Diakonische KircheWie sinkende Kirchensteuereinnahmen das Wirken caritativer Einrichtungen verändern können

Der absehbare Rückgang kirchlicher Mittel, die für die caritative Arbeit vor-gesehen werden, erscheint angesichts der größtenteils durch Kostenträger und in geringerem Maße auch durch staatliche Zuschüsse finanzierten Leistungen zunächst wenig folgenreich. Prälat Peter Neher ist Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Er weist darauf hin, dass insbesondere kirchliche Gelder aber dabei helfen, unabhängiger und noch unmittelbarer im Sinne des Evangeliums wirken zu können.

Die Kirchen werden sparen müssen! Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie und der zu erwartenden Kirchensteuerausfälle bekommt die Botschaft des „Forschungszentrums Generationenverträge“ aus dem vergangenen Jahr eine neue Aktualität. Bis 2060, so das Forscherteam der Uni Freiburg, sei mit einer Halbierung der Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen zu rechnen und damit verbunden mit einem starken Rückgang an Kirchensteuern.1 „Für diesen […] Mitgliedsbeitrag der Kirchen rechnen die Studienautoren aufgrund des parallel ansteigenden Lohnniveaus zwar nicht mit einem nominellen Rückgang wohl aber mit einem erheblichen Kaufkraftverlust. Wie im Jahr 2017 werden die Kirchen auch im Jahr 2060 noch rund 12 Milliarden Euro aus der Kirchensteuer erlösen.“2 Die damit verbundenen Herausforderungen stehen jedoch im Kontrast zu den steigenden Steuereinnahmen der letzten Jahre.3

Wer sparen muss, ist gezwungen, die eigenen Ausgaben zu prüfen. Denn Geld kann nur einmal ausgegeben werden. So sind in den kommenden Jahren Diskussionen über die strategische Ausrichtung zu erwarten und darüber, wo die finanziellen Mittel sinnvollerweise einzusetzen sind. Geistliche Angebote müssen überprüft werden, und die, die weiterhin für notwendig befunden werden, sind auch künftig organisatorisch und finanziell abzusichern. Darüber hinaus ist der Gebäudebestand auf den Prüfstand zu stellen. Und schließlich übernimmt Kirche mit ihrer Caritas auch gesellschaftliche Verantwortung, indem sie als Trägerin von Einrichtungen, wie Altenhilfeeinrichtungen, Krankenhäusern, Schulen oder Kindertagesstätten auftritt. Was also gilt es auch künftig zu erhalten und was braucht es für eine zukunftsfähige Kirche? Gerade im Zusammenhang mit den pastoralen Prozessen in verschiedenen Bistümern kommen die caritativen Orte als wichtige kirchliche Präsenzorte in den Blick. Vor dem Hintergrund dieser Diskussionen ist es wichtig, sich klar zu machen, welche Auswirkungen der Rückgang an kirchlichen Finanzmitteln, etwa in Form der Kirchensteuer, auf den caritativen Bereich haben kann.

Kirchensteuer und die kirchliche Soziale Arbeit

Die caritative Arbeit ist für viele ein gewichtiges Argument, Kirchensteuer zu zahlen. Dabei wird der Großteil der sozialen Arbeit – wie bei allen anderen Sozialverbänden auch – durch Mittel der Kostenträger und in geringerem Maße durch staatliche Förderung finanziert. Dies ist der besonderen subsidiären Konstruktion des deutschen Sozialstaates geschuldet. „Die sozialen Hilfeleistungen, zu denen sich der Staat qua Eigenschaft als Sozialstaat bzw. Wohlfahrtsstaat prinzipiell verpflichtet, werden nicht allesamt vom Staat selbst erbracht und durchgeführt, sondern auch von nichtstaatlichen Organisationen. Zur Gewährung der notwendigen sozialen Hilfen geht der Staat ein Kooperationsverhältnis mit anderen Trägern und Institutionen ein, die aufgrund ihrer Ressourcen, ihrer Kompetenzen bzw. ihrer geschichtlich gewachsenen Rolle für die Erbringung solcher Hilfen ausgewiesen sind, und räumt diesen in gewissem Sinne sogar einen Vorrang bei der Übernahme sozialer Aufgaben ein.“4

