Rezensionen: Kunst & Kultur

Hilbert, Matthias: Gottsucher. Dichter-Bekehrungen im 19. und 20. Jahrhundert – zwölf Dichterporträts.
Neuenkirchen: Steinmann 2020. 121 S. Kt. 14,80.

 Zwölf große Namen von Autoren, die in ihrem Leben eine Wende zum Christentum vollzogen: Chesterton, Dostojewski, Greene, Kierkegaard, Lewis, Solschenizyn, Tolstoi, Zuckmayer, Döblin, Heine, Hirsch, Werfel. Hilberts Porträts sind kenntnisreich, einfühlsam und in angemessener Kürze und Konzentration geschrieben. So kann man nur schreiben, wenn man den Stoff souverän beherrscht. Die Porträts würdigen die unterschiedlichen Wege der Autoren zur Konversion und auch die unterschiedlichen Ausprägungen von christlichem Leben und christlichem Bekenntnis, zu denen sie jeweils fanden. In den meisten Biografien spielen die Begegnungen mit Frauen eine ausschlaggebende Rolle gerade auch für die religiöse Wende. Zur Tatsache, dass die zwölf vom Hilbert ausgewählten Autoren allesamt männlich sind, sei darauf hingewiesen, dass im angekündigten Nachfolgeband auch der Name von Dorothy Sayers auftaucht – weitere Konversionsbiografien von Autorinnen wären natürlich wünschenswert. Die Lektüre macht Geschmack darauf, sich den Œuvres der großen Autoren neu zuzuwenden und sie in ihrer Aktualität neu zu entdecken. Es zeigt sich aber auch, wie unterschiedlich die Formen von Christentum sind, zu denen die Autoren finden. Bei Werfel, Heine, Hirsch und Döblin kommt das komplexe Verhältnis zur jüdischen Herkunft hinzu.

Sicherlich könnte man geschmäcklerisch bei jedem Porträt darauf hinweisen, dass dieses oder jenes Werk des Autors nicht erwähnt wird, oder dass dieses oder jenes biografisch relevante Ereignis nicht genannt wird. Doch das würde der Intention der konzentrierten Darstellung nicht gerecht werden. Weiterführend ist eher die Diskussion über einige Wertungen, die der Autor vornimmt. Kann man zum Beispiel wirklich sagen, dass Dostojewskis Großinquisitor „die zentrale Versuchung aller Kirchenfunktionäre“ offenbare, nämlich „die Theologie der Anthropologie anzupassen“ (28)? Dass Dostojewski mit seinem berühmten Poem auch Kirchenkritik treibt, ist sicherlich richtig. Aber ist das Problem nicht gerade umgekehrt, dass der Großinquisitor sich die Gottesposition anmaßt, nach dem klassischen Modell des biblischen Versuchers? Und ist die polemische Formel von einer Theologie, die sich angeblich der Anthropologie anpasst, nicht zu kurz gegriffen, wenn man Inkarnation ernst nimmt – wenn also die Theologie über die Anthropologie vermittelt wird, und nicht über das bloße Denken (Xenophanes u.a.), über heilige Texte oder über einen Glauben, der als bloßer Unterwerfungsakt unter einen göttlichen Willen verstanden wird (siehe Kierkegaards „Furcht und Zittern“). Aber das soll nur eine weiterführende Anmerkung zu den Porträts von Hilbert sein, deren Lektüre ich hiermit sehr empfehle.

Klaus Mertes SJ

 

Gracián, Baltasar: Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Übers. von Hans Ulrich Gumbrecht.
Ditzingen: Reclam 2020, 302 S. Gb. 25,–.

