Alte Weiße Männer und Kirche

Ein Kampfbegriff geistert neuerdings durch soziale und andere Medien: „Alte weiße Männer“ oder einfach „AWM“. Diese sind privilegiert durch ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe und ihr Alter. AWM haben besseren Zugang zu Bildung und Wohlstand. Also haben sie mehr Einfluss und Macht. Weil sie erfolgreich sind, dominieren sie – weil sie dominant sind, sind sie erfolgreich. Oft kungeln AWM in Männerbünden zusammen, sie lächeln nach außen hin gerne jovial, wissen alles besser, agieren bisweilen misogyn oder xenophob, neigen zu Übergriffigkeiten. Als politisches Schlagwort kommt „AWM“ aus dem Feminismus und richtet sich gegen die männliche Führungsschicht in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – kaum gegen die Kirche, die für diese Szene wohl zu weit abseits ist.

Den Bestseller zum Thema schrieb Sophie Passmann (Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch. Köln 2019). Die 25-jährige Journalistin traf sechzehn prominente AWM bei Steak oder Tee und testete sie auf ihren AWM-Status. Sie schreibt witzig und im Plauderton. Was sie im Buch berichtet, wirkt zunächst eher feministisch und frech, dann aber auch zeitgeistig larmoyant, ich-zentriert, wenig analytisch oder kritisch. So schlimm scheinen die realen AWM doch nicht zu sein. Aber das Problem ist angezeigt.

Auch in der Kirche sind AWM oben, man betrachte nur Fernsehbilder von Bischofs-Versammlungen. Strukturell ist der Zugang zu diesen Kreisen und zu ihren Privilegien noch besser abgesichert als überall sonst. Frauen sieht man in diesen Gruppen nicht, jüngere oder farbige Menschen kaum. Was kann das bedeuten?

Das noch wichtigere Problem scheint mir allerdings die Entfremdung zwischen Alt und Jung zu sein: Der 26-jährige Youtuber Rezo mischt mit einem frechen Video die Europawahl auf – die Politiker-Klasse reagiert verstört, hilflos, panisch. Jugendliche demonstrieren freitags für das Klima – selbst die Grünen sind überrascht. In der Kirche kämpfen Frauen bei „Maria 2.0“ für Strukturveränderungen, aber es sind meist ältere Frauen, unterstützt von manchen älteren Männern; junge Katholiken gehen entweder ganz weg, oder sie wollen einfach nur ihren Glauben fröhlich feiern – für Strukturfragen scheinen sie sich nicht zu interessieren. Die Mitgliederstämme von Parteien, Gewerkschaften und Kirchen sind überaltert: Junge Menschen vernetzen sich nicht durch langfristig verbindliche Mitgliedschaft in Vereinen mit Gedöns wie Satzungen und Vorstandswahlen, sondern durch WhatsApp-Gruppen, soziale Netzwerke, Lebensabschnittsprojekte; sie wollen weniger in einer Gemeinde ihr Leben mit anderen teilen, sondern sich eher nach partikularen Interessen sektoriell verbinden. Als neulich eine Statistik berechnete, dass die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen in Deutschland sich in vierzig Jahren halbieren werden, begann bei den meist älteren Verantwortlichen ein Wehklagen und drängendes Sprechen über Strukturmaßnahmen – aber haben sie wirklich verstanden, was junge Menschen bewegt, was sie suchen und brauchen? Und dass Spiritualität eben doch Konjunktur hat, aber mehr außerhalb etablierter Religion?

Wie kann die Kirche mit dem Generationenbruch und mit dem durch „AWM“ angezeigten Problem umgehen? Wie Frauen, junge Menschen und Migranten – alle, die nicht AWM sind – so willkommen heißen, dass sie auf Augenhöhe dabei sind und dass sie ihren schon vorhandenen oder neu wachsenden Glauben in ihrer Kultur ausdrücken und leben dürfen – wie es Kardinal Hummes in diesem Heft für die indigenen Einwohner Amazoniens fordert?

Nicht wird helfen, wenn sich die AWM in der Kirche für ihr Gewordensein und ihren Einsatz ständig rechtfertigen müssen – der Autor dieser Zeilen, mit 59 durchaus AWM, fühlt sich da gelegentlich unter Druck – oder wenn sie pauschal der Übergriffigkeit verdächtigt werden. Ebenso wenig wird helfen, wenn man krampfhaft junge und weibliche und farbige Führungskräfte fördert – und das Kriterium der Kompetenz hintanstellt.

Helfen könnte, wenn wir AWM in der Kirche – ich schließe mich ein – in allen Umbrüchen unsere Hilflosigkeit eingestehen, deswegen öfters Mal schweigen und unsere Dominanz freiwillig zurücknehmen; wenn wir unsere Kompetenzen und Apparate weniger wichtig nehmen und ohne Scheuklappen auf junge und nichtweiße Menschen beider Geschlechter hören. Helfen wird auch, wenn die Kirche alle in ihren jeweiligen Kompetenzen wertschätzt: die AWM für ihre oft hohe Bildung, auch für ihre gereifte Weisheit und für ihre Lebenshingabe; die anderen für ihre Jugend und für ihre Emotionalität, für ihre spirituellen Kulturen und für ihre anderen und ebenso hohen Kompetenzen. Helfen wird auch umgekehrt, wenn die Kirche alle in ihren Defiziten begleitet und korrigiert: die AWM in ihren ja gut bekannten Mängeln, alle anderen ebenso in aufkommenden Einseitigkeiten und Fehlern – wo gibt es sie nicht? Kirche wird dann Kirche Jesu Christi sein, wenn alle in Christus gleiches Recht, gleiche Chancen und gleiche Wertschätzung haben: Frauen und Männer, Alte und Junge, Schwarze und Weiße, Einheimische und Fremde – unterhalb dieses Maßstabes geht es nicht.

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