But I know that feelings matterAnfragen an das Verhältnis von Vernunft und Gefühl

We live in a world that distrusts feelings. Over and over, we are reminded that feelings are not as important as reason, that feelings are childish, irresponsible, dangerous. We are taught to ignore them, control, or deny them. We barely understand what they are, where they come from, or how they seem to understand us better than we understand ourselves. But I know that feelings matter…

– Aus der Serie „Sense8“, S8 E12 (2018)

 

Gefühle gelten traditionell als affektive Widersacher der Vernunft, als a-rationale und damit weitgehend unberechenbare Gemütsregungen, von denen wir ergriffen, ja regelrecht übermannt werden können. Gefühle stehen somit im Kontrast zum Rationalen, scheinen die Vernunft einseitig irritieren, hemmen und bisweilen sogar weitgehend unterbinden zu können. Kurz: Gefühl bleibt das Gegenteil von Kalkül. Innerhalb dieser Logik hat die Aufgabe des Menschen als animal rationale deshalb darin zu bestehen, diesen potenziellen Störfaktor zu zügeln, ihn durch die Vernunft selbst zu beherrschen und so einzudämmen. Oder anders: Wer einen kühlen Kopf bewahren möchte, darf sein Gemüt nicht unmäßig erhitzen lassen.

Ausgehend von diesen Annahmen wird selbst in aktuellen Debatten weiterhin jener Gegensatz befeuert, dem zufolge Gefühle als natürlich-affektive Widersacher rational-kultivierter Abwägung begriffen werden. Diese Bestimmung bleibt jedoch nicht alternativlos: In den letzten Jahrzehnten haben nicht zuletzt philosophische Reflexionen sowie psychologische, soziologische oder neurowissenschaftliche Erhebungen eine Neubewertung dieses Verhältnisses angeregt. Aus theologischer Perspektive ist dabei erstaunlich, dass viele dieser neuen Ansätze an Überlegungen erinnern, wie sie uns schon seit dem 16. Jahrhundert im Exerzitienbuch (EB) des Ignatius von Loyola begegnen: Gefühle sind demnach keine Störfaktoren an sich, sondern werden vielmehr als mögliche Quelle unserer Entscheidungen ernstgenommen.

Die Unterscheidung der Geister erschöpft sich nach Ignatius daher nicht in rein rationalen Betrachtungen, sondern umfasst gerade auch das bewusste Hinhören und kritische Ausdeuten innerer Gefühlsregungen. Für Ignatius kommt es folglich auf die Identifikation und Interpretation von Gefühlen an, bedarf es einer Sensibilität für das eigene Innenleben wie eines Freilegens damit verbundener Sinngehalte. Vor einem solchen Hintergrund stehen Gefühle unseren Entscheidungen nicht zwangsläufig entgegen, sondern können zu wichtigen Indikatoren werden, die „Klarheit und Einsicht“ (EB 176) befördern. Gefühle werden – anders gesagt – als Informationsquelle persönlicher Entscheidungsfindung verstanden, können rationale Reflexionsprozesse unterstützen und so wichtige Impulse individueller Orientierung setzen.

Gefühle stellen also eine wichtige Ressource dar, weil sie Hinweise darauf geben, was uns als Individuen bewegt. In unserem Alltag wird dies zum Beispiel sichtbar, wenn wir zur Sprache bringen, dass wir uns über etw./jmd. freuen, uns vor etw./jmd. fürchten, wegen etw./jmd. schämen oder um etw./jmd. trauern. Gefühle nehmen somit Bezug zur Außenwelt, sind Reaktion auf etwas oder jemanden. Aber: Nicht alles scheint solche Reaktionen auszulösen. Nur wenn uns eine Sache, Person oder Situation irgendwie angeht, uns unmittelbar betrifft oder anrührt, werden wir auf der Gefühlsebene darauf antworten. Gefühle bringen so zum Ausdruck, was für uns von Bedeutung ist, d. h. sind selbst stets Bedeutungsträger.

Was oder wer nun jedoch Bedeutung besitzt, wird nicht von den Gefühlen selbst vorgegeben. Vielmehr werden diese Bedeutungen durch die Außenwelt, durch die Interaktion des jeweiligen Individuums mit der für ihn typischen Umwelt geprägt und geformt. Gefühle stellen keine blinden Triebe oder Instinkte dar und stehen dem Denken nicht einfach entgegen, sondern sie lassen sich stattdessen eher als Signale begreifen, die auf familiären, kulturellen, religiösen usw. Vorstellungen beruhen und durch diese beeinflusst sind. Deshalb werden Gefühle auch nicht von allen Menschen in gleicher Weise und gegenüber den gleichen Dingen, Personen oder Situationen empfunden. Worüber wir uns freuen, wovor wir uns fürchten, weswegen wir uns schämen oder worum wir trauern, ist demnach nicht einfach ein für alle Mal festgelegt, sondern vielfach Ergebnis unserer Sozialisation.

Gefühle verweisen daher häufig auf die unserem Denken zugrundeliegenden Konzepte und Zugänge, die wiederum von unserer Umwelt geprägt werden: So empfinden wir etwa Scham in Situationen, die in unserer Familie, Kultur, Religion usw. jeweils als unangebracht, beschämend, peinlich gelten. Gefühle sind folglich nicht unbedingt etwas natürlich Vorgegebenes, keine rein affektiven Reaktionen. Stattdessen sind sie sozial hervorgebracht und lassen sich dadurch überhaupt erst kritisch anfragen. „Sag mir: Warum fühlst du, wie du fühlst?“ wird erst dort zu einer angemessenen Frage, wo von einem responsiven Charakter, von einer grundsätzlichen Formbarkeit und letztlich Rückbindung an soziale Konzeptionen und Denkmuster unserer individuellen Gefühlswelt ausgegangen werden kann.

Zugleich gehen damit Verantwortungen einher, ja haben sich auch Institutionen und andere soziale Strukturen und Gruppierungen ihres Einflusses auf unsere Gefühlsbildung bewusst zu werden. Was Ignatius also als Aufgabe für die Einzelnen festhält, wird auch zur Aufgabe der Gesellschaft. Entsprechend müsste etwa auf struktureller Ebene eine höhere Sensibilität für die jeweilige Prägung und Tradierung gewisser Gefühle und dadurch vermittelter Bedeutungsgehalte an den Tag gelegt werden. Dabei bedarf es insbesondere einer Beschäftigung mit vermeintlich „natürlichen“ und „selbstverständlichen“ Gefühlen und ihren meist verdeckt bleibenden Grundannahmen.

Ein solcher Ansatz hätte nicht zuletzt Konsequenzen für die Institution der Katholischen Kirche. Diese müsste sich vor einem solchen Hintergrund künftig etwa viel bewusster mit Fragen befassen wie: Welche Gefühlswelten bedienen wir in welcher Weise? Welche Bedeutungsgehalte werden im Rahmen dessen (vermutlich oftmals unbewusst) transportiert? Was macht es beispielsweise mit den Gläubigen, wenn gewisse Bereiche der Sexualität immer wieder als „unrein“, „unnatürlich“, „ungeordnet“ und damit als „unsittlich“ oder „moralisch verwerflich“ gelten und infolgedessen tendenziell tabuisiert werden? Werden so nicht Gefühle wie Ekel oder Scham befördert? Und: Welche Vorstellungen und damit einhergehenden Bedeutungen verbergen sich eigentlich hinter der Tradierung eben solcher Gefühle?

Weil Gefühle wichtige Indikatoren dafür sein können, was für uns und unsere Umwelt von Bedeutung ist, sie sozusagen unser Denken, unseren Zugang zu unserer Welt unmittelbar erfahr- und spürbar machen, sind Gefühle mehr als bloße Widersacher der Vernunft, ja kommt es eben doch auch auf unsere Gefühle an! Mit anderen Worten: I know that feelings matter… because I feel that knowing matters.

 

Der Text ist ein Beitrag zum Essay-Wettbewerb für junge Autorinnen und
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