war nicht nur Zentrale des Frauenbundes, sondern auch ein Sozialzen­trum, vor allem durch das Gussi-Adenauer-Haus für Müttergenesung. Es gab liturgische Treffen, aber auch Bibelarbeit, wobei sich der Einflussbereich öffnete in den christlich-jüdischen Bibelwochen. Bei der Öffnung hin zum Judentum spielte Lotte Schiffler eine wichtige Rolle, als Mitveranstalter aber auch das Leo-Baeck-Institut in London.

Wichtig war im Hedwig-Dransfeld-Haus die internationale Versöhnung, vor allem mit Frankreich und Polen. Französinnen und Franzosen reisten nach Bendorf, um dort im Geiste der nach dem Krieg gegründeten Bewegung Pax Christi kürzer oder länger den Austausch mit Deutschen zu pflegen und sich gemeinsam in der Friedensarbeit zu engagieren. Hinzu kamen Begegnungen mit Israelis und Palästinensern. Hier wurde wichtige Pionierarbeit geleistet.

Hinter all diesen Initiativen stand die starke Persönlichkeit von Anneliese Debray. Sie gewann die Herzen vieler junger Menschen, die einen Glauben suchten und leben wollten, der sich aus der Tiefe speist und über vorgegebene Grenzen hinaus öffnet. Gremienarbeit war nicht unbedingt ihre Sache, finanzielle Planung ebenso wenig. Ging das Geld aus, dann zog sie ihre besten Sachen an und trug ihre Anliegen dem Bischof von Trier vor. Wir danken vor allem Sr. Maria Adelheid (Dr. Ursula) Schneider aus der Zisterzienserinnenabtei Seligenthal in Landshut, früherer Mitarbeiterin und Freundin von Anneliese Debray, für diesen inspirierenden Band.

Johannes Beutler SJ

 

Leppin, Hartmut: Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin. München: C.H. Beck 2018. 512 S. Gb. 29,95.

Über die frühe Entwicklung der Theologie kann man als theologisch Interessierter vieles lesen; hingegen gibt es über das Alltagsleben der frühen Christen kaum Darstellungen. Hartmut Leppin, Historiker an der Universität Frankfurt, führt in diesem wissenschaftlich fundierten, aber für breite Kreise gedachten und sehr gut lesbaren Buch in diese interessante Thematik ein. Das Christentum jener Zeit musste sich erst entwickeln und finden: Es war unglaublich vielfältig, es hatte innere und äußere Spannungen, es lebte in Konflikten mit seiner Umwelt, es faszinierte aber auch eben diese Umwelt, und es hatte seinen neuartigen Glauben reflexiv zu bewältigen. In Formen lebte es, die heute teilweise sehr fremd sind, legte aber auch den Grund für Denkweisen und kirchliche Strukturen, die bis in die Gegenwart prägen.

Leppin beschreibt die soziale Einbettung der Christen, die Entwicklung des Kultes und der Autoritätsträger, den Umgang mit Geld und mit Sexualität, die spannungsreiche Beziehung zu heidnischen Religionen, den Umgang mit dem Sterben und das durchaus strittige Verhältnis zum Martyrium. Leppin zeichnet den Weg bis hin zur staatlichen Anerkennung nach, als im Jahr 313 plötzlich der Kaiser Christ wurde und sich für die Christen alles änderte. Leppins Blick ist von viel Respekt und Wohlwollen geprägt. Etwa bei der Sexualität zeigt er immer wieder, wie einerseits ein eheloses und enthaltsames Leben – meist mit Blick auf das bald erwartete Weltende – hochgeschätzt wurde, andererseits auch die Ehe – im Gegensatz zur heidnischen Umwelt wurde die Treuepflicht auch der Männer eingeschärft – als sinnvolle Lebensform empfohlen und gelebt wurde.

Die Quellenlage ist teilweise dürftig, und in vielen Fragen darf der Historiker nur vorsichtig urteilen. Mit vielen Originalzitaten von Kirchenvätern und aus anderen Dokumenten belegt Leppin seine Deutungen. Das entstehende Bild ist anschaulich und bunt – und weil es so große Vielfalt zeigt, ist es für heutiges, bisweilen recht monolithisches Denken, wie Kirche zu sein hat, überaus lehrreich.

Als Profan-Historiker arbeitet Leppin nicht theologisch, zeigt also kaum auf, wie genuin religiöse Erfahrung und Überzeugung zur inneren Motivation des christlichen Glaubens und Lebens wurde. Man könnte diese theologische Zurückhaltung als Mangel kritisieren, aber vermutlich will der Historiker diesen Aspekt des frühen Christentums den dafür kompetenteren Kirchenhistorikern überlassen. Nur schade, dass die theologische und die profane Geschichtswissenschaft selten zusammenfinden – auf diese Weise könnte man das frühe Christentum nochmals tiefer verstehen. Andererseits ist die erfrischend profane Sicht Leppins neu und damit für den traditionell nur theologischen Zugang der Theologen außerordentlich bereichernd und heilsam.

Stefan Kiechle SJ

Anzeige: Traum vom neuen Morgen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Tomáš Halík

Die Stimmen der Zeit im Abo

Mut zur Tiefe und klare Standpunkte zeichnen die „Stimmen der Zeit“ aus. Es gilt die Kraft der Argumente.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen