Mertes, Barbara und Michael (Hgg.): Von der Volkskirche zur Sekte? Warum die Rede vom Gesundschrumpfen falsch ist. Paderborn: Bonifatius 2020. 191 S. Kt. 18,–.
Das vorliegende Buch ist vor dem Synodalen Weg konzipiert worden, und damit zeigt es seine Hellsichtigkeit, denn es bringt einen profilierten Standpunkt dazu, was bei dem Synodalen Weg aus theologisch reflektierter Sicht auf dem Spiel steht. Die vierzehn Beiträge in den beiden Kapiteln „Warum Kirche und Gesellschaft einander brauchen“ und „Was für die Zukunft wichtig wird“ sammeln ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die kirchliche Situation: von der Kirche im Dorf, über die katholischen Schulen zur Evangelisierung durch Musik und von Maria 2.0‘s Kirchenvision, über die Ökumene zu Macht und Gewaltenteilung durch Selbstbeschränkung der Bischöfe.
Allen Beiträgen geht es um die Bedeutung eines typisch katholischen Moments von Kirche, das Barbara und Michael Mertes als Herausgeber bedroht sehen: die Volkskirchlichkeit. Man könnte meinen: Für Volkskirche stimmt, dass es dort doch nur „Heiden“ gibt, „die sich noch Christen nennen“, so hat es Joseph Ratzinger schon 1958 gesehen (17). Deshalb galt Volkskirche manchen schon in den 80er-Jahren als verabschiedet, und nicht nur dem späteren Papst oder denen, die auf die damals noch neueren geistlichen Bewegungen gesetzt haben. Verbreitet wurde Volkskirche für einen konformtreuen Milieu-Katholizismus gehalten. Die Beiträge zeigen dagegen, was Volkskirchlichkeit in ihren verschiedenen Dimensionen bedeutet. Sie ist ein wesentliches Merkmal der katholischen Kirche, die Heil nicht konfessionell verengt, sondern kat-holon vom Ganzen her und auf das Ganze bezogen versteht. Bei Lukas spricht Jesus von der „kleinen Herde“ (Lk 12.32, S. 11), aber ein Instant, von dem kleine elitäre Pulveressenzen reichen, ist nicht die Zielgröße für die Ekklesia.
Das zeigen die sprunghaft wachsenden Zahlen der Jesus Folgenden in der Apostelgeschichte. Paulus findet sich dann auch bald auf dem Areopag wieder und verkündet – wenn auch als Gefangener – am Ende der Apostelgeschichte freimütig das Evangelium in der Hauptstadt des Kaiserreichs. Bei der Volkskirche geht es um den Weltbezug der Kirche, und zu diesem stellt das Vorwort programmatisch heraus: Ein „planvoller Rückzug aus der Welt“ (40) ist keine Lösung, „Entweltlichung der Kirche“, wie sie Benedikt XVI. noch als Papst in Freiburg verkündet hat, ist „in Tat und Wahrheit: Entkirchlichung der Welt“ (ebd.).
Genau dies wird in dem Buch aber als die eigentliche Wirkung der vielfach vertretenen Idee eines elitären „Gesundschrumpfens“ aufgedeckt. Die Beiträge des Buches stehen dagegen für eine Volkskirchlichkeit, die sich mit Johann Hinrich Claussen als „zivile Kultur des Christlichen“ (22) bezeichnen lässt. Sie vermögen davon zu überzeugen, dass „die Verankerung der Kirche in der konkreten Lebenswelt der Menschen, zur Substanz, zur Geschichte und zur Wirklichkeit des Christlichen gehört“ (23). Die Herausgeber des Buches kommen aus Köln, und es ist erfreulich, dass hier auch eine Hoffnungsperspektive für den Synodalen Weg eröffnet wird. Das gelingt, indem die Beitragenden an unterschiedlichen geografischen und theologischen Orten Tiefenbohrungen vornehmen und zeigen, dass „viele vermeintliche Strukturfragen“, die im Synodalen Weg verhandelt werden, „in Wahrheit drängende Glaubensfragen sind“ (16). So stellt das Buch die notwendigen Detaildiskussionen und kleinen, manchmal ermüdenden Fortschritte in die theologische Weite hinein, um die es beim Synodalen Weg geht.
Ansgar Wucherpfennig SJ
Zulehner, Paul M.: Damit der Himmel auf die Erde kommt – in Spuren wenigstens. Menschlich leben inmitten weltanschaulicher Vielfalt. Ostfildern: Patmos 2020. 256 S. Kt. 19,–.
Zulehner legt hier eine engagierte Auswertung seiner religionssoziologischen Untersuchung über das Glaubensleben der Österreicher innerhalb der letzten fünfzig Jahre (ab 1970) vor. Sein wichtigstes Schlüsselwort lautet „Verbuntung“, zweifellos eine Wortschöpfung, die eine Menge der im Buch vorgetragenen gesellschaftlichen und religiösen Vorgänge und Einstellungen bündelt. Es gelingt ihm, dichte und komplexe Zusammenhänge einfach und eingängig zu formulieren. Die Lektüre bleibt gleichwohl anspruchsvoll und stets auf die Ergebnisse seiner Befragungen bezogen.
Eröffnet wird das Buch durch eine moderne Variante des Vater unser von Kurt Marti (7).
Die Studie zum österreichischen Glaubensleben ist inspiriert durch das Zweite Vatikanische Konzil und sieht sich vor dem groben Fazit: Wandlung und Verbuntung bilden die Herausforderung für Gesellschaft und Kirche (12).
Sterbliche und Unsterbliche: mit diesen Begriffen bezeichnet Zulehner Menschen, die ein Leben nach dem Tode ablehnen, und solche, die an ein Weiterleben glauben. Er illustriert die gegensätzlichen Vorstellungen mit den beiden Orpheus-Mythen (19 f.) und veranschaulicht vielfältige Ergebnisse seiner Umfragen durch plakative eingängige Stichworte (23), die nachfolgend erläutert werden. Je nach Überzeugung erleben die Menschen verschiedene Reichweiten der Wirklichkeit (26 ff.), vor allem des Todes. So wird u.a. auch die Hilfe zum Suizid diskutiert (46 ff.). Bemerkenswert und eindrucksvoll ist die Betonung, dass der Mensch unausweichlich zur Wahl eines Lebenssinns gezwungen ist (54 ff.) und
auch die Beobachtung, dass sich unterschiedliche Gottesbilder und daraus bestimmte lebenspraktische Auswirkungen entwickeln (64 ff.). Der Autor betont auch die Bedeutung von Religions- und Ethikunterricht, die allerdings kontrovers diskutiert werden (86 f.). Er stellt Beziehungen her zu Religionsgemeinschaften, Kinderzahl, Geschlecht, Bildung und Alter (88 ff.). Folgerichtig werden Überlegungen zur künftigen Gestalt der Kirche angestellt, die auf religiöse Mobilität zu reagieren hat (100 ff.).
Nachdenklich machen die unterschiedlichen Überlegungen zur Funktion und individuellen Bedeutung des Sonntagskirchgangs (110 ff.). In diesem Zusammenhang wirbt Zulehner für einen stärkeren politischen Einsatz der Kirchen (131 ff.). Später problematisiert er die Bedeutung des Zusammenlebens von Christen und Muslimen (137 ff.). Dabei betont er, wie wichtig eine Integration auf gegenseitiger Basis ist (154). Auch der Blick auf die Zukunft der Kirchen ist Zulehner ein eigenes Kapitel wert, in dem er u.a. die Bedeutung von Religion für Grenzsituationen des Lebens hervorhebt: Wichtig sind ihm Rituale, die das Potenzial besitzen, alle religiösen Überzeugungen zu verbinden (173 ff.). Allerdings warnt er entschieden davor, den Zugang zu diesen Ritualen (Taufe, Hochzeit, Beerdigung) an Bedingungen zu knüpfen (177 ff.).
Schließlich wirft Zulehner einen Blick auf den Wandel des Männer- und Frauenbilds in Religion und Gesellschaft (192 ff.). Er veranschaulicht ebenso eindringlich wie plausibel, dass und warum die Christlichkeit „verdunstet“ (215 ff.). Zum Schluss präzisiert Zulehner noch einmal mit Nachdruck seine eigene Überzeugung, dass Gott den Menschen frei macht und ihm in Liebe entgegenkommt. Das Buch endet mit einem Gedicht von Dorothee Sölle über Auferstehung (229 f.).
Ein in doppelter Hinsicht verdienstvolles Buch: Es spiegelt die Vielfalt zunehmend spirituell und religiös diffundierender Gesellschaft und es atmet eine christlich-pastorale, tolerante und liebenswerte Überzeugung. Mithilfe dieses Buches wäre es sicher möglich, eine neue und gesellschaftlichen Realitäten angemessene Glaubenslehre und Katechese zu entwickeln. Es bietet alle Ansätze, um dem derzeit coronabedingt stagnierenden Synodalen Weg neuen Esprit einzuhauchen.
Eberhard Ockel
Oechslen, Rainer: Wenn aber der Tröster kommen wird. Predigten aus der Corona-Zeit. Ansbach: Wifa 2020. 111 S. Kt. 10,–.
Es wird nicht selten geklagt, die Kirchen hätten zu der Corona-Krise nichts gesagt oder sogar nichts zu sagen. Das ist insofern berechtigt, als diese Krise zum Zeitpunkt dieser Publikation noch nicht lange angedauert hatte und es auf der anderen Seite auch nicht leicht ist, vom Standpunkt des Glaubens oder der kirchlichen Lehre aus dazu Stellung zu nehmen. Zu neu und analogielos war die durch die Pandemie entstandene Situation. Der Autor, Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und in dieser Kirche Beauftragter für interreligiösen Dialog, versucht diese Lücke zu füllen und legt hier dreißig Predigten vor, die er zur Coronazeit oder kurz zuvor gehalten hat.
Ausgangspunkt sind in der Regel biblische Texte, wie sie vom Kirchenjahr her vorgegeben sind. Sie handeln von menschlicher Not, aber auch von Vertrauen und Hoffnung auf der Grundlage von Gottes Wort. Beispiel Pfingstfest: Hier spricht Jesus die Worte, die dem Buch den Namen gegeben haben: „Wenn aber der Tröster kommen wird“ (Joh 15,26). Die lutherische Übersetzung vom Parakleten als „Tröster“ dürfte seiner Aufgabe gerecht werden. Sie hilft auch und gerade in der gegenwärtigen Situation. Dem Verfasser kommt sein Lehrer Hans Iwand in den Sinn, der auf dem Höhepunkt der Nazizeit darum wusste, dass Vertrauen auf Gott nicht leicht zu haben war. Auch heute fehlt es nicht an kritischen Anfragen. Nach den einen ist der große Traum von Gott zu Ende: Gäbe es ihn, hätte das Virus nicht eine solche Macht entfalten können. Den anderen fehlen die Gottesdienste, die ihnen sonst Kraft und Halt gegeben hatten: Warum lässt Gott das zu? Wieder andere fragen sich, ob man in der Pandemie nicht eine Strafe Gottes sehen sollte. Aber zu welchem Gottesbild gelangt man dann? Sicher, Gott lässt menschliches Fehlverhalten nicht ungesühnt. Das zeigt etwa die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Die Menschen wollen sich einen Namen machen und bauen einen Turm bis zum Himmel. Da verwirrt Gott ihre Sprachen und der Turmbau stockt. „Dass Gott der Grenzenlosigkeit, dem Hochmut der Menschen entgegentritt, das mag man Strafe nennen. Auf jeden Fall aber ist es ein Segen, eine Rettungsaktion Gottes zugunsten einer Menschheit, die jedes Maß verloren hat. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist ein Trost. Trostlos erscheint nur eine Kirche, die das vergessen hat“ (60).
Wenn das Johannesevangelium vom Tröster spricht, dann tut es dies in Verbindung mit seiner Aufgabe als Zeuge. Ja, er kann auch als Ankläger erscheinen. Der Geist könnte der Kirche heute vorwerfen, sie habe in der gegenwärtigen Kirche nichts gesagt und nichts zu sagen. Andere werden sagen, alle Anklage der Kirche gegen die Macht des Geldes habe nichts gebracht und daran werde sich auch nach der Krise nichts ändern. Wieder andere werden sagen, allein die Wissenschaft könne uns heute Auskunft geben über Woher und Wohin der gegenwärtigen Krise. Die Kirche haben dem nichts hinzuzufügen. Und noch andere werden dem Prediger vorwerfen, er habe gut reden. Ihm gehe es gut, aber sobald er auch nur Zahnweh bekomme, sähe die Welt anders aus (60 f.): „Dann stehe ich da und weiß nicht, was ich antworten soll. Dann aber wird der Tröster kommen, der Beistand, und wird für Jesus und uns Zeugnis ablegen“ (61).
Der Tröster wird daran erinnern, dass sich nach wie vor Christen als Gemeinde zusammenfinden und nach der Abendmahlsfeier zumindest Sehnsucht empfinden. Er wird bewusst machen, dass Geld nicht der höchste und alles überdauernde Wert ist. Und er wird daran erinnern, dass die Wissenschaft nicht Antworten geben kann, die dem Glauben vorbehalten sind. „Der Tröster wird für uns eintreten, wird uns verteidigen gegen die Anklagen dieser Welt. Er wird die Existenz seiner Gemeinde in dieser Welt rechtfertigen. Und dann wird er noch einmal für uns eintreten in unserer letzten Not beim jüngsten Gericht“ (ebd.). Auf dieser Linie halten sich auch die anderen Beiträge. Auffallender Weise tritt das Thema Corona bei den Beiträgen aus dem letzten Sommer, als die Infektionen vorerst abgeklungen waren, fast völlig zurück. Auch das kann ein Trost sein: Es gibt auch ein Leben nach Corona. Wer in diesen Zeiten Trost sucht, darf auch nach diesem schönen Büchlein greifen.
Johannes Beutler SJ
Frings, Thomas: Gott funktioniert nicht. Deswegen glaube ich an ihn. Freiburg: Herder 2019. 189 S. Gb. 20,–.
Frings‘ Buchtitel mag auf den ersten Blick zur Corona-Pandemie passen, wurde jedoch vor deren Ausbruch veröffentlicht. Auf eine bestimmte Art gläubige Menschen fragen sich nicht erst heute, warum Gott nicht einfach in die Welt eingreift und die Ausbreitung des Virus direkt eindämmt. Eine durchaus ähnliche Situation beschreibt der Verfasser bereits auf den ersten Seiten des Buches, das seinen persönlichen Glauben zum Thema hat und stark biografische Züge trägt.
Als dieser mit einigen Bekannten in Afrika in freier Wildbahn in einem Zelt übernachtete, wurde die Gruppe von Hyänen umringt – eine lebensgefährliche Situation. Das, was den Autor im Nachhinein jedoch überrascht: Er hat nicht gebetet. „Nein, mein Glaube hatte mich nicht verlassen, gerade deshalb habe ich nicht gebetet. Weil mein Glaube nicht einem Gott gilt, der wilde Tiere verjagt, wenn ich ihn darum bitte“ (22). Doch gerade dies wird ihm zu einer existenziellen und spirituellen Erfahrung: „Ich glaube nicht an einen Gott, der mich vor der Gefahr rettet, sondern mit mir in der Gefahr ist; der mich nicht vor dem Tod bewahrt, sondern im Tod bewahren wird“ (27).
Ähnlich nachdenklich stimmt eine Situation, in der ihn sein Neffe mit der oftmals floskelhaften Praxis des kirchlichen Fürbittgebets konfrontiert („Na, so was sagt man doch immer in der Kirche!“, 38). Das daraufhin im Gottesdienst ausgesprochene Gebet des Jugendlichen scheint dagegen ein authentisches Beten zu sein: „Gott! Not und Elend in der Welt interessieren mich nicht wirklich. Hilf mir, dass ich mich und meine Haltung dazu ändere!“ (39).
Wunder, egal ob in der Bibel oder als Testimonials an Wallfahrtsorten, mögen vorkommen, doch sollten sie nicht Grundlage für den Glauben sein. Frings erinnert hierbei an die Mahnung Karl Rahners, im Glauben die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten (47). „Auf Gott lässt sich kein Reim machen. […] Gott schreibt Prosa, weil auch das Leben in Prosa stattfindet“ (49).
Dennoch bemüht Frings nicht nur die via negationis in der Frage nach Gott. Sein Buch gliedert sich in die Grundfragen „Warum ich glaube“, „Was ich glaube“, „Wie ich glaube“. Und Frings gibt hierbei durchaus Antworten. Unter Berufung auf das Große Glaubensbekenntnis mit dessen Formulierung „Ich glaube an die […] unsichtbare Welt“ führt er drei Säulen an, die für seinen Glauben entscheidend sind: Ewigkeit, Barmherzigkeit, Liebe (54). Der Mensch ist erlösungsbedürftig. Er braucht einen Heiland (63). „Die Jugend muss erst einige Lösungen ausprobiert haben, bis sie lernt, dass es nicht für jedes Problem eine vernünftige Lösung gibt. Für einige gibt es nur eine Erlösung“ (111).
Thomas Frings hat ein sehr persönliches und gehaltvolles Buch über seinen Glauben an Gott vorgelegt. Es ist frei von frommen Floskeln, und gerade dies macht es so wertvoll. Insbesondere für Menschen, die kirchlich sozialisiert sind, sich aber womöglich nie existenziell mit ihrem eigenen Glauben an Gott konfrontiert haben, kann Frings’ Buch Anregung zum weiteren persönlichen Suchen, Fragen und Denken sein. Und zum Gebet, ohne zu plappern (168). Vor allem aber kann es für solche hilfreich sein, die Gott in ihrem Leben mehrfach weggeworfen haben und überlegen, dem Glauben an ihm nochmals eine Chance zu geben – hierauf spielt der zerknitterte Zettel mit der Aufschrift Gott auf dem Buchcover an (86). Frings ist nicht unkritisch mit der Kirche, arbeitet sich jedoch nicht an Fragen der Kirchenreform ab: „Gott muss man suchen, die Kirche ist da. […] Gott ist eine unsichere Option, die Kirche eine sichere. […] Eine Kirche muss funktionieren, Gott funktioniert nicht“ (158).
Raphael Weichlein