Rezensionen: Geschichte & Biografie

Drobinski, Matthias / Urban, Thomas: Johannes Paul II. Der Papst, der aus dem Osten kam. Eine Biographie. München: C.H. Beck 2020. 336 S. Gb. 24,95.

Nur fünfzehn Jahre nach seinem Tod scheint Papst Johannes Paul II. bereits zum entrückten Titanen geworden zu sein. Wie kaum ein anderer Papst dürfte er durch sein langes Pontifikat in einer theologisch sensiblen Phase nach den Aufbrüchen des Zweiten Vatikanischen Konzils die Kirche geprägt haben. In diesem Jahr wäre der 1920 geborene Karol Wojtyła hundert Jahre alt geworden. Die beiden Journalisten Matthias Drobinski und Thomas Urban haben zu diesem Anlass eine Biografie vorgelegt. Schon der Untertitel zeigt, dass die beiden Autoren den Papst wesentlich als den aus Polen kommenden und durch die jüngere Geschichte seines Landes geprägten Mann sehen.

Ihre Biografie folgt dem klassischen Muster, das mit der Geburt und dem Elternhaus beginnt und mit dem Tod des Papstes im Jahr 2005 endet. Sie schildern den Weg des Karol Wojtyła zum Priester, Professor, Weihbischof, Erzbischof und Kardinal. Sie zeigen, wie er sich bewusst der kommunistischen Diktatur seines Heimatlandes widersetzte und wie seine rasche Auffassungsgabe und sein Intellekt ihn schnell in der Kirche Karriere machen ließen. Drobinski und Urban zeigen die großen Linien seines Pontifikats auf: den Kampf gegen den Kommunismus, die Betonung der unbedingten menschlichen Würde gerade am Beginn und am Ende des Lebens, aber auch die nicht von allen akzeptierte Linie im Blick auf Zölibat, Frauenpriestertum und Sexualmoral. Die beiden Journalisten zeichnen die große Begeisterung nach, die Johannes Paul II. an vielen Orten dieser Welt hervorrief. Sie würdigen seine großen Verdienste für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.

Dabei klammern sie auch kritische Felder nicht aus. Sie zeigen, wie der Vatikan immer mehr sehr konservative Bischöfe ernannte, selbst wenn das zum Widerstand der Kirche vor Ort führte. Sie zeigen auch, wie unerbittlich Johannes Paul II. gegen Theologen vorgehen konnte, die der Irrlehre verdächtig waren – genannt seien hier nur Ernesto Cardenal oder Hans Küng. Dabei aber versuchen die Autoren immer wieder, die Hintergründe im Denken des Papstes aufzuzeigen. So wird etwa die strenge Ablehnung der Befreiungstheologie verständlicher, wenn man die Erfahrungen Wojtyłas mit dem Sozialismus bedenkt. Auch die umstrittene Sexuallehre des heiliggesprochenen Papstes können Drobinski und Urban nüchtern betrachten, ihre Wurzeln erklären und so eine konsistente Linie im Denken des Papstes nachweisen.

Eine klassische Heiligenbiografie wollten die beiden nicht schreiben, stellen sie bereits im Vorwort klar. Allerdings erörtern sie, wie Papst Franziskus in Gaudete et exsultate die Heiligkeit beschrieben habe: Einen Heiligen mache nicht aus, „dass er perfekt ist und ohne Fehler oder Irrtümer, sondern dass er sein Leben in Liebe und Hingabe lebt.“ Und am Ende kommen sie mit Papst Franziskus zum Schluss: „In diesem Sinne kann man Karol Wojtyła einen Heiligen nennen.“

Benedikt Bögle

 

Schilling, Heinz: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. München: C.H. Beck 2020. 457 S. Gb. 29,95.

Nach „Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ und „1517: Weltgeschichte eines Jahres“ legt der emeritierte Berliner Historiker nun den dritten Band seiner Trilogie zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor. Die Bände erzählen von gewaltigen Umbrüchen und von Weichenstellungen, die die europäische Geschichte bis heute prägen. Karl V. (1500-1558) gehört zu den großen Gestalten Europas, und seine komplexe Persönlichkeit, seine tiefe Religiosität, seine ideengeschichtlichen Ansprüche und nicht zuletzt sein oft tragisch genanntes Scheitern faszinieren bis heute.

Von Kindheit an war ihm der majestätisch-würdige Habitus anerzogen. Er zeigte nie Gefühle, war distanziert und einsam. Seine Spiritualität war identisch mit absoluter Kirchentreue, und als seine Mission sah er, den Glauben und die Kirche zu verteidigen. Er wandelte sich vom burgundischen Ritter zum spanischen Eroberer. „Plus ultra“ war sein Lebensmotto, das er auf das christliche Ritterideal des Heidenkampfes und auf die weltliche Conquista ausdehnte. Zeitlebens reiste er mit seinem Hof rastlos quer durch Europa, um sein ungesichertes Riesenreich zu festigen und Kriege zu führen. Ein Leben lang rang er mit der Spannung zwischen dem ideellen, universalen Kaisertum und dem partikularen Machtdenken der frühneuzeitlichen Territorialstaaten – an diesem Widerspruch scheiterte er am Ende, als er von allen Ämtern zurücktrat und sich zum Sterben ins Kloster Yuste in Spanien zurückzog.

Was wir heute nicht fassen können: Politische Einheit und Friede konnte man sich nur mit identischer religiöser Lehre und Ordnung vorstellen. Christlich war für Karl V. nur der katholische Glaube, alles andere war Häresie, die wenn möglich mit Vernunft, notfalls mit Gewalt niederzuringen war. Die Toten der Kriege gehörten zur gottgewollten Politik, Empathie kannte man nicht. Fürstliche Kinder hatten sich gnadenlos der Heiratspolitik zu unterwerfen, Privates gab es nicht. – In 500 Jahren hat sich die Welt doch gewaltig verändert…

Schilling beschreibt die „Janusköpfigkeit von Karls Kaisertum“: „Verwurzelt in der ideell-sakralen Tradition des Mittelalters, war es schon vom neuzeitlichen Machtkonzept angesteckt. Der Europa überspannende Anspruch dieses Kaisertums stellte in der längst vielgestaltigen europäischen Staatenwelt … zwangsläufig die Machtfrage“ (144). Auch Karls Religiosität war in Spannung: In den Niederlanden geprägt durch eine „reformfreudige Frömmigkeit der Devotio moderna, die auch Luther vertraut war“ (366), prägte ihn seine tiefe Christus- und Kreuzesfrömmigkeit bis ins Sterben hinein – kurze Zeit später wurde sie gegenreformatorisch als evangelische Häresie abgestempelt. Karl kannte die durch das Kreuz Christi sündenvergebende Gnade Gottes ebenso wie die traditionelle Heiligenverehrung – wie bedauerlich, dass er die gerade auseinanderbrechenden Konfessionen nicht mehr zusammenbinden konnte.

Eine großartige, wissenschaftlich herausragende, dennoch gut geschriebene und sehr anregende Biografie! Ein witziges Fehlerchen sei angemerkt: Aus dem Primas Germaniae – Ehrentitel des Salzburger Erzbischofs – macht Schilling einen Primus (224); klingt irgendwie nach Klassenprimus – sind so die Kleriker?

Stefan Kiechle SJ

  

Jenal, Georg: Sub Regula S. Benedicti. Eine Geschichte der Söhne und Töchter Benedikts von den Anfängen bis zur Gegenwart. Köln: Böhlau 2019. 444 S. Gb. 50,–.

Dieses Buch überrascht – von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist ein detaillierter Überblick in die Geschichte benediktinischen Lebens, beginnend mit Benedikt von Nursia bis heute. Der Autor – ein Historiker, hinter dem man selbst als Benediktiner einen Benediktiner zu vermuten versucht ist – hat eine Überfülle von Publikationen auf der Höhe der Forschung verarbeitet und zu einem spannenden Ganzen verbunden. Dabei konzentriert sich der Gang in 13 Kapiteln durch 1500 abwechslungsreiche Jahre auf die „schwarzen“ Benediktinerinnen und Benediktiner. Die Geschichte der Zisterzienserinnen und Zisterzienser und ihrer Reformzweige bleibt – gut begründet – ausgeblendet.

Das Buch ist nicht nur eine dichte Aufarbeitung und Darlegung der Geschichte einer bedeutenden Bewegung. Es ist auch eine Betrachtung der benediktinischen Spiritualität, wie sie dem Zeitgeist vieler Jahrhunderte begegnet und sich mit diesem in ganz unterschiedlicher Weise auseinandersetzt. Interessant ist auch das immer wieder durchscheinende Spannungsfeld zwischen Kirchenleitung und benediktinischem Leben. Dem Autor ist hoch anzurechnen, dass er die Frauengemeinschaften von Anfang an bis in aktuellste Fragen in den Blick nimmt und auf Weichenstellungen hinweist, denen dieser Blick fehlt. Bei vielen Reformbewegungen wurden die Frauengemeinschaften nicht mit einbezogen. Das Konzil von Trient hat Bildung nur von den Männergemeinschaften gefordert.

Da der Autor seinen Blick besonders auf die Reforminitiativen richtet, ist das Buch ein Lehrbuch für anstehende Reformen seit dem II. Vatikanischen Konzil. Es ist ein Ansporn, sich den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu stellen und heute die benediktinische Berufung zu leben. Die konzentrierte Behandlung der verschiedenen Reformansätze lässt deutlich erkennen, was zum Gelingen beiträgt und was eine Umsetzung verhindert. Es wird klar, dass „eine Reform aber niemals gelingen kann, wenn sie auf reformunwillige Äbte stößt und auf Gemeinschaften trifft, denen der innere Eifer für Erneuerungen fehlt“ (177). Interessant ist die Analyse dessen, was dazu führte, „dass die ‘schwarzen’ Benediktiner sich um 1400 spirituell und kulturell an einem der deprimierendsten Tiefpunkte ihrer Geschichte fanden“ (178). Vom Adelsprivileg haben sich die Klöster in der Zwischenzeit verabschiedet, aber die Lasten dieses Privilegs liegen immer noch auf vielen Gemeinschaften.

Die Genauigkeit der Aufarbeitung beeindruckt. Das hilft, über kleine Schreibfehler hinwegzusehen, zum Beispiel wenn die Gemeinschaft zu Pradines von „Leo XIII. 1824 zur Benediktinerinnenabtei erhoben“ (313) wurde. Diesen positiven Schritt darf man gerne Leo XII. anrechnen, dessen Reformen man neben seinen weniger glücklichen Maßnahmen allzu leicht übersieht. Einzelne aktuellere Publikationen sind offensichtlich nicht beim Autor gelandet, so die Festschrift zur 400-Jahr-Feier der Schweizerischen Benediktinerkongregation, der 1602 als erster erfolgte Zusammenschluss von Klöstern im deutschsprachigen Raum, wie sie das Konzil von Trient gefordert hatte. Jenal legt dar, wie die Schweizerische Benediktinerkongregation für verschiedene andere Kongregationen Vorbildcharakter hatte. Interessant ist auch die Einsicht, dass in den Reformbestrebungen die Verbindungen immer wieder über die benediktinischen Grenzen hinaus zu anderen Bewegungen gesucht wurden.

Das Buch ist eine hervorragende Arbeit über das benediktinische Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Leider fehlt dem Werk ein Orts- und Personenregister. Dieses Unterbleiben ist schwer zu verstehen. Ob es nicht als Sonderdruck noch nachgeliefert werden sollte? Die Arbeit mit dem Buch würde dies sehr erleichtern.

Martin Werlen OSB

 

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