Johannes Paul II. und die Jesuiten

Tomáš Halík berichtet von einer Begegnung im November 1989 in Rom mit Papst Johannes Paul II: „Dann fragte er mich nach meinen persönlichen Plänen. Ich vertraute ihm eine Sache an, an die ich in den letzten Monaten gedacht hatte, nämlich daran, in den fast aussterbenden Orden der Kreuzherren mit dem Roten Stern einzutreten, dem einzigen Orden tschechischen Ursprungs …“. Als ich sagte, dass dieser Orden durch besondere Treue an den Prager Erzbischof gebunden sein könnte, ähnlich wie die Jesuiten durch Treue an den Papst gebunden sind, lachte Johannes Paul: Die Jesuiten? Das war einmal, mein Lieber, vor vierhundert Jahren!“ (Alle meine Quellen entspringen in mir. Freiburg 2014, 234).

Halík beschreibt die große Bedeutung der Papst-Wahl des Erzbischofs von Krakau für die unterdrückte Christenheit in den Ländern des Warschauer Paktes. Sie war der Anfang vom Ende der Angst. Auch im Westen kam anlässlich der Wahl von Karol Woyjtila 1979 Begeisterung auf, Hoffnung auf ein Ende der bleiernen Zeit des Kalten Krieges. Es sollte ja auch wahr werden: Ohne Johannes Paul II. keine Solidarność, ohne Solidarność kein Gorbatschow, kein Abbau der österreichisch-ungarischen Grenzanlagen im Mai 1989 und kein anschließender Fall der Mauer in Berlin. Und der Zusammenbruch der politischen Weltordnung ist ja keineswegs die einzige große Spur, die dieser Papst in der Weltgeschichte hinterlassen hat. Nicht weniger bedeutsam sind seine Zeichenhandlungen gegenüber den Juden, den „älteren Brüdern und Schwestern“ der Christenheit, sowie seine Schritte auf die muslimische Welt zu, und auch nicht zu vergessen das Friedensgebet der Religionen in Assisi sowie viele andere mutige Schritte, die ihm den Titel eines „Jahrhundertpapstes“ eintrugen. Das Requiem für ihn am 8. April 2005 machte diese Dimensionen sichtbar.

Doch da ist, jedenfalls für das jesuitische Ohr, auch ein Misston, der sich mit Johannes Paul II. verbindet. Er blieb in den Nachrufen zu seinem 100. Geburtstag unerwähnt: Misstrauen gegenüber dem Jesuitenorden. Bald nach seiner Wahl wurde es offensichtlich, als der Papst nach dem Schlaganfall des Generaloberen der Jesuiten, P. Pedro Arrupe, im August 1981 einen persönlichen Delegaten in die Leitung des Ordens einsetzte. Dem zwei Jahre später regulär gewählten Generaloberen P. Peter Hans Kolvenbach gelang zwar äußerlich eine Phase der Beruhigung, aber unter der Decke schwelte der Konflikt weiter: Die Jesuiten seien nicht mehr papsttreu, von einigen Ausnahmen abgesehen, die allerdings im Orden ein Randdasein führen müssten. Der Orden habe sich im Westen dem Liberalismus, in Lateinamerika dem Marxismus und in Südostasien dem Religionspluralismus verschrieben. Was die Jesuiten früher gewesen seien, das seien heute Neugründungen wie das Opus Dei, die Legionäre Christi oder andere dem Papst ergebene geistliche Bewegungen. Personen aus diesen Bewegungen traten dem Orden selbstbewusst mit eben diesem Selbstverständnis entgegen: „Wir sind das, was ihr eigentlich sein solltet.“

Das Misstrauen in der päpstlichen Kurie übertrug sich in den Jahren des Pontifikates von Johannes Paul II. auf erhebliche Teile des von ihm eingesetzten Episkopates. Innerjesuitische Opponenten gegen die Ordensleitung machten zugleich außerhalb des Ordens Karrieren in der Hierarchie. Mit dem Tod des polnischen Papstes verschwand das Misstrauen nicht. Unwidersprochen ist die jüngst erschienene Darstellung des Historikers Gianni La Bella, der Vatikan habe 2006 die Leitung des Ordens übernehmen wollen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone habe dem scheidenden Generalsoberen P. Kolvenbach den Vorschlag unterbreitet, Kardinal Bergoglio SJ zum Übergangleiter des Ordens zu machen. Nachdem Bergoglio abgelehnt habe, sei es Kolvenbach gelungen, Papst Benedikt XVI. von diesem Vorhaben abzubringen. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, wenn hochrangige kirchliche Persönlichkeiten heute noch gerne einen antijesuitischen Zungenschlag pflegen, nicht zuletzt auch dann, wenn sie nun Papst Franziskus kritisieren. 

Ist das Misstrauen also heute überwunden? Einerseits ja. Mit Papst Franziskus wurde zum ersten Mal in der Geschichte ein Jesuit Papst. Seine eigene Geschichte in und mit dem Orden ist bewegt. Seine Zeichen als Papst gegenüber dem Orden, der Besuch am Grab Arrupes, die klärenden Aussagen zu den Spannungen zwischen Arrupe und Papst Paul VI. zum priesterlichen Charakter des Ordens, und schließlich seine vom Geist der ignatianischen Exerzitien durchdrungene Vorgehensweise und Sprache – das alles hat geholfen, Misstrauen zu verabschieden. Andererseits Nein. Das Misstrauen ist in den Köpfen von Vielen nicht verschwunden, die in der Ära Johannes Paul II. groß geworden sind. Unter der Decke führt das zu neuen Spannungen, die sich vielleicht erst nach dem Pontifikat von Franziskus entladen werden. Deswegen wäre es wünschenswert, sich schon jetzt in Gesprächen gegenseitig ehrlich zu machen, um neu zusammenzufinden für den Dienst im Weinberg des Herrn. Aus Misstrauen kann jedenfalls kein Vertrauen entstehen, und aus Misstrauen von oben schon gar nicht. 

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