Ein Kreuz zuvielZur Restaurierung des Berliner Stadtschlosses

In diesem Jahr wurde das Berliner Stadtschloss mit der Wiederherstellung seiner goldenen Kuppel aus preußischer Zeit restauriert. Die Kuppel wird von einem großen Kreuz gekrönt, um sie herum laufen Worte aus der Bibel. „Es mag Christen im ersten Moment freuen, wenn in Berlin ein Kreuz an so zentraler Stelle hinzugekommen ist. Was aber die christliche Botschaft von innen aushöhlt, ist ein christliches Symbol an einer Stelle, wo es sinnwidrig instrumentalisiert wurde“, kritisiert Georg Maria Roers SJ. Der Autor und Kunstbeauftragte im Erzbistum Berlin erläutert den Schlossneubau auf dem Hintergrund der Bedeutung des historischen Stadtschlosses als Machtdemonstration preußischer Herrscher.

Adolphs, Philipp, Berliner Stadtschloss 201029
© Philipp Adolphs

Wenn etwas weg ist, ist es nicht mehr da.1 Dieser Satz von R. Klaffenböck (Kabarettist) sei diesem Text vorangestellt. Insbesondere, weil es hier um das denkmalgerecht wiedererrichtete Schloss im Herzen der Bundeshauptstadt Berlin gehen soll, wo Parlament und Regierung erst seit 1999 wieder ihren Sitz haben. Der Reichstag wurde im Jahr 1999 wiedereröffnet. Hier haben drei berühmte Künstler durch eine zweifache Metamorphose den Reichstag wieder brauchbar gemacht. Christo und Jeanne-Claude haben ihn damals mit Stoffbahnen verpackt. Auch dem Architekten Norman Foster gelang die Synthese von Tradition und Moderne. Ob man das über den Schlossneubau von Frank Stella auch wird sagen können? Und über das Humboldt Forum, das noch gar nicht zu Ende konzipiert ist? In dieser komplexen Materie möchte ich mich vor allem auf die Vollendung des Bauwerks durch die Kuppel 2020 beschränken. Die Vollendung ist eine Wiederholung, die sich bereits 1853 zugetragen hat, als Hofbaumeister Karl Friedrich Schinkel bzw. sein Schüler August Stüler mit damals hundertjähriger Verspätung Eosanders Triumph-Bogen-Portal mit der Kuppel bekrönten. Ein halbes Jahrhundert danach wird Julius Rasche die Stadtansicht mit dem Berliner Dom prägen. Unzählige Postkarten wurden mit diesem Motiv seither in alle Welt versandt. Das ist heute wieder möglich.

Zwar wurde in der Zeitschrift „Politik & Kultur“ (Berlin) vor einiger Zeit das „amtliche Endergebnis der Debatte“ unter der Überschrift Schloss, Kuppel, Kreuz und Spruch2 verkündet. Aber die Diskussionen gehen weiter. Es ist keine Überraschung, dass (nicht nur) Kunsthistoriker gerne rekonstruieren, was in rudimentärer Form vorhanden ist. Allerdings gilt hier Klaffenböcks Satz. „Wenn etwas  ...“ Eine Rekonstruktion wäre nur zur Zeit von Walter Ulbricht in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg möglich gewesen, allein, er hasste Schlösser und Kirchen. Deshalb ließ er das Berliner Stadtschloss 1950 abreißen. Internationale Proteste konnten verhindern, dass nicht auch noch der Berliner Dom abgerissen wurde. Zu Zeiten der DDR waren auf dem nun vorhandenen Platz nach und nach wichtige repräsentative Gebäude errichtet worden. Das Staatsratsgebäude (1961-1963), das bis heute noch steht, das Außenministerium (1964-1967) und der international bewunderte Palast der Republik (1973-1976), der der friedlichen Revolution und der Asbestverseuchung zum Opfer fiel.