Das Prinzip der Subsidiarität prägte zwar schon die Sozialpolitik der Weimarer Republik, setzte sich aber endgültig in der jungen Bundesrepublik durch und prägt die Sozialpolitik und Sozialgesetzgebung bis heute. Dieses Prinzip ist in mehreren Sozialgesetzbüchern rechtlich verankert und entfaltet zwei Schutzfunktionen zugunsten von freien Trägern: Soweit sie sach- und fachgerecht arbeiten, können sie eine Zulassung für einen Dienst bekommen und dafür (finanzielle) Hilfen vom Staat beanspruchen und sich gegen zu starke staatliche Steuerung wehren. Insofern gebietet der Subsidiaritätsgrundsatz bei der Frage, wer soziale Dienstleistungen erbringen soll, dass der Staat nur dann eigene Angebote anbieten sollte, wenn die freie Wohlfahrt oder gewerbliche Anbieter nicht zur Erfüllung der Aufgaben in der Lage sind.

Wer vor diesem Hintergrund davon ausgeht, dass die kirchlichen Mittel für die verbandliche Caritas keine Rolle spielen, macht es sich allerdings zu einfach. Denn zusätzliche finanzielle Mittel erhöhen den Gestaltungsspielraum. Sie erhöhen die Möglichkeiten, unsere Gesellschaft im Sinne des Evangeliums mitzugestalten. Hierzu ist es notwendig, sich die Struktur der verbandlichen Caritas in Deutschland vor Augen zu führen.

Die verbandliche Caritas in Deutschland

Im Deutschen Caritasverband sind über die Caritasverbände auf Diözesan-, Landes- und Ortsebene sowie über die Fachverbände mehr als 25.000 Dienste und Einrichtungen der kirchlichen Caritas mit ca. 650.000 beruflich Mitarbeitenden organisiert. Neben der konkreten Hilfe setzt sich die Caritas sozialpolitisch für die Rechte und Anliegen benachteiligter Menschen ein. Bei allen Aktivitäten ist der Deutsche Caritasverband kein Sozialkonzern. Er ist ein dezentraler Verband, denn die einzelnen Gliederungen und Mitglieder mit ihren Diensten und Einrichtungen sind selbstständige Rechtsträger und damit eigenverantwortlich. Sie wirken und bestimmen im Rahmen von Verbandsorganen im Deutschen Caritasverband zusammen. Als Zusammenschluss der kirchlichen Caritas auf Bundesebene erfüllt der Deutsche Caritasverband die Funktionen der Koordinierung, der Interessensvertretung sowie der Qualitäts- und Strukturentwicklung.

Der Deutsche Caritasverband ist also kein Träger von sozialen Einrichtungen, sondern ein Dach- und Spitzenverband, der das gesellschaftliche, kirchliche und politische Leben aktiv mitgestaltet, indem er für diejenigen Stellung bezieht, die häufig aus dem Blick zu geraten drohen. Auf diesem Weg trägt der Deutsche Caritasverband zur Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung bei. Er vertritt das Ziel, Menschen in der Entfaltung ihrer Würde zu unterstützen, das solidarische Zusammenleben in einer pluralen Welt zu fördern und sich in Deutschland aber auch weltweit für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg, zusammen mit ihren Büros in Berlin und Brüssel, mit ca. 450 Mitarbeitenden ist dabei das zentrale Arbeitsinstrument des Präsidenten bzw. des Vorstandes zur Leitung des Verbandes.

Am gesamten Haushalt des Deutschen Caritasverbandes im Jahr 2018 hatten kirchliche Zuschüsse einen Anteil von 6,6%.5 Hierunter fällt unter anderem die institutionelle Förderung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD). Dieser sinkt seit Jahren aufgrund eines Sparbeschlusses der Bischöfe, der mit Blick auf sinkende Kirchensteuereinnahmen gefasst wurde; wobei diese in den letzten Jahren faktisch entgegen der damaligen Berechnungen steil anstiegen.

