Rezensionen: Kunst & Kultur

Tück, Jan-Heiner (Hg.): „Feuerschlag des Himmels“. Gespräche im Zwischenraum von Literatur und Religion. Freiburg: Herder 2018. 200 S. Gb. 18,–.

Seit 2016 bietet der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück über seinen Lehrstuhl eine Poetikdozentur „Literatur und Religion“ an, von der führende zeitgenössische Schriftsteller Gebrauch machen. Nach zwei Bänden mit Wiener Vorlesungen und über das Werk des Schweizers Thomas Hürlimann führt Tück in diesem dritten Band nun das direkte Gespräch „im Zwischenraum von Literatur und Religion“ mit seinen geladenen Autoren.

Sibylle Lewitscharow spricht über ihren Roman „Das Pfingstwunder“ (Berlin 2016), der mit Ironie über eine Dante-Tagung handelt und dabei den Höllen der Geschichte und der Notwendigkeit des Gerichts nicht ausweichen kann. Zurückgewiesen werden alle „mitleidigen“ Theorien von Allversöhnung wie sie moderne Theologie gerne aufgreife. Erstaunlich ist Lewitscharoffs Zurückweisung von Dantes Beatrice, die etwas von einer Galionsfigur habe und mit Francesca da Rimini nicht mithalten könne.

Das Titelwort stammt von einem Einsiedler Benediktinerpater und Physiklehrer, den der junge Thomas Hürlimann fragte, was denn Transzendenz sei. „Das Gespür für die Anwesenheit des Abwesenden“ kam als Antwort, ein auf einer Bergwanderung gesehenes vom Blitzschlag verkohltes Wegkreuz war ihm „Feuerschlag des Himmels“ (64). Das oft verdrängte Kreuz ist dann Gesprächsthema. Von der Lyrikerin und Sprachperformerin Nora Gomringer wird der Holocaust erwähnt. Sie schildert ihre Erschütterung, als sie mit elf Jahren erstmals in Auschwitz war und später in der Ludwigsburger Dokumentationsstätte mit ihrer Mutter der Nazivergangenheit ihres Großvaters nachforscht.  Nur im Durchgang durch ein Schweigen kann davon gesprochen werden. Bei der Wiener Vorlesung wurden eindrucksvoll von Gomringer die Namen der 50 Opfer des Terroranschlages von Orlando genannt. „Das Beten ist neben der Aussicht auf Auferstehung das schönste Geschenk Gottes an uns“ (86).

Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange war einst entschiedener Marxist und ist zum suchenden Melancholiker geworden. Tück spricht mit ihm anhand seiner Romane über das Transzendenzbegehren und den Trost, den Literatur auch angesichts des Todes vermitteln kann. Der sächsische Dichter und evangelische Theologe Christian Lehnert wird nach der schöpferischen Dimension von Sprache, nach Klang und Rhythmus des Schreibens gefragt. Er findet aufgrund sprachlicher Missverständnisse zu einer negativen Theologie, die „auf Golgatha noch einmal durchkreuzt“ (126) wird.

Beim österreichischen Erfolgsautor Michael Köhlmeier geht es um „das dunkle Rätsel des Bösen und die Schönheit der Kunst“ (133). Folie ist dabei die Novelle „Ein Mann, der Verlorenes wiederfindet“ (München 2017) über das Sterben des heiligen Antonius von Padua: „Antonius ist der große Wieder-Finder. Vielleicht kann er auch jemandem helfen, die Liebe zu finden … oder sie wiederzufinden …“ (139). Beim gebürtigen Bulgaren Ilija Trojanow bekommt das Zwischenraum-Gespräch interreligiös-politische Dimensionen. Es geht um seine frühe Flucht aus dem kommunistischen Bulgarien und die Schilderung eines totalitären Staates und seiner Verbrechen („Macht und Widerstand“, Frankfurt a.M. 2015). Indien, Arabien und Afrika haben Trojanow religiös und mental geprägt. Intensiv wird über Vergessen, Vergeben, Reue und Gericht gehandelt. So steht Dante mit seinen Gerichtsszenen am Anfang und Ende des Wiener Gespräche-Buches, das Jan Assmann gewidmet wurde.

Stefan Hartmann

 

 

Steinherr, Ludwig: Vor aller Zeit. Einundzwanzig Gedichte zur Ankunft eines Kindes. München: Allitera 2019. 39 S. Gb. 15,–.

Ludwig Steinherr, *1962 in München, studierte Philosophie und lebt als freier Schriftsteller in München. Für seine bisher zwanzig Gedichtbände erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Der vorliegende Band ist bereits 1996 in kleiner Auflage erschienen. Er enthält Gedichte über die Geburt seiner beiden Kinder. Wegen der großen Nachfrage wurde er leicht verändert neu aufgelegt, zugleich in einer italienischen Übersetzung. Die Gedichte reflektieren in berührenden Bildern das Wunder des werdenden Lebens und der Geburt in den vielen Aspekten, die sich dabei dem Herzen und dem (philosophierenden) Denken erschließen. Auf diesen Weg werden die Leser mitgenommen.

Da ist zunächst die Erwartung des Kindes, das wie ein „eingekrümmter Pilot” aus dem Universum auf unsere Erde zu stürzen scheint, nicht auf die denkbar beste, nur auf die faktische, aber doch auf unsere Welt. Zugleich bildet sich im Mutterleib die Gestalt des Kindes aus den Tiefen der Evolution langsam heran. So werden aus Kiemen und Flossen Finger, die einmal über „Klaviertasten gleiten” können. Das Kind nimmt schon teil an den Gesprächen der Familie. Was für eine „geheimnisvolle Offenbarung” mögen ihm die Laute sein, die an sein Ohr dringen? Es antwortet durch spürbare „stumme Gebärden”, deren Sprache vernommen wird, ja die es demütig zu lernen gilt. Wie „Höhlenforscher” dringt man per Ultraschal hinein in die „Kammern” seines schlagenden Herzens. Alles wartet nun auf sein wirkliches Erscheinen: „Die Wiege steht bereit / Der Bär wartet”, und die guten Wünsche umstehen wie „Märchenfeen” das Bettchen.

Doch dann der große Schock! Ahnungslos besucht das Elternpaar eine Oper, wo der Bombenangriff auf Dresden in Tönen simuliert wird. Das Kind wehrt sich im Mutterleib wie wild gegen die schrillen Angriffe. Die Wehen setzen ein. Sofort geht’s in die Klinik! Und dann die Geburt. Gott sei Dank geht alles gut. Nun ist das Kind da. Es ist so still. Es schläft, „ein unendlich Weitgereister / im ersten Abend dieser Welt”. Wie es so daliegt und mit dem Händchen umher greift, ist es „eine Seelilie / die sich ernährt / vom Staunen”. Bald stellt sich die Sorge um das Kind ein. Wie ist es schützen? Müsste man nicht alle Gefahrenquellen verbannen können, alle „Messer und Scheren verbieten”? Rührende sinnlose Wünsche sind das. Gibt es nicht mehr? Doch, es bleibt die große Hoffnung auf eine letztlich bergende Macht, die über die schützende Macht der Eltern hinausgeht. Der Anblick des Kindes fordert und verheißt sie zugleich. Es ist die Hoffnung „dass stärker am Ende die Liebe”. Und so können die unbeholfenen kindlichen Gehversuche ins Leben als ein ermutigendes Bild für den Menschen überhaupt betrachtet werden, als die „stockende Gangart all derer / denen ihr Herz / immer um einige / Meter / voraus / läuft”.

Die in diesem Zyklus gesammelten Gedichte sind in einfacher und klarer Sprache gehalten, stoßen aber zugleich Reflexionen an, die – wie für Steinherrs Lyrik typisch – immer auch ins Grundsätzliche einer Welt- und Lebensanschauung hineinführen. Die dem Geburtsgeschehen entnommen Bilder sind auf diesem gedanklichen Weg leitend, tun dies aber ganz unaufdringlich. Das Lesen evoziert ein Miterleben, dem man sich nicht entziehen kann, wohl auch dem nicht, was hier poetisch gefeiert wird. Es ist das große Ja, die Zustimmung zum Leben, zu der uns die Geburt von Kindern immer wieder einlädt.

Josef Schmidt SJ

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