Spree-Athen: Der Traum von der Antike

Nun ist alles wieder so, wie es in der guten alten Zeit der Preußen war. Das ist freilich eine romantische Sicht der Dinge. Schon im 19. Jahrhundert hatte man von der Antike geträumt. Und nicht nur das, die Antike galt K. F. Schinkel, später auch A. Stüler und L. Persius als Inspiration, um im ganzen Reich zweckmäßig und doch elegant und repräsentativ zu bauen. Dabei ging es nicht nur um Schlösser und Gärten, sondern eben auch um Kirchen, Wohnhäuser, Schulen und Verwaltungsbauten: Unter den Linden (1816-18), Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (1818-21), das Alte Museum am Lustgarten (1825-28), die Friedrichswerdersche Kirche (1824-31) und die Bauakademie (1832-36). Neben dem Klassizismus ist es vor allem die Neogotik, die sich im Kirchenbau bis ins Rheinland niederschlägt. Der Neobarock vom Berliner Dom unterstrich den Herrschaftsanspruch der Preußen, der damit ein klares Signal gegen den Vatikan in Rom setzte.

Preußen hatte sich ja bekanntermaßen selber die Krone aufgesetzt. Der Kaiser hatte Friedrich III. die Erlaubnis zum Titel König in Preußen gegeben. Von nun an hieß der König Friedrich I. und krönte sich in Königsberg am 18. Januar 1701 selbst. Bei den Zeremonien erschien er mit allen königlichen Insignien, was dahingehend interpretiert wurde, dass er seine Würde von Gott allein – von Gottes Gnaden eben – bekommen habe. Die evangelischen Bischöfe hatten das Nachsehen. Die preußischen Könige brauchten die Kirche offenbar nicht. Und doch bauten sie unzählige Kirchen in ihrem Reich, auch katholische. Die wichtigsten dürften die Sankt Hedwigskathedrale in Berlin sein sowie die Kirche Sankt Peter und Paul in Potsdam, die zunächst als Garnisonskirchen errichtet wurden.

Hatten die Alliierten nicht zu Recht den Staat Preußen nach 1945 nicht wieder auferstehen lassen? Im preußischen Geist ist nun wieder nach der Rekonstruktion des Schlosses der etwas umständliche Spruch von 1854 in großen goldenen Lettern auf blauem Grund auf der Kuppel vom Stadtschloss zu lesen: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, (darin wir sollen selig werden) denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Wie Friedrich I. berief sich noch einmal Friedrich Wilhelm IV. auf das Königtum von Gottes Gnaden. Die Kirche wurde nun ganz öffentlich mitten in der Stadt instrumentalisiert, denn unter der Kuppel befand sich die Hofkapelle. Der Neubau des Berliner Doms kam erst später hinzu.

Die Bibel-Verse haben in der Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings einen sehr bitteren Nachgeschmack. Mittlerweile kämpften in allen europäischen Staaten im Zuge der Industrialisierung und im Geist der Märzrevolution von 1848 Arbeiter und Bürger um ihre Rechte und um Verfassungen in den Nationalstaaten. Sie wollten den bürokratischen Absolutismus (letztlich wohl noch nicht die Monarchie), in Preußen abschaffen. Der Bau der Kuppel und der Kapelle muss also als eine Antwort auf die Märzrevolution gelesen werden, insbesondere deshalb, weil das Selbstverständnis von Friedrich Wilhelm IV. noch ganz mittelalterlich geprägt war. Er wünschte sich damals sogar eine mittelalterliche Ständeordnung zurück.

 Es handelt sich hier also nicht einfach um ein paar Bibelverse, die ohne Kontext im Raum stehen, sondern um Politik im Sinne der Monarchie der Hohenzollern. Der erste Teil des Spruchs auf der Kuppel ist aus der Apostelgeschichte (Apg 4,12). Im ursprünglichen Zusammenhang klingt er sehr schlüssig: „Dieser Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollten.“ Auch in der Überarbeitung von 2017 klingt die Luther-Übersetzung für heutige Ohren holprig. Der nächste Satz ist dem Philipperhymnus (2,10) entnommen. Hier sollte man Vers 9 hinzulesen: „Darum hat ihn Gott über alle erhöht, und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu ...“ Der Sohn Gottes hat sich selbst entäußert und wurde Mensch. Er nahm Knechtsgestalt an, um die Menschheit zu erlösen. Das ist der Kernsatz des Christentums, der im Kreuz zum Symbol geworden ist.

Aus heutiger Sicht würde man wohl von Blasphemie sprechen, wenn sich ein König oder ein anderer Staatenlenker Bibelverse derartig zusammensucht und zurechtlegt, um seine eigenen Machtansprüche zu rechtfertigen. Leider findet das aber in unserer Zeit wieder häufiger statt, etwa wenn der russische Präsident Wladimir Putin zu wichtigen Anlässen in einer orthodoxen Kirche aufschlägt oder Präsident Recep Tayyib Erdoğan neuerdings in der Haiga Sophia vorbetet. Auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika spannt die Religion zur Zeit gerne in seine Dienste ein. So ließ er sich am 1. Juni 2020 mit einer Bibel in der Hand vor der St. John‘s Kirche in direkter Nachbarschaft vom Weißen Haus fotografieren.

Es mag Christen im ersten Moment freuen, wenn in Berlin ein Kreuz an so zentraler Stelle hinzugekommen ist. Was aber die christliche Botschaft von innen aushöhlt, ist ein christliches Symbol an einer Stelle, wo es sinnwidrig instrumentalisiert wurde. Die bloße Historisierung des Kreuzes ist auch nicht besser. Auf dem Humboldt-Forum muss kein Kreuz stehen, zumal es ja ein Museum werden soll. Hier soll es um Weltkultur gehen, nicht um eine Verherrlichung Preußens, die mit Bibel-Spruch und Kreuz wieder christlichen Segen erhält.

J.H. Claussen formuliert in der bereits erwähnten Kolumne zu den Bibelversen: „Das ist paradox, ekstatisch, aber auch subversiv. Denn in Wirklichkeit mussten damals alle ihre Knie vor dem König beugen. Es erscheint als absurd, dass Friedrich Wilhelm IV. diese Verse für sein romantisches Gottesgnadentum vereinnahmte. Man könnte von einem Missbrauch der Bibel sprechen.“3 Der Autor will sich über die Verwendung der Bibelverse nicht ärgern. Er zieht es im weiteren Verlauf seines Textes vor, die evangelische Aufklärung zu preisen. Schwierig! Denn es bleibt die Tatsache, dass der Protestantismus in Deutschland im 19. Jahrhundert so mächtig und staatstragend war wie niemals zuvor.

A. Öhler hingegen hält den Kuppelspruch für einen handfesten Skandal. „Bibelstellen laden mindestens so sehr zum Missbrauch wie zum rechten Gebrauch ein. Vor allem, wenn man sie zusammenmontiert aus verschiedenen Versen. Auch im Fall des Berliner Stadtschlosses. Der Untertanengeist, den die Hohenzollern ihren Bürgern abverlangten, wurde einmal mehr mit der Heiligen Schrift begründet. Dabei ahnte Friedrich Wilhelm IV. wohl kaum, dass seine Bauchbinde für die Kuppel so ziemlich die ganze Wahrheit über die fatale Verbindung von Protestantismus und Preußentum zur Schau stellte. Der Spruch vereint die negativsten Eigenschaften der beiden in ihrer fatalen Liaison.“4 Die Liaison von Thron und Altar im Deutschland des 19. Jahrhunderts war eine Win-Win-Situation für die evangelische Kirche und die Hohenzollern. Für Zweifel war da kaum Raum. Nicht umsonst setzte Friedrich Wilhelm III. am 27. September 1817 die Evangelische Union ins Werk. Es war ein Aufruf zur Vereinigung zu einer gemeinsamen Kirche, dem die reformierten und lutherischen Gemeinden folgten, wenn auch zum Teil zähneknirschend.

Wir dürfen heute davon ausgehen, dass der Spruch auf der Kuppel sicher nicht vom König alleine stammt. Er wird sich bei seinen regelmäßigen Treffen mit seinem Hoftheologen Ludwig Friedrich Wilhelm Hoffmann (1806-1873) besprochen haben, der sein Vertrauen hatte und erheblichen Einfluss auf die inneren Verhältnisse der protestantischen Kirche. Hoffmann war nicht nur Generalsuperintendent der Kurmark und Oberkonsistorialrat, sondern auch seit 1871 der Erste Hofprediger an der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin mit dem Rang eines Geheimrats erster Klasse. König und Hoftheologe werden sich wiederum mit dem damaligen Hofbaumeiser K. F. Schinkel beratschlagt haben, wie „Eosanders ungekröntes Triumphbogenportal an der Westseite mit nunmehr hundertjähriger Verzögerung um eine Kuppel zu ergänzen“ sei. „Jedoch vermochte Schinkel nicht, seinen Entwurf zu Lebzeiten umzusetzen. Erst sein Schüler August Stüler verlieh Portal III. bis 1853 jenen fortan als Kapelle genutzten Abschluss.“5 Die evangelische Kirche hatte den Zenit ihrer Macht in Deutschland erreicht und war damit ein selbstbewusster Teil der Monarchie, was sich bis ins frühe 20. Jahrhundert und darüber hinaus fortsetze. Der Dom in Berlin war schließlich eine machtvolle Antwort auf das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes.

Ausbruch der Märzrevolution 1848

Zu Schloss, Kuppel, Kreuz und Spruch gehört auch der Hinweis auf eine blutige Konnotation. Die Märzrevolution endete durch die blutige Niederschlagung eines Aufstandes in Berlin: „Am 18. März 1848 ging das Militär des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. mit Gewalt gegen die Barrikadenkämpfer für Freiheit und Demokratie vor. 183 Opfer der Berliner Revolution wurden am 22. März 1848 auf dem Friedhof im Friedrichshain beerdigt. Ein riesiger Trauermarsch mit über 100.000 Menschen begleitete die Toten zu den Gräbern.“6 Die Revolution richtete sich gegen den König und gegen den Prinzen von Preußen (Thronerbe und späterer Kaiser Wilhelm I.). Sein Vater, Friedrich Wilhelm III., hatte verfügt, „dass eine staatsrechtliche Fortentwicklung Preußens nur unter Zustimmung aller Agnaten des königlichen Hauses erfolgen darf [...] Mit Ausbruch der Märzrevolution von 1848 begreift Wilhelm, dass die Zeit des Starren Verweigerns endgültig vorbei ist. Er gehört zu den Unterzeichnern jenes Patents vom 18. März in dem die Einführung einer Verfassung zugesagt wird.“7 Der Prinz von Preußen war allerdings klug genug, gegenüber seinem Bruder Friedrich Wilhelm IV. loyal zu sein – auch gegen seine Überzeugungen.

Wie alle europäischen Monarchen waren die Hohenzollern zu Konzessionen kaum bereit. Die Februarrevolution in Frankreich hatte sich in Windeseile von Baden bis nach Berlin ausgebreitet. In Wien wurde Staatskanzler Metternich gestürzt. König Friedrich Wilhelm IV. hatte bei seinem Regierungsantritt noch auf Liberalisierung in seinem Staat hoffen lassen. „So beendete er (beispielsweise) die ‚Kölner Wirren‘, welche die Beziehungen zwischen dem katholischen Volksteil und den protestantischen Behörden in der Rheinprovinz vergiftet hatten. Als Zeichen der Versöhnung gelobte er beim eindrucksvollen Dombaufest 1842 in Köln die Vollendung der gewaltigen Bauruine.“8 Hinsichtlich der Verfassungsfrage machte der König allerdings immer einen Schritt vor, um anschließend wieder zwei zurückzugehen. Im Gegensatz zu anderen deutschen Staaten hatte es in dieser Frage keinen wirklichen Fortschritt gegeben, obwohl ihm die Nationalversammlung in der Paulskirche sogar die deutsche Kaiserkrone angeboten hatte. Eine Karikatur zeigt damals, wie Friedrich Wilhelm IV. sie schnöde ablehnt. Die Vorbereitungen in Frankfurt am Main, eine deutsche Nation mit Verfassung auszurufen, scheiterten.

Friedrich Wilhelm IV. ist uns heute ferner denn je. Er gilt nicht als ein Preußenkönig, der im aktuellen Interesse der Öffentlichkeit steht. Interessanterweise hat sich bisher kein Historiker von Rang seiner Person angenommen, was daran liegen mag, dass die Quellenlage äußert unübersichtlich ist. Seine Person ist schillernd, seine Schriften (ein Roman, Briefe etc.) uferlos. Dabei hat er viele Bauten veranlasst, die heute vor allem Touristen aufsuchen, wie beispielsweise den Charlottenhof im Park von Sanssouci, Sankt Peter und Paul in Potsdam und die Friedenskirche unterhalb des Schlosses, die im Revolutionsjahr 1848 eingeweiht wurde. In Berlin ist es u.a. das Neue Museum (A. Stüler) auf der Museumsinsel. Ist das Zufall?