Auch wenn der Anteil kirchlicher Zuschüsse auf den ersten Blick gering erscheint, haben diese Mittel gerade im Kontext dach- und spitzenverbandlicher Aufgaben eine hohe Bedeutung. So ermöglicht die institutionelle Zuwendung grundsätzliche Positionierungen, unabhängig von (partei-)politischen oder staatlichen Vorgaben und anderen Finanzierungsabhängigkeiten. Darüber hinaus sichert die Zuwendung des VDD die Finanzierung einer verlässlichen Plattform und Infrastruktur, um vielfältige Aufgaben und Projekte als zentrale Anlaufstelle der Caritas in Deutschland durchführen zu können.

Diese Mittel haben aber einen weiteren Effekt, indem sie zusätzlich operative Möglichkeiten eröffnen. Dies gilt etwa für den Zugang zu Bundesmitteln, wenn es um Komplementärfinanzierungen geht. Öffentliche Zuschüsse und die Förderung durch Soziallotterien setzen bis zu 40% Eigenmittel voraus. Von daher können kirchliche Mittel über die institutionelle Förderung hinaus eine Hebelwirkung mit konkreten Auswirkungen für Projekte entfalten. Um es konkret zu machen: Im Falle eines Projekts mit gefordertem Eigenmitteleinsatz von 20% kann ein Euro die Förderung von caritativer Arbeit im Wert von fünf Euro ermöglichen.

Ein weiterer größerer Teil der kirchlichen Zuschüsse sind Mittel, die für die internationale Arbeit des Deutschen Caritasverbandes durch sein Hilfswerk Caritas international zur Verfügung gestellt wird. Diese Unterstützung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da sie Projekte in unterschiedlichen Teilen der Welt mitfinanziert und konkrete Projekte für Menschen in Not ermöglicht. Darüber hinaus erhält Caritas international auch direkte Zuwendungen und Unterstützungen einzelner Bistümer. Hierunter fallen auch Spenden, die angesichts von akuten Krisen für die humanitäre Arbeit zur Verfügung gestellt werden.

Auf Diözesanebene gibt es sehr unterschiedlich strukturierte Diözesancaritasverbände. Ein großer Teil übernimmt analog zum Deutschen Caritasverband dach- und spitzenverbandliche Funktionen. In diesen Fällen sind oft die Ortscaritasverbände Träger von Einrichtungen und Diensten. Diese Diözesancaritasverbände sind stärker auf kirchliche Mittel angewiesen. Wenn es um dach- und spitzenverbandliche Aufgaben geht, wird dieser Teil der Arbeit bis zu 100% vom jeweiligen Bistum finanziert. Demgegenüber spielen Kirchensteuermittel in den Ortscaritasverbänden eine geringe Rolle, oftmals nur mit einem Anteil von 1-4% der Gesamterträge. Die sozialen Dienste sind hier im Wesentlichen durch die Kostenträger oder auch staatlich mitfinanziert. Dennoch spielen kirchliche Finanzmittel auch hier eine wichtige Rolle, etwa wenn es um die Finanzierung von Beratungsdiensten geht oder wenn Komplementärfinanzierungen notwendig sind, wie etwa im Fall von Hospizen. Diese Finanzierungslogiken gelten auch für Personalfachverbände wie den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Kirchensteuermittel können in jedem dieser Fälle helfen, konkrete Projekte zu finanzieren, wie Angebote für ältere Menschen, Tafeln oder Einrichtungen für Obdachlose. Und noch eine weitere Bedeutung hat die Förderung aus Kirchensteuermitteln: Treten neue Notlagen auf, so ermöglichen diese Mittel, Hilfsangebote zu entwickeln und vorzufinanzieren, bis eine Regelfinanzierung etabliert werden kann.

Sind die Diözesancaritasverbände hingegen Träger von Einrichtungen, sinkt der Anteil und ggf. die Bedeutung der kirchensteuerlichen Finanzierung. Gleiches gilt für einzelne Träger bzw. Trägergesellschaften, wo Kirchensteuern eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Rückgang der Kirchensteuer:
Was würde sich verändern?

