Vor drei Jahren, im Februar 2017, schrieb Mark Zuckerberg einen Brief an alle Facebook-Nutzer: „To our community“. Das Schreiben war ein Plädoyer für eine neue Welt-Gemeinschaft: „Unsere Chancen sind heute global“, heißt es darin: „Der Fortschritt verlangt, dass die Menschheit nicht mehr nur in Städten und Nationen zusammenfindet – sondern in einer Weltgemeinschaft.“ Als ihm in US-amerikanischen Medien die Frage gestellt wurde, ob er nicht Präsident werden wollte, lehnte Zuckerberg allerdings ab. Facebook bewegt sich eher in der Liga der Weltreligionen: Mit etwa 2 Milliarden aktiven Nutzern pro Monat sieht sich Facebook auf Augenhöhe mit dem Islam (1,6 Milliarden) oder dem Christentum (2,2 Milliarden). „In Zeiten wie diesen gibt es für uns bei Facebook nichts Wichtigeres zu tun, als eine soziale Infrastruktur zu entwickeln, die den Menschen erlaubt, eine Weltgemeinschaft zu schaffen, die für uns alle funktioniert.“
Der Begriff Community/Gemeinschaft trifft allerdings nicht immer das, was bei Facebook und insgesamt im World Wide Web so alles abläuft. Miteinander verbunden zu sein, bedeutet noch lange nicht, in Gemeinschaft miteinander verbunden sein. Man kann auch im Hass aneinander gekettet sein und nicht mehr voneinander loskommen. Man kann auch miteinander verbunden sein, ohne miteinander verbunden sein, zum Beispiel in der Gleichzeitigkeit von Präsenz und Entzug, wie sie durch die Möglichkeiten anonymer An-Abwesenheit im Internet gegeben ist. Und man kann den offenen Markt des Internets auch dazu nutzen, um in weltweit verbundenen Meinungsblasen zusammenzuglucken und sich selbst zu bestätigen. Tribalisierung – Zerfall in Stammesverbände – der Kommunikationskultur wird das gelegentlich genannt – sehr treffend, mit allen negativen Konsequenzen für ein menschheitliches Zusammengehörigkeitsbewusstsein.
„Weltreligionen“ beanspruchen, alle Völker und Menschen weltweit unter einem universal gültigen Anspruch zusammenzuführen. Die Frage ist nur, unter welchen Vorzeichen sie dies tun und was es sagt. Das Facebook-Vorzeichen ist die Like-Taste: Daumen rauf, Daumen runter, gefällt mir, gefällt mir nicht. Die Menschheit wird zusammengeführt über die vice-versa-Mitteilung dessen, was einer Person an der Meinung oder Mitteilung einer anderen Person gefällt oder nicht gefällt. Nun ist es ja nichts Anstößiges, einander solches mitzuteilen. Doch etwas anderes ist es, wenn man unter diesem Vorzeichen eine Weltgemeinschaft zusammenführen will. Facebook kann kein allgemeingültiges inhaltliches Kriterium für „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ formulieren – und will es auch nicht. Deswegen überhebt sich Zuckerberg mit seiner Vision, über Facebook eine Weltgemeinschaft bilden zu wollen. Wenn die Willkür des jeweiligen Gefallens über die Gemeinschaftsbildung entscheidet, dann ist damit ein universeller inhaltlicher Anspruch aufgehoben.
Vorzeichen für die Bildung einer Weltgemeinschaft im Christentum ist das Brechen des Brotes. Es führt über die digitale Kommunikation hinaus; Brot miteinander teilen kann man nicht digital. Brotbrechen kann man auch nicht allein – die Handlung ist nur in Gemeinschaft möglich. In der Geste schwingt eine ethisch bedeutsame Dimension mit, nämlich die Option für das Teilen im Unterschied zu einer Option für das Behalten. Universell bedeutsam wird diese Option, wenn man das Brot nicht nur mit den eigenen Leuten teilt, sondern auch mit anderen, mit denen vom anderen „Stamm“. Die spezifisch christliche Bedeutung des Brotbrechens erschließt sich dann aus dem Zusammenhang mit der Lebensgeschichte Jesu: Brot-Teilen mit allen führt zu Leben-Teilen mit allen. Leben-Teilen mit allen führt zu Leben-Hingeben in der Treue zu den Konsequenzen praktizierter universaler Nächstenliebe.
Es ist deswegen ein schwerer Schaden für den Anspruch des Christentums, wenn die Christenheit nicht an allen Orten der Welt zum Brotbrechen im Namen Jesu zusammenkommen kann. Sie kann damit dem Auftrag Christi, eine Weltgemeinschaft im Zeichen des Brotbrechens zu bilden, nicht nachkommen. Es mag ja sein, dass der Weg zur vollen Kommuniongemeinschaft der Christenheit noch weit ist. Aber schlimm ist es, wenn sie im Zustand konfessioneller Blasenbildung das Ziel aus den Augen verliert und wenn ihr die Sehnsucht nach der Einheit beim Brotbrechen lästig wird.
Sehnsucht gibt es nicht ohne Drängen. Hierzulande richtet es sich gerade auf den Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt. „Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben“, schrieb Alfred Delp SJ im Winter 1944. 75 Jahre nach seiner Ermordung am 2. Februar 1945 in Plötzensee wird man noch deutlicher werden dürfen: Wenn die Kirchen der Menschheit weiterhin weltweit das Bild gegenseitiger Ausgrenzungen vom Abendmahl Jesu bieten, sind sie abgeschrieben. Und das wäre ein ungleich gravierenderer Schaden für die humane Durchdringung der Weltgemeinschaft – Stichwort Sauerteig – als das Scheitern des Projektes von Mark Zuckerberg.