Wie gesagt, der König war begeistert vom Mittelalter und schwärmte für den (etwas einseitig von ihm wahrgenommenen) Dichter Novalis, der den idealen Monarchen für „einen höhergeborenen Menschen“ hielt, so der Historiker W. Baumgart. Das war wohl auch das Selbstbild des Königs. Einige Zeitgenossen sehen ihn mit anderen Augen. Der österreichische Gesandte in Berlin, Graf Georg Esterházy, durchschaute den König als „den vollendetsten Komödianten der Gegenwart, der es verstehe, mit seiner sogenannten ‚Pietät‘ andere Menschen zu ‚düpieren‘. Und der Leiter der Politischen Abteilung im preußischen Außenministerium, Hermann Ludwig Balan, [...] vermerkte 1853 in seinem Tagebuch: ‚Es offenbart sich in allen diesen Dingen ein unbesiegbarer schauspielerischer Instinkt.’“9 Dasselbe Phänomen taucht beim letzten deutschen Kaiser noch stärker auf.

„Ich versinke, ich versinke!“ So habe Wilhelm II., der seit über zwanzig Jahren nicht mehr König von Preußen und Deutscher Kaiser war, am 4. Juni 1941 im niederländischen Exil im Doorner Park geklagt, bevor er starb, schreibt der Historiker F.-L. Kroll. Seine Studie über den Monarchen schließt er mit einem Besuch Reinhold Schneiders bei Wilhelm II., der über den Kaiser Jahrzehnte später schreibt: „Er spielte, anders als Shakespeares Könige, die Rolle fort, während der Vorhang längst gefallen war.“ Man könnte hier fragen, ob er im Amt nicht auch eine Rolle gespielt hat? Etwa bei seinem 25. Regierungsjubiläum, wo die Monarchie in Deutschland noch ein letztes Mal und mit allem Pomp und preußischer Glorie gefeiert wurde? Oder als Wilhelm II. Einzug hielt in Jerusalem (1898) durch eine „eigens für ihn in die Mauer neben dem Jaffator gehauene Bresche auf einem Schimmelhengst?“10 Es war eine geniale Idee, Jerusalem als Bühne zu nutzen, um für seine Kolonialpolitik zu werben. „Der Kaiser trug seine weiße Uniform, von seiner polierten, mit dem goldenen Reichsadler verzierten Pickelhaube funkelte der weiße mit Goldfäden durchwirkte Schleier in der Sonne.“11 Wer würde nicht an den Film Majestät brauchen Sonne (1999) von Peter Schamoni denken, der vor allem auf Schloss Doorn bei Utrecht spielt. Es ist viel originales Material in den Film hineingeschnitten worden, der den Kaiser fast der Lächerlichkeit preisgibt.

Die Wirklichkeit sah anders aus. Während die Dynastie der Hohenzollern im 19. Jahrhundert ihren letzten Höhepunkt erlebte, zerfiel sie hundert Jahre später. Deutschland beginnt das 20. Jahrhundert mit einem „großen Krieg“ (1914) wie es im Englischen heißt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage noch drängender: Warum werden heute wieder Schlösser aufgebaut? In Braunschweig wurde die Außenfassade des Residenzschlosses (2005-2007) mit einem Einkaufszentrum (Schloss-Arkaden), der Stadtbibliothek und einem winzigen Schlossmuseum kombiniert. Das ist der Vorläufer für Berlin. Sind diese Schlösser für Deutschland heute eine Art Walt-Disney-Park?

Das goldene Kreuz auf der Schlosskuppel in Berlin wurde am Tag nach seiner Anbringung (Der Tagesspiegel vom 29. Mai 2020) mit dem Text abgebildet: „Grüß Gott! Das Kreuz für die Kuppel ist umstritten. ... Ein Geistlicher war nicht vor Ort. Es handle sich schließlich nicht um ein Kreuz auf einer Kirche, sondern auf einem Kulturort.“ Die Kapelle unter der Kuppel wurde tatsächlich nicht rekonstruiert. Aber einen Tempel wird es dennoch geben. In Zukunft findet sich dort – Ironie der Geschichte – direkt unter Kuppel, Kreuz und Spruch ein Taubentempel, genauer gesagt, die buddhistische „Höhle der Ringtragenden Tauben“ aus dem Asiatischen Museum in Dahlem. Wären diese Tauben in Dahlem nicht besser aufgehoben?

Anzeige: Traum vom neuen Morgen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Tomáš Halík

Die Stimmen der Zeit im Abo

Mut zur Tiefe und klare Standpunkte zeichnen die „Stimmen der Zeit“ aus. Es gilt die Kraft der Argumente.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen