Moosbrugger, Mathias: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten.
Innsbruck: Tyrolia 2021. 287 S. Gb. 27,95.
Anschaulich und leicht lesbar präsentiert sich das vorliegende Porträt des ersten „deutschen Jesuiten“, dessen 500. Geburtstag wir am 8. Mai 2021 feiern. Ohne eine umfassende Gesamtbiografie vorzulegen, zeichnet Moosbrugger Canisius‘ Persönlichkeit plastisch und profund. Er spannt im ersten Kapitel seinen Lebensbogen auf, indem er einerseits das Herkunftsmilieu seiner einflussreichen Patrizierfamilie in Nimwegen am Niederrhein skizziert. Andrerseits beschreibt er seine langen letzten Lebensjahre im schweizerischen Fribourg. Nicht mehr ordens- und kirchenpolitisch europaweit aktiv, ist Canisius doch als angesehene Persönlichkeit, die die katholische Reform europaweit geprägt hat, vor Ort als Seelsorger, Prediger, Schriftsteller und Schulgründer weiterhin unermüdlich tätig.
Die vier weiteren Kapitel beschreiben Canisius in historischen Spannungsfeldern, in denen er sich bewegt hat: „Zwischen Kartäusern und Jesuiten“ zeigt, wie der junge Canisius innerliche Frömmigkeit suchte, durch die Exerzitien und die Begegnung mit dem Seelenführer Peter Faber sich jedoch nicht aus der Welt zurückzog, sondern den apostolischen Jesuiten anschloss. Exemplarisch wird der Wandel der Frömmigkeitsformen wie auch ihre innere Verschränkung im 16. Jahrhundert sichtbar. „Zwischen Kollegien und Konzil“ gibt Einblick, wie Canisius Hauptakteur im Wandel der jungen Gesellschaft Jesu hin zu einem Bildungsorden war. Nachdem er schon an der ersten Schulgründung in Messina beteiligt war, förderte er zeitlebens Kollegsgründungen im deutschen Sprachraum. Darüber hinaus war er gesandt, kirchenpolitisch am Konzil von Trient und mit Fürsten für die römisch-katholische Reform zu wirken.
„Zwischen Kirchenväter und Katechismus“ zeigt Canisius als Theologen. Dem Interesse der Zeit verpflichtet, erschloss er die Quellen der Kirchenväter und interpretierte sie konkurrierend mit den protestantischen Theologen. Nicht wissenschaftliche Quellen-Erschließung war sein erstes Anliegen, sondern Stärkung des Kirchen- und Glaubensverständnisses. Mit seinem Katechismus schuf er ein Buch für den Religionsunterricht und einen Bestseller. „Zwischen Schuld und Sünde“ thematisiert Canisius als Prediger der Hexenverfolgung. Zwar war er nie an solchen Prozessen beteiligt, doch sein Wirken wurde auch von anderen Jesuiten als extrem und nicht den Maßstäben des Ordens entsprechend beurteilt.
Wenn Moosbrugger im letzten Kapitel dunkle Seiten des Heiligen darstellt, greift er zu Recht auf moralische Urteile zurück. Im ganzen Buch bleibt er aber Historiker, der Canisius aus seiner dramatischen und polemischen Zeit heraus versteht. Auch wenn dessen antiprotestantische Haltung heute nicht mehr geteilt werden kann und der Katechismus-Stil pädagogisch überholt ist, wird sichtbar, wie Canisius aus tiefer Glaubensüberzeugung heraus in das Zeitgeschehen eintauchte, nach bestem Wissen und Gewissen handelte und so für das Evangelium Großes bewirkte, auch wenn er nach heutigem Urteil in manchem irrte. Sein Hauptanliegen, der Aufbau der katholischen Kirche angesichts der Reformation, machte Canisius zu einem politischen Heiligen. Seine Selig- und Heiligsprechung im 19. und 20. Jahrhundert vereinnahmten ihn noch mehr kirchenpolitisch gegen die Ökumene und die Moderne. Das Porträt Moosbruggers ist daher so wohltuend befreiend, weil es einen menschlichen Canisius jenseits ideologischer Vereinnahmung zeigt, der die Berufung eines Jesuiten in seiner Zeit authentisch verkörperte.
Christian M. Rutishauser SJ
Pfister, Michael Florian: Ein Mann der Bibel - Augustin Bea SJ (1881-1968) als Exeget und Rektor des Päpstlichen Bibelinstituts in den 1930er und 1940er Jahren (Jesuitica 25).
Regensburg: Schnell+Steiner 2020. 808 S. Gb. 76,–.
Kardinal Augustin Bea bedeutet für viele vor allem den einflussreichen Reformer der Kirche, der durch seine Mitwirkung an wichtigen Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Offenbarungsverständnis, zur Ökumene und zum Verhältnis der Kirche zum Judentum sowie durch seine Tätigkeit als erster Leiter des Päpstlichen Sekretariats für die Einheit der Kirchen bahnbrechend wirkte. Die Jahre vor dem Pontifikat Johannes XXIII. sind wenig im Blick. Beas Rolle als Exeget und Rektor des Päpstlichen Bibelinstituts bis 1949 ist wenig bekannt. Der Autor legt in dem äußerst umfangreichen Werk zu dem „Mann der Bibel“ vor allem in den 1930er- und 1940er-Jahren ein sehr gründlich recherchiertes Buch vor, das als Dissertation an der Universität Münster bei Prof. Hubert Wolf eingereicht wurde. Es stützt sich auf ausgedehnte Archivarbeit in Rom und München. Dabei stellt sich heraus, dass Bea seine progressive Einstellung nicht etwa lange verbarg, sondern dass er sie bis in die 40er-Jahre nicht hatte.
Um den frühen Bea zu verstehen, braucht es eine kurze Darlegung der Lage der katholischen Bibelauslegung nach dem Ersten Vatikanischen Konzil und eine kurze Lebensbeschreibung des späteren Kardinals. Die Bibelauslegung nach dem Ersten Vaticanum war von Apologetik geprägt. Die offizielle Kirche sah den Glauben durch Rationalismus und Historismus bedroht. Hinzu kam um die Jahrhundertwende die sog. Modernismuskrise, in der man fürchtete, objektiv vorgegebene Glaubensinhalte würden nicht mehr akzeptiert. So kam es 1902 zur Gründung der Päpstlichen Bibelkommission und 1909 zu der des Päpstliche Bibelinstituts, dieses in der Hand der Jesuiten. Beide Institutionen verschlossen sich gegenüber meist protestantischer moderner Bibelkritik. Vor allem die traditionelle Autorschaft der biblischen Bücher wurde festgehalten, angefangen von der Herkunft des Pentateuchs von Mose als Autor. Bis in die Mitte des 20. Jhd. hielt Bea an solchen Positionen fest, was verwundern mag. Pfister zeigt auch an Vorlesungsskripten Beas aus der Zeit seiner Professur und seines Rektorats am Bibelinstitut, wie dieser an der Zuschreibung der alttestamentlichen Schriften an die Autoren, deren Namen sie tragen, festhielt. Allenfalls spätere Bearbeitungen wurden anerkannt (etwa im Buch Daniel). Bea sorgte für die reine Lehre auch in seiner Mitarbeit an der Bücherzensur innerhalb des Ordens und der Kirche, hier des Heiligen Offiziums.
Eine Wende trat erst mit der Enzyklika Pius XII., Divino afflante Spiritu, von 1943 ein, die sich gegen eine charismatisch-fundamentalistische Richtung innerhalb der italienischen Kirche wendete. Diese Enzyklika ging weitgehend auf Bea zurück. Schon 1935 hatte Bea an ökumenischen Fachkongressen in Göttingen und Rom teilgenommen, die ihm persönliche Kontakte zu Protestanten und Juden ermöglichten. So wurde eine Entwicklung möglich, die ihn zur führenden Figur auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil werden ließ. Die persönlichen Aufzeichnungen Beas aus der früheren Zeit lassen diese Entwicklung kaum ahnen, geben aber ein Bild von einem Mann der Kirche und der Bibel, der sich um eine lebendige Christusbeziehung bemüht, die auch sein Wirken bestimmen soll.
Johannes Beutler SJ