Die Bedeutung der Kirchensteuermittel hängt von den Aufgaben des jeweiligen Verbandes ab. Die Bedeutung und der Anteil sinken in dem Maße, in dem andere (staatliche) Finanzierungsmöglichkeiten gegeben sind. Kirchensteuermittel und andere kirchliche finanzielle Hilfen schaffen aber wichtige Freiräume und helfen, die politische Arbeit zu finanzieren, aber auch Felder wie die Arbeit und Begleitung von Ehrenamtlichen oder Beratungsdienste. Kirchliche Finanzmittel sind darüber hinaus bedeutend für Verbände, die dach- und spitzenverbandliche Aufgaben haben, und können Hebelwirkungen entfalten, wenn es um Komplementärfinanzierungen sozialer Projekte geht.

Der Rückgang an Kirchensteuermitteln wird im Bereich der Caritas – ob verbandlich oder anderweitig organisiert – nicht dazu führen, dass alles „wegbricht“, was wir heute mit kirchlicher Caritas verbinden. Der Rückgang wird aber sehr wohl das Gesicht der Caritas verändern und langfristige Investitionen oder strategische Entscheidungen erschweren. Es braucht finanzielle Möglichkeiten, um Projekte zu finanzieren, die helfen können, Menschen zu unterstützen. Ein Beispiel hierfür sind die Anstrengungen der vergangenen Jahre im Bereich der Digitalisierung. So zahlten sich die Weiterentwicklung der Online-Beratungsangebote und deren Relaunch gerade in der ersten akuten Phase der COVID-19-Pandemie aus. Innerhalb kurzer Zeit stiegen nicht nur die Anfragen stark an, auch auf der Seite der Beraterinnen und Berater konnten zeitgleich Weiterbildungen und Einbindungen in das System der Online-Beratung organisiert werden.

Der Rückgang an finanzieller Unterstützung durch kirchliche Finanzmittel würde im Einzelfall gegebenenfalls zu Lasten der politischen Arbeit gehen und den Einfluss auf politische Meinungsbildung in der bisherigen Breite verringern. Die Bedeutung kirchlicher Interessenvertretung, die sich auf den sozialen Sektor konzentriert, zeigte sich in den vergangenen Monaten beispielsweise bei Erarbeitung des Rettungsschirmes der Bundesregierung. Ohne den Beitrag von Caritas und Diakonie bei der gemeinsamen Anstrengung der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wäre dieser nicht auch über die soziale Infrastruktur unseres Landes gespannt worden.

Neue Wege suchen

Angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen wird es auch im Bereich der verbandlichen Caritas vermehrt zu Priorisierungen und strategischen Debatten kommen müssen. Damit verbunden wird es notwendig sein, nach anderen Arten der finanziellen Unterstützung Ausschau zu halten. Dies unterstreichen die Gründungen von Caritas-Stiftungen durch Diözesan- und Ortscaritasverbände bereits seit rund zwanzig Jahren. Hiermit wurde eine weitere Finanzierungssäule caritativer Arbeit geschaffen. Gerade die erfolgreichen Beispiele zeigen, dass caritative Arbeit geschätzt und finanziell unterstützt wird. Dieses Vertrauen ist ein gewichtiges Pfund. Von daher sind auch Finanzierungsmodelle denkbar, die gerade bei konkreten Projekten auf Spenden bauen. Denn immer wieder zeigt sich, dass die sinkende Akzeptanz der Kirche nicht ohne Weiteres auf die verbandliche Caritas übertragen werden kann. Häufig wird der „Marke“ Caritas mehr Vertrauen entgegengebracht. Gerade mit Blick auf die Spendenbereitschaft für die internationale Arbeit lässt sich kein Rückgang feststellen. Die sinkende Akzeptanz wirkt sich aber durchaus da aus, wo kirchliche Kollekten ein wichtiges Mittel zur Finanzierung caritativer Arbeit sind.

Neben strategischen Diskussionen innerhalb der verbandlichen Caritas braucht es aber auch mehr gesamtkirchliche Debatten angesichts künftig notwendiger Sparprozesse. Diese sollten genauso auf die Erfahrungen in den Kirchengemeinden und den katholischen Verbänden setzen wie auf die theologische Expertise und den finanziellen Sachverstand in den Ordinariaten. Denn Sparprozesse haben mit Prioritäten und Profilfragen zu tun. Eine Kirche ohne Caritas ist keine Kirche. Von daher ist es notwendig, miteinander darüber zu diskutieren, welchen Stellenwert die caritative Arbeit auch künftig einnehmen soll und wie sich dies dann auch in der Ausgabenplanung der Bistümer zeigt. Das Motiv einer diakonischen Kirche darf keine Worthülse sein.

Dabei ist die Verbindung von Caritas und Pastoral alles andere als selbstverständlich. Ein Feld, auf dem diese Verbindung gut gelingen könnte, ist eine gemeinsame Sozialraumorientierung. Der diakonische Auftrag der Kirche und ihrer Caritas verlangt die Offenheit für die Lebenssituationen von Menschen. Kirchengemeinden sind genauso wie Einrichtungen und Dienste der verbandlichen Caritas Akteure im Wohn- und Lebensumfeld von Menschen. Sie sind aber auch ein nicht zu übersehender Faktor in der Gestaltung und Entwicklung eines Gemeinwesens, in dem sie Menschen zusammenbringen, Missstände aufgreifen und initiativ werden. So können Netzwerke entstehen, wo Caritasdienste und Gemeinden mit ihren diakonischen und pastoralen Auf­gaben und Zielen ineinandergreifen.

In der ökumenisch verantworteten Initiative „Kirche findet Stadt“6 von Diakonie Deutschland, dem Deutschem Caritasverband und ihren beiden Kirchen wurde diese Rolle als Akteure der Stadtentwicklung verstärkt in den Blick genommen. An sogenannten „Pionierstandorten“ stellten sich Kirchengemeinden genauso wie caritative und diakonische Einrichtungen und Dienste der Aufgabe, Quartiere und deren Zusammenleben mit unterschiedlichen Partnern und den Kommunen weiterzuentwickeln. Weder Kirchengemeinden noch kirchliche Wohlfahrtsverbände mit ihren Einrichtungen und Fachdiensten sind dabei neutrale Beobachter. Sie sind Teil des Lebens und deshalb auch von Sorgen und Nöten, Hoffnungen und Träumen der Menschen geprägt. Die Gestaltung einer diakonischen Kirche, die mit strukturellen Unterschieden von Pastoral und Caritas rechnet, diese Vielfalt will und Vernetzung gestaltet, wird auch künftig Geld kosten. Wir sollten sie uns leisten.

Viele Beispiele von „Kirche findet Stadt“ zeigen, dass sich dieses Miteinander lohnen kann, wenn beispielsweise die Kirchengemeinde der Ort wird, an dem Beratungen gebündelt und Hilfen im Quartier organisiert werden können. Gerade durch die Spontaneität ehrenamtlichen Engagements kann vieles angestoßen werden. Es kann aber auch dann an Grenzen stoßen, wenn es um Verstetigung und Finanzierung von Projekten geht. Hier gestalten sich die Zugänge zur kommunalen Seite schwieriger als im Falle gewachsener Sozialverbände, die Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sind.

Eine Kirche im Sinne des Evangeliums braucht eine starke Caritas

Dass sich die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, auch theologisch lohnt, steht außer Frage. Eine Kirche, die sich auf die Welt einlässt, wird sich verändern. Sie wird mehr über sich selbst und ihre Botschaft lernen. Eine Kirche, die sich von ihrem sozialdiakonischen Auftrag her versteht, kann nicht anders als dort hinzugehen, wo die Menschen leben. Eine solche Kirche wird mit den Menschen in deren Lebenswirklichkeit leben, ohne sie zuerst mit Idealvorstellungen eines christlichen Glaubenslebens zu konfrontieren und sie daran zu messen. Denn nur wenn sie sich in die Lebenswirklichkeit von Menschen begibt, kann sie etwas von Gottes menschenfreundlicher Liebe und Barmherzigkeit erfahrbar machen.

Dies setzt aber eine „kontinuierliche und intensive Wahrnehmung der Erfahrungen des professionellen diakonischen Sektors“7 voraus, wie es Rainer Bucher formuliert. Das immer wieder zu erlebende und zum Teil sogar neu initiierte Nebeneinander von verbandlicher Caritas und ihrer Kirche bildet häufig einen Kontrast zu diesem Wunsch. Es hat sich noch nicht überall herum gesprochen, dass auch die verbandliche Caritas mit ihren Einrichtungen und Diensten als Teil der Kirche diese längst mitentwickelt.

Wenn die Kirche durch den Dienst ihrer Caritas Wertschätzung erfährt, ist nichts dagegen einzuwenden, aber das darf nicht das Ziel sein. Denn wer so denkt, tappt schnell in die Falle eines Gegeneinanders, das die Pluralität der kirchlichen Lebensräume mit unterschiedlichen Perspektiven und dem gemeinsamen Sendungsauftrag vernachlässigt. Eine solche Instrumentalisierung kirchlicher Caritas würde darüber hinaus leichtfertig das Potential verspielen, das Evangelium über vielfältige Wege mit der Lebenswirklichkeit der Menschen ins Gespräch zu bringen.

Verbandliche Caritas ist Kirche, indem sie den Sendungsauftrag im Kontext eines subsidiär gestalteten Sozialstaates verwirklicht und dabei eigene Akzente setzt.8 Demgegenüber hat sich im Laufe der Neuzeit eine Pastoral herausgebildet, die sich ebenso professionalisiert hat. Insofern gilt es die verschiedenen institutionellen Ausprägungen von Pastoral und Caritas im Sinne einer gemeinsamen diakonischen Kirchenentwicklung in den Blick zu nehmen. Dazu gehört eine Pluralität an kirchlich caritativen und pastoralen Orten, die immer wieder neu den gemeinsamen Sendungsauftrag mit Leben zu füllen haben. Hierfür ist es notwendig, Gemeinsames zu unterstreichen. Hierfür ist es aber auch notwendig, Unterschiede wahrzunehmen. Genau das aber ist kein Makel, sondern im jeweiligen Kontext zu würdigen und als Chance zu begreifen.

Die Veränderung der kirchlichen Finanzsituation hat Auswirkungen auf die Soziale Arbeit der Katholischen Kirche. Die bereits bestehenden Kürzungsprozesse geben einen Eindruck davon, was in den kommenden Jahren auf die verbandliche Caritas zukommen könnte. Die Kirchensteuermittel spielen gerade da eine Rolle, wo dach- und spitzenverbandliche Aufgaben wahrgenommen werden, politische Arbeit stattfindet, Beratungsdienste vorgehalten, neue Hilfsangebote entwickelt oder Ehrenamtliche begleitet werden. Dies gilt es auch unter veränderten Finanzbedingungen aufrechtzuerhalten und neue Finanzierungsmodelle zu entwickeln.

Gleichzeitig braucht es innerhalb der Kirche mit ihrer Caritas eine breite Debatte, welches Profil mit einer Kirche verbunden werden soll, die mit sinkenden Einnahmen zu rechnen hat. Das Profil einer diakonischen Kirche, die in vernetzten Strukturen von Pastoral und Caritas denkt, bietet große Chancen, auch unter veränderten Bedingungen den Menschen nahe zu sein. Hierfür braucht es aber eine Würdigung von Gemeinsamem und Unterschiedlichem. Es braucht eine starke verbandliche Caritas, die ihren Aufgaben um der Menschen willen nachkommen und eine diakonische Kirche mitgestalten kann – selbst wenn sich die finanziellen Rahmenbedingungen ändern. Auch geringer werdende kirchliche Finanzmittel sind hierbei wichtig und im Sinne dieser Kirche gut angelegt.

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