Erstmals 1647 erschien das berühmte „Handorakel“ des spanischen Jesuiten, ein „Kanontext im europäischen Kulturerbe“ (7). Aphoristisch werden Gedanken gesammelt, vor allem zur Selbst- und zur Fremdführung. Manche erscheinen recht weltlich, auch mit einer auf Eigennutz gerichteten Moral – dem Autor wurde immer wieder Machiavellismus vorgeworfen. Andere sind eher geistlich und, so empfindet man heute, ethisch hochstehend. Ins Deutsche wurde der Text 1832 von Arthur Schopenhauer gebracht, seine Übersetzung ist klar und sprachschön, bisweilen eher frei, an dunklen Stellen auch etwas glättend – sie ist ein Klassiker bis heute.

Hans Ulrich Gumbrecht, emeritierter Romanist aus Stanford, legt nun eine ausführlich kommentierte und mit einem hilfreichen Nachwort versehene Neuübersetzung vor: Sie ist näher am Urtext, dabei sprachlich sehr präzise und deutlich, um den Preis, dass bisweilen Passagen, die im Urtext schwer verständlich sind, auch im Deutschen ein wenig abstrakt, verquer, kompliziert erscheinen. Und doch hat dieser Text trotz allen Mäanderns im Gedankengang eine eigenartige innere Kohärenz und Dichte, ja er ist sowohl „Kunst“ wie „Weltklugheit“. Weniges sei zitiert:

„Die Dinge im Unklaren lassen… Behutsames Schweigen ist der heilige Innenraum der Klugheit“ (Nr. 3). „Eile langsam“ (53). „Presst man die Apfelsine zu sehr aus, wird sie am Ende bitter: auch im Genuss soll man nie bis zum Äußersten gehen“ (82). „Unerträglich dumm, wer jeden Gegenstand an seine Auffassung anpassen will“ (101). „Das gut Gesagte ist schnell gesagt“ (105). „Nicht mit dem Glück prahlen… Sich inszenieren ist verhasst, es war genug, beneidet zu werden. Ansehen gewinnt man umso weniger, je mehr man es sucht, es hängt von der Achtung der anderen ab“ (106). „Die Versehen der großen Männer werden mehr beachtet, so wie die Finsternisse der großen Lichtquellen“ (126). „Nie sich aus Eigensinn auf die schlechtere Seite schlagen: weil der Gegner zuvorkam und sich die bessere wählte“ (142). „Nach innen schauen. Gewöhnlich findet man, dass die Dinge ganz anders sind, als sie aussahen“ (146). „Sich nicht in den Personen täuschen, denn das ist die schlimmste und sich am leichtesten einstellende Täuschung. Besser ist es, im Preis als in der Ware getäuscht zu werden“ (157). „Ohne zu lügen, nicht alle Wahrheit sagen“ (181). „Nicht zeremoniell sein“ (184). „Man muss die menschlichen Dinge anwenden, als ob es keine göttlichen gäbe, und die göttlichen, als ob es keine menschlichen gäbe. Große Meisterregel…“ (251).

Für Gracián ist die Welt barockes Theater, das man spielen muss. Zugleich schätzt er Wissen und Intelligenz – eine Art frühe Aufklärung kündigt sich an. Die Wirklichkeit soll man sehr konkret wahrnehmen, aber er selbst schreibt eher abstrakt. Er bleibt distanziert zur Welt – auch ein wenig überheblich? In der Kommunikation darf man auch mal tricksen. Eine sehr verfeinerte und bisweilen strategische „Unterscheidung der Geister“ ist am Werk – ist das noch jesuitisch? Gumbrecht fasst seinen Eindruck zusammen: „Ergriffen hat mich jene kühle Konkretheit…“ (214).

  Stefan Kiechle SJ

 

Tück, Jan-Heiner: Gelobt seist du, Niemand. Paul Celans Dichtung – eine theologische Provokation.
Freiburg: Herder 2020. 352 S. Gb. 28,–.

Zum Celan-Jahr 2020 – der 50. Todestag war im April, der 100.Geburtstag am 23. November – hatten der Herder-Verlag und Autor Jan-Heiner Tück die gute Idee, ein vor zwanzig Jahren bei Knecht erschienenes Buch erweitert neu aufzulegen. Der Wiener Theologe und Schriftleiter der deutschen Ausgabe der Internationalen Katholischen Zeitschrift „Communio“ ist nicht nur germanistisch versiert als Initiator der Wiener Poetik-Dozentur „Literatur und Religion“, sondern auch im christlich-jüdischen Dialog engagiert als Verfasser vieler Aufsätze.

Paul Celan aus Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, hieß ursprünglich Paul Pessach Antschel, rumänisiert Ancel, und hat sich als Schriftsteller den Namen Celan gegeben (Betonung auf dem ersten Vokal). Die Eltern des Einzelkindes waren Opfer des Nazi-Regimes, ein Trauma, das er durch seine Dichtung zu bewältigen versuchte. Sein Lebensweg führte von Bukarest über Wien (wo er Ingeborg Bachmann kennenlernte) nach Paris. Die berühmte „Todesfuge“ mit dem wiederkehrenden Satz „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (dem Land eines Meister Eckharts, von „Meistersängern“ und „Meisterdenkern“) widmete er als „Grabmal“ seiner Mutter. Gegen Adornos damaliges Diktum „Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, ist barbarisch“ ist Paul Celan das lebendige Gegenbeispiel. Tück schildert in „Voraussetzungen“ diese Diskussionen und führt in Celans Leben und Werk ein (29-78). Mit antisemitischem Unterton hat der Literaturkritiker Günter Blöcker Celan verletzt und die Witwe seines Freundes Yvan Goll ihn mit haltlosen Plagiatsvorwürfen bedacht (65). Die Begegnungen mit dem Philosophen und ehemaligen NSDAP-Mitglied Martin Heidegger brachten nicht die von Celan erwartete Klarstellung. Das Gedicht „Todtnauberg“, das im Jahr seines tragischen Suizids im Band „Lichtzwang“ (1970) erscheint, bietet ein poetisches Protokoll dieser „epochalen Begegnung“.  

Herzstück von Tücks Buch sind Deutungen von fünf Gedichten aus Celans Gedichtzyklus „Die Niemandsrose“ (1963), den manche fälschlich als eine atheistische „Anti-Bibel“ (89) ansahen. Doch die Anrufung Gottes als „Niemand“ im Gedicht „Psalm“ kann als Echo des heiligen Namens angesehen werden. In „Zürich, zum Storchen“ geht es um ein Gespräch mit Nelly Sachs über die Hoffnung eines „Vielleicht“: „wir wissen ja nicht, was gilt“ (146). „Benedicta“ (170) kreist um den Teneberleuchter der alten Karfreitagsliturgie, „In eins“ (194) mit Walter Benjamin und Gershom Scholem um Begriffe der Geschichte und der revolutionären Arbeiterkämpfe in Wien, Paris, Spanien und Petersburg. Insgesamt sieht Tück in Celans „Niemandsrose“ und in seinem gesamten Werk „Spuren einer poetischen Theologie des abwesenden Gottes“ (227), die teilweise auch mit Kategorien der Kabbala eingefangen werden. Dies wird einfühlsam und kenntnisreich begründet, ohne den jüdischen Autor, der auch zum Staat Israel eine Beziehung hatte, christlich zu vereinnahmen.

Unter „Provokationen“ hinterfragt Tück eine „pädagogische Instrumentalisierung des Grauens“ (249), befürwortet theologisch eine „Wiederentdeckung des Schweigens“ und „die heilsame Unterbrechung eingeschliffener Sprachpraktiken“ (255). „Beten nach der Shoa“ ist mit Johann Baptist Metz deshalb möglich, „weil auch in Auschwitz gebetet wurde“ (267), selbst wenn es nur ein Schrei war (270). Tück beschließt den Band mit an Celan anknüpfenden neuen theologischen Essays zu einer „Christologie nach Auschwitz“, der Frage, ob das Unverzeihliche verzeihbar sei (Antwort: Ja, nur dann ist Verzeihung Verzeihung), dem Problem der Theodizee und der Hoffnung auf Vollendung.

Stefan Hartmann

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