Von Bayern sagt man, es sei eine Anarchie, die aber von einem „starken Anarchen“ regiert werden muss. Soll heißen, dass der Hang zu Unabhängigkeit und Widerspruch sein Gegenteil bereits in sich trägt.
Ein ähnlicher Eindruck mag entstehen, wenn man über den Begriff „Synodalität“ nachdenkt. Großer Förderer dieser Synodalität ist ja Papst Franziskus. Für ihn ist diese die Zukunft der Kirche. Mehr noch, sie sei ein kirchlicher Beitrag, welcher der Welt insgesamt helfen könne. Das ist seine Überzeugung, zuletzt geäußert in seinem neuen Buch „Wage zu träumen!“ Der Papst wirbt für Freimut, für Offenheit, für neue Ideen, für Aufbruch. Das alles gehöre zur Synodalität. Sein Amt definiert er immer wieder – vor allem bei Bischofssynoden – als das des Garanten der Einheit. Vielstimmigkeit sei wichtig, und der Papst garantiere, dass das Ganze nicht auseinanderbreche. Das schaffe Freiheit.
Nachdenklich wird man, wenn man seine Reaktionen auf Konflikte sieht, die in synodalen Prozessen entstehen. Etwa die Rundumkritik an Mehrheitsentscheidungen während einer Generalaudienz im Oktober. Auch wenn er sich nicht gegen konkrete Projekte gewandt haben mag, so spricht aus seinen Aussagen doch das Misstrauen gegenüber nicht kontrollierten Prozessen. Also doch keine Offenheit, wenn sie nicht kontrollierbar ist? Trägt die Synodalität à la Franziskus ihren Widerspruch bereits in sich? Bei aller Unterstützung für das Projekt Synodalität darf man das Sprechen und das Handeln des Papstes genauer betrachten.
Synodalität funktioniert über das, was man „Unterscheidung der Geister“ nennt, oder einfach kurz „Unterscheidung“. Das ist ein tief in christlicher Spiritualität verankertes Suchen nach dem Willen Gottes für uns in der Welt. „In eine Unterscheidung einzutreten bedeutet, verschiedene Optionen vor den Herrn zu halten. … Du wägst Gründe für und gegen ab, immer in dem Wissen, dass Jesus mit dir und für dich ist“, so formuliert es Franziskus in seinem Buch. „Zu unterscheiden bedeutet, unsere Entscheidungen und Handlungen nicht nur durch rationales Kalkül zu durchdenken, sondern auf Seinen Geist zu hören und im Gebet Gottes Motive, Einladungen und Willen zu erkennen.“ Ähnliche Zitate gäbe es noch viele.
Eine Unterscheidung ist kein Selbstzweck, und auch Synodalität nicht. Sie sind letztlich Mittel auf dem Weg zu Entscheidungen. Eine dieser Entscheidungen, die sehr kritisch wahrgenommen wurde, war etwa die des Papstes, nach der Bischofssynode zu Amazonien im Oktober 2019 nicht über die Priesterweihe von Verheirateten, so genannte Viri Probati, zu sprechen. Die Bischöfe hatten in ihrem Unterscheidungsprozess eine schwache Formulierung dazu aufgenommen. In Querida Amazonia, dem päpstlichen Abschlussdokument, findet sich davon aber nichts mehr. Schon im September 2020 hatte er in einer von der Zeitschrift „La Civiltà Cattolica“ veröffentlichten Notiz den Grund seines Vorgehens so formuliert: Es habe bei der Synode zwar eine „gute, produktive und sogar notwenige“ Debatte zu diesem Thema gegeben, es sei aber „nicht mehr als das gewesen, da keine echte Unterscheidung“ stattgefunden habe.
Der Papst garantiert also nicht nur die Einheit im Unterscheidungsprozess, ihm kommt auch das Recht zu, zu beurteilen, was überhaupt eine Unterscheidung war. Ganz ohne Kriterien.
Sein Buch ist noch einmal ausführlicher: Ausdrücklich will er erklären, warum er das Thema der Viri Probati gar nicht erst angeschnitten hat. Er nimmt die Enttäuschung wahr, die seine Entscheidung ausgelöst hat, und versucht sich an einer geistlichen Interpretation: „In einem Synodenprozess aber ist es wahrscheinlicher, dass solche Enttäuschungen eine Agenda enthüllen: Du bist gekommen, um etwas ganz Bestimmtes zu erreichen. Und wenn du das nicht bekommst, dann fühlst du dich ernüchtert.“ Als Papst sieht er sich also nicht nur als derjenige, der beurteilt, was Unterscheidung war und was nicht, sondern er beurteilt auch die geistlichen Motive, die zu diesem oder jenem Prozess geführt haben.
Der Papst erklärt im Nachhinein eine Unterscheidung zur Debatte und schiebt die Probleme, die das schafft, ins Individuelle, ins Geistliche: Da hätte es eine Agenda gegeben. Und so schlüssig dem Beobachter das sein mag, ist es im Prozess vom Unterscheiden hin zum Entscheiden ein sehr problematischer Schritt: Wenn der Entscheider nach der Unterscheidung selbst beurteilt, was „echt“ war und was nicht, was aus lauteren Motiven kommt und was nicht, dann deutet er die Beratung um. „In der Unterscheidung zwischen dem, was von Gott und was nicht von Gott ist, beginnen wir zu sehen, wo und wie wir handeln sollen“, formuliert der Papst in seinem Buch. Dieses Sehen wird eingetrübt, wenn es nachträglich umgedeutet wird.
Unterscheidungsprozesse müssen zu Entscheidungen führen, und das auf eine transparente, nicht vom Entscheider umzuinterpretierende Weise. Nur so kann das auch zum Modell für das Projekt der Kirche in Deutschland werden, für den Synodalen Weg.