Alle in der Kirche reden derzeit über Macht und Machtausübung. Deutet sich hier eine kopernikanische Wende an, ähnlich jener, die 2010 durch das Aufdecken des Missbrauchs ausgelöst wurde?1 Irgendwie geht das hierarchische Regieren von oben nach unten so einfach nicht mehr. Aber was kommt stattdessen? Die einen betonen klassisch die Verfasstheit der Kirche mit der Autorität des geistlichen Priester- und Bischofsamtes, und sie lehnen demokratische Elemente als dem Wesen der Kirche widersprechend ab. Andere versuchen sich mit neuen synodalen Elementen, welche notwendige Entscheidungen auf eine breitere, gemeinschaftliche Basis stellen, aber ebenfalls, auf andere Weise, geistlich vorangehen wollen. Aber wie kann das gehen: in Gruppen, Gremien, synodalen Versammlungen zu geistlichen Entscheidungen kommen? Nicht wie in der Demokratie geht es um repräsentative Parlamente, in denen Interessen ausgeglichen oder Optionen durchgesetzt werden, sondern um ein Hören auf den Geist, der die Kirche lenken dürfen soll. Wirkt dieser damit nicht mehr nur in den Amtsträgern, im Gegenüber zur „Kirche“, sondern auch in der Kirche selbst, also in der Gemeinschaft der Gläubigen? Nicht nur in Häuptern, sondern auch in Gliedern, zwar in anderer Weise wirksam, aber nicht weniger effizient?
In dieser Zeitschrift stellte kürzlich Ellen Ueberschär zwei Machtbegriffe vor: Der eine ist von Max Weber: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“. Der andere von Hannah Arendt: „Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“2 Webers Begriff ist – verkürzt gesagt – eher hierarchisch, Arendts Begriff eher synodal; der erste eher katholisch, der zweite eher evangelisch; der erste wie sein Autor eher männlich, der zweite wie seine Autorin eher weiblich – oder ist letzteres nur ein Klischee, das hoffentlich bald überwunden wird? Die zweifellos männlich dominierte katholische Kirche kann jedenfalls lernen: von synodal geprägten Kirchen der ersten Jahrhunderte oder ähnlich von heutigen evangelischen wie auch von orthodoxen Kirchen, die ebenfalls zumindest ansatzweise synodal verfasst sind.
Voraussetzungen für den Prozess
Will ein Gremium oder eine Gruppe in einen – sagen wir synodalen – Prozess der geistlichen Entscheidungsfindung gehen, setzt dies einiges voraus; ich orientiere mich im Folgenden an der ignatianisch-jesuitischen Tradition:
Alle Teilnehmenden brauchen ein gewisses Maß an innerer Freiheit, ignatianisch „Indifferenz“ genannt. Sie machen sich also aktiv frei von Vorfestlegungen und Vorurteilen, sie gehen ergebnisoffen in den Prozess hinein, sie sind bereit, von anderen zu lernen und sich durch bessere Argumente von neuen Optionen überzeugen zu lassen. Auch die Freiheit von persönlichen Vorlieben, etwa für Machtpositionen oder für den Zugriff auf Ressourcen, ist wichtig. Dazu braucht es Demut und eine gewisse innere und äußere Armut, Offenheit und Lernfähigkeit, Freude an der Begegnung und Kreativität. Wichtig wäre, im Vorfeld zu thematisieren, wo es „rote Linien“ gibt, die einige Teilnehmende auf keinen Fall zu überschreiten bereit sind. Je enger diese roten Linien gezogen sind, desto schwieriger wird ein ergebnisoffener Prozess. Innerlich freie Menschen lassen sich gerne zu ganz neuen Ufern verlocken, sie ziehen daher solche Linien weit oder verzichten nach Möglichkeit ganz auf sie.
Grundlage des Prozesses ist das Vertrauen der Teilnehmenden zueinander. Wer anderen dumme oder falsche, egoistische oder direkt böswillige Absichten unterstellt, vertraut nicht und kann nicht frei kommunizieren. Es braucht Wohlwollen gegenüber Personen und Wertschätzung auch der Andersheit des Anderen. Alle brauchen das Vertrauen in den Heiligen Geist, dass dieser sich vielleicht nicht in den eigenen Gedanken, sondern in denen der Anderen zur Sprache bringt – auch dafür braucht es Demut und Respekt. Fachliche Kompetenz ist meist ungleich verteilt; aber der Geist spricht auch in den mehr spontanen Ideen der weniger kompetenten Gesprächspartner oder in den jüngeren, den schwächeren oder den weniger durch Erfahrung vorgeprägten Redenden – die Benediktsregel verweist ausdrücklich darauf, dass die Versammlung der Mönche besonders die jüngeren Brüder hören soll.3
Die Grundhaltung aller Beteiligten soll die des Hörens sein. Was selbstverständlich klingt, ist gerade bei Führungspersönlichkeiten wenig verbreitet, denn die Versuchung, durch Rededominanz Eigenes durchzubringen, ist groß besonders für jene, die viel Erfahrung, reiche Kompetenz und aktiven Gestaltungswillen – oder auch aufgestaute Ängste? – mitbringen. Nur wer hört, kommuniziert wahrhaft. Nur wer gut zuhört, kann anschließend gut reden. Die Aussage des anderen soll man „eher zu retten versuchen als sie verurteilen“; kritisieren, soweit nötig, soll man zurückhaltend, respektvoll und „mit Liebe“ (Ignatius von Loyola). Bisweilen ist es besser zu schweigen als zu reden. Man soll so transparent wie möglich reden, aber zugleich so diskret wie nötig.
Um auf den Geist zu hören, braucht es das Gebet. Alle Teilnehmenden bringen ihre Gedanken, Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte sowohl individuell wie gemeinschaftlich ins Gebet. Dort erbitten sie Klarheit, Anregung, vielleicht auch ein kleineres oder größeres Signal des Geistes, in welche Richtung sie weiterdenken und -fühlen sollen. Zu beten hilft, gleichsam mit den Augen Gottes auf die anstehenden Probleme zu schauen; diese Augen schauen mit universaler Weite, mit größerer Klarheit, mit mehr Objektivität, sie schauen vielleicht auch freier, wohlwollender, barmherziger auf die Wirklichkeit. Zu beten hilft, die eigenen Vorurteile und Festlegungen zu relativieren und eventuell zu modifizieren. Das Gebet verändert den Reflexions- und Diskussionsprozess, und es öffnet für die Erkenntnis des Willens Gottes.
Vor dem Prozess sollte dringend geklärt werden, wer am Ende entscheidet: Das Gremium per Mehrheit? Oder das Gremium als Option – und alle Teilnehmenden sind frei, die Option in ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen oder auch nicht? Oder ein Chef, eine Chefin – das Gremium arbeitet also beratend? Oder Gremium und Chefin im Konsens – also entscheidet man partizipativ? Oder eine äußere, darüberstehende Autorität – das Gremium formuliert also nicht mehr als Eingaben oder Bitten an diese Instanz? Ist diese Frage nicht vorher geklärt und das Ergebnis von allen Teilnehmenden akzeptiert, führt der Prozess nur zu Frustration und Machtkämpfen. Die Kirche darf durchaus den Mut entwickeln, mehr Entscheidungen an Gremien selbst zu geben – sie darf lernen, mehr auf den synodalen Geist zu vertrauen.
Zu klären ist auch, wie man mit Minderheiten umgeht: Werden sie einfach überstimmt, an den Rand gedrängt, nicht weiter beachtet? Sind sie dann als Verlierer gebrandmarkt, vielleicht auch bleibend gekränkt und entsprechend auf Revanche gesinnt? Oder versucht man von Anfang an Lösungen zu finden, die sie doch hören, einbinden und in irgendeiner Weise mitnehmen? Kommt man ihnen so entgegen, dass sie ihr Gesicht wahren und mit der gefundenen Lösung immerhin mitgehen können? Dazu braucht es, auch wenn sich schnell eine mehrheitliche Option abzeichnet, von allen Teilnehmenden weitere Verhandlungszeit und -geduld und von Seiten der „Sieger“ genügend Demut und Kompromissbereitschaft. Auch an dieser Frage entscheidet sich, ob das Vorangehen christlichen Werten entspricht.
Schritte des Prozesses
Vor dem eigentlichen Beginn4 sollte geklärt werden, was der Prozess entscheiden soll und was nicht. Das Gremium braucht einen Arbeitsauftrag, der durchaus breit und grundlegend sein darf, aber doch auch realistisch und konkret ist. Die Teilnehmenden müssen gut ausgewählt sein: repräsentativ, kompetent, ausgewogen zwischen Richtungen usw. Die Größe des Gremiums muss zum Arbeitsauftrag passen, die Arbeitszeit muss großzügig gewählt werden – geistliche Prozesse kosten viel, aber der Aufwand lohnt sich. Schließlich müssen allen Teilnehmenden die Basisinformationen über die zu behandelnden Fragen in gleicher Weise zugänglich gemacht werden – wenn Einzelne oder Gruppen durch verborgen gehaltenes Wissen oder durch geheime Strategien ihre Pflöcke schon eingeschlagen haben, gerät der Prozess von Anfang an in Schieflage. Die Teilnehmenden sollen sich genügend persönlich kennenlernen, um zueinander Vertrauen zu fassen und sich in ihren Kompetenzen und Erfahrungen wertzuschätzen.
Wenn das Gremium zusammentritt, ist es in einem ersten Schritt sehr ratsam, dass es sich über seinen Ursprung und sein Ziel verständigt: Wer sind wir? Wozu sind wir gegründet – welches ist unser founding narrative? Was war die Gnadenerfahrung, das Charisma des Beginns? Welches sind unsere zentralen Werte – die core values? Und nach einer vielleicht langen Geschichte: Wozu sind wir heute da, welches ist unsere mission? Was wollen wir – und was will Gott von uns? Wenn die Gruppe sich nicht über Fundament und Ziel ihrer Unternehmung verständigt, riskiert sie, dass im Prozess Parteiungen mit divergierenden Zielen, die nicht ausgesprochen sind und vielleicht nicht einmal bewusst sind, in verschiedene Richtungen ziehen und die Gruppe im Konflikt oder gar gespalten auseinandergeht.
Im zweiten Schritt geht man an die konkret zu entscheidenden Fragen, und die Teilnehmenden beginnen darüber einen Austausch: Alle stellen ihre Ideen für Lösungsmöglichkeiten vor und legen Gründe dafür und dagegen vor. Es wird nicht kontrovers diskutiert, alle hören nur zu und lassen die Reden anderer stehen. Das aufmerksame und oft anstrengende Zuhören verändert das eigene Nachdenken und Wollen. Wer auch Gegengründe gegen die von ihm präferierte Option vorlegen muss, relativiert seinen Standpunkt und öffnet sich für andere Ideen. Nach dem Anhören hilft eine Zeit für persönliche Arbeit: Im Schweigen lassen alle das Gehörte nachklingen, reflektieren über die Argumente und spüren ehrlich ihren sicherlich oft gemischten Gefühlen nach. Was sie bewegt, bringen sie ins Gebet und damit in ein Hören auf Regungen des Geistes. Dadurch distanzieren sie sich auch von manchen ihrer Gedanken und Gefühle, die sie als unreif oder ungeordnet erkennen.
In einem dritten Schritt kommen die Teilnehmenden in ein ruhiges und respektvolles Gespräch. Sie fragen zum Gehörten nach, um es besser zu verstehen. Sie wägen Fakten und Argumente in ihrem Gewicht gegeneinander ab und akzeptieren, wenn manches unterschiedlich gewichtet wird. Sie sprechen auch über Gefühle, über deren Gewicht und über das, was diese auslösen und bewegen. Sie lassen auch Streit zu, wenn dieser respektvoll ausgetragen wird und die Teilnehmenden nicht das ihre durchsetzen, sondern voneinander und miteinander lernen wollen. Die Teilnehmenden bringen ihre Erfahrungen und Gedanken immer wieder ins Gebet. Alle kommen in dem Maß und in der Weise, die sie wünschen, zu Wort – die Moderation achtet sehr genau auf das Setting und auf den Respekt. Manchmal helfen Kleingruppen oder moderne Methoden der Kommunikation.
Bei komplexen Fragen muss man oftmals die Entscheidung in mehrere Etappen gliedern und diese nacheinander bearbeiten. Vielleicht muss man Schritt zwei und drei für jede Etappe einzeln gehen oder sie innerhalb einer Etappe wiederholen. Vielleicht muss man Untergruppen bilden, die Einzelfragen bearbeiten und ihr Votum der Gesamtgruppe vorlegen. Immer wieder soll man in die Stille und ins Gebet gehen. Bei Störungen – jemand wird nicht respektiert; es bilden sich Fraktionen, die gegeneinander arbeiten… – muss die Moderation unterbrechen und zuerst die Störungen bearbeiten.
Der vierte Schritt geht auf Entscheidung: Jemand – die Moderation oder eine Arbeitsgruppe – grenzt konkrete Lösungsvorschläge ein, diese werden nochmals besprochen. Vielleicht bildet sich schon ein Konsens heraus; vielleicht immerhin eine Richtung, mit der auch abweichende Minderheiten leben können; wenn nicht, muss weiter um eine Lösung gerungen werden. Wenn dies vor Ende der Arbeitszeit nicht gelingt, muss sich das Gremium eventuell vertagen und nochmals beginnen – der Geist will nicht notwendig Einstimmigkeit, aber doch Einmütigkeit. Das Ende muss gestaltet werden in Abhängigkeit davon, wer letztlich entscheidet und wie entschieden wird. Ziel ist, dass die Teilnehmenden „getröstet“ (Ignatius von Loyola) nach Hause fahren und dass sie sich mit Energie und Freude an die Umsetzung des Beschlossenen machen.
Unterscheidung der Geister
Nun wirkt bei solchen Prozessen nicht nur der Geist, der die Menschen zusammenführt und ihnen gute Ideen eingibt, sie dann begeistert usw., sondern es wird sich auch ein Abergeist einschleichen, der negative Energien bei einzelnen oder in der Gruppe auslöst und der auch zu verwirren oder in falsche Richtungen zu führen versucht. Um sich vom guten Geist führen zu lassen, gibt es aus der geistlichen Tradition der Kirche einige Hilfen:
Der Zeitrahmen muss gut gesetzt sein: nicht zu knapp, so dass Entscheidungen übers Knie gebrochen werden, was Einzelne oder Gruppen ausnutzen können, um ihre Interessen durchzusetzen – nicht verschleppend, so dass Themen zerredet werden, Bedenkenträger die Oberhand gewinnen, Teilnehmer sich gelähmt fühlen, der Kairos des Entscheidens verpasst wird. Angst ist meist ein schlechter Ratgeber: Sie kann zur Hektik führen – man erträgt keine schwebenden Zustände, will sofort wissen, woran man ist, sucht gleich Sicherheit. Umgekehrt kann Angst auch zum Verzögern führen – man traut sich nicht, sich festzulegen, scheut die Risiken des klaren Ja, will auf keinen Fall autoritär erscheinen, will alles vielfach prüfen und die immer vorhandenen Bedenken komplett zerstreuen, will auch den letzten Zauderer mitnehmen… Kann es sein, dass der Abergeist die Kirche in der Regel eher durch Verschleppen kleinkriegt?
Wer berät? Rat Gebende, seien sie Mitglieder des Gremiums oder Außenstehende, sollten unabhängig sein und sachlich arbeiten. Ihre Aufgabe ist, in die Gespräche Realität einzubringen – Tatsachen, Hintergründe, geschichtliche Entwicklungen, wirkliche Chancen, realistische Risiken. Auch wenn ihr Rat aus einer bestimmten Perspektive kommt, wird er wertvoll sein: Juristinnen sehen vor allem das rechtliche Gerüst, Unternehmensberater die ökonomische Situation, Psychologinnen die emotionalen Abgründe, Theologen die gedankliche Kohärenz usw. Das Gremium soll allerdings darüber reflektieren, wie einseitig ein Rat ist und welches Gewicht ihm in der Abwägung zu geben ist – kann es sein, dass der Abergeist die deutsche Kirche eher durch Überschätzung der Verwaltung und des Rechts kleinkriegt?
Wie arbeitet der Abergeist weiterhin? Er verwirrt gerne – der diabolos ist ja der Verwirrer, und in jedem größeren geistlichen Prozess kommt die Gruppe irgendwann an den Punkt, an dem sie in Krise und verwirrt ist und nicht mehr weiß, wo sie steht und wie sie weiterzugehen hat. Der Abergeist macht starr – aus Gewohnheit oder Angst oder Zwanghaftigkeit wird jede Änderung verweigert. Er verabsolutiert das Autoritäts- oder Traditionsargument – als einziges vorgebracht, war dieses aber schon immer das schwächste. Umgekehrt enthusiasmiert er Neuerer, deren Ideen weder durchdacht noch realistisch sind – und die dann mit diesen scheitern, folglich gekränkt sind und sich enttäuscht zurückziehen. Er arbeitet mit fake news oder gar mit Lügen – und manipuliert so die Beratungen. Er schürt Ängste – nicht die guten Ängste, die vor realer Gefahr warnen, sondern die aufgebauschten und irrationalen Ängste, die die Wahrnehmung blockieren und zu Fehlurteilen führen. Er verstärkt egoistische Interessen von Einzelnen oder Gruppen, etwa solche nach Macht, nach Geld, nach Posten, nach narzisstischer Befriedigung – und unterminiert damit das Streben nach Gemeinwohl und nach Gerechtigkeit. Auf diese und andere Weise findet der Abergeist viele Einfallstore in den geistlichen Prozess, sowohl über fehlgeleitete Emotionen wie über Rationalisierungen, über die niederen Instinkte wie über intellektuell Verdrehtes... Kann es sein, dass der Abergeist die deutsche, sehr funktional arbeitende Kirche vor allem über manipulierte Emotionen kleinkriegt?
Zentral in jeder Unterscheidung der Geister sind die Werte, an denen die Gruppe sich orientiert und die sie in Entscheidung gießen und umsetzen will. 5Diese Werte sollten im ersten Schritt des Prozesses reflektiert und verinnerlicht werden – das Gremium braucht Einigkeit über seine zentralen Werte. Kirchlich sind diese Werte vor allem jene der Heiligen Schrift, etwa Wahrhaftigkeit, Einsatz für die Armen und Schwachen, Barmherzigkeit, Integration und Solidarität, Treue zum Auftrag Gottes, Gerechtigkeit und Friede, Verehrung Gottes – Glaube, Hoffnung und Liebe. An diesen müssen die diskutierten Lösungsoptionen, die zu fällenden Entscheidungen und schließlich deren Umsetzung in kirchliches Leben gemessen werden. Wenn die deutsche Kirche vor lauter Ordnung die Barmherzigkeit vergisst – könnte dies eine der Schlichen des Abergeistes sein?
Theologisches
Der Geist – wenn sie sich auf ihn einlassen – wirkt in Gruppen und Gremien. Was sagt dies über Gott und sein Wirken unter Menschen? Anders gefragt: Was bedeutet es theologisch, ekklesiologisch? In einem ehrlichen Prozess der Unterscheidung schaut man bei sich und in der Gruppe „Regungen“ (span. mociones, so Ignatius) an, also Gedanken, Phantasien, Gefühle, Sehnsüchte, alles, was lockt und was hindert, was unruhig macht und was zum Frieden führt… In diesen Regungen ist der Geist am Werk – eine erstaunliche auch theologische Aussage, die die Psyche des Menschen als Wirkort des göttlichen Geistes erkennt. Durch die Regungen teilt der Geist mit, was er will, und er treibt voran in die Richtung, die er will – man muss ihn wahrnehmen, ihm folgen, sich von ihm führen lassen. Natürlich arbeitet genau dort auch der Abergeist: Ihn muss man durch Unterscheidung demaskieren – und die aus diesem Abergeist kommenden Handlungsimpulse zurückweisen. Der Geisterkampf findet in der Seele statt, und der Mensch kann ihn dort bestehen, indem er sich vom guten Geist leiten lässt: ein durchaus hohes – vielleicht ideales? – Menschenbild.
Ebenfalls findet geistliche Erkenntnis in guter zwischenmenschlicher Kommunikation statt, durch Hören und Antworten, durch Wahrnehmen und Austauschen, auch einmal durch Streiten und Versöhnen und Einigen…. Kommunikation ist Geist. Dieser zuinnerst kirchliche Aspekt geistlicher Entscheidungsfindung wird meist kaum gewürdigt. Man wird sogar sagen müssen, dass Kirche erst sie selbst wird, wenn sie in Gemeinschaften – kleineren und großen – zu wirklich geistlichen Entscheidungsprozessen findet. Umgekehrt befindet sich auch in der Kommunikation ein Einfallstor für den Abergeist, der die Kirche in seine Abgründe ziehen will – der Geisterkampf ist nicht nur ein individueller, sondern mindestens ebenso heftig ein sozialer. Die Kirche muss mit Wachsamkeit und Klugheit die Geister unterscheiden und sich vom guten Geist zu Gottes Reich ziehen lassen.
In Führungsfragen argumentiert die katholische Kirche traditionell mit Mt 16: Auf Petrus, den „Fels“, baut Christus seine Kirche, und dieser Apostel erhält die volle Binde- und Lösegewalt. Das „petrinische Prinzip“, also die päpstliche Führung und alle unter dem Papst wirkende Hierarchie, ist damit bis zum Ende der Tage der Kirche eingepflanzt – wir bleiben ganz beim Weber‘schen Begriff der Macht. Hingegen werden die mehr synodalen Schrifttexte meist vernachlässigt, etwa das erste Konzil (Apg 15), in der einige Christen – Apostel und andere! – eine sehr wichtige, die junge Kirche fast zerreißende Frage behandeln. Der Bericht zeigt auf, wie die Kirche mit Hören und Reden einen Kompromiss findet, der für die Streitenden tragbar und für die Kirche zukunftsweisend ist – ein beinahe Arendt’scher Umgang mit Macht. Dabei dürfen wir Christen nicht die eine Weise gegen die andere ausspielen – die Bibel bietet immer Beispiele für vieles –, sondern die unterschiedlichen Weisen der Leitung und der Entscheidungsfindung sollten sich ergänzen und gegenseitig befruchten. In vielerlei Weisen führt der Geist – die Kirche kann sich nicht genug öffnen für ihn und vertrauen auf seine